Aus meiner Sicht

von Otto WEINTÖGL, geb. 1914

Anläßlich des 80. Geburtstages am 28.1.1994

gestaltet von Otto, Gerhard und Grete

Väterlicherseits stammen wir aus der Gegend von Geras - Langau aus Kotaun (Vater - Kotauner Schwaben) und Höflein (Mutter). Großvater war Halblehner in Goggitsch. Er war mit seiner Frau, geb. Obermann, zugezogen. Seine Frau dürfte aus reicherem Haus gewesen sein (ein Bruder war in Baden oder Leobersdorf Hotelier oder Restaurantbesitzer) so daß ich vermute, daß das Geld zum Ankauf der Wirtschaft von ihrer Seite kam. Die Großeltern hatten 8 Kinder, fünf Buben und drei Mädchen. Johann, und Josef lernten beim Onkel und wurden Wirte. Johann führte als Pächter das Gemeindegasthaus in Bruck "Zum grünen Baum", heute Sparkasse, war dann in Melk Pächter eines großen Gasthauses und kaufte dann in Matzleinsdorf ein Gasthaus. Josef war zuerst in Wien, wanderte aber später nach Böhmen aus. Er schien verschollen, doch 1938 oder 39 kam ein Lebenszeichen von ihm aus dem Sudetenland er benötigte einen Ahnenpaß. Franz (unser Vater) lernte die Fleischhauerei bei Apfelthaler in Eggenburg, ging dann ein paar Jahre als Geselle nach Weitersfeld und war dann ein Jahr bei seinem Bruder in Bruck Küchenfleischhauer und Schankbursche. Von da rückte er zum Militär ein, war aber nach kurzer Zeit wieder befreit, da er Plattfüße hatte. Leopold und Karl blieben zu Hause bei der Landwirtschaft. Für Leopold wollten seine Eltern eine Wirtschaft kaufen und Karl als Jüngster sollte die elterliche Wirtschaft übernehmen. Die Großeltern starben gegen Kriegsende, Leopold kam früher aus der Gefangenschaft nach Hause und führte die verwaiste Wirtschaft weiter. Er hatte schon vor dem Krieg geheiratet, so daß eine Frau mit 2 Buben - Franz 1909 und Karl 1914 - da waren. Karl sollte mit Geld abgefunden werden, damit er sich eine Wirtschaft kaufen konnte. Als er 1921 oder 1922 aus der russischen Gefangenschaft nach Hause kam, erhielt er das Geld, aber dafür konnte er sich nichts mehr kaufen, da es entwertet war. Zwei Schwestern, Maria und Amalie, gingen nach Wien "in den Dienst".

Marie heiratete den Hans Huber, einen Lokomotivführer aus Innsbruck und übersiedelte dorthin. Amalie (Malitant) heiratete einen ungarischen Kunstschmied, Vincze, und ging mit ihm nach Amerika nach Philadelphia. Die dritte Schwester Christine (Tinitante) heiratete den Bauern Neunteufel in Goggitsch. Mütterlicherseits stammen wir aus Karlsdorf (bei Pernersdorf) im n.ö. Weinviertel von Kleinhäuslern und Hauern und aus Okrizko Bez. Trebitsch (Mähren) von einem Zimmermann Vehsely ab. Großvater Franz Ziegler hatte wahrscheinlich Schlosser gelernt (ich vermute es deswegen, weil er dem gelernten Schmied Pfabigan dann auch zusetzte, zur Bahn zu gehen, als er Minatante heiraten wollte), und war bei der Bahn als Streckenwärter beschäftigt. Zu dieser Zeit wohnte er in einem Streckenwärterhaus zwischen Zellerndorf und Platt. Großmutter Franziska Vehsely war aus Mähren (Okrisko) in die Gegend in den "Dienst" gekommen. Da lernte sie Franz kennen und sie heirateten. Sie hatten zusammen 12 Kinder, von denen 6 erwachsen wurden: Katharina, Franziska, Maria (unsere Mama), Minna, Franz und Gustav. Kathi und Marie gingen in den Dienst nach Wien, Franz wurde Kellner und Gustav lernte das Schlosserhandwerk in Wien. Franziska (Fanni-Tant) blieb unverheiratet bei den Eltern zu Hause. Minna kam während des 1. Weltkrieges in unser Elternhaus, um wie ein Dienstmädchen Mama bei der Arbeit mit ihren vier Buben zu helfen. Über Kathi wurde geflüstert (wahrscheinlich hatte sie ein uneheliches Kind gehabt - oder hatte sie nur ohne die Zustimmung ihrer Eltern einen Deutschen geheiratet?) war in Karlsruhe verheiratet und anscheinend verbannt, denn wir sahen sie nie. Mama kam vorerst in das Gasthaus Tischler in der Schauflergasse als Küchenmädchen (angeblich mit 12 Jahren) und stieg dort bis zur Sitzkassierin auf. Papa war dort eine Zeit als Schankbursche beschäftigt, so daß sie sich im Betrieb sahen. Sie fürchtete sich vor ihm, weil er immer finster auf sie schaute. In Wirklichkeit aber gefiel sie ihm, nur war er eifersüchtig, wenn sie mit den Gästen freundlich sprach.

Fannitante blieb also bei den Eltern. Während ich in Pernersdorf war, fuhr sie ein- oder zweimal nach Znaim. Dort war anscheinend ein Bekannter - aber es wurde nichts daraus. Wenn es eine Vernunftehe hätte werden sollen, mußte sie daran scheitern, daß zu dieser Zeit alle Ersparnisse durch die Inflation verloren waren. Es wurde aber nie (zumindest vor so einem kleinen Buben) darüber gesprochen. Minnatante lernte bei uns Pfabigan kennen, der für Papa aus dem Waldviertel Fleisch nach Wien brachte (als Transportunternehmen im Rucksack-verkehr). Sie heirateten, nachdem er als Kesselschmied (er war gelernter Schmied) bei der Bahn (Bahnhof der Franz Josefsbahn) angestellt war. Sie wohnten zuerst bei seiner Base in der Windmühlgasse (beim Naschmarkt), dann in der Hahngasse im 9. Bezirk und schließlich bei uns in der Morawek-Wohnung. Sie hatten zwei Kinder, die Poldi und den Willi.

Mamas Bruder Franz kam 1920 aus der Kriegsgefangenschaft in Sibirien (er dürfte schon in Deutschland in Berlin-Charlotenburg verheiratet gewesen sein) zu seinen Eltern, als ich auch dort war. Dort erzählte er wahre Schaudergeschichten von Kämpfen mit Eisbären im Polargebiet. Dabei gewann ich den Eindruck, daß er ein großer Aufschneider sei - das muß aber eine Reflexion meiner Umgebung gewesen sein, denn ein eigenes Urteil traue ich einem Sechsjährigen über solche Tatsachen nicht zu. Er hatte eine Tochter. Pfabigan und Minatante besuchten ihn einmal (als Eisenbahner hatte er einmal im Jahr eine Freifahrt für ganz Europa). Da erzählten Sie auch von seinem großtuerischen Gehabe und der Angeberei. Gustav (Gustlonkel) war als Lehrbub in Wien von seiner älteren Schwester, unserer Mutter umsorgt worden. Nach seinen Erzählungen hatte er es aber auch sehr schwer, die Lehrbuben mußten die Eisenwaren mit Handwagen in die Werkstätte und die fertigen Waren zu den Kunden führen. Er schilderte, wie er mit dem Handwagen auf dem Getreidemarkt oder auf der Mariahilferstraße von der Zweierlinie bergauf nicht mehr weiterkonnte, so daß ihm Passanten helfen mußten, das Gefährt mit seiner Ladung über den Berg zu bringen. Natürlich ging auch er nach der Lehre und der Militärzeit zur Bahn und wurde Lokführer. Er war auf der Südbahn stationiert und fuhr meistens mit Lastzügen. Beim Militär war er als Kraftfahrer eingesetzt gewesen und "konnte alles". Zumindest erzählte er es. Er konnte einen Motor dadurch, daß er die Ventile so einstellte, daß sie genau in der Mitte des Zündspiels öffneten und schlossen, dazu bringen, daß er wie ein "Glöckerl" lief - sagte er. Er baute sich in Wiener Neustadt ein Haus, d.h. es wurde ein Doppelhaus, damit es stattlicher ausschaue (das letztere ist eine Bosheit von mir!). Angeblich hat ihn aber der Zweite bei der Arbeit ziemlich allein gelassen, so daß er viel allein machen mußte. Zum Beweis seiner Tüchtigkeit sprach er immer davon, sich ein Auto zusammenzubauen, das natürlich dann auch alle Stückerln spielen sollte - also ein Wunderauto - es blieb aber leider nur beim Reden. (Nicht auszudenken, wenn das gelungen wäre: es hätte dann keinen Porsche sondern einen Ziegler oder einen Gustav gegeben!!) Jedenfalls konnte er blendend erzählen, obwohl ich glaube, daß wir nicht seine ganze Kunstfertigkeit kennenlernten, denn bei Papas kritischem Schauen wurden die meisten Leute langsam etwas stiller. Gustlonkel war zweimal verheiratet. Die erste Frau starb und auch das gemeinsame Kind. Das zweitemal sollte es eine Kroatin aus der Umgebung von Wiener Neustadt sein.Als er beim Schwiegervater um ihre Hand anhielt, bekam er nicht die Gewünschte zur Frau, sondern ihre ältere Schwester, denn "zuerst mußte die Ältere aus dem Haus". Mit der hatte er sein Kreuz! Sie arbeitete ihm nichts (nach seiner Aussage) und führte ein Faulenzerleben. Er hatte zwei Kinder: ein Mädchen starb, sein Sohn Gustl machte eine technische Mittelschule und war dann nach dem Krieg in Ägypten. Er stand mit Mama in Kontakt, d.h. er lieh sich von ihr Geld, das sie dann erst mit viel Mühe zurückbekam. Mitte der 20er Jahre erfuhr ich, daß Johann-Onkel (ich glaube nicht, daß ich ihn je gesehen habe) einen Sohn hatte. Onkel Johann übernahm nach der Brucker Zeit das Bahnhofrestaurant in Melk und kaufte dann ein Gasthaus in Matzleinsdorf. Als vom Onkel geredet wurde, ging es um "Geld ausborgen". Ob es sich auf den Onkel oder seinen Sohn bezog, wurde mir nicht klar. Von Vaters Bruder Josef weiß ich nicht, ob er verheiratet war. Eine dunkle Erinnerung ist da, daß er wegen einer Enttäuschung (hat ihn seine Frau verlassen - oder hat er wirtschaftlich Schiffbruch erlitten?) nach Böhmen ging, (vielleicht Reichenberg?). Auf dem Dachboden stand ein großer Gasherd für ein Kaffeehaus, der von ihm stammte. Ob er ein Pfand war oder ob er ihn dort unterstellte, bis er ihn einmal brauchte, weiß ich nicht.

Leopoldonkel in Goggitsch hatte also zwei Buben, Franz (1909) und Karl (1914). Dann kam noch ein Mädchen, die Poldi und später Hermann. Poldi wurde Handarbeitslehrerin und heiratete einen Lehrer in Reisenberg. Hermann sollte die Mittelschule in Horn machen, ging dort aber vor die Hunde (ein "flottes Studentenleben"). Da versuchten sie es in Wien und meine Eltern ließen ihn in einem Kabinett wohnen. Aber auch das ging schief, so daß es zu keinem Abschluß sondern zu einem Hinausschmiß kam. Inzwischen waren aber die Nazis gekommen und er ging zum Militär. Bei einem Urlaub in Goggitsch schüttete er das Waschwasser im Pferdestall schwungvoll hinter den Pferden aus, ein Pferd erschrak und schlug aus, sodaß es ihm unglückseligerweise den Schädel zertrümmerte. Das Hirn war ausgetreten und er starb. Karlonkel war also auf der Wirtschaft von Leopold quasi als Knecht geblieben, so daß Onkel Leopold viel Zeit für seine Viehgeschäfte und Viehmarktbesuche aufwenden konnte. Nach 1945 heiratete er eine Witwe Brantner in Walkenstein.

Leopoldonkel bekam eine perniziöse Anämie, kam nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus (das erstemal in einem Spital) und ich kümmerte mich etwas um ihn, d.h. ich bat Scholz, der zu dieser Zeit im Allgemeinen angestellt war, nach ihm zu schauen. Scholz sollte also die medizinische Betreuung übernehmen. Er fragte auch immer wieder nach und besuchte ihn gelegentlich. Wenn ich dann auf Besuch kam, beklagte sich Leopoldonkel aber bitter, daß sich "niemand um ihn kümmert". Er war fest davon überzeugt, daß Scholz nur dann etwas unternahm, wenn ich ihn anrief. Einmal war er ganz aufgelöst: man hatte sein Brustbein angebohrt - mit einem richtigen Drillbohrer hatten sie mit Gewalt in ihn hineingebohrt! Der Mann weinte richtig über diese Mißhandlung. Es war ja aber auch schlimm: in einem Saal von 30 oder 40 Männern ohne irgend jemanden aus seiner Umgebung (seine Leute hatten auch kaum Zeit und Gelegenheit, ihn zu besuchen) nur als "Fall" behandelt zu werden; dazu hätte er schon mehr abgebrüht oder ein Tachinierer sein müssen. So aber kam er sich arm und verlassen, ja sogar gequält vor. Er lebte dann mit Medikamenten, bis 1945 nach dem Russeneinmarsch einmal die Medikamente ausgingen. In dem allgemeinen Chaos konnten sie nicht mehr rechtzeitig beschafft werden (ich glaube, sie hatten die Medikamente in Horn gekauft - und dorthin gab es eben längere Zeit keine Verbindung), sodaß Leopoldonkel starb.

Malitante war also nach Amerika ausgewandert und hatte dort eine Tochter Dorothe, die taubstumm war und einen Sohn Richard. Die Tante kam 1929 oder 1930 nach Europa und besuchte auch ihre Geschwister. Jeder von uns Buben bekam einen Dollar. Die "amerikanische" Tante fuhr mit dem Schiff von Passau nach Wien und war erstaunt, daß wir diese schöne Fahrt noch nicht gemacht hatten. Selbst in Amerika sprach man von der Schönheit dieser Fahrt - und wir wußten davon nichts! Einige Jahre vorher war Onkel Vincze, ihr Mann, hiergewesen und hatte die Gitter in der Burg, in Schönbrunn, im Belvedere usw. fotografiert. Er war ja Kunstschmied und wahrscheinlich verwendete er diese Aufnahmen für seine "Original Wiener Kunstschmiedewerke" in Amerika. Das ist aber das einzige, was mir von seinem Besuch in Erinnerung geblieben ist. Was aus ihren Kindern geworden ist, weiß ich nicht mehr, außer daß sie geheiratet haben und wieder Kinder hatten.

Marietante lebte mit Hansonkel in Innsbruck. Sie hatten zwei Töchter, von denen eine in der Samenhandlung Ziegler beschäftigt war und für eine Zeit nach Wien in die Filiale kam. Da wohnte sie bei uns. Die Töchter wurden Mormonen (ob Marietante auch, weiß ich nicht) und starben beide lungenkrank. Hansonkel war ein lieber Mensch, der von seinen drei Weibsen schlecht behandelt wurde. Er hauste die meiste Zeit im Keller, wo er bastelte, denn in der Wohnung hätte er "eine Wirtschaft" gemacht. Als Lokomotivführer hatte er einen Unfall. Er stieß beim Verschub, als er sich aus der Maschine beugte, mit dem Kopf gegen einen Signalmast und ließ sich vorzeitig pensionieren. Er begründete es mit der Abneigung, nocheinmal Prüfungen zu machen, da er auf der Strecke über den Arlberg auf einer E-Lok eingesetzt werden sollte. Als Pensionist ging er dann, wenn er nicht bastelte, zur Hungerburg usw., um Pockerl (Lärchenzapfen) zu sammeln - die sind ja ein besonders gutes Heizmaterial.

Tinitante war die liebste Schwester von Papa, immer heiter und immer gab es etwas Gutes für uns Buben: ein großes Butterbrot oder gar ein "Henibrot" (Honigbrot), wobei der "Heni" aus zerquetschten Honigwaben, also mit dem Wachs bestand. Sie hatte zwei Kinder: die Christine und den Franz. Eine Schwester von Onkel Neunteufel war im Haus, sie hatte einen psychischen Schaden. Sie war mürrisch, machte aber die Arbeit in der Landwirtschaft. Überhaupt dürfte ein Defekt in der Familie Neunteufel bestanden haben, denn sowohl Onkel Neunteufel als auch Christl (die verheiratet war und zwei Kinder hatte) und auch Franz verübten Selbstmord durch Erhängen. Als Bub wunderte ich mich immer, daß Neunteufel, der ja eine etwas größere Wirtschaft als Leopoldonkel hatte immer noch mit Ochsen fuhr, während Leopoldonkel mit Pferden arbeitete. Und Pferde gaben ein größeres Ansehen. Je jünger und je stärker, desto mehr konnte man damit angeben - wie heute mit dem Auto.

An die Kriegszeit kann ich mich nur sehr wenig erinnern. Papa mußte einrücken, kam aber bald wieder nach Hause. Mama wollte ein Detailgeschäft führen, und so wurde ein Kabinett dazu umfunktioniert: ein Fenster wurde zu einer Eigangstür von der Straße aus, und von der Einfahrt her wurde eine Tür ausgebrochen. In diesen Raum kam ein Ladentisch, an die Rückwand einige Fleischhaken, und fertig war das Geschäft. Die Abgabe von Fleisch erfolgte auf Marken. Diese Marken wurden dann auf Zeitungspapier mit Kleister geklebt - und damit wurde wieder Fleisch in der Großmarkthalle bezogen. In der Zeit kam Minatante zu uns, da ja Mama im Geschäft war (und das mit Hingabe). In der Wohnung gab es noch einen Hund "Terri", ein gelblicher, mittelgroßer, terrierartiger Rüde, der vor uns Kindern überhaupt keinen Respekt zeigte. Im Gegenteil: alle wurden einigemal von ihm gebissen. Wenn man auf einem Sessel die Beine bewegte (wie es Kinder gern tun) schnappte Terri und biß einen in der Fuß. Das war weiter nicht aufregend. Es hieß nur: du mußt ruhig sitzen. Wenn du nicht ruhig sitzen kannst, so beißt er eben. So einfach war das. Poldi hatte ihn einmal (da war er schon an der Kette) mit einer Stoffkatze gereizt. Als er später zu ihm hinging um ihn zu streicheln, hatte dieser Kerl es noch nicht vergessen und biß ihn kräftig in die Brust. Da er auch Besucher unserer Parteien bereits einigemale gebissen hatte, kam er also an die Kette. Im Hof gab es auch Hühner und Katzen. Im Stall stand ein Pferd und in der Remise (Wagenschuppen) gab es einen großen Streifwagen mit hohen Wänden (für den Transport von Schweinen). Ebenerdig wohnte die Familie Morawek mit Eingang vom Hof. Er war in der Brauerei Ottakring beschäftigt. Sie hatten drei Töchter, die aber wesentlich älter als wir waren. Ebenfalls ebenerdig, mit dem Eingang vom Gang, wohnte Bayer, ein Fuhrwerker, der auch den Pferdestall benützte, nachdem unser Pferd weggegeben worden war. Bayer machte dann für uns das Fuhrwerk. Im ersten Stock wohnte die Frau Niklas, eine Witwe mit ihrer Tochter. Eine zweite Tochter hatte einen Baron geheiratet, der ein Bankgeschäft in der Inflationszeit führte und dann pleite ging. Die Tochter heiratete später einen Angestellten der Ottakringer Brauerei, Schartel, hatte mit ihm einen Sohn, der an den "Vierzigern" starb und später nocheinmal ein Kind, den Fredi. Als er 13 - 14 Jahre alt war, gab es einen Verdruß, denn der Kerl hatte in die Geldlade gegriffen, als das Geschäft noch gesperrt war und für die Öffnung aus dem Kühlraum mit Fleischwaren angeräumt wurde - da war die Tür aus der Einfahrt unverschlossen, der Raum aber blieb während des Ganges in den Kühlraum und zurück unbesetzt. Sie zogen aber dann bald aus und verschwanden aus dem Gesichtskreis. Der Fuhrwerker Bayer war wieder ein richtiger Angeber und erzählte fortwährend von der Schlacht bei Sapporo (muß irgendwo in Polen liegen) und seinen Heldentaten. Aber sogar wir Kinder waren mehr als skeptisch gegenüber seinen "Heldentaten".

1919 ging Mama mit mir in die Schule "Einschreiben". Der Direktor war selbst ein kleines Männchen (aber mit Vollbart!), schaute mich an und befand mich als "zu schwach"! Ich war ja schon in Pernersdorf von Großvater auf die Schule vorbereitet worden, d.h. er hatte mir prophezeit, daß es dort "aus einem anderen Ton" hergehe. Darauf hatte ich immer großsprecherisch (wie eben die meisten Kinder, wenn sie sich vor etwas fürchten) davon gesprochen, wie großartig ich mich in der Schule aufführen würde: die Lehrer würden Augen machen! In Pernersdorf hatte ich fleißig Fliegen gefangen - ich wurde auch nach Anzahl der Beute entlohnt (mit einigen Hellern) - und da hatte ich natürlich zählen gelernt. Die Häufchen Fliegen wurden mit je zehn Stück angelegt und dann ging es bis weit über hundert, denn ich war ein fleißiger Fänger und an Beute gab es in der Küche überhaupt keinen Mangel. Einmal fing ich eine große blaue Fleischfliege und sperrte sie in ein Glasgefäß. Das Gefäß versteckte ich im Holzschuppen und vergaß anscheinend darauf, denn erst nach einigen Tagen stieß ich wieder auf das Fläschchen. Da sah ich, daß am Glas eine große Anzahl von Fliegeneiern klebte. Wieder vergingen einige Tage bis ich das Glas wieder in die Finger bekam, und da war ich entsetzt. Die Maden waren geschlüpft und waren dabei, die tote Mutter aufzufressen! Ich war ehrlich empört über diese Mutterfresser - aber daß ich die arme Fliege eingesperrt und damit zum Hungertod verurteilt hatte, kam dem Dreikäsehoch nicht in den Sinn. Ich war also wieder bei den Großeltern, damit sie mich "herausfütterten" und ich in die Schule gehen könne. Das Landleben machte mich wohl gesund, denn ich konnte vom Drittel ca. drei km in einem fort nach Hause laufen (es ging da leicht bergab) und bekam die "gesunde Ziegenmilch", so daß ich natürlich groß und stark werden konnte. Ich wurde auch groß - aber als ich dann 1920 in die Schule eintrat, hatte ich trotzdem erst 20 kg. Das war aber weder die Schuld der Großeltern noch meiner Eltern, die mich immer drängten, fest von dem fetten Fleisch zu essen. Aber vor dem Fett hatte ich direkt einen Widerwillen. Mama ging mit mir zum Hausarzt Dr. Steidl auf der Ottakringerstraße. Der untersuchte mich gründlich, fand nichts auszusetzen außer der Magerkeit. Da fragte er mich, was ich denn gern essen würde. Ich weiß nicht warum, aber ich sagte ihm "Herz", denn das war wenigstens ganz mager. Also bekam ich in der Folge häufig Rinderherz. In Wirklichkeit war ich aber ein Mehlspeistiger und hätte auch ausschließlich von Semmeln leben können. In Pernersdorf gab es also kein fettes Rindfleisch und kein Bauchfleisch vom Schwein (das kam häufig auf den Tisch, da die heiklen Kunden, "die heiklen Gfraster" lieber magere Schnitzel und Koteletts verlangten), so daß es beim Essen keine Probleme gab. In Wien war es immer unverständlich gewesen, daß ich "heikel" war, denn es herrschte das Prinzip "gegessen wird, was auf den Tisch kommt". Alles andere waren "Faxen". Einesteils war es ja verständlich, denn beide Elternteile waren in ihrer Jugend ja auch nicht gefragt worden (bei 5 oder 6 Geschwistern und einer ganz bescheidenen Küche) ob es schmeckt, daher war der Wahlspruch "wenn er Hunger hat, wird er schon essen!" die Parole bei der Erziehung. Beide Elternteile waren aus einem Umfeld, das man als bitterarm bezeichnen könnte. Papa erzählte, daß sie einmal im Jahr, zum Kirtag, Semmeln bekamen. Das war ein Ereignis, das ihn noch dreißig Jahre später bewegte. Als Beleuchtung hatten sie noch den Kienspan, und das war besonders kritisch im Stall, wo ja Heu und Stroh vorhanden waren. Da mußte man also besonders aufpassen, aber im übrigen trachtete man ja, daß man ohne Beleuchtung, also noch bei Tageslicht, die Stallarbeit erledigte. Kerzen waren für die Festtage! Und Lampen waren überhaupt ein Luxus, denn das Petroleum hätten sie ja kaufen müssen, während man Kerzen selbst erzeugen konnte; nur war ihnen bestimmt leid um das Fett (Talg). Zur Fastenzeit wurde mit Leinöl aus der eigenen Flachsernte gekocht. Es war also selbstverständlich, daß die Kinder raschest "aus dem Haus" kamen, also die Mädchen "in den Dienst" und die Buben in eine Lehre gingen. Das war die einzige Chance, die strebsame Menschen hatten, später selbständig zu werden und etwas zu verdienen. Aber zuerst war die Hürde der Lehre zu nehmen, denn da bekamen die Kinder nichts bezahlt (in manchen Fällen mußte dafür noch bezahlt werden!), sie mußten die Launen der Gesellen schutzlos ertragen und jede Drecksarbeit verrichten. Da die Kinder kaum noch aus ihrer Ortschaft weg gewesen waren, war diese Entfernung aus dem Elternhaus für einen Vierzehnjährigen (Mama erzählte, sie wäre erst zwölf gewesen) und das Leben unter groben Menschen, die sich an den "Neuen" für die ihnen zugefügten Demütigungen in ihrer Jugend nunmehr sadistisch und straflos ihr Mütchen kühlen konnten, eine Tortur. Es mußte aber jeder diese Zeit mitmachen, denn beim Weggehen hatte es ja geheißen: "Daß du mir ja nicht heimkommst!"

Papa lernte also das Fleischhauerhandwerk in Eggenburg bei Apfeltaler, ging dann nach Weitersfeld zum "Wirtl" (ich weiß nicht, ob das der Name oder ein Spitzname war), ging 1899 nach Bruck zum Bruder Johann als Küchenfleischhauer und Schankbursche, rückte von da zum Militär ein, kam aber wegen seiner Plattfüße wieder frei (untauglich). Danach ging er nach Wien als Küchenfleischhauer, Schankbursche, war bei einem Würstelstand der Wursterzeuger, dazwischen "vazierend" (arbeitslos), aber immer nur für kurze Zeit, bis er sich selbständig machte. Als Lehrbub war er schon mit ins "Gäu" gegangen, d.h. sie hatten Vieh bei den Bauern gekauft (natürlich fleißig gehandelt) und dann das Vieh - oft große Strecken - nach Hause getrieben. Das war nicht immer leicht, denn nicht alle Tiere waren ausgetrieben worden und damit gut zu Fuß (auf die Weide gegangen) und die bösartigen waren bestimmt im Stall geblieben, oder sie waren dadurch bösartig geworden. Dazu kam, daß die Fußmärsche bei jedem Wetter im Sommer aber auch im Winter erledigt werden mußten. Er schilderte, wie sie Stricke (Sprungleinen) an den Vorderbeinen befestigten, mit denen das Tier, wenn es losging oder durchgehen wollte, von dem Helfer durch einen Ruck an dieser Leine zu Sturz gebracht wurde. Er konnte stundenlang von den einzelnen abenteuerlichen Viehtrieben erzählen. Wir saßen dann um den runden Tisch und hörten die Geschichte schon zum x-ten mal. Die Geschichte wurde aber nicht uns erzählt, sondern einem Besucher oder Verwandten, die sie vielleicht zum erstenmal hörten. Ich könnte mir vorstellen, daß so vor langer Zeit die Geschichte - die Tradition - weitergegeben wurde. Jedenfalls sagte ihm das Handeln zu und er wurde ein guter Einkäufer und Transporteur. Daher wurde er immer wieder in die nähere und weitere Umgebung zum Viehkauf ausgesandt. Nachdem die Tiere überhaps (übers Haupt) d.h. ohne Abwaage, also nach geschätztem Gewicht gehandelt wurden, mußte man schon gut im Schätzen sein. Und Papa verschätzte sich sehr selten. Das ging so weit, daß er bei den Rindern auch die Ausbeute, d.h. das Verhältnis vom Gewicht des ausgeweideten zum lebenden Tier fast genau abschätzen konnte. Auch bei den Schweinen schätzte er sehr genau, wieviel sie nach dem Stechen wägen würden. Das war seine Stärke und das half ihm auch bei seinem Beruf. Er begann 1907 oder 08 mit einem Kompagnon einen Stechviehbetrieb in der Friedrich Kaisergasse 104. Ursprünglich hatte dieses Grundstück zu einem Haus auf der Ottakringerstraße gehört, das bis zum Ottakringer Bach reichte. Nachdem der Bach verrohrt worden war, wurde darüber die Friedrich Kaisergasse angelegt, an der ebenerdige und einstöckige Häuser errichtet wurden. Papa und sein Kompagnon kauften also das Haus, errichteten an der Grenze einen Wagenschuppen (Remise), einen Pferdestall und einen großen Schweinestall. Die Einfahrt in den Hof ist an der linken Grundstückseite. An der rechten Seite kam die Schlachtbruckn und eine Waschküche. In der Schlachtbruckn war linkerhand eine Selch und anschließend ein großer gemauerter Kessel. An den Wänden waren in ca. 2,20 m Höhe Ream (Kanthölzer mit 12 - 15 mm starken Eisennägeln mit abgerundeter Spitze, die leicht aufgebogen ist), dann stand da noch ein großer Tisch (man nannte ihn die "Bank") und der Sautrog an der Wand, zum Austrocknen aufgestellt. In der anschließenden Waschküche gab es ebenfalls einen großen Kessel (in dem die Wäsche gekocht wurde) und an den Wänden ringsum eine Ream. In diesem Raum wurde auch "gewurstet" (Würste erzeugt), die dann in diesem Kessel überbrüht wurden( Blunzen, Leberwürste und Preßwürste). Wenn dann einmal eine "Dürre Wurst" erzeugt werden sollte, mußte einer der Buben (oft war ich dieser Bube) vom Tentschert (einem Selcher) das "Brät" holen, das man für festere Würste benötigt. Das Brät (wir sagten "Brat" wird aus magerem Rindfleisch (meistens Stiere) ganz fein faschiert und gequetscht einige Zeit im Kühlhaus gelagert, damit es "reift". Vor der Wagenremise war eine Düngerstätte, d.h. eine 2,5m tiefe ausgemauerte Grube, die mit 10 bis 12 cm starken Pfosten abgedeckt war. Sie hatte ungefähr eine Breite von 1,5 bis 1,7 m. Da hinein kam der Dünger vom Pferd und den Schweinen und früher sicher auch der Inhalt der Schweinemagen, wenn sie entleert und gereinigt wurden - soweit nicht die Hühner darauf Appetit hatten. Den Mist holte sich dann der "Mistbauer" aus der Gegend von Purkersdorf oder Neulengbach. Er kam mit seinem Fuhrwerk bereits in der Früh an ( da mußte er in der Nacht gefahren sein), die Hölzer wurden weggehoben und er stieg in die Mistgrube, um seine Fuhre zu beladen. Der Mistbauer brachte häufig Erdäpfel und um die Weihnachtszeit auch einen Christbaum mit. Nach dem Einzug eines Autos und dem Auszug von Bayer mit seinem Pferd wurde die Mistgrube zugeschüttet und darüber betoniert, später wahrscheinlich auch darüber gepflastert.

In diesem Haus übte also Papa mit seinem Kompagnon das Stechviehgewerbe aus. Da ich an meinen Brüdern sah, daß Papa ein ungeduldiger Arbeiter war, dem alles zu langsam ging, kann ich mir lebhaft vorstellen, welche Streitereien es mit seinem Partner gab. Es dauerte also nicht lange, bis sie sich zerstritten hatten. Papa zahlte ihn aus und hauste nun in einem Betrieb mit einigen Gesellen in einem frauenlosen Haushalt. Da erinnerte er sich wieder an Mama, ging in die Schauflergasse und fragte sie, ob sie ihn heiraten wolle. So erzählte sie es jedenfalls. Da sie von den "Mannsbildern" keine gute Meinung hatte, sagte sie daher, ja, aber - "sie habe kein Geld", da sie der Meinung war, alle die bösen Männer wären nur auf Geld aus! Zu ihrer Überraschung meinte aber dieser Karl, das wäre ihm ganz gleich! Und da er ein fescher Mensch, ein "gestelltes" Mannsbild war, waren sie sich bald einig. Sie gingen zweimal an ihrem freien Tag aus, dann wurde geheiratet. Und am Morgen nach der Hochzeit hatte Papa das Sparbuch von Mama auf dem Nachtkastel liegen. Denn das wäre ja noch schöner gewesen, wenn sie nicht auch etwas erspart gehabt hätte. Als Stechviehhändler kaufte Papa lebende Schweine in St. Marx, transportierte sie nach Hause (selbst oder mit einem Fuhrwerker), schlachtete sie, weidete sie aus, und führte sie dann als Schweinehälften zu Selchern, Wirten und in Hotels. Die Mägen und Därme wurden entleert und gereinigt. Die Wirte und Selcher bezogen sie zusammen mit Blut und erzeugten "hausgemachte" Blunzen (Blutwürste), Leberwürste und Preßwürste. Am Wochenende wurde kassiert (da hatten die Bezieher schon einen Teil verkauft und damit Bargeld im Haus) und Montag war wieder Rinder- und am Dienstag Schweinemarkt in St. Marx. Die Rinder mußten in St. Marx geschlachtet werden, die durften nicht lebend herauskommen, die Schweine konnten zu Hause "abgestochen" werden. Wenn Bedarf bestand, konnte man an den übrigen Tagen der Woche (nur dann war dafür Zeit) alles an Rinder- und Schweinefleisch, aber auch geschlachtete Kälber, Wild bis zum Geflügel und Fisch- Fische lebend oder tot- einkaufen. Montag Abend war großes Zurüsten für den Schweinemarkt: da wurde das Geld sortiert, gezählt und gebündelt, denn in St. Marx mußte gezahlt werden (man bekam auch bei einer Bank Kredit - aber das wäre ja eine Schande gewesen, wenn man nicht das Geld für den Einkauf beisammen gehabt hätte!!), erst dann konnte man den Schlachthof verlassen.

Im Fasching 1910 war geheiratet worden, im Oktober kam Franz, im November 1911 Leopold, im Dezember 1912 Mitzi (sie starb mit 4 Wochen, Herz?) und im Jänner 1914 ich und Juli 1915 Richard zur Welt. Waren es die Schwangerschaften oder sonst eine Abneigung gegen den Blutgeruch, jedenfalls wurde Mama beim "Abstechen" immer übel und sie befürchtete, daß sie von Papa für "faul" gehalten würde. Na - das wäre ja noch schöner gewesen!! Sie überwand sich daher und arbeitete fleißig mit. Ihre Aufgabe war, die Mägen zu entleeren und zu reinigen, die Gedärme aus dem Gekröse (Bandlfett) zu lösen (ausbrechen) und beim Stechen Blut auffangen und dann fest rühren. Als Papa 1914 einrücken mußte, fuhr sie nach St. Marx und kaufte lebende Schweine ein. Ihr gefielen am besten die runden Schweine. Zu ihrem Pech waren das aber häufig trächtige Sauen, die mit dem Tragsack (Trachtl) mit Inhalt wesentlich mehr als andere Schweine an Gewicht verloren. Zum Glück dauerte es aber nicht sehr lange, denn erstens hatten sie bei Papa eine Herzverfettung festgestellt und dann war irgend ein Abgeordneter daraufgekommen, daß die Versorgurg der Zivilbevölkerung zusammenbricht, wenn man alle Handwerker und Geschäftsleute einrücken läßt. Papa kam also nach Hause und da ging es richtig los. Papa konnte seine Tüchtigkeit richtig beweisen: er schlachtete wöchentlich 200 bis 250 Schweine - und wurde damit reich. Jeder von uns Buben hatte ein Sparbuch von 10.000 oder 20.000 Kronen (ich würde es nach heutigem Geld auf 1 bis 2 Millionen schätzen) und Papa hatte soviel, daß er daran dachte, zu "privatisieren" (der Traum aller Selbständigen, d.h. sich zur Ruhe zu setzen). 1918 bot ihm ein Jude für seine Goldstücke (er hatte davon mehrere Geldsäcke mit ca. 15 x 25 cm) mehr Geld als der Geldwert war. Da ihm das Gold infolge des Gewichtes sowieso lästig war, machte er den Handel. Dann kam der "Umsturz" und dann die Inflation. Da gab es zuerst gar nichts mehr. Papa fuhr hamstern. Von Stockerau bis ins Waldviertel durchstreiften sie die Dörfer urd brachten rucksackweise Schweine, Kälber, Ziegen, Schafe und Geflügel nach Wien. Papa schlachtete an Ort und Stelle und transportierte nur das Fleisch. Dabei mußte man in Klosterneuburg oder spätestens Heiligenstadt aussteigen, damit man nicht das Fleisch an die Polizei oder das Militär verlor. Natürlich beteiligten sich auch auf dem Land ansässige Fleischhauer an diesem Geschäft und schickten mit Trägern Fleisch zu uns. Einer von diesen Trägern war Pfabigan, der später Minatante heiratete. Minatante war für uns eine richtige "Tante", an der wir sehr hingen und die für uns immer Zeit hatte, während Mama im Geschäft aufging. Ursprünglich hätte ja Mama am liebsten ein Gasthaus geführt, aber da nun einmal der Stechviehandel im Haus war, mußte sie eben mitmachen. Aber im Krieg ergab sich die Gelegenheit (es war der Bedarf dafür vorhanden), ein Detailgeschäft zu eröffnen. Ein Kabinett neben der Einfahrt wurde dafür geopfert: das Fenster gegen die Gasse wurde der Eingang mit Rollbalken, und von der Einfahrt aus wurde eine Tür ausgebrochen: für den Nachschub.

Nach dem Verkauf auf Marken mußte erst wieder neue Kundschaft geworben werden: durch Qualität und Preis. Da konnte es geschehen, daß in einem Geschäft auf der Thaliastraße ein kg Schweinsschnitzel 5 Schilling kostete, während es bei uns die gleiche, wenn nicht die bessere Qualität um 3,40 oder 3,60 S gab. Da wurde dann eifrig diskutiert und ein kleiner Bub war ein eifriger Zuhörer, wenn sich die "Großen" über die "Gfraster" aufregten, die ihrem Geld Feind waren und die teuren Schnitzel kauften.

Nach dem Zusammenbruch, der Revolution, funktionierte die Versorgung ganz schlecht, fast gar nicht, daher war der Schleichhandel lebensnotwendig. Aber irgendeinmal kamen auch wieder lebende Rinder nach St. Marx, und Papa brachte eine lebende Kuh nach Hause. Sie war trächtig und vielleicht deswegen für eine Ausfuhr aus St. Marx freigegeben worden (was bestimmt nicht leicht gewesen war). Der Amtstierarzt holte sich dann viele Jahre bei der Schweinebeschau eine Kanne (vielleicht 2 l) Milch von dieser Kuh, für die er wahrschein- lich auch ein gutes Wort eingelegt hatte. Diese Kuh bekam ein Kalb und es gab Milch. Die Kuh brauchte aber auch Streu und Futter. Da begann für uns Buben eine besondere Zeit. Es wurde ein Leiterwagerl angeschafft, mit dem wir die Gegend um den Wilhelminenberg durchstreiften, und Laub als Streu, und Gras im Sommer als Futter sammelten. Poldi war an der Deichsel, Richard saß meistens im Wagen und Franz und ich schoben das Gefährt. Bergab saßen wir alle im Wagen und Poldi hatte die Deichsel zwischen den Beinen, um zu lenken. Es dauerte nicht lange und wir bekamen ein paar Zugtiere: Ziegenböcke. Da brauchten wir nur mehr einen Wagenlenker und drei konnten aufsitzen. In der Lidlstraße (verlängerte Wattgasse) gab es ein "ärarisches" Depot, von wo wir Heu und Stroh kaufen konnten, in der Ottakringer Brauerei gab es Biertrebern zu holen und im Herbst war die Zeit für das Laub. In Straßen mit Bäumen räumten wir das abgefallene Laub in Säcke und verluden es auf den Wagen. Die Straßenkehrer waren gegen uns, denn sie ließen das Laub nicht lange liegen. (Vielleicht hatten sie selbst eine Verwertung dafür?). Also mußten wir weiterwandern und kamen in den Wald bei der Jubiläumswarte. Aber dort wurden wir wieder von der Polizei (mit Pikelhaube und langem Säbel) vertrieben. Die behaupteten, das Laub sei der Dünger des Waldes. Für uns war das ganz und gar unverständlich, denn es lag ja genug herum. Aber wir mußten uns fügen und eine Stelle suchen, wo es keine Polizei gab, also tiefer in den Wald hinein. Im Herbst begannen die Ziegenböcke natürlich zu stinken, so daß vor allem Leopold, der mit ihnen am meisten in Berührung kam, ordentlich parfümiert wurde. In der Schule wurde es bemerkt, sogar der Amtstierarzt konnte aus dem Formular für die Anmeldung der Schweineschlachtung, die einer von uns auf dem Richard Wagnerplatz in den Briefkasten des Bezirksamtes werfen mußte, erraten, wann Poldi der Überbringer war. Aus einer waren zwei Kühe geworden, das Kalb war geschlachtet worden, und wir belieferten verschiedene Leute nunmehr selbst mit Milch. Die Leute, die in Säcken Gras aus dem Wienerwald gebracht hatten, blieben aus, es gab genug Trebern in der Brauerei und dann kamen die Kühe weg (wahrscheinlich geschlachtet) und wir bezogen unsere Milch von dem Milchmeier Beutl in der Ganglbauergasse. Nach den Kühen verschwanden dann auch die Ziegenböcke. Einige Zeit gab es noch einen Schafbock, der von uns Buben gereizt wurde. Wenn er dann heranstürmte, das Haupt zum Stoß gesenkt, mußte man flink durch das offene Gangfenster ins Haus springen, während der Bock an die an die Hausaußenwand gelehnte "Bruckn" (eine hölzerne Rampe zum Abladen der Schweine vom Fuhrwagen) donnerte. Von den Katzen habe ich schon gesprochen. Auf die mußten wir immer aufpassen, denn "Katzen sind Diebe". Zum Glück waren aber die Stücke meistens zu groß, als daß sie sie davonschleppen konnten, aber wir Kinder waren beauftragt, sie im Auge zu behalten. Wenn sie dann in der Bruckn herumschleichen wollten, dann jagten wir sie und sie kletterten hurtig über die aufgehängte Leiter auf den Heuboden oder auf das Dach. Es dauerte nicht lange und wir kletterten - auch ohne Katzen - auf die gleiche Art und Weise auf den Heuboden. Franz begann, den Boden für seine Zwecke,also als Taubenschlag und Aufenthaltsraum eines Uhu (natürlich in einem größeren Drahtgeflecht-Käfig), einzurichten. Ich begann dann neben dem Vorbau, dem Einstieg in das Dach, auf das Dach hinaufzuklettern, bis ich den First erreichte. Von da aus sah man nun in den Garten des Hauses, das in der Ottakringerstraße stand - aber auch in die Höfe der umliegenden Häuser. Das war natürlich eine ganz andere Welt, als sie sich von der Gasse aus zeigte. Natürlich durfte man solche Ausflüge nur dann machen, wenn Papa aus dem Haus war. Von Mama brauchte man nichts zu befürchten, die kam aus ihrem Geschäft nicht heraus.

Es wird möglicherweise 1920 gewesen sein, als das erste lebende Schwein wieder nach einigen Jahren ins Haus kam. Es wurde richtig bestaunt bevor es geschlachtet wurde. In der nächsten Woche waren es dann schon zwei oder drei und das steigerte sich auf 20 bis 25 Stück jeden Dienstag. Im Winter wurde dann gleich nach dem Mittagessen gestochen, in der warmen Jahreszeit kamen sie in den Stall und wurden dann um 1 Uhr früh geschlachtet. Zum Schlachten wurden die Schweine aus dem Stall in Partien von 7 bis 8 Stück in den Raum (die "Bruckn") getrieben und dann mit der verkehrten Holzhacke mit einem Schlag auf die Stirn betäubt. Die Beine gaben nach und das Schwein wurde auf die rechte Seite gelegt, wenn es nicht von selbst so gefallen war. Mit einem Stich wurde die Arterie am Hals eröffnet, so daß das Blut in einem Strahl herausschoß. Das Blut wurde in einem kegelstumpfartigen Gefäß mit Stiel aufgefangen und in ein rundes Holzgefäß von 50 bis 60 l geleert. Dort mußte es fleißig gerührt werden, damit es nicht stockte. Das heißt, das Fibrin flockte aus und schwamm oben, während darunter eine dunkelrote Flüssigkeit, das, was als Blut bezeichnet wurde, verblieb. Das ausgeblutete Schwein wurde zum Trog gezerrt, hineingehoben und der Trog aufgestellt. Dann wurde es mit heißem Wasser aus dem Kessel abgebrüht, während eine Kette, die im Trog unter dem Schwein durchgezogen war auf und ab und hin und herbewegt wurde. Dadurch wurde die Haut mit den Haaren abgelöst, so daß sie im Wasser schwamm. Die Klauen wurden eigens mit heißem Wasser angeschüttet, so daß man die Klauen mit einem Haken abziehen konnte. Der Tisch (die Bank) kam neben den Sautrog, zwei Mann packten die Vorder- und Hinterbeine des Schweines - und mit einem Horuck lag es oben auf der Bank. Dort wurde mit scharfen Messern "rasiert", die noch verbliebenen Haare (vor allem der Kopf war nie ganz sauber) entfernt. Darauf wurden die Sehnen an den rückwärtigen Beinen freigelegt und die zwei Mann, die das Schwein soweit bearbeitet hatten, hoben das Schwein auf und hängten es an den Hinterbeinen auf die Ream. Dort wurde es nocheinmal kalt abgespritzt und dann mit einem Schnitt der Bauch eröffnet. Die Blase kam in eine Ecke der Bruckn, die Gedärme mit dem Magen (einschließlich Gekröse) und der Leber (die abgetrennt und separat aufgehängt wurde) dem Bauchraum entnommen und auf einen eigenen Tisch gelegt. Dann wurde der Brustraum eröffnet, die Lunge und das Herz entnommen und dann mit dem Schlauch mit kaltem Wasser die Blutreste aus dem Inneren herausgespült. Inzwischen war das zweite Schwein geschlachtet worden und lag schon im Trog um wieder abgebrüht zu werden. Nach meiner Erinnerung dauerte es höchstens drei bis vier Stunden um 20 bis 25 Schweine zu schlachten und verkaufsfertig zu machen.

Das Blutauffangen und Rühren war meistens die Arbeit von Mama gewesen und jetzt wurde es auch öfter meine Arbeit. Daneben waren die Gedärme auszubrechen, das heißt vom Gekröse (Bandlfett) zu lösen und die Magen zu entleeren. Die Gedärme (Dünndarm und Dickdarm) wurden ebenfalls ausgestreift - gewaschen wurden sie später (das war wieder eine Arbeit für die Lehrbuben).

Die Schweine wurden teilweise sofort ausgeliefert (meistens in Hälfte geteilt), manche mit Gedärmen für Blunzen (Dickdarm) und Leberwürsten (Dünndarm) und Preßwürsten (Magen) und oft mit einer Kanne Blut. Die übrigen kamen in den Kühlraum für spätere Lieferungen, oder wenn nur Schlögl und Schulter oder Karree verlangt wurden - und natürlich auch für den Einzelhandel, das "Geschäft". War eine Nachfrage nach mehr Schmalz, dann wurde ein "Pogauner" (Bakonyer) mit 300 kg gekauft. Das waren ältere Schweine mit "Schneckerln". Die konnten mit der Hacke nicht betäubt werden. Dafür wurde das "Krickerl" verwendet. Das ist ein Eisengerät, an einer Seite ein ca. 15 cm langes Rohr mit ca. 10 mm Durchmesser, vorne scharf geschliffen und an der Gegenseite eine Schnecke mit einem Durchmesser von ca. 10 cm. In der Mitte ist ein "Auge" (wie bei einer Hacke) und das ganze sitzt auf einem Hackenstiel. Mit einem Schlag wird das Stirnbein durchschlegen und das Großhirn verletzt. Das Schwein fiel um und konnte gestochen werden. Bei den Rindern, die wir in St. Marx schlachten mußten (da sie lebend nicht herausgeführt werden durften) wird der Kopf mittels eines Seiles um die Hörner dadurch, daß das Seil durch einen Ring im Boden geführt wird gesenkt und mit dem Krickerl in die Grube hinter den Hörnern geschlagen, womit das Kleinhirn und das verlängerte Mark getroffen wird. Mit einem Rohrstock wird dann in die Wunde noch hineingebohrt und die Hirnverletzung noch vergrößert. Diese Methode führt zum sofortigen Tod ohne starke Zuckungen.

Wenn ich Ferien hatte, kam es öfter vor, daß ich mit Franz oder Leopold in St. Marx ein Rind schlachten mußte. Sie wollten mir immer beibringen, wie man es macht, denn sie waren überzeugt, das muß jeder einmal machen. Ich habe immer fleißig geholfen - aber richtig geschlachtet habe ich kein Rind. Zum Schweinestechen haben sie mich auch immer gedrängt, so daß ich es versuchte. Ich weiß nicht, wie ich mich angestellt habe - aber ich würde lügen, wenn ich erklärte, daß ich so etwas gerne gemacht hätte. Wenn also das Rind gestochen war und ausblutete (es war wieder die Arterie am Hals aufgeschnitten worden) wurden an den Hinterbeinen die Sehnen freigelegt, die Beine an Haken befestigt und mit einer Seilwinde hochgewunden, sodaß man die Oberschenkel in Augenhöhe hat. Dann beginnt das Enthäuten. Wenn man einen Teil der Haut mit dem Messer abgelöst hat, kann man mit dem Griff des Messers an die Innenseite der Haut schlagen und das Fell ohne Schneiden ablösen. Wenn es dann an gewissen Stellen wieder schwer geht, wird weiter geschnitten. So wird das Tier enthäutet, bis man bei den Schultern ankommt, man sich also bei der Arbeit schon bücken muß. Dann wird vorsichtig (damit man keinen Darm anschneidet) die Bauchhaut eröffnet. Um die Gedärme und vor allem die Magen aufzunehmen, wird eine Blechmulde auf zwei Rädern zum Körper gerollt, so daß diese "Innereien" gleich in das Gefäß hineingelassen werden können. Das Gefährt wird dann weggerollt die Leber mit der Galle herausgenommen und dann wird weiter aufgezogen, so daß auch der Kopf frei hängt. Jetzt kann man weiter enthäuten, bis man zu den Hörnern kommt. Die Hörner werden abgeschlagen. Dann wir die Haut ausgebreitet, die Beine und der Kopf eingeschlagen, daß ein Viereck entsteht, das ganze dann eingerollt und mit dem Schweif zusammengebunden. So holt das Paket dann der "Hauterer". Beim Rind wurde inzwischen der Brustkorb eröffnet, die Lunge und das Herz entnommen und dann wurde das Stück geteilt, das heißt mit einem großen Beil wurde die Wirbelsäule vom Schwanz her gespalten bis zum Kopf. Dann wurde der Kopf abgetrennt und die Hälften in ein vorderes und hinteres Viertel in Höhe der Nieren getrennt. Diese Viertel wurden auf den Wagen geladen (wozu ein kräftiger Mann benötigt wurde), die Magen entleert und gewaschen (Fleck), die Gedärme entleert und gewaschen, die Innereien (Leber, Lunge, Herz) abgespritzt und verladen, der Raum ausgespritzt - und fertig war das Schlachten. Ich glaube, daß es nicht mehr als zwei Stunden dauerte vom Hineinführen des Rindes bis zum Verladen auf den Wagen.

Während des Krieges und dann noch einige Jahre nachher hatten wir einige "Parteien" im Haus. Ebenerdig, mit einem Eingang vom Hof, wohnte die Familie Morawek in einer Zimmer-Küche-Wohnung. Er war Arbeiter in der Brauerei Ottakring. Es gab 2 oder 3 Töchter, die aber alle schon erwachsen waren.

Nachdem die Kühe aus dem Haus waren, zog ein Fuhrwerker, Bayer, mit seinem Schimmel ein. Er bewohnte ebenfalls Küche, Zimmer mit dem Eingang neben dem Kellerabgang. Bayer hatte keine Kinder. Er erzählte immer von der Schlacht von "Sapporo", das muß irgendwo in Polen sein. - Papa hielt ihn für einen Angeber und Feigling - d.h. er sagte es nie gerade heraus, aber aus seinem Verhalten muß ich es geschlossen haben, denn so ist es mir in Erinnerung. Bayer machte das Fuhrwerk für uns, aber auch für andere Kunden. An das Pferd, das wir besessen hatten, kann ich micht nicht mehr erinnern - aber es gibt ein Bild mit Papa mit einem Schimmel. Um 1927 zog Bayer aus, als wir ein Auto bekamen. Einige Jahre vorher waren schon die Moraweks ausgezogen und Minatante war eingezogen. Da war noch immer der Eingang vom Hof aus. Nachdem auch Bayer ausgezogen war, wurde das Geschäft um einen Raum der Bayerwohnung gassenseitig vergrößert und Minatante bekam einen Eingang vom Stiegenhaus, worauf der Eingang vom Hof her geschlossen wurde. In dieser Zeit wird auch die Familie Niklas - Schartl ausgezogen sein und Mama konnte sich ihren Wunsch nach einer größeren Wohnung erfüllen. Zuerst kam einmal ein Bad an der Ostseite des Hauses und ein Kabinett für mich, gegen den Gang ein Kabinett für ein Dienstmädchen und ein Vorzimmer. Die Eltern schliefen im letzten Zimmer straßenseitig im Osten, dann war ein Wohnzimmer und im Zimmer hinter der Küche wohnten dann nach der Hochzeit Leopold und Käthe. Franz hatte 1938 geheiratet - im April 1938, Leopold im Winter darauf. Franz hatte ein Geschäft in der Gentzgasse gepachtet mit einer Wohnung und Leopold blieb zu Hause auf dem Geschäft. Nun weiter zum Haus: neben dem Stiegenaufgang ist auch der Kellerabgang. Das Haus ist außer der Einfahrt gänzlich unterkellert, wobei straßenseitig gegen die Einfahrt eine Eisgrube bestand, ein ca. 1 m tiefer gelegener Raum. Das war der Lagerraum für das Brennholz, da ja eine Eisgrube nach dem Einbau eines Kühlraumes mit einer Kühlmaschine nicht mehr benötigt wurde. Jedes Jahr brachte ein Bauer aus Purkersdorf oder Neulengbach ein oder zwei Fuhren Buchenholz, geschnitten aber nicht zerkleinert. Als Kind fürchtete ich mich, in diesen Keller zu gehen. Nach dem Abgang gab es zwei verschließbare Abteile zur rechten Hand und vom Hof ein Kellerfenster, durch das etwas Licht in diesen Kellerteil kam. In Richtung Morawekwohnung aber gab es dann kein Kellerfenster mehr - da war es stockfinster. Durch eine Tür kam man dann in den straßenseitigen Keller, der wieder ein Kellerfenster hatte und etwas beleuchtet war. Und der letzte Teil, die Eisgrube, hatte natürlich ein Fenster, da man ja das Eis dort einlagern mußte. In diesem fensterlosen Raum also fürchtete ich mich immer. Ich war dann erlöst, wenn ich in dem straßenseitigen Raum mit dem Kellerfenster war. Später war ich gerne im Keller, denn das war der Ort, wo das Brennholz gehackt wurde und ich hatte richtig Freude an dieser Arbeit. lch war überzeugt, daß man bei einer beginnenden Verkühlung durch kräftiges Hacken mit ordentlichem Schwitzen bei der Arbeit die Krankheit abwehren kann. Natürlich waren zuerst die schönen Stücke gehackt worden (die Brüder wurden fallweise, wenn Zeit dafür war, ebenfalls in den Keller geschickt, um Holz zu hacken, aber ich ging freiwillig), und die Knorren blieben zum Schluß - da konnte man sich beweisen!

Als der Stechviehhandel wieder begann, war Papa etwas über vierzig, also sehr rüstig. Er war ein sehr kräftiger (in der Jugend bestimmt sehr trainierter) Mann, bei der Arbeit ungeduldig, keiner konnte es ihm in der Geschwindigkeit gleichtun, und dabei jähzornig, so daß es bei der Arbeit meistens laut zuging (auch mit Fluchen und Schimpfen). Ich glaube, daß es für die Umgebung immer ein Schauspiel war, wenn da im Hof und in der Bruckn gearbeitet wurde. Die Zahl der Schweine erhöhte sich ständig (aber langsam) auf 20 bis 25 in der Woche. Und Rinder wurden 2 bis 3 wöchentlich geschlachtet. Ein Vetter von Mama, Richard Ziegler, war als Bursche ins Haus gekommen und wuchs langsam in die Rolle des Einsammlers von Bestellungen hinein, d.h. er besuchte hauptsächlich die Wirte und Hoteliers, um nachzufragen, welcher Bedarf in der laufenden Woche bestand und wann die Lieferung erfolgen solle. Als Bub mußte ich ebenfalls öfter solche Bestellungen erfragen und manchmal kleinere Mengen auch liefern (z.B. Neustiftgasse oder Sandleitengasse). Später teilten sich auch Franz und Leopold diese Aufgabe mit Richard - und jeder hatte seine Stammkunden (Poldi z.B. Saßmann in Hernals, von dem ja auch Käthetante abstammt). 1927 kaufte Papa einen Renault-Lastwagen mit 1 t Trägfähigkeit zum Transport der lebenden und toten Schweine und von Rindervierteln. Richard hatte den Führerschein gemacht, so daß wir einen Fahrer hatten. Mit 18 Jahren machten dann auch Franz und Leopold den Führerschein, so daß kein Mangel mehr an Fahrern bestand. Mit diesem Auto fuhren wir aus: auf die Ladefläche kamen an die Außenseite zwei Bänke und wir konnten losbrausen. Papa saß beim Fahrer, die übrige Familie und Gäste auf den Bänken (wenn es regnete: unter einer Plane). Zuerst ging es nach Goggitsch (Pause in Dreieichen - Wallfahrtskirche und Graslhöhle). Das nächstmal Pernersdorf, dann Mariazell und öfter nach St.Corona und zur Fahrzeugweihe nach St. Christophen. Um 1929 gab es dann einen Fiat-PKW mit schließbarem Verdeck (mit der Handbremse außerhalb der Karosserie). Mit dem wagten wir dann die Reise nach Innsbruck. Franz war der Fahrer, Papa saß neben ihm und hinten waren Richard und ich. Poldi mußte bei Mama im Geschäft bleiben, denn die Fahrt war auf drei Tage veranschlagt. Abfahrt 4 h früh oder noch früher. "Bis Purkersdorf ging's noch, aber dann zog es sich", sagte ein Fiaker, der nach Paris fuhr. So ähnlich erging es uns. Es gab herrlichen Sonnenschein und wir wurden im offenen Wagen nicht nur vom Staub eingepudert (die Straßen waren ja nicht asphaltiert), sondern bekamen auch einen ordentlichen Sonnenbrand. Franz hatte seine liebe Not, denn er mußte unzählige Patschen flicken, wobei wir ihm wenig helfen konnten. Bei der Durchfahrt durch das deutsche Eck hatten wir Schwierigkeiten, da wir ein Carnet vorweisen sollten. Wir mußten also zum ÖAMTC, um als Mitglied dann davon befreit zu werden. So ging es durch Deutschland zum Lofer. Der Wagen begann in der Hitze bei den Steigungen zu kochen und wir hielten alle Augenblicke, um das Kühlwasser zu ergänzen. Zum Glück sprudelten alle hundert Meter kalte Bächlein aus den senkrechten Felswänden (heute kann ich diese Landschaft nicht mehr findern, am ehesten noch beim Loferpaß), so daß das Kühlwasserergänzen wenigstens keine Schwierigkeiten bereitete. Papa bekam bei der Durchfahrt durch das Berchtesgadener Land Durst und ließ bei einem Gasthaus halten. Die Kellnerin erschien beim Auto und fragte nach den Wünschen. Papa wollte einen Gespritzten. Das war für sie ein unbekannter Begriff. Also erklärte er ihr: ein Achterl Wein mit Sodawasser. Das verstand sie und brachte ein Kännchen Roten und ein Glas Sodawasser. Papa war über die Kulturlosigkeit dieser Gebirgler erstaunt und erschüttert. Wie konnte auch aus diesen Leuten etwas werden, wenn sie nicht einmal die einfachsten Begriffe kannten! Seine Bewegtheit - obwohl er nicht viele Worte darüber verlor - muß mich so beeindruckt haben, daß mir das Ereignis in Erinnerung blieb. Und daneben die senkrechten Felswände auf der einen Seite und daneben in der Schlucht ein brausender Fluß, ein Szenarium, in dem es kein Sonnenlicht gab, das konnte ein Kind der Ebene schon beeindrucken. Bisher hatte ich ja nur den Wienerwald, das Wald- und Weinviertel und das Semmering- und Wechselgebiet kennengelernt.

Im Salzburgischen und in Tirol ging es dann weiter über enge Sträßchen, die links und rechts von Holzgattern begrenzt waren und so eng, daß man einem entgegenkommenden Fahrzeug nur so ausweichen konnte, daß man mit den äußeren Rädern auf die grasbewachsene Böschung hinauffahren mußte. Um acht Uhr abends waren wir dann in Hall in Tirol, als das Familienoberhaupt sich zum Übernachten entschied. Wir müssen so müde gewesen sein, daß mir davon nichts mehr in Erinnerung ist. Am nächsten Tag fuhren wir wieder zeitig los und waren am Vormittag bei Marietante und Hansonkel in Innsbruck. Wir fuhren auf den Berg Isel, besuchten die Domkirche, besahen das Goldene Dachl und besichtigten die Stadt. Dann ging es wieder heimwärts, und da übernachteten wir in Oberösterreich, in Frankenmarkt. Am dritten Tag langten wir gerädert aber glücklich wieder zu Hause an.

Um 1932 bekamen wir dann ein richtiges Auto, einen neuen Steyr 30, der damals 10.000 S kostete. Das war ein Vermögen für ein Auto, denn das Haus am Brentanoplatz (Roterdgasse) kostete ebenfalls 10.000 S. Die sonntägigen Ausfahrten wurden dann sehr häufig, endeten aber immer bei einem Heurigen, so daß es - wenigstens mir - bald verleidet wurde, da mitzumachen. Aber Franz und Poldi als Führerscheinbesitzer kamen abwechsend dran - später wahrscheinlich auch Bruder Richard. Bei der Fahrt in den Süden, Richtung Neunkirchner Allee, mußten wir in Wiener Neustadt die Maut passieren. Ich weiß nicht mehr den Betrag, aber der Umstand dieser Straßenräuberei ließ uns die Stadt im Westen umfahren, was uns durch den Mehrverbrauch auf diesen noch schlechteren Straßen wahrscheinlich nicht billiger kam, aber das demütigende Gefühl einer ungerechtfertigten Maut (sie soll aus der Zeit Maria Theresias gestammt haben) im eigenen Land auf einer öffentlichen Straße ersparte. Unmittelbar nach Kriegsende ging Papa mit uns Buben in den Wienerwald. Eine beliebte Richtung war die Umgebung von Steinhof (Baumgartnerhöhe), wo noch sehr viele freie Wiesen waren, auf denen man "Grillenkitzeln" konnte und im Winter rodeln. Ein noch beliebteres Ziel war der Wald um die Jubiläumswarte. Da wanderten wir vorbei am Schloß Salvator, das nach dem Krieg ein Kinderheim wurde, zu einem kleinen Teich im Wald, in dem es Salamander gab. Im Wald sammelten wir Bucheckern, die wir dann auch aßen. Zu dieser Zeit waren das Kostbarkeiten. Eicheln versuchten wir auch, die schmeckten uns aber nicht. Und einmal kam ein Händler in die Friedrich Kaisergasse, der "Süsses Holz" ausrief. Natürlich mußten wir eines bekommen und dann nagten wir daran tagelang.

Später unternahmen wir Buben diese Streifzüge allein, häufig mit einem Marmeladeglas, an das oben mit einer Schnur ein Tragegriff gefertigt war. Da hinein kamen die erbeuteten Salamander, die dann im Hof in einer Ecke in einem mit Wasser gefüllten Bierfaß landeten. Der obere Boden war entfernt worden, so daß wir alles schön beobachten konnten. Von zu Hause gingen wir ganz manierlich adjustiert weg. Aber bald wurden die Schuhe ausgezogen - sie waren ja aber auch nicht zu gebrauchen, wenn man in die verschiedenen Gewässer hineinwaten mußte. Die Schuhe wurden zusammengebunden und über die Schulter gehängt. Einmal vergaß Richard irgendwo seine Schuhe und wir kamen ohne sein Paar nach Hause. Nachdem keiner wußte, wo er sie stehengelassen hatte war an ein Wiederfinden nicht mehr zu denken (noch dazu in dieser Zeit!) und die Aufregung war groß.

Bald nach dem Krieg - es wird Frühling 1919 gewesen sein - packte uns Mama zu einer Fahrt nach Maria Brunn zusammen. Sie hatte während der Schwangerschaft mit Richard offene Füße (offene Krampfadern) bekommen, die durch das Stehen im Geschäft nicht besser wurden. Als alles Schmieren mit Salben nicht helfen wollte, entschloß sie sich zu einer Wallfahrt. Es wird eine mühsame Wanderung gewesen sein, entlang der Wien von Hütteldorf aus. Bald nach der Bahnstation beginnen die großen Staubecken der Wien und da sah ich auf der Böschung mein erstes Schneeglöckchen im Freien. Wir Buben - Richard war erst vier Jahre - liefen in alle Richtungen (es gab ja keine Straße sondern nur einen Weg für Fußgänger), denn dieses neue Gebiet mußte doch gründlich erforscht werden. Kein Wunder, wenn wir dann bald müde wurden, bis wir endlich die Gnadenstätte erreichten. Aber für Mama war es eine erfolgreiche Wallfahrt gewesen, denn der Fuß wurde gesund! Und wir hatten ein lohnendes Ziel für unsere Wanderungen entdeckt: die Wien. Da marschierten wir also bis zur Endstation des 46-ers, dann neben dem Wilhelminenspital zum Flötzersteig, hinunter zur Hütteldorferstraße, beim Bahnhof Hütteldorf unter der Westbahn durch - und schon waren wir bei der Wien. Zu dieser Zeit gab es in der Wien noch eine Menge Fischlein. Die mußten natürlich gefangen werden, um unser Faß (in dem die Salamander hausten) zu komplettieren. Ein Taschentuch wurde an zwei Zipfeln verknüpft und damit ging es zum Fischen. Das Marmeladeglas war ja sowieso bei unserer Ausrüstung, so daß keine Schwierigkeit bestand, wenn wir ein Fischlein mit unserer Fangmethode erbeuteten, diese Trophäe auch nach Hause zu bringen. Die Fischlein kamen zu den Salamandern und Franz übernahm die Aufsicht und die Pflege. Unsere Ausflüge führten bis zum Hungerturm (wir nannten ihn so, fanden aber nie eine Erklärung für sein Bestehen mitten im Flußbett) und gelegentlich auch den Halterbach ein Stück aufwärts. Dort waren die Fischlein etwas größer!

Einmal fanden wir schon auf dem Flötzersteig in einem Tümpel einen Salamander. Also mußte man auch schon auf dem Weg gut aufpassen und keinen Tümpel ununtersucht liegenlassen! Die Wien war für uns Kinder ein idealer Fluß: sie ist einige Meter breit und reichte uns höchstens bis zum Hintern (auch dem Kleinsten). Daneben interessierten uns auch die Staubecken mit ihren Betonwällen, auf die man mit Schwung hinauflaufen konnte. In den sumpfigen Stauräumen gab es manchmal Kaulquappen und Frösche. Im Sommer war das Wasser schön warm und wir plantschten und wateten stundenlang herum.

Als nach dem Krieg die Bahn wieder in Betrieb genommen wurde, fuhr Papa mit uns auf der Vorortelinie nach Hütteldorf (eine Bahnfahrt war für uns Kinder zu dieser Zeit ja noch ein besonderes Ereignis). Dabei geht es in einem Tunnel durch die Schmelz. Das war ein Erlebnis! Es gab ja keine Beleuchtung im Waggon, dafür aber einen fürchterlichen Gestank von den Rauchgasen. Aber wir hatten das alles tapfer überstanden. Zurück fuhren wir dann gleich bis Heiligenstadt, denn da gibt es noch einen Tunnel durch den Türkenschanzpark! Zurück nach Ottakring war es dann nicht mehr so aufregend. Einmal noch - erinnere ich mich - machte ich mit Papa einen Ausflug. Im Winter 1927/28 gab es einen Eisstoß, die Donau war zugefroren. Wir fuhren nach Nußdorf mit der Straßenbahn und ich kletterte über die Eisschollen in der Donau herum.

Nun zu mir: ich kam im Jänner 1914 zur Welt. Mama hatte bereits drei Geburten hinter sich (in drei Jahren). Sie erzählte einmal, daß sie bereits beim ersten Verkehr nach einem Kind wieder schwanger wurde. Das Kind vor mir, Mitzi, war mit einem Monat (mit einem Herzfehler?) gestorben und ich mit meinen 3,5 kg erschien ihnen als ein richtiger Schwächling. Von Poldi hörte ich, daß er 4,5 kg wog und Richard hatte dann 5 kg. Papa erzählte, ich hätte wie ein Gespenst ausgesehen (so weiß und immer geschrien, wenn ich angeschaut wurde. Ich hätte mit großen Augen in die Welt geschaut und meine ersten Sätze seien "Gugga Has wawak Gaseseh Haha" gewesen. Der Gugga Has war sicher ein Hase der guckt und Gasese Haha ist vermutlich eine Ziege, die lacht oder meckert. Sicherlich wurde ich so apostrophiert und sprach diese Worte nach. In dieser Zeit hielten wir uns viel in der Küche auf (wahrscheinlich der einzige warme Raum) mit Minatante, die daneben ihre Arbeit verrichten konnte. Vor Weihnachten kam auch Fannitante zu Besuch, dann wurden Kekse herausgestochen und gebacken. Im Herbst wurde eingekocht. Auf dem Herd, der mit Holz oder Kohle geheizt wurde, stand eine große irdene Rein, in der Powidl gekocht wurde. D.h. die Rein stand am Rande des Herdes, denn richtig kochen sollte es gar nicht. Dadurch dauerte es viele Tage und der Inhalt wurde immer weniger. Einerseits verdunstete die Flüssigkeit, andererseits naschten wir Kinder immer wieder heraus. Aber niemand fand etwas dabei - es wird schon immer so gewesen sein.

Interessant war auch die Erzeugung von Kerzen. Es gab da eine Form für 10 oder 12 Stück in zwei Reihen. Zuerst wurde der Docht eingefädelt, die Form mit der Öffnung in kaltes Wasser gestellt, dann flüssiger Talg (Rinderfett) eingefüllt und nach dem Auskühlen waren die Kerzen fertig. Petroleum gab es im Krieg auf Marken, nur funktionierte die Versorgung nicht sehr gut und dazu mußte man sich beim Bezug auch noch anstellen. Das Kriegsende brachte da kaum eine Änderung - ich glaube, daß es in den ersten Jahren dann noch schlechter war.

Ich kann mich erinnern, daß auf der Thaliastrasse, von der Tabakfabrik her, obskure Männer in Uniform in Marschordnung singend stadteinwärts marschierten. Ich hörte "Avanti Popolo, delaris gossa? Paniera rossa". Den Sinn konnte ich nicht erkennen, aber so oder ähnlich lauteten die Worte. Und die Melodie behielt ich bis heute.

Franz und Poldi gingen schon in die Schule in die Grubergasse. Sie sangen das Kaiserlied und hatten in den Schulbüchern den "guten Kaiser Karl". Zumindest die Bilder interessierten mich. Ein Kalender mit Bildern von Riesensauriern war meine erste Vorlage für Zeichnungen. Zuerst pauste ich sie durch (ohne Pauspapier - nur mit dem Bleistift durchgedrückt und dann auf der Unterlage nachgezogen), dann zeichnete ich sie ab. Da Leopold 2 Jahre älter war, interessierte mich seine schulische Arbeit nicht sehr. Mama wollte mich 1919 in die Schule schicken und ging mit mir zum Einschreiben. Aber dem Direktor war ich zu schwach. 1920 beim Schuleintritt wog ich dann 20 kg, obwohl ich fast ein Jahr älter war als die meisten Mitschüler und einer der größte in der Klasse. Da es nun auch amtlich feststand, daß ich ein schwächliches Kind war, kam ich nach Pernersdorf zu den Großeltern. Zwischen Korneuburg und Stockerau fuhren wir durch das Wasser (die Donau war ausgetreten und reichte bis zum Bahndamm). Großvater hatte in seiner Freizeit und im Urlaub sein Haus gebaut. Es liegt an der Straße am Ortsausgang in Richtung Guntersdorf und ist in die Böschung (Löss) hineingegraben worden, d.h. das Haus steht am Straßenrand und der Hof mit dem anschließenden Raum für den Schuppen waren auf Straßenniveau abgegraben worden. Das Material war in Fladen verarbeitet worden, mit denen dann das Haus errichtet wurde. Diese Fladenwände (größere Wuzeln) sind warm und beständig, wenn sie nur durch ein gutes Dach trocken gehalten werden. Man kann damit aber nur ebenerdige Häuser bauen. An das Haus anschließend (in Richtung Ortsende) war ein größerer freier Platz, über den die Zufahrt zu den Hintausäckern führte. Daneben war dann der Zauner, ebenfalls alte Leute, zu denen manchmal ein etwas jüngerer Enkel aus Wien kam. In Richtung Ortschaft gab es den Hebenstreit, ein unguter schielender Nachbar, der gerne Streit suchte. Gegenüber war der Picker, ein alter Mann mit einem Buckel, dessen Frau ebenfalls aus der Gegend stammte, aus der Großmutter her war. Die hatten eine Kuh, die manchmal eingespannt wurde. Wenn wir dann aus dem Drittel nach Hause gingen, setzten wir uns manchmal zu ihnen auf ihren Wagen und Großmutter sprach mit der Frau in einer mir unver-ständlichen Sprache. Das Haus selbst bestand aus einer Küche und zwei Zimmern in einer Flucht. Das erste Zimmer war das Schlafzimmer der Großeltern, das zweite war unser Domizil, wenn wir in den Ferien dort waren. Da lagen dann vier Buben in zwei Betten und zwar so, daß die einen den Kopf am Kopfende des Bettes hatten, während die anderen zwei ihre Köpfe beim Fußende betteten. Mit den Beinen ragten wir aneinander und durcheinander - was vor dem Einschlafen immer ein geräuschvolles Durcheinander ergab. Das war aber Großvater gar nicht recht - und wenn es gar zu lebhaft wurde, sprach er ein Machtwort. Da wir ja meistens sowieso rechtschaffen müde waren, half das schnell und die Bubenschar versank in Schlaf. Der Hof war nicht sehr groß, vielleicht 8m im Quadrat. Vor der Küche war das Dach vorgezogen, so daß man im Sommer im Freien unter Dach essen konnte. Davor stand ein Zwetschkenbaum, der mit seiner Krone über das Vordach ragte. Gegenüber stand straßenseitig ein pyramidenförmiger Birnbaum und in der anderen Ecke des Hofes ein Apfelbaum mit Sommeräpfeln. Daneben war der Kellerabgang, ca. 5m tief mit steilen Stufen. Dieser Keller war nicht sehr groß. Er war einfach aus dem Löß herausgearbeitet worden und hatte kein Gewölbe, d.h. man sah den gelblichen Löß. Nur die Stufen der Stiege waren mit Ziegeln gemauert. Da die Rückwand bis zum anschließenden Acker fast 5m hoch war, war es ein recht tiefer Keller, der auch im Sommer recht kühl war. Neben dem Kellerabgang in Richtung Straße war das Preßhaus, in dem auch der Speck, das Geselchte, das Schmalz und das Brot aufbewahrt wurden (im Sommer auch das Grünfutter für die Ziegen). Es war ein fensterloser, kühler Raum, der an der RÜckwand zum Teil in die Böschung hineinragte. Zur Straße hin war dann daneben ein Stall für zwei Ziegen, meist mit einem Jungen und im Vorraum gegen den Hof zu die Nester für die Hühner, die Bruthühner, aber auch für die Perlhühner. Natürlich gab es auch immer "Singerl" (Küken) mit wütend peckenden Müttern, wenn man zu nahe kam. Parallel zur Straße war dann neben dem Kellerabgang ein offener Schuppen mit einem an der Böschung angesetzten Flugdach, in dem das Brennholz (meist Rebenbürdel) und Kohlenlager seinen Platz hatte . (Großvater bezog als Eisenbahner verbilligte Kohle). In der Mitte stand die Hundehütte mit "Flocki", ein schwarz-weißer mittelgroßer Hund, eben ein Flocki. Beim Haus war der Schuppen durch das Dach angeschlossen, so daß ein gedeckter Durchgang zum Klo entstand. Daran anschließend war der Misthaufen und danach ein eingezäunter Küchengarten und ganz hinten ein Zugang zu einem Schweinestall. Der war einfach in die Lößwand hineingegraben worden und nach außen mit einer Holzwand mit einer Sprossentür abgeschlossen. In dem Durchgang zum Klo hingen an der Hauswand Maiskolben, Mohnstengel mit Kapseln (noch nicht entleert) und in Leinensäckchen verschiedene Kräuter. Im Gemüsegarten stand dann noch ein Birnbaum, der aber späte Birnen hatte, so daß ich nicht weiß, wie sie schmeckten.

Im Frühjahr wurden zwei Ferkel gekauft - entweder kam ein Händler vorbei oder Großvater holte sie mit dem Schubkarren von einem Ferkelmarkt in Zellerndorf oder Haugsdorf - die kamen dann in den Stall in der Böschung. Sie erhielten Ziegenmilch und Trank aus gekochten Kartoffeln mit Kleie und Gerstenschrot und wurden bis zum Winter gefüttert. Das war die Fett- und Fleischversorgung für das ganze Jahr. Das Schmalz wurde in hölzernen Tesen (Scheffeln mit Deckel) aufbewahrt, der Speck und das Geselchte hingen in der "Kammer"(Preßhaus) von den Trämen herunter (damit die Mäuse nicht dazu kamen - und auch nicht die Katze). Der Schimmel wurde abgewischt oder abgewaschen und weiter nicht beachtet. Das Wasser wurde in Bütteln (ovale Holzgefäße mit einem Tragegriff in einer längeren Daube) vom Dorfbrunnen geholt. Der Brunnen liegt ungefähr 100m talab gegen das Dorf. Es war ein mit Steinen ausgemauerter Brunnen mit einem massiven hölzernen Brunnenhaus, das an drei Seiten geschlossen war und an der Vorderwand bis über Hüfthöhe eine massive Wand besaß. Auf den obersten Balken dieser Abgrenzung setzte man das gefüllte und aufgewundene Schöpfgefäß auf und entleerte es dann in sein Büttel. Das Schöpfgefäß war schwer mit Eisen beschlagen und hing an einer Kette. Beim Hinablassen in den ca. 8m tiefen Brunnen war man versucht, die Kurbel loszulassen - da sauste das Schöpfgefäß nur so hinunter. Aber, oh weh, unten klatschte es auf die Wasseroberfläche auf, daß es spritzte und dann schwamm es herum, ohne einzutauchen. Ein geschickter Wasserholer dagegen ließ das Schöpfgefäß zuerst etwas schneller, dann aber langsam hinab und trachtete dabei, daß das Schöpfgefäß schön hin und herschwang. Wenn es dann ordentlich ausgeschwungen war, wurde es ganz rasch hinabgelassen. Da es schräg aufkam, tauchte es ordentlich ein und war auch schon voll. Das Gefäß hing an einer eisernen Kette, die auf ein Rundholz mit einer Kurbel aufgewunden werden konnte. Hatte man den vollen Eimer dann vor dem Brunnenrand, dann mußte man wieder geschickt sein, den Eimer packen, die Kurbel etwas nachlassen und gleichzeitig den Eimer auf das Holz der Brüstung stellen. War man ungeschickt, schwappte das Wasser zum Teil heraus und man konnte nocheinmal kurbeln. Das wäre ja alles überhaupt keine Schwierigkeit gewesen - aber zu diesem Brunnen kamen relativ viele Leute, so daß meistens zwei oder drei warteten, daß man den Brunnen freigab. Das war also nichts für so kleine Leute, obwohl ich überzeugt war, durch das oftmalige Zuschauen alle Tricks erkannt zu haben. Aber die Großen ließen eben so kleine Kinder nicht an etwas schwierigere Dinge heran, sie hatten kein Vertrauen. - Erst viel später durfte ich beweisen, wie gut ich das verstand, denn ich hatte ja unzählige Male ganz genau zugeschaut und begriffen, worauf es ankam. Der Brunnen stand auf einer Baulücke von 6 - 8m. Unmittelbar neben dem Brunnenhaus war ein Natursteinpflaster, was schon wichtig war, denn es wurde ja doch herausgepritschelt, und auch bei Regenwetter mußte Wasser geholt werden. Ohne Pflaster wäre da ein schöner "Gatsch" entstanden. Neben dem Brunnen wuchsen Kamillen und Käsepappeln. Im übrigen war der Boden abgetreten, da ja viele Leute dort ihr Wasser holten. Wenn Waschtag war, fuhr Großvater mit dem Schubkarren und brachte das Wasser in Scheffeln. Sonst war das eine Frauenarbeit, die meistens Fannitante zufiel. Da auch die Tiere getränkt werden mußten, war es täglich eine ordentliche Schlepperei, da es ja mit den vollen Gefäßen auch noch bergauf ging. Später wurde der Birnbaum in der straßenseitigen Hofecke geopfert und Pfabigan schlug einen Schöpfbrunnen, aber um diese Zeit kam ich nur noch selten nach Pernersdorf. Sicherlich war es eine große Erleichterung, denn die Großeltern waren auch älter geworden und die tägliche Schlepperei von größeren Mengen bergauf war recht mühsam (Fannitante war ja nicht immer zu Hause). Der Ortskern von Pernersdorf liegt im Tal der Pulkau, die von Westen nach Osten fließt. lch hatte den Eindruck, daß von Zellerndorf bis Haugsdorf eine zusammenhängende Siedlung besteht, die fast willkürlich streckenweise andere Namen hat: Watzelsdorf, Pernersdorf, über dem Bach Karlsdorf, Pfaffendorf, Beigarten usf. Großvater hatte zwei Äcker: das Drittel und das Hoartl (Heide). Das Drittel waren zwei nebeneinander liegende Grundstücke an einem Hang, von denen das eine Stück im oberen Teil Weingarten war. Der Rest wurde als Acker genutzt: Luzerne als Grünfutter und Heu, Roggen, Weizen, Gerste, Kartoffeln und Mais. Das Hoartl lag in Richtung Platt, war ganz eben und wurde nur als Acker genutzt. Der Acker hatte neben dem Weg einen Nußbaum - für einen kleinen Bub nicht interessant, denn im Sommer gab es da noch nichts zu naschen - also war das Hoartl im Sympathiewert weit abgeschlagen. Dagegen das Drittel! Zwei Wege führten dorthin. Der untere, tiefer gelegene Weg führte durch einen tief eingeschnittenen Hohlweg, war also mit einem Fuhrwerk immer problematisch zu erreichen, denn im Hohlweg gab es kein Ausweichen, höchstens für Fußgänger, wenn sie sich an die Böschung drückten. Man mußte daher immer feststellen, ob man allein auf diesem Stück unterwegs war. Der obere, etwas weitere Weg war in der Ebene, weithin auszusehen und auch so eben, daß man jederzeit in einen angrenzenden Acker ausweichen konnte. Am unteren Ende des Ackers stand ein Vogelkirschenbaum und darunter eine Weingartenhütte. Das war eine Grube, ungefähr ein m groß, aus dem Boden ca. 50 cm tief ausgehoben, an den Rand der Grube Sitzbretter gelegt und darüber eine dreiseitige Hütte errichtet. Die Vorderseite war der Einstieg und blieb offen, die Sitzgelegenheiten waren an den drei übrigen Seiten. Das Flachdach war mit Rasenziegeln bedeckt und an die Seiten kam das ausgegrabene Erdreich. Damit war die Hütte im Sommer kühl (im Schatten des Kirschbaumes) und bot bei Gewittern Schutz gegen den Regen. Da drinnen wurde gerastet und gejausnet. Der Kirschbaum (Vogelkirschen) erschien mir riesig, und Großvater mußte mich die ersten Male hinaufheben zu den untersten Ästen. Oben konnte ich mich darin schon ganz gut bewegen. Vogelkirschen werden nicht gleichzeitig reif und wenn sie vertrocknen schmecken sie immer noch gut. Daher verbrachte ich manchen Tag auf dem Baum (eine Erinnerung an die Entwicklung unserer Art?) und nährte mich von Kirschen. Manchmal zwang mich das Übermaß von Kirschen zur Erde zurück, um den Kreislauf der Stoffe aufrecht zu erhalten.

Großvater hatte noch einen unveredelten Weingarten, natürlich eine Stockkultur. Starb ein Stock ab, so wurde gegrubt, d.h. eine Grube ausgehoben, in die eine Rebe hineingezogen wurde. Im nächsten Jahr wurde die Grube mit Erde gefüllt, und wenn dann die Rebe bewurzelt war, wurde sie vom Mutterstock abgetrennt. Mit dieser Methode war der Weingarten ziemlich unregelmäßig, d.h. man konnte die Reihen schon sehen, aber (die Gruben hätten keinesfalls eine Bearbeitung mit Zugtieren erlaubt. Außerdem waren die Reihen (zumindest nach meiner Erinnerung) dafür zu eng. Es wurde daher alles von Hand aus gemacht. Es wurde auch gespritzt, aber die Hauptarbeit war das Jäten und Binden. Gebunden wurde mit Roggenstroh. Ein Schab wurde auf kleine Bürdel d.s. Riedel (Gerütteltes?) mit ca. 15 cm Durchmesser geteilt, diese wurden gebunden und über Nacht im Trog, mit Steinen unter Wasser gehalten, damit sie sich mit Wasser vollsogen.Die Riedel wurden feucht verpackt (im Grastuch), in den Weingarten gebracht und im Schatten abgelegt, damit sie schön feucht bleiben. Das Riedel wurde im Fürta (Schurz) verstaut, indem das untere Ende des Fürtas durch das Fürtaband, das um den Bauch gebunden war, geschoben wurde. In diese Tragtasche kam das Riedel. Draus wurden je drei Halme herausgezogen, um den Weinstecken mit dem Trieb geschlungen und an den Enden ein paarmal verdreht, dann abgeknickt und der Knick durch den Bund durchgesteckt. So entsteht eine feste Bindung, vor allem, wenn das Stroh wieder trocken ist, die aber doch leicht zu lösen ist. Die Reben wurden gestutzt, entwipfelt, so daß sie nicht höher wurden als die Stöcke und dann wurden ständig die Achseltriebe (Ixenbruat, Ixenjoda) ausgebrockt. Dabei konnte ich auch schon mithelfen und Großvaters Lob, daß ich ausgezeichnete Augen habe, wenn ich hinter ihm noch etwas zum Ausbrocken fand, spornte mich an. Diese Wipfel, die Ixenbruat und der ausgehauene Windling (Ackerwinde) und Hühnerdarm kamen in das Grastuch, ein quadratisches grobes Tuch, ca. 1,5 x 1,5m mit Bändern an allen Ecken. Zwei diagonal gegenüberliegende Bänder wurden festgebunden, die anderen zwei Bänder, wenn der Binkel auf dem Rücken ruhte, über der Brust zusammengehalten. So konnte der Binkel nach Hause getragen werden - wieder eine Frauenarbeit. War der Binkel zu groß, wurde er mit dem Schubkarren befördert und da saß ich dann ganz vorne über dem Rad und ließ mich führen. Großvater hatte kein Zugtier, sondern mußte "einen Bauern" haben. Seiner war der Herr Hanisch, der die Arbeit mit dem Pferd, also Ackern, Einführen, Lesen und Mistausführen machte. Dafür mußte Fanitante diese Leistungen im Tagwerk abarbeiten. Das Verhältnis von Fuhrwerkstagen zu Handarbeitstagen weiß ich nicht mehr. Es wurde aber genau Buch geführt und Fanitante bekam immer noch etwas Geld für die mehr geleisteten Arbeitstage ausbezahlt. Im übrigen war es ein sehr familiäres Verhältnis zwischen der Familie Hanisch und uns und wir Buben waren später oft in seinem Haus. Als besonderer Vorzug galt, wenn einen Hanisch auf dem Pferd reiten ließ. Als er einmal von der Mühle in Guntersdorf etwas abholte durfte ich die ganze Strecke, ca. 6 km, reiten! Aber das war gar nicht so schön, als ich es mir geträumt hatte. Das Pferd war ja mit dem normalen Geschirr angeschirrt und da kam die Bubenhaut mit einem Lederriemen mit Schnalle bei jedem Schritt des Pferdes in Berührung, so daß ich eine Hautwunde am Oberschenkel hatte, die dann ganz schön brannte. Aber ich konnte doch nicht lamentieren oder gar absteigen! Wir haben das Sprichwort :"ein Indianer kennt keinen Schmerz" zu dieser Zeit bestimmt noch nicht gekannt - ich habe aber trotzdem so gehandelt - nur war ich dann schon sehr froh, als wir nach Hause kamen und ich vom Pferd herabsteigen konnte.

Natürlich wurde die meiste Feldarbeit mit der Hand gemacht. Es wurde mit der Hand gesät, geschnitten, die Kartoffeln gelegt, angehäufelt, dann ausgenommen, die Rüben ausgezogen usf. Im Hof wurde mit der Drischel (Dreschflegel) gedroschen. Einmal kam eine kleine Dreschmaschine ins Haus, die mit zwei Handkurbeln betrieben wurde. Aber viel war es ja nicht : Roggen für das Brot und das Stroh für das Schabstroh (das mußte sowieso mit der Hand gedroschen werden), etwas Gerste für die Schweine und Hühner. Die Wege wurden zu Fuß zurückgelegt, wobei häufig der Schubkarren mitkam. Dann saß ich gern auf dem Teil, der über dem Rad liegt und ließ die Füße vorne hinunterhängen. Es war also der Betrieb eines richtigen Kleinhäuslers - aber Großvater war ja Pensionist und daher viel besser daran als seine Nachbarn. Unmittelbar nach dem Krieg, in der Inflationszeit, war es für Pensionisten bestimmt schwierig, da die Geldentwertung der Pensionsanpassung immer ein großes Stück voraus war - aber für ein Pfeifchen ( er hatte eine lange Pfeife mit einem Porzellankopf) und gelegentlich an einem Sonntag ( oder war es zu Leichenbegräbnissen von Kameraden?) mit seiner Veteranenuniform in ein Wirtshaus hineinschauen, viel mehr waren nicht die Bedürfnisse dieser Generation oder dieses Schlages. Der Hut zu der Uniform hatte lange schillernde Hahnenfedern, die sichelartig gebogen sich nach rückwärts neigten und beim Gehen hüpften: auf- und abschwangen. Er war fleißig und sparsam (bei Großmutter, einer Frau, war das sowieso eine Selbstverständlichkeit), hatte getrachtet, daß seine Kinder etwas lernten, hatte sich ein Häuschen gebaut, einige Äckerchen ( 2 1/2 Joch) gekauft, hatte eine liebe, gute Frau (sie hatten sich sehr gern und waren jeder um den anderen besorgt), damit war er, und konnte er auch, zufrieden sein. Verwandte lebten noch in Karlsdorf - ich kann mich an einen Besuch erinnern, bei dem ich einen älteren (Großvaters jüngerer Bruder) und einen jungen Mann sah. Sie machten mir den Eindruck von finsteren Gesellen - oder war es die dunkle Haarfarbe (möglicherweise hatte ich auch irgendwelche Äußerungen aufgeschnappt, die sie mir wenig sympathisch machten). Ein Sohn aus diesem Haus lebte in Ybbs und irgendeinmal war er auch bei uns. Er war, wie viele Karlsdorfer, ein Bürstenbinder - aber ich kann beim besten Willen kein Bild von ihm reproduzieren. Und dann kam aus diesem Haus auch noch Richard, ein blondgelockter Bursche, der dann bei uns Geselle war. Jedenfalls aber hatten sie ein Pferd - und Großvater hatte trotzdem seinen eigenen Bauern - den Hanisch. Also vermutete ich, daß etwas "gewesen" sein muß.

Die Bodenbearbeitung im Weingarten, aber auch bei den Kartoffeln und Futterrüben, den Romasln, in Goggitsch sagten sie dazu Ronasln, erfolgte mit einer Haue mit einem herzförmigen Blatt (wobei es für die Frauen solche mit kleinerem Blatt gab - oder waren die schon so abgearbeitet?). Wenn die Schneiden stumpf waren, wurden sie nämlich mit einer Feile geschärft, so daß sie natürlich kleiner werden mußten. Damit wurde geschert (gehackt), gehäufelt, Kartoffeln ausgegraben usf. Fannitante ging ins Tagwerk auch zu Klein, der reichsten Familie in Pernersdorf - sie hatten 100 Joch und einen Holzhandel. Unmittelbar nach dem Krieg erschoß sich der alte Bauer mit einem Wasserschuß in den Körper, da er durch die Geldentwertung ein großes Vermögen verloren hatte. Es war ein großes Ereignis in dieser Gegend und es wurde breit berichtet und weitererzählt, wieviel Bettwäsche zum Blutstillen verwendet wurde und - das war der Gipfel! - daß diese Bettwäsche, diese schöne Leinwandwäsche dann verbrannt wurde. Denn sie hatten es nicht über das Herz gebracht, die von Vaters Blut getränkten Stücke noch einmal zu verwenden. Das machte natürlich großen Eindruck auf einen kleinen Buben.

Großvater erzählte mir von seiner Militärzeit, lernte mir springen - schön in die Knie gehen - sonst kann es passieren (wie einem Angeber beim Militär), daß man mit dem Kinn gegen die Knie schlägt, so daß die Zähne herauspurzeln - und gab mir auf alle Fragen eine Antwort. Er hatte Zeit für mich und ich hatte keine Konkurrenz. Ich war viel um ihn, d.h. in der schönen Zeit auf dem Feld und im Weingarten. Wenn es in den Weingarten ging, ins Drittel, gingen wir nicht den Fahrweg sondern einen Fußsteig. Der führte an einem weißgekalkten Brunnen im Feld vorbei. Wenn wir ein Riedel mithatten, wurde es dort nocheinmal ordentlich naß gemacht und dann ging es im Gänsemarsch auf dem Steig hinauf, denn das Feld und der Weingarten lagen höher. Nach Hause lief ich meistens voraus - der Weg ist ungefähr drei km lang - und legte die Strecke im Dauerlauf zurück (es geht ja größtenteils leicht bergab). Dann saß ich vor dem Tor auf dem Boden und wartete - und war stolz, daß ich so weit gelaufen war. Es bereitete mir aber überhaupt keine Mühe, so zu laufen. Ich war also in guter Form, und das alles wurde der guten Landluft und der Ziegenmilch zugeschrieben. Ich blieb dann noch bis über die Lese. Da konnte man nachlesen - auch in fremden Weingärten. Dann wurden die Blätter abgestreift und die Stöcke ausgezogen. Je zwei Stöcke wurden so eingeschlagen, daß sie ein X bildeten und in zwei solcher X wurde immer eine Partie Stöcke gelegt (wahrscheinlich, damit sie über den Winter nicht abmorschen).

Im Sommer gab es viele Fliegen in der Küche aber auch vor dem Haus (gar nicht weit entfernt waren ja die Ställe für die Ziegen und die Schweine und dazwischen der Misthaufen - also gar kein Wunder). Und da wurde meine Fähigkeit und meine Geschicklichkeit zum Fliegenfangen entdeckt. Großvater hatte mir eine Belohnung versprochen - vielleicht 10 Heller für 100 Fliegen? - und so wurden auf dem Tisch Häufchen von je 10 Fliegen gebildet und ich lernte automatisch zählen und rechnen. Dazwischen debattierten wir und ich stritt mit Großvater über alles. Wenn er mir Angst vor der Schule machte (du wirst schon sehen, wenn du in die Schule kommst!), dann kündigte ich an, wie ich mit dem Lehrer fuhrwerken würde. In Wirklichkeit hatte ich aber einen Mordsrespekt, war ich dann das kleinste Haserl. Diese Großsprechereien sind sicherlich ein Ausfluß großer Unsicherheit.

In diesem halben Jahr gestaltete sich das Verhältnis zu den Großeltern sehr eng. Später, als wir alle vier Buben dort in den Ferien waren, löste sich das Verhältnis wieder. Einerseits waren wir Buben eine richtige Bande, die immer beisammen sein wollte, und andererseits war es eine Zumutung für ältere Menschen, diese Horde auf kleinem Raum zu ertragen. Unsere Bubenschar bildete bald den Kern für eine Bande, der die Kinder dieses Dorfteiles zuströmten - und diese Bande war natürlich lieber beim Pulkaubach als bei der Feldarbeit. Der Bach ist ein Gewässer von drei bis vier Meter Breite und reichte uns nichteinmal bis zum Hintern. Da wurde gefischt. Zuerst fingen wir die Fische mit der Angel. Es waren Weißfische von 8 bis 12 cm Länge. Daneben gab es noch Grundeln, die am Boden lagen und schwer zu erwischen waren. Mit 10 bis 12 Stück hatten wir schon eine ganz schöne Beute. Die Fischlein wurden zu Hause ausgenommen, in Mehl getaucht und in Schmalz herausgebraten. Natürlich schmeckten sie gut! Da man beim Angeln auf die Aktivität der Fische angewiesen ist (ob es beliebt, zum Köder zu schwimmen), wir aber natürlich nie soviel Zeit hatten wie die Fische, gingen wir später dazu über, auf Angriff zu gehen und die Fische mit der Hand zu fangen. Wenn man im Bach - der Grund war schlammig - langsam weiterging, trat man gelegentlich auf eine Grundel, die dann unter dem Fuß zappelte. Da mußte man geschickt sein, sie mit der Hand, ohne den Fuß zu entlasten, zu packen. Wenn wir also im Bach wateten, flüchteten die Fische unter die überhängenden Rasenstücke und unter das Ufergras oder zwischen die Wurzeln von Bäumen, die am Ufer wachsen. Beim Gras war es einfach: man schob beide Hände unter das Gras und schlug mit einem Schwupp das Gras auf die Böschung hinauf - und manchmal zappelte dann zwischen den Asseln und Käfern auch ein Fischlein, das man packen mußte - sonst war es schon wieder im Wasser. Zwischen den Wurzeln der Bäume gab es tiefere Höhlen - manchmal so lang wie ein Bubenarm. Und da war es spannend, denn es konnte ein Fisch darin sein, manchmal war es ein Krebs und möglich wäre ja auch eine Bisamratte gewesen! Jedenfalls war es eine Mutprobe und eine Überwindung, aber es galt, in der Schar mitzuhalten. Daneben wurden Hummeln und Bienen gefangen. Mit zwei kleinen Stücken Fensterglas vom Schutthaufen wurden die Honigsammler bei ihrer Arbeit auf den Blüten - meistens war es Bocksdorn - abgelesen, gepackt, das Vorderteil vom Hinterleib durch einen Zug getrennt, so daß die Honigblase sichtbar war. Diese Honigblase war ja die ersehnte Beute, die dann verspeist wurde. Gar so gut schmeckte sie nicht - aber es war eben Ehrensache. Die Hummeln wurden teilweise in Gruben gesperrt, die mit Glas abgedeckt wurden. Wenn wir dann wieder Zeit fanden, nachzuschauen, waren sie manchmal fort, einfach ausgebrochen! Wir mußten erst lernen, daß Hummeln Erdbewohner sind und sich herausgraben können. Dann entdeckten wir am Bach ein Wespennest im Ufer. Ausgraben scheiterte an der Kampfstärke der Wespen, die eine Menge Ein- und Ausgänge zu ihrem Erdbau hatten. Erbittert begannen wir, mit Schlamm aus dem Bach auf die Flugöffnungen zu werfen, um sie einzumauern. Ich weiß nicht, woher sie kamen. Vielleicht waren es Heimkehrer, oder es gab noch einen Ausgang - aber in Kürze war ein Schwarm Wespen da, die ihrerseits zum Angriff übergingen, und wir mußten tauchend und spritzend die Flucht ergreifen. Sicherlich waren der Schlamm und das Wasser auch gut gegen die Stiche.

Auf den Feldern - vor allem auf den Stoppelfeldern - gab es Mäuse. Sie huschten herum und sausten in ihre Gänge. Auf den Feldern waren diese Gänge ziemlich flach unter der Oberfläche angelegt und nur selten gab es einen senkrechten Gang in eine Wohnhöhle. Wenn man also diese Gänge mit der Hand aufwühlte, sauste die Maus wieder aus einem Loch heraus oder man bekam sie sogar zu fassen wobei man manchmal auch gebissen wurde. Aber wir waren ja tapfer. Hatte man die Maus, so wurde sie in die Luft geworfen - und wenn sie auf dem Boden aufkam, war sie tot. Aber dafür gab es nie Tadel, höchstens Lob, denn die Mäuse machten ja Schaden. Von Großmutter hörte ich darüber nie ein Wort - aber Großvater war mit meinen Leistungen sehr zufrieden.

Auf den Feldern wurden Wettkämpfe in einem besonderen Sport ausgetragen: feuchte Erde in kleinen Klumpen wurde an der Spitze einer längeren Rute angeklebt und dann mit einem Schlag weggeschleudert. Damit konnte man viel weiter werfen als mit einem Stein - wobei es in Pernersdorf auf dem Feld keine Steine gab - aber staubförmige Erde jede Menge. Steine gab es nur auf der Straße: Schottersteine. Hauptsächlich auf dem Kühberi, der Straße nach Guntersdorf, gab es am Straßenrand Schotterhaufen, von denen aus Schlaglöcher auf der Straße ausgefüllt wurden. Der normale Zustand der Straßen war aber eine mehr oder weniger tiefe Staubschicht, unter der Schottersteine verborgen waren. Und wenn wir mit unseren bloßen Füßen so schön im Straßenstaub schleiften, kam es vor, daß wir an so einen Schotterstein stießen, daß das Zehenkapperl ab war. Und das Blut floß, strömte, so wie die bitteren Tränen. Dann kam Großmutter und empfahl uns, auf die Wunde zu urinieren. Das brannte ganz schön, half aber sicher, denn wir behielten trotz vieler, vieler Wunden alle unsere Zehen.

Großvater hatte mir vom Drittel aus einen stumpfen Kegel gezeigt - in östlicher Richtung - der wie ein kleiner Vulkan aussah, d.h. der obere Teil des Kegels war eingesunken - und mir erzählt, daß da vor langer Zeit eine Burg stand, die dann versunken sei. Nachdem ich überzeugt bin, daß es dort keine Vulkane gegeben hat und ich gehört habe, daß es in dieser Gegend Erdburgen gegeben hat, vermute ich, daß es Reste einer solchen stein- oder bronzezeitlichen Siedlung waren und daß die Überlieferung einen wahren Kern hat - wenn es auch nicht gerade versunken sein muß, sondern einfach verfallen und überwachsen ist. Rückblickend möchte ich sagen, daß wir wohl eine richtige Horde waren und daß die Pernersdorfer, aber auch die Großeltern sicherlich dem Himmel dankten, wenn die Ferien vorüber waren.

Jedenfalls war der nächste Ferienaufenthalt in Goggitsch. Dort waren schon zwei Kinder: Franz, etwas älter als unser Bruder Franz und Karl, gleich alt wie ich. Später kam noch ein Mädchen, Poldi und noch später Hermann. In Goggitsch war eine richtige Bauernwirtschaft - ein Halblehner mit 32 oder 33 Joch, davon einige Joch Wiese und 1 Joch Wald im "Vogelsinger". Natürlich gab es zwei Pferde, einmal waren es sogar drei und fünf Kühe, dazu einige Kalbinnen und Kälber. Die Schweine hausten in einem fensterlosen "Koben", der frei über einem jauchegetränkten Grundstück in einem Schuppen auf steinernen Füßen stand. Der Stall war aus Rundlingen gebaut, so daß die Schweine Luft und etwas Licht hatten, aber sonst sah man von ihnen nichts - man hörte sie nur, wenn die Futterzeit nahte. Jedenfalls stand fest: für die Pferde und auch noch für die Rinder hatten die Goggitscher ein Herz - aber die Schweine und auch die Schafe, die in einem Verschlag in der Scheune gänzlich im Dunkeln gehalten wurden, waren arme Kreaturen. Die Pferde wurden als 7/4-ler, d.h. eigentlich waren sie 1 1/2 Jahre alt, in Horn im Herbst auf dem Pferdemarkt, das Paar um 1.800 S gekauft und das alte Paar als 3-jährige ( sie wurden in einem Jahr um nominell 5/4 Jahre älter) waren aber in Wirklichkeit 2 1/2 Jahre alt, auf dem gleichen Markt um 2.400 S das Paar verkauft. Lepoldonkel richtete also die Pferde ab, lehrte sie die Arbeit in der Wirtschaft, machte seine Arbeit mit ihnen (wohl schonend) und gewann dazu Geld. Das verlieh ihm Ansehen. Daneben handelte er mit Jungvieh (Rindern). Es gab kaum einen Markt in Raabs, Weitersfeld, Eggenburg oder sonstwo in der Gegend, auf den er nicht mit einem Stück Rind zu Fuß ging und von wo er nicht ein anderes Stück heimbrachte. Dann wurde das Tier 6 bis 8 Monate gefüttert und einem Fleischhauer verkauft oder wieder auf den Markt getrieben. Er dürfte die gleichen Anlagen wie Papa in Bezug auf das Schätzen von Rindern gehabt haben, denn er war versiert und anerkannt. Aber einmal wurde er von einem alten Fuchs, dem Silberbauer, ganz schön hereingelegt. Silberbauer hatte eine Kuh, also so ein Prachtstück gab es nicht nocheinmal. Leopoldonkel hatte sie gesehen und sich in sie verliebt. Die mußte er haben. Drei Jahre handelten die beiden um die Kuh, immer wenn sie zusammentrafen: im Wirtshaus, vor der Kirche oder am Kirtag. Und da machte Leopoldonkel den Fehler, sich nicht mehr um die Kuh, sondern nur mehr um den Preis zu kümmern. Die Kuh hatte er ja gesehen, die kannte er in- und auswendig. Als nun Silberbauer endlich die Kuh verkaufte und Onkel sie abholte, war es eine mords Enttäuschung. Ja, es war die Kuh - aber wie sah sie aus! Natürlich wird auch eine Kuh in drei Jahren nicht schöner - aber das war eine Schande! Und er durfte gar nichts sagen, denn er hatte Silberbauer ja so bedrängt! Das ganze Dorf wußte von dem Handel. Er durfte seine Enttäuschung nichteinmal zeigen, denn dann hätten ihn alle Leute, vielleicht der ganze Bezirk, ausgelacht. Er, ein solcher Fachmann, auf allen Märkten zu Hause, der alle Schliche der Händler und Zigeuner (Roßtäuscher) kannte und durchschaute, war so einem alten Gauner aufgesessen! Und Silberbauer lächelte verschmitzt wie eh und je.

Bei Leopoldonkel in Goggitsch erlebte ich eine richtige Landwirtschaft. Neben den Pferden standen im Stall vier oder fünf Kühe und ein oder zwei Kalbinnen, die zusammen "ausgetrieben" wurden. Die Kälber und die jüngeren Stücke blieben zu Hause. Das Austreiben war Arbeit der Buben. Natürlich waren wir dabei und nach dem Essen ging es mit den Kühen, die zu dritt nebeneinander und von der linken, der Leitkuh mit einer längeren Kette mit einer zweiten Reihe zusammengehängt waren, hinaus zum Fungitzbach in die Wiesen. Die Schafe - es waren zwei oder drei - durften auch mit, die rannten frei neben uns. Im Sommer ging es auf die eigenen Wiesen, wenn sie schon gemäht waren. Später, wenn auch schon das Grumet (Groamat) geschnitten und eingeführt war, gab es das Über- und Uberhalten (für mich ein ganz und gar unbekannter Begriff) da durfte auf allen Wiesen gehalten, d.i. geweidet werden. Das war der Höhepunkt, denn dann kamen alle Buben der Ortschaft zusammen und außerdem mußte man auf die Kühe nicht mehr so viel aufpassen - höchstens, daß sie nicht in die Felder gingen. Da heckten dann die schlimmen Buben (ich gehörte natürlich auch dazu) ihre Streiche aus. Und je mehr von diesen Halterbuben beisammen waren, desto mehr Streiche und desto schlimmere Taten wurden verübt. Der Fungitzbach war (und ist) die Grenze gegen Dallein - einer unter den Buben ganz und gar verfeindeten Gemeinde. Denen durfte man alles antun! Nur erwischen durften sie einen nicht! Nun gibt es drüber dem Fungitzbach auf Dalleinergebiet ein kleines Wäldchen, die Buben nannten es das "Holz". In diesem Holz lagerten auch Reisigbürdel. Und auf fremdem Gebiet die Bürdel organisieren war bestimmt kein Vergehen - man durfte nur nicht dabei erwischt werden. Zwischen dem Holz und dem Bach war ein Wiesenstreifen, der aber von der Ortschaft Dallein durch das Wäldchen abgedeckt ist. Wenn man also durch den Bach watete, den Wiesenstreifen rasch durchquerte, war man im Wald auch schon gedeckt. Eifrig schleppten wir dann die Bürdel, in jeder Hand eines und die größeren Buben von uns noch je eines unter jeden Arm geklemmt durch den Bach auf unsere Seite. Da wurde ein Feuerstoß errichtet, je höher, desto schöner. Aber zu einem richtigen Feuer gehörte auch etwas Besonderes zum Essen. Diese Spezialitäten waren gebratene Kartoffeln. Also gruben wir seitlich von den Stauden vorsichtig einige Knollen aus (damit man nicht bemerkte, daß da Diebe am Werk gewesen waren) und es konnte losgehen. Dazwischen mußte man auch immer ein Auge auf die Kühe haben. Im Herbst war es ja nicht mehr so schlimm mit den Bremsen, aber der Teufel schläft nicht. Im Sommer kam es öfter vor, daß sie durchgingen (sie sagten dazu: biesen) d.h. mit aufgestelltem Schwanz und gesenktem Kopf blindwütig losrasen. Kilometerweit mußten wir dann nachlaufen, bis sie erschöpft stehen blieben und sich wieder zurückführen ließen. Abends ging es dann an, die Kühe zusammensuchen und mit Geschrei ging es dann heimwärts. Wichtig war, daß die "Hungergrube", d.s. die sichtbaren Vertiefungen zwischen Beckenschaufel und Rippen, ordentlich ausgefüllt und nicht stark eingefallen waren. Das ist das Zeichen, daß der Magen voll ist. Blähungen waren um diese Jahreszeit kaum mehr zu befürchten, also durften die Kühe fressen, so lange sie Lust hatten und etwas zum Fressen fanden.

Die Eisenbahnstation ist Hötzelsdorf-Geras, ca. fünf km von Goggitsch entfernt und die Kirche ist in Geras, drei bis vier km östlich gelegen. Nördlich liegt noch Pfaffenreith und Schirmansreith, nordwestlich Hardt südwestlich Dallein. Wenn uns Papa und Mama einmal in den Ferien - zum Kirtag - besuchten, wurden sie mit dem Wagen abgeholt. Sonst marschierten wir zu Fuß und vergnügten uns, mit Steinen von den Schotterhaufen auf die lsolatoren der Telgrafenleitungen zu zielen. Wir trafen nicht oft, lernten aber trotzdem gut werfen. Sonntags marschierten alle nach Geras in die Kirche. Nur einer blieb zu Hause: "Haus hüten". Der konnte dann, wenn der erste wieder nach Hause kam, nach Geras gehen, oder er war schon in der Früh dort in der Kirche gewesen. Leopoldonkel kaufte nach der Kirche (die Geschäfte hatten natürlich offen) ein Stück Rindfleisch und Annatante, seine Frau, mußte rasch nach Hause, um das Essen zu kochen, während Leopoldonkel noch ins Wirtshaus ging. Zu diesem Rindfleisch am Sonntag gab es immer Semmelkren. Am Kirtag gab es dazu auch noch Backhendl. Unter der Woche gab es viele Milchspeisen, also Mehlspeisen in Milch, Nockerl, Strudel usf. und Topfenstrudel, natürlich auch alle Arten Knödel und Grießstrudel mit Gurkensalat (wenn ein Gurkenbauer aus dem Weinviertel in die Ortschaft gekommen war und seine Ware durch Geschrei angeboten hatte). Wenn wir im Wald gewesen waren, gab es "Beenstrudel", d.i. Heidelbeerstrudel oder Schwammerlsauce mit Knödel.

Ungefähr alle 14 Tage wurde gebacken und dann gab es für die Kinder weiße Flecken ( es wurden ja auch einige Laib weißes Brot gebacken) die mit Schmalz bestrichen wurden, das auf den warmen Flecken sofort flüssig wurde. Der Backofen war vom Vorhaus zu beschicken (Fürhaus) und ragte in die Küche hinein. Da wurde zuerst ein mächtiges Feuer mit meterlangen Scheitern gemacht, dann mit einem Flederwisch (an einer Stange ein feuchtes Tuch) von den Ascheresten gereinigt und dann die Brotlaibe auf einem runden Brett an einer Stange eingeschoben. Das eiserne Türl wurde zugemacht, und nach der nur der Bäckerin bekannten Zeit war die Eröffnung. Dann waren wir natürlich auch schon munter (das Backen begann ja schon am Abend mit dem "Dampfl-Setzen" - der Sauerteig wurde auf eine größere Menge durch Zusatz von Wasser gebracht und warm gestellt) und die Arbeit des Knetens und Formens der Brote war schon vor unserem Erwachen erledigt worden. Dadurch, daß gleichzeitig auch noch Weißbrot gebacken wurde, war es sicher eine zeitaufwendige Arbeit und Annatante war sicherlich jedesmal froh, wenn der Tag vorüber war, jedenfalls war sie immer ganz rot im Gesicht - ob vor Aufregung oder wegen der Hitze aus dem Backofen?

Wenn nichts besonderes los war, gingen wir vormittags in den Wald: Schwämme suchen und/oder Beeren klauben. Der "Vogelsinger" war der nähere Wald und auch der freundlichere - licht und von Feldern umgeben - so daß man nie das Gefühl hatte, da könne man sich verirren. Leider war er auch von anderen Schwammerl- und Beerensuchern häufig besucht, so daß diese Ausflüge nicht sehr ertragreich waren: einige Eierschwämme und ein paar Erdbeeren für die Pflücker, aber kaum Heidelbeeren und fast nie ein Herrenpilz. Dazu mußten wir in den "Beri", auch "Fungitzberi" genannt. Dort hatten wir meistens mehr Glück und wir fanden an den unmöglichsten Stellen, oft schon, wenn wir in den Wald hineingingen, ein paar Herrenpilze; und Eierschwammerln (sie nannten sie "Nagerln") gab es dort immer, so daß wir nie leer heimgehen mußten. Dort gab es auch einen aufgelassenen Steinbruch, in dem es Brombeeren gab. Wenn die Zeit dazu da war, zogen wir mit Kannen (2 bis 5 l) los und hatten sie bald voll. Mit den Heidelbeeren ging es viel langsamer. In Erinnerung sind mir auch Gewitter. Es wurde finster, Fenster und Türen wurden geschlossen, denn die Zugluft konnte den Blitz anziehen! Wenn es ganz arg wurde, dann wurde eine geweihte Kerze angezündet - und es hat sicherlich geholfen, denn ich kann mich an keinen einzigen Blitzschlag in den Hof erinnern. Wenn das Gewitter dann weiterzog - meistens nach Osten oder Nordosten, also ins Weinland, und es nur mehr leicht regnete, waren wir nicht mehr zu halten. Da gab es die herrlichsten "Lacken" (Pfützen) zum drin Herumwaten, in den Straßengräben rann das Wasser nur so dahin - also ideal für uns Buben. Und einmal liefen wir Buben alle aus der Ortschaft hinaus in Richtung Geras, denn dort war ein wunderschöner Regenbogen, der bis zum Erdboden herunterreichte. Und zu diesem Punkt, wo er auf dem Boden stand, wollten wir hinlaufen - und wenn es beim Jedleseeteich gewesen wäre. Also liefen wir und wurden schon müde, und auf einmal war der Regenbogen gar nicht mehr zu sehen - einfach so verschwunden. Das war eine Enttäuschung! Hätten wir noch schneller laufen sollen? Aber wenn man müde ist, ist man heimlich froh, daß er fort ist und man nicht mehr nachlaufen muß - wir hatten nämlich das unangenehme Gefühl gehabt: je weiter wir liefen, desto weiter war der schöne Regenbogen von uns entfernt. Da hätten wir also weit laufen können! Außerdem gab es an diesem Ortsende ja auch einen Obstgarten mit guten Äpfeln - also war der Kummer um den Regenbogen bald vergessen, denn die guten Äpfel lockten. Der Besitzer des Gartens war ein alter Geizkragen und verjagte uns immer. Aber vielleicht paßte er heute nicht so gut auf? Wir klaubten dabei sowieso meistens die herabgefallenen Früchte, die zum größten Teil wurmig waren auf, und nur, wenn man aus Versehen an etwas stieß und man dann tastete, ob man eine Beule auf Kopf habe und man dann ganz zufällig einen Apfel in die Hand bekam - na, das waren ja lauter Zufälle! Also hätte er von uns aus gesehen nicht so kleinlich sein müssen und gleich ein Geschrei anheben, wenn er uns nur sah! Überhaupt das "Sehen". Wenn mir da einer erklärte, er habe mich gesehen, antwortete ich ihm, er lüge, er könne mich gar nicht gesehen haben, denn ich hätte ihn nicht gesehen. Daß sich da vielleicht einer gar versteckt und da, so ein "Falscher", hervorluchst - also das war eindeutig gegen alle Regeln der Fairness! Das Obst hatte es uns also angetan! Vielleicht suchten wir instinktiv die Vitaminquellen, aber jedenfalls war es ja auch immer ein Abenteuer! Im Garten hinter dem Stadel von Leopoldonkel standen neben dem Scheunentor an jeder Seite zwei mächtige Birnbäume. Zum Hintausweg hin gab es Zwetschkenbäume und Ringlotten. Die Birnbäume waren mir die wichtigsten! Der eine hatte Butterbirnen, vielleicht eine "Gute Luise", der andere Lederbirnen vielleicht eine Bergamotte für Kletzen. Der eine Baum war sdhlank und hoch, der andere breit und wuchtig - aber seine Birnen wurden sehr spät reif, waren also nichts für uns. Aber der hohe Baum! Das war etwas für mich! Natürlich kletterten alle Buben auf diesen Birnbaum, so daß auf den unteren Ästen in Reichweite nichts mehr zu ernten war. Aber ganz, ganz oben, da lachten noch einige gelbe Birnen und warteten auf mich. Ich plagte mich daher, bis ich im obersten Wipfel stand und über das Scheunendach hinweg in den Hof und in die Ortschaft hineinsehen konnte (der Garten liegt etwas höher als das Haus - die ganze Anlage: Haus, Stallungen, Scheune, Garten liegen auf einem ansteigenden Stück). Und damit gehörten auch die besten Birnen mir. Im Hof stand neben dem Brunnen ein Birnbaum (Nagowitzer) mit ganz frühen Birnen und neben dem Kellereingang ein Roßtuttenbaum (große rote Kriecherl). An Kirschen und Nußbäume wie in Pernersdorf kann ich mich nicht erinnern. Die dürften dort nicht recht gedeihen. Leopoldonkel beschäftigte keine fremden Arbeitskräfte. Karlonkel fuhr meistens mit den Pferden und Annatante und die Kinder mußten bei der Feldarbeit mithelfen. Mit diesen Arbeitskräften wurde die ganze Wirtschaft versorgt. Im Haus kümmerte sich Karlonkel um die Pferde und Leopoldonkel und Annatante versorgten die Kühe und das Jungvieh. Die Schweine waren "arme Schweine" denn ich bemerkte oft, daß sie das Kochwasser von den Knödeln und Strudeln mit etwas Schrot und Kleie als Futter bekamen. Wann die Schafe gefüttert wurden, habe ich eigentlich nie bemerkt. Ihr Stall war ja auch ganz finster, so daß man überhaupt nichts sah, wenn man hineinschauen wollte.

Wenn sie "Wiesenmähen" gingen, gingen sie beim Grauwerden aus dem Haus und kamen zum Frühstück schon zurück. Das Gras mußte richtig taunaß sein, wenn es gut mähen gehen sollte. Das Getreide mähten die beiden Männer mit der Hand mit einem "Wachler", einem bogenförmigen Stab am Sensenstiel, der mit Leinen bespannt ist. Wenn die Sense die Halme abschneidet, fallen sie auf den Wachler und damit legt der Schnitter das Häufel an das stehende Getreide an. Die Helferin nimmt dann mit einer Sichel diese Häufel auf und legt sie seitlich ab, so daß der Weg für den Mäher bei der nächsten Mahd wieder frei ist. Annatante und Franz mußten weglegen. Aufgebunden wurde dann später, wobei Annatante und Franzl auflegten und die Männer knebelten. Für die Kleinen blieb das Garbenband-Auflegen (Ausbreiten). Die Größe der Garben war in jedem Haus etwas verschieden. In "unserem" Haus gab es jedenfalls ordentliche Garben, denn die Häufel waren nicht klein und in jede Garbe kamen drei Häufel. Am Abend wurde dann "geschiebert" (geschöbert): die Garben wurden je drei zusammengestellt, dazu kamen noch einmal drei in die Lücken, denn nocheinmal drei und darauf - mit dem "Hintern" gegen die Wetterseite zur Abdeckung der Ähren zwei Garben, auf die dann eine schwere Garbe, der "Reiter" aufgelegt und mit einigen Büscheln, die in die Garbenbänder der darunter- liegenden Garben eingestreckt wurden, noch ordentlich befestigt wurden, damit der Wind nicht den Reiter abwerfen konnte. Gab es Regenwetter, so mußten oft die Mandel umgestellt werden, d.h. sie wurden auseinandergenommen und nach einem halben Tag wieder neu zusammengestellt. Meiner Ansicht nach lag das Problem ja nicht so sehr in der Kornfeuchte, die beim Mähen oft noch 17 bis 18% beträgt und auf 13 - 14% abgesenkt werden soll, sondern am Unkraut. Die krautigen Pflanzen brauchen ja wesentlich länger zum Trocknen - außerdem waren sie ja auch nicht reif, wie es das Getreide beim Schnitt ist. Dieses Unkraut: Dillen (Ackersenf), Disteln, Kornblumen usf. gaben ja ein schönes Bild, konnten aber zu dieser Zeit nur durch die Bodenbearbeitung - und damit nur geringfügig - niedergehalten werden.

Neu für mich war das "Arl", ein eisernes Gerät wie ein Pflug, aber nach beiden Seiten gewölbt, so daß eine symmetrische Furche gezogen wurde, bzw. nach den Seiten gleichmäßig die Erde aufgeworfen wurde. Sie verwendeten das oder den Arl zum Anhäufeln, zum Unkraut ausackern und Zudecken bei den Erdäpfeln und bei der Ernte, wenn sie die Dämme auseinanderwarfen. Das Grünfutter für die Kühe (aber auch Pferde), Steirerklee (Rotklee) wurde mit der Sense gemäht und mit den Pferden nach Hause gebracht. Es wurde in der Scheune auf dem "Tenn" gelagert und mit dem Schubkarren zu den Mahlzeiten in den Stall geführt. Für kleinere Partien gab es riesige "Schwingen", geflochtene Mulden, die von zwei Leuten an Griffen getragen wurden.

So arbeiteten sie seit vielen Generationen und Abwechslung ergab sich nur durch die Witterung. Papa erzählte, daß sie einmal einen verregneten Sommer hatten, in dem das "Korn", der Roggen auswuchs. Das Mehl aus diesem Korn ging nicht auf, so daß sie ein ganzes Jahr nur speckiges Brot bekamen. Dann kam wieder eine aufregende Zeit, wenn "eingeführt" wurde. Die Kinder kamen selbstverständlich mit aufs Feld, sie konnten Garben zum Wagen tragen, wo sie mit einer Gabel auf die Fuhre hinaufgereicht wurden, wo sie der Kutscher fachgerecht "schieberte". Normalerweise wurde der Heuwagen ausgefüllt und darauf drei Reihen Garben so aufgelegt, daß die Ähren in der Wagenmitte und die "Hintern" außen lagen. Die Fuhre wurde dann mit einem Strick (Seil) niedergebunden, der den Streubaum niederhielt. Und an diesem Strick konnte man auf die Fuhre hinaufklettern und oben in der Mulde auf den Ähren liegen. Kritisch wurde es bei der Einfahrt ins Haus, wenn die Garben an der Decke streiften - es kam ja vor, daß dann einige Garben abgestreift wurden, wenn zu viel aufgeladen worden war. Wenn es aber ausging, dann fuhr man ganz knapp neben den "Speier"-Nestern vorbei - das sind Schwalben, die ein geschlossenes Nest bauen mit kleinen runden Lücken, durch die sie ein- und aus klettern - zum Unterschied von den Schwalben, die im Stall hausen und halbrunde Nester bauen, aus denen die Jungen ihre Köpfe mit den weitoffenen Schnäbeln stecken. Im Stadel (Scheune) wurden die Garben in die "Halbbauern" geschiebert, wobei die Kinder die Garben in einer Kette auf dem Schober weiterreichten. Das Abladen und Hinaufreichen mit einer Gabel und dann das Einschöbern war dann wieder die Arbeit von Erwachsenen, die kräftiger und erfahrener waren. Ich habe schon gesagt, daß die Garben in unserem Haus außergewöhnlich groß und damit auch schwer waren - wahrscheinlich liegt das in der Familie!

Hinter der Scheune war der Göppel, an dem die Pferde beim Dreschen den ganzen Tag im Kreis gingen. Mit diesem Göppel wird über Zahnräder eine Welle angetrieben, die in die Scheune reicht. Von dieser Welle aus wird dann die Dreschmaschine angetrieben.Die Dreschmaschine stand in der Scheune auf der Tenne und aus den Halbbauern wurden die Garben über mehrere Hände auf den Tisch gereicht, dann die Garbenbänder gelöst und nun übernahm der Einleger die Arbeit, lockerte die Garben auf und legte büschelweis mit den Ähren voraus in die Maschine ein. Kam ein größerer Schoppen in die Maschine, so blieb das Werkel stehen - die Pferde konnten nicht mehr weiter. Aber das passierte fast nie, denn der Einleger war Leopoldonkel, der ein Herz für seine Pferde hatte und nur kleinweise einlegte. Durch die Trommel mit den Eisenstiften wurde ausgedroschen und mit dem anschließenden Schüttler grob gereinigt, d.h. das Stroh wanderte durch die Schüttelbewegung nach hinten und das Ausgedroschene mit dem Ohm (Spelzen) fiel auf eine Reihe von Sieben, wo es vorsortiert wurde. Eine richtige Sortierung erfolgte dann später mit einer Windmühle, bei der nach Größe über Siebe und nach dem Gewicht durch den Wind gereinigt wurde. Das Stroh wurde weggeräumt, von Karlonkel mit Garbenbändern (natürlich Strohbänder) gebunden und dann von kleinen Helfern in einen Halbbauern eingeschiebert. So wurde ein Viertel nach dem anderen gedroschen und mit dem leeren Stroh wieder angefüllt. Das letzte Viertel war dann für das Heu (Grumet) bestimmt. Natürlich staubte es beim Dreschen, denn das Getreide war mit Unkraut besetzt und meist auch oft beregnet (was Pilzbefall und Sporen gefördert hatte). Vor allem die Disteln staubten ordentlich - nicht nur, daß sie uns stachen, wenn man eine solche Garbe anpackte. Wir Buben waren aber oft draußen bei den Pferden und legten uns, wenn wir uns unbeobachtet glaubten, auf die Göppelstange, d.i. die Stange, an der die Pferde angeschirrt sind und mit der die Kraft über die Zahnräder im Göppel auf die Welle übertragen wird, die wieder die Dreschmaschine in der Scheune antreibt. Bei dieser Arbeit mußten die Pferde immer im Kreis gehen (und wir konnten wie mit einem Ringelspiel dann im Kreis auf der Deichsel fahren). Nur durften wir nicht erwischt werden, denn die Stange war nicht für eine Belastung gedacht und die Pferde hatten auch noch eine zusätzliche Last zu ziehen. Zum Glück waren wir aber meist Leichtgewichte - zumindest war das unsere Ausrede. Gelegentlich wurde auch Kleesamen gedroschen, das war eine besonders staubige Angelegenheit. Etwas Besonderes war auch der Flachs, der Lein, der "Hoar" oder das "Linsat". Das war eine spezielle Frauenarbeit - nur die Kinder mußten - oder durften? - mitarbeiten. Während des Wachstums mußte mit der Hand gejätet werden (Unkraut ausziehen und wegtragen). Bei der Ernte wurde "gerafft" ("hoar raffa"), d.h. mit der Pfahlwurzel aus dem Boden gezogen, wobei keine Erde dran bleiben sollte. Dann wurde er in kleine Bündel gebunden und zum Trocknen zusammengestellt - aber nicht wie das Getreide mit einem Reiter, sondern nur in Gruppen aufrecht so zusammengestellt, daß die Samenkapseln nach oben schauten. Nach dem Einführen kam dann das "Riffeln". Durch einen eisernen Kamm, der an einem Holzgefäß befestigt war, wurden die Kapseln beim Durchziehen eines kleinen Büschels durch diesen Kamm abgerissen und fielen in das Gefäß. Die Kapseln wurden dann mit der Drischel gedroschen und der Leinsamen gut aufbewahrt: wenn Kälber Durchfall hatten, bekamen sie gekochten Leinsamen (Linsat) und wurden gesund. Die weitere Behandlung des Flachses: ins Wasser legen, im Backrohr rösten und dann hecheln - das aber habe ich nur aus den Erzählungen gehört (weil ich aus Interesse gefragt habe). Eine Hechel war im Haus: ein senkrechtes Brett, oben mit einem Schlitz , in den ein zu einer Schneide zugerichtetes Brett paßte. Dieses obere Brett war auf einer Seite gelagert und hatte auf der anderen Seite einen Griff, so daß man es auf- und abbewegen konnte, es aber immer in den Schlitz hineingeführt wurde. Der Flachs wurde quer über das untere Brett gehalten und das obere Brett auf- und abbewegt, so daß er gebrochen wurde, d.h. die Rinde zerbrach und zum Teil abfiel. Da durch die Vorbehandlung die Rinde morsch geworden war, wurde ein Reinigungseffekt erreicht.

Später kaufte Onkel Leopold einen Getreideableger, eine Maschine mit vier Rechen, die im Kreis geführt werden, das Getreide zum Schnittbalken in Büscheln drücken, wo sie dann mit dem Messer abgeschnitten und mit dem Rechen weiter auf den Tisch gelegt werden. Nun läßt sich die Maschine so einstellen, daß die Rechen nach dieser Arbeit in die Höhe ziehen, so daß das Getreide auf dem Tisch liegen bleibt. Der nächste Rechen legt wieder ein Schüppel dazu und dann wird mit dem dritten (je nach Einstellung können es auch mehr oder weniger sein) Rechen die Partie vom Tisch seitlich (damit beim nächsten Fahren die Bahn frei ist) auf das Feld abgelegt. Dort lagen diese "Häufeln", bis sie trocken waren (vor allem das Unkraut) und dann wurden sie "aufgebunden" und "geschiebert". Bei dieser Mähmaschine passierte nun etwas, was ich im Nachhinein als sehr Entscheidendes einstufen möchte. Leopoldonkel bestimmte mich - oder forderte er mich aus der Schar der mehr oder weniger Interessierten auf? - mit ihm zu mähen. Ich fuhr also auf dem Sitz der Maschine - vielleicht auch, weil ich ein Leichtgewicht war und er die Pferde schonen wollte?- und er ging daneben. Die Maschine war nicht übermäßig schwer, trotzdem gingen die Räder im Ackerboden ein und da der Antrieb über die Fahrräder für das Schneidwerk und die Rechen erfolgte, hatten die Pferde schon zu ziehen. Ich saß also auf dem Sitz der Maschine und Onkel Leopold ging daneben her. Wenn ein Stein ins Schneidwerk kam, gab es einen Ruck und die Räder blockierten. Da mußte ich rasch reagieren und die Pferde zurückhalten, sonst wäre die Pleuelstange gebrochen. Diese Pleuelstange war aus Holz, damit sie in so einem Falle leichter abbrechen konnte und nicht Eisenteile zu Bruch gingen. Das Schneidwerk konnte auch durch zu viel Unkraut verlegt werden, dann ging die Maschine nur etwas schwerer - aber auch das war zu beachten. Jedenfalls wurde das Schneidwerk ausgeschaltet und Leopoldonkel entfernte den "Schoppen" oder den Stein aus dem Messer oder den Fingern (zwischen denen das Messer die Halme abschnitt). Dabei war es nun wichtig, daß die Pferde standen und keinen Ruck machten, denn zu dieser Maschine konnte man wegen des Tisches nur von vorne zugehen, also vor dem Schneidwerk (zum Unterschied vom Grasmäher, der ja nur ein Schneidwerk und keinen Tisch hat). Und wenn dann die Pferde einen Riß getan hätten, hätte es durch die Finger des Schneidwerkes bestimmt Verletzungen gegeben. Jedenfalls war das ein gewaltiger Vertrauensbeweis, denn er zog mich seinen eigenen Kindern vor. Und dabei hatten wir - von mir aus gesehen - überhaupt kein Verhältnis gehabt - weder gut noch schlecht. Er war ein wortkarger Mensch - ähnlich seinem Bruder, unserem Vater, vor allem den Kindern gegenüber, hielt seine Kinder nur durch einen Blick im Zaum und wir wichen ihm automatisch aus, da er uns nicht zu beachten schien. Ganz anders da die Annatante, seine Frau. Mit etwas klagender Stimme gab es da immer wieder Ermahnungen, Befürchtungen usf., die aber meist bei einem Ohr hinein- und beim anderen hinausgingen.

Jedenfalls betrachte ich dieses Mitfahren auf der Mähmaschine, dem "Ableger", als Auftakt für meine Laufbahn als Landwirt - neben den Eindrücken bei Großvater in Pernersdorf. An der Straße nach Schirmansreith, bald nach dem Haus von Neunteufel, liegt ein kleiner Teich, wohl ein Feuerlöschteich für dieses Viertel (sie sagten dazu "Blunzenzeile", auch "Passauerzeile" ), zu dem wir die Gänse trieben. Dort wuchsen am Rand Binsen, die wir abrissen, um damit Peitschen zu flechten, mit denen wir die armen Tiere trieben, die sich dann aber rasch, zum Teil fliegend, aufs Wasser flüchteten, von wo sie uns erbost zuschnatterten. Im Herbst passierte es dann, daß eine Gänseschar, auf der Straße daherwatschelnd, plötzlich zu schreien begann dann losrannte und aufflog. Nach einigen hundert Metern landeten sie dann wieder, während andere Scharen, von dem Geschrei und Geflatter angesteckt, ihrerseits unter Geschrei starteten. Einmal landeten im Herbst auf den Wiesen, als wir die Kühe hüteten, sieben Störche. Das war natürlich etwas für uns! Die wollten wir unbedingt fangen. Wir schlichen uns also ganz langsam an. Aber diese Schlimmen machten ein paar Schritte, erhoben sich und flogen mit herabhängenden Beinen ganz knapp über uns hinweg. Diese Art und Weise, nicht einmal die Beine einzuziehen, hat mich beeindruckt: ich glaube, die haben über uns Tröpfe noch sehr gelacht und uns "nicht einmal ignoriert". Und dabei hätten wir sie ja nur allzugern gefangen. Von Wehtun war da überhaupt kein Wort gesprochen worden.

An der Straße nach Geras - dicht neben dem Fußsteig, auf dem wir in die Kirche gingen - liegt der Jedlesseteich, ein großer Fischteich des Stiftes Geras. Das war unser Badeteich. Das Ufer war mit Gras, etwas Schilf und im Wasser mit Rohrkolben bewachsen. Und dieses Ufer teilten wir mit Riesenfröschen - in der Erinnerung bis 20 cm groß!-, die sich partout nicht fangen lassen wollten. Das Ufergebiet war seicht, das war wichtig: erstens weil das Wasser dort schön warm war "bacherlwarm", und zweitens, weil ja keiner von uns schwimmen konnte. Es waren gelegentlich auch Urlauber aus Wien an diesem Teich, die schwimmen konnten und bewiesen, daß das Wasser - vor allem beim Zapfen (die Stelle, wo der Teich im Herbst zum Abfischen abgelassen wurde) ganz schön tief war. Die kletterten nämlich auf das Holzgestell hinauf und sprangen mit einem Kofsprung in das Wasser - also da waren wir ganz baff! Aber wir waren vorsichtig - oder hatten Glück, denn es passierte nie etwas.

Franz hatte die Bürgerschule besucht - er war in der Schule nicht sehr glücklich - wahrscheinlich dachte er lieber an die Fische und Vögel zu Hause und draußen. Poldi ging in die Realschule und auch ich machte die Aufnahmsprüfung. Nachdem wir in der ersten Klasse Volksschule ein altes Relikt aus der Monarchie als Lehrer gehabt hatten, der anscheinend glaubte, sich bei den Buben (manche waren ja schon wesentlich älter und richtige "Pülcher") durch ein diktatorisches Gehabe durchsetzen zu müssen, war ich ein kleines stilles Mäuschen. Nach einigen Monaten kam aber ein jüngerer Lehrer an die Schule und der alte konnte in den wohlverdienten Ruhestand treten, denn er war ja schon überjährig und nur wegen des Lehrermangels noch beschäftigt worden. Mit Dürmayer, dem neuen Lehrer, begann ein neues Leben in der Schule und ich ging nunmehr gern hin. Der Lehrer hatte eine Gruppe von willigen und aufgeweckten Kindern, mit denen er sich intensiver beschäftigte. Und dazu gehörte auch ich, so daß ich richtige Freude mit der Schule bekam. In der vierten Klasse bekamen wir dann einen sehr lieben Lehrer, Schrom oder Schram - den Namen weiß ich nicht mehr so genau - der mich besonders ins Herz geschlossen hatte. Aber ich brauchte mich überhaupt nicht anstrengen - es fiel mir alles so leicht, daß ich nur aufmerksam zuhören mußte, um es zu erfassen und zu behalten. Diese Eigenschaft ist ja sehr schön - aber in der Mittelschule glaubte ich, daß es so weitergehe und da gab es dann in einigen Fächern ein Erwachen, denn da mußte man etwas lernen! Also, das war eine Überraschung!

Zuerst mußten wir eine Aufnahmsprüfung machen. Das war ja nicht so schlimm. In Rechnen gab es den Professor Eichinger (oder so ähnlich) der die Kinder nacheinander zur Tafel rief. Und wenn dann einer nicht weiterkonnte, dann rief er immer "Kind Gottes". Das beeindruckte mich derart, daß ich es zu Hause Minatante erzählte. Auch die war sehr verwundert und meinte: "Das muß ein sehr frommer Mann sein". (So naiv waren wir alle!)

In der Realschule gab es Realschulklassen, und unsere Klasse war eine "deutsche Mittelschulklasse". Die Realschüler hatten von der ersten Klasse an Französich und von der fünften an auch Englisch und insgesamt sieben Jahre. Die deutsche Mittelschule hatte von der ersten Klasse an Englisch oder von der dritten an Französisch (also zwei Gruppen) und von der dritten an die "Engländer" Latein und die "Franzosen" von der fünften an Latein! Die "Franzosen" hatten in der Zeit, in der die anderen in den ersten zwei Jahren Englisch gehabt hatten einen besonderen Deutschunterricht genossen.(Darum "Deutsche" Mittelschule - eine Versuchsgruppe zu dieser Zeit). In der Maroltingergasse - einem Gymnasium - führten sie eine Gruppe, die ab der 3. Klasse Latein hatten und in der fünften dann Englisch dazubekamen. Von meiner Einstellung zum Lernen habe ich ja schon erzählt, so daß es nicht zu verwundern ist, daß ich mit Französisch auf dem Kriegsfuß stand. Dazu kam, daß wir Kinder hatten, die anscheinend auf diese Hürden vorbereitet waren und - wohl nicht fließend - aber doch so weit französisch konnten, daß uns unbeleckten Ottakringer Buben der Mund offen blieb. Und bei diesen Kindern gab es keine Schwierigkeiten bei der Aussprache, beim Lesen und beim Verstehen. Aber bei mir (und wahrscheinlich auch anderen) waren das ja lauter spanische Dörfer. Dazu kam, daß der Lehrer, Forster, keinerlei pädagogisches Geschick hatte und jeden Fehler, den wir machten, als Bosheit wertete. Wir hatten diesen Menschen auch in Deutsch - und auch da kam ich mit ihm nicht zurecht. Möglicherweise war es die Grammatik, für die ich mich nicht erwärmen konnte. Ich hatte zwar ein gutes Sprachgefühl, da ich sehr viel las, aber Grammatik - das war ja etwas zum Lernen - und dafür hatte ich überhaupt kein Verständnis (und dazu auch keinen Menschen der mir begreiflich gemacht hätte, daß man das ja einmal- zumindest bei Latein - braucht). Ein Sitznachbar, Bergstaller, überredete mich, in den Turnverein (es war der "Deutsche Turnverein") zu gehen. Da ich gerne turnte und in der Schule auch dabei nicht ungeschickt war, ging ich also in den Turnverein. Da gab es einige Riegen und die "Neuen" kamen in die letzte Riege. Das war ja auch richtig, denn man mußte ja erst die Grundübungen am Gerät lernen. Daß man sich aufziehen konnte, war eine Selbstvertändlichkeit - und bereitete auch keine Schwierigkeit. Aber die Kippe am Reck war schon schwieriger. Ich übte fleißig (wir wurden etwas früher in den Turnsaal gelassen) und dabei passierte mir ein komisches Mißgeschick. Da hatte einer die Stange auf die Bolzen gelegt - und ich Unvorsichtiger machte meine Kippe, da hob ich die Stange mit meinem Kippstoß aus ihrer Auflage und plumps - lag ich mit dem Rücken auf dem Boden. Zum Glück - oder als Reflex - hatte ich die Stange mit gestreckten Armen nach rückwärts über den Kopf gehoben, so daß sie hinter meinem Kopf auf den Boden fiel. Von da an war ich etwas vorsichtiger, wenn ich zu einem Gerät ging. In diesem Turnverein waren einige ältere Leute (ich erinnere mich an einen Aistleitner), die sich auch politisch betätigten und später Nazis wurden. Aber wir Buben bekamen davon nichts mit, als daß sie "Julfeste" mit Feuerspringen und solche Sachen trieben. Aber ich hatte nie Gelegenheit, bei einer solchen Veranstaltung dabeizusein. Bergstaller trat dann Ende der vierten Klasse aus und ich ging nicht mehr in den Turnverein. Allerdings kam es mir in Turnen sehr zugute, daß ich am Pferd einige Übungen gelernt hatte und am Bock. Denn Brachtl z.B. hatte riesige Schwierigkeiten mit einer Schere, die er ja als Turnlehrer brauchte, während mir alle diese Übungen ganz leicht fielen (da ich sie in "früher" Jugend gelernt hatte).

In der fünften Klasse schleppte mich Ctveracek (ein guter Freund) zu einer schlagenden Mittelschulverbindung - ich glaube "Markomannia". Dort wurde mit stumpfen Säbeln, einem Stierhelm (Drahtgeflecht als Kopfschutz) und einem wattierten Körperschutz und Handschuhen aufeinander eingedroschen und dazwischen fleißig Bier getrunken und gesungen. Aber diese Phase war bald beendet, da mir dieser Betrieb ganz und gar nicht gefiel. Die Tonangebenden waren ältere Semester, die die Matura in Maturaschulen machen wollten, da sie anscheinend schon zu oft an öffentlichen Schulen durchgefallen waren. Es waren meistens Söhne aus reicherem Haus, hatten relativ viel Geld, wenig Moral und viel Durst. Im Sommer war ich im Ferienheim in St. Wolfgang gewesen - ebenfalls durch Ctveracek veranlaßt, der schon einmal dortgewesen war und daher den Betrieb kannte, d.h. die Schliche, wie man aus diesem "Gefängnis" entweichen konnte. Da zu jeder Mahlzeit ein Zählappell abgehalten wurde, mußten die Tischnachbarn mitspielen und bei Aufruf der Nummer (ich glaube, ich hatte 425) "hier" schreien. In diesem Ferienheim wurde auch Leichtathletik betrieben (um Baden gehen zu dürfen, mußte man eine Schwimmprüfung ablegen, die ich ja bestand - aber der See ist so kalt, daß wir nicht oft sehwimmen gingen) und gegen Ende der Ferien gab es eine Prüfung mit Preisen. Die Prüfungen waren auf Grund des Jahrganges eingeteilt, so daß ich als Jänner-geborener bestimmt einen Vorteil hatte. Aber das Ergebnis, daß ich unter 540 Buben den vierten Platz erreichte, war für alle eine Überraschung - auch für mich. Wir waren 100 m gelaufen, vom Stand und mit Anlauf weit gesprungen, hatten Hochsprung und Schlagballwerfen. Die ersten drei waren richtige Sportstudenten - die Sportstudenten waren gleichzeitig Erzieher und Stubenälteste - sie hatten aber auch natürlich entsprechend ihrem Jahrgang viel bessere Leistungen zu erbringen. Aber ich hatte es nun schwarz auf weiß, daß ich ganz gut sei! In der Bücherei des Ferienheimes entdeckte ich "Ariane" von Claude Anet - in französischer Sprache. Da ich kein Wörterbuch mit hatte, war es anfangs etwas schwierig zu lesen - aber bald hatte ich mich eingelesen und einige Worte, für die ich keine Übersetzung wußte, waren doch aus dem Sinn heraus verständlich, so daß ich auch noch neue Vokabeln lernte. Daß mir die Art der Sprache, des Stils mit dieser Lektüre "einging" merkte ich dann in der Schule, als ich mich gewandt ausdrücken konnte (Französisch!), daß unser guter Professor nur so schaute. Und plötzlich verschwand unser Professor. Wir erfuhren nie den Grund - aber es wurde gemunkelt, er habe eigentlich nicht alle Prüfungen gehabt und hatte sich die Stelle irgendwie erschwindelt. Der neue Lehrer, ein Jude, der aber eine Zeit lang in Frankreich gewesen war, hatte eine ganz andere Methode, uns die Sprache näher zu bringen. Als erstes erklärte er uns, daß die Franzosen wesentlich schneller sprechen als wir, also mußten wir schnell sprechen - wie ein Maschinengewehr. Dabei kam es ihm gar nicht so sehr auf die Grammatik an als auf die Geschwindigkeit. Das war natürlich auch lustiger urd wir lernten bei ihm wesentlich mehr als bei den früheren Lehrern. Dann brachte er uns Zeitungen mit, in denen von Expeditionen der Franzosen durch die Sahara und anderen aktuellen Ereignissen berichtet wurde, so daß uns die Französischstunden interessierten. Dann überredete mich einmal Schuster - unser Klassenbester - mir etwas im Ottakringer Volksheim (Abendkurse) anzuhören. Dort wurden Vorlesungen über alle Gebiete gehalten: von Mathematik oder Latein bis Literaturgeschichte und Philosophie, aber auch praktische Übungen in Handfertigkeit oder Turnen - einfach alles.Ich hörte dort also in 3 Jahren (6 Semestern) über Spinoza, Kant, Hegel, die Relativitätstheorie, über Geschichte, Literatur, aber auch Freud und Adler Vorlesungen. Man mußte inskribieren und auch etwas dafür bezahlen - wenn man aber in eine andere Vorlesung ging, kontrollierte niemand. Aber dazu hatte man ja selten Zeit, da der Stundenplan ja immer voll war. Einmal schleppte mich Schuster (es sollte eine "Hetz" sein) in eine Lateinvorlesung mit. Die hatten ihren Cäsar und der Professor ließ natürlich auch die neuen Hörer übersetzen. Ich hatte ja keine Ahnung davon gehabt - es war aber auch eine Stelle, die wir im Unterricht nicht durchgemacht hatten - und ich hatte Mühe, mich dort nicht zu blamieren. Aber es ging dann gerade noch! Im Volksheim hörte ich auch über die Religionen der Welt und Religionsgeschichte und da ich in diesen Jahren in der Pubertät war und mein Widerspruchsgeist dadurch ganz besonders hervortrat, hatten es unsere Religionslehrer mit mir gar nicht leicht. Lange Jahre nach dem Krieg, als Gerda denselben Lehrer in der Mittelschule hatte, fragte dieser Mann Mama (anscheinend war sie bei einem Sprechtag gewesen) was mit mir sei. Als der hörte, daß ich verheiratet sei und Kinder habe, war er sehr erstaunt - ich glaube, er hielt mich für einen Antichrist auf Grund meiner Einstellung in der Schulzeit.

Nach Weihnachten 1931 kam ich dann durch Pretl ins Studentenheim Kirchstetterngasse. Dort war eine ganz gemischte Gesellschaft: Untermittelschüler, die von Raschendorfer geführt wurden (wie die Wölflinge), Mittelschüler und Studenten. Es gab ein Lesezimmer, in dem fast alle Wiener öffentlichen Zeitungen auflagen und ein Studierzimmer, in dem meistens Mediziner ihren anatomischen Atlas büffelten. Techniker waren in der Minderzahl, dagegen gab es einige Juristen. Diese Studentenheime gab es fast in jedem Bezirk - aber bei uns waren auch viele Hernalser, so daß ich annehmen muß, daß dort keines bestand. Meistens gab es Donnerstag Abend einen Vortrag eines Fachmannes oder eines Politikers: ich erinnere mich an einen Prof. Jelinek über Erste Hilfe bei Ertrunkenen, Dr. Körner über den Juli-Aufstand 1927 oder Dr. Tschadek über irgend ein Thema, dann wieder ein Bericht über Rußland usf. Es bildeten sich Paare, z.B. Brachtl mit Poldi oder Scholz mit Hilda (die dann nach England emigrierte, da sie Jüdin war - und dann kam Ilusz) oder Hatschi (Jellinek) mit Elsa (ging ebenfalls nach England) usf. Mit 16 hatte ich zu Weihnachten Schi bekommen (bei Schuh in Ottakring gekauft) und im Februar gab es dann einen Mittelschüler-Skikurs in Radstadt im Schloß Tantalier. Es wurde weniger gefahren, als in Reih und Glied mit Skiern an den Füßen Freiübungen gemacht und ein wenig herumgegangen. Der Abschluß war ein kleiner Hang, auf dem wir einen Bogen fahren sollten. Manchmal glückte mir ja der Bogen, aber bei dieser "Prüfung" riß ich einen Stern. Trotzdem hatten wir einige Sicherheit auf den Brettern gewonnen, denn im Wienerwald war ich dann nicht mehr ganz und gar ungeschickt. Meine ersten Übungen gleich nach Weihnachten in Neuwaldegg waren ja gar zu kläglich ausgefallen! Pretl war schon weiter, der war mit den Mittelschülern auf einer Schihütte gewesen und hatte mir ein Jahr voraus. Mit ihm und gelgentlich Pedoth oder Gschnait wanderten wir dann von Neuwaldegg aus in den Wienerwald zum Toten Norweger (dort hatte ein Wiener Ski-Klub ein Rennen ausgeschrieben, zu dem auch Skifahrer aus Norwegen gekommen waren. Und weil diese Strecke in den Augen der Wiener so überaus schwierig war, waren sie überzeugt, daß sich da die Norweger "dastössen" würden - also nannten sie die Wiese gleich "zum toten Norweger") oder über die Kreuzeichenwiese zur "Hohen- Wandwiese", die ins Wiental nach Mauer führt. Meistens waren die Wiesen ordentlich abgefahren, so daß wir nur sehr selten ungespurt fahren konnten. Daher ging es auch oft durch den Wald - und da mußte man schon etwas besser fahren können, um den vielen Bäumen auszuweichen. Eine beliebte Strecke war auch vom Hermannskogel durch den Wald oder auf den vereisten Wegen, in denen Steine aus dem Eis herausschauten, daß in der Dämmerung (wir fuhren bis in die Nacht hinein) beim Drüberfahren, als wir später schon Kanten hatten, die Funken flogen.

In der vierten Mittelschulklasse hatte ich Tierarzt werden wollen. Etwas später war es für mich feststehend, daß ich Förster werde. Den Tierarzt hatte mir Mama verleidet. Sie war so sehr von dem Gedanken an Sicherheit versessen, daß sie mich schon als Amtstierarzt in St. Marx sah. Das waren für sie Götter, da sich nach deren Wink das Geschehen auf diesem riesigen Viehmarkt (1.200 bis 1.500 Stück Rinder und 15.000 bis 17.000 Stück Schweine wöchentlich) abspielte. Aber ein gewisser Widerspruchsgeist oder eine Abneigung gegen einen beamteten Tierarzt (ich sah noch immer den Beschautierarzt mit seiner Milchkanne vor meinen Augen, wie er unpersönlich und rasch, rasch sich die Lungen und Herzen zeigen ließ, einen Schnitt in die Schlegel machte, um die Trichinen zu kontrollieren - und schon wieder mit der vollen Milchkanne draußen war) ließen mir den Förster, der ja auch immer ein Bubentraum ist, wesentlich begehrenswerter erscheinen. Und dann bekam ich einmal das "Mondtal" von Jack London in die Hand - und ab da war ich Feuer und Flamme für die Landwirtschaft. Eigentlich hätte mich ja Medizin brennend interessiert - aber allein aus unserer Klasse war mehr als die Hälfte für Medizin. Und dann gab es bereits eine Schwemme von Medizinern (ein Theaterstück wurde aufgeführt: "Herr Doktor, haben sie zu essen?"), so daß man nur mit großer politischer Protektion (glaubte ich damals) eine kleine Chance hatte - und dagegen war ich zu dieser Zeit - und auch später noch - ganz heftig. (Bis ich der Wirklichkeit in die Augen sehen mußte!) Meine Überlegung war nun: Essen muß der Mensch immer! Daher entschied ich mich für die Landwirtschaft, denn die war ja die Grundlage für die Nahrungserzeugung! Aber zuerst mußte die Matura erledigt werden. Die Frage der mündlichen Prüfung löste ich auf meine Art: ich nahm mir die Fächer, in denen ich besonders gut war. In Latein hatte ich in der letzten Zeit immer ein Gut gehabt, in Darstellender war ich der Beste und Propädeutik (Philosophie) lag mir ebenfalls sehr (da hatten wir den Obermeier - einen ganz lieben Kerl, der auch Chemie unterrichtete und sehr viel auf mich hielt). Fast hätte uns Thaler, der Mathematiker, einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn bei der Schriftlichen in Mathe hatte mehr als die Hälfte der Klasse keine positive Note. Die Prüfungskommission setzte dann die Noten fest und so bekam auch ich noch ein "Genügend". Aber der Kerl hatte auch Beispiele gegeben, die es in sich hatten. Für die Maxima- Minima hatte er höhere Potenzen angegeben als wir rechnen konnten. Er glaubte, wir wären so schlau, für ein Quadrat oder einen Kubus eine neue Unbekannte einzusetzen, so daß dann die Aufgabe lösbar sei. Aber kein einziger von uns 15 war so schlau gewesen. Und da es auch die anderen Beispiele in sich gehabt hatten, waren eben so viele Fleck möglich. In Deutsch bekamen wir ein Thema über den großen Andrang an die Hochschulen. Natürlich erwarteten sie sich, daß wir dagegen seien (weil ja die große Konkurrenz eine Verschlechterung der Situation für alle bedeutet). Aber mein Widerspruchsgeist hielt eine flammende Rede gegen diese Ansicht, denn nur durch die genügende Konkurrenz wäre gewährleistet, daß die Tüchtigsten sich durchsetzten und damit den Fortschritt bewirkten. Wir hatten zu unserem Leidwesen den Flesch verloren und wieder den verknöcherten Panek bekommen. Der war nun über diese Ansichten ganz und gar nicht begeistert (vielleicht fürchtete er, daß man zur Ansicht käme, daß er solche aufrührerische Gedanken in die jungen Gehirne pflanze!) - aber die Kommission (ich weiß nicht, ob sie die Arbeiten liest) fand anscheinend nichts dabei und ich bekam mein "Gut" in Deutsch. Im Herbst ging ich also Inskribieren auf die BOKU. Da keiner meines Jahrgangs mitging, war ich dort allein. Eine Zeitlang versuchte es Raschendorfer, den ich vom Heim her kannte - aber er gab es bald auf, als ein wenig Chemie gefragt war und zwar eine Vorprüfung für die chemischen Übungen. Im ersten Semester waren es qualitative Bestimmungen. Die mußte man in der vorgegebenen Zeit positiv erledigen. Hatte man einen Fehler, so mußte wiederholt werden und die Note wurde entsprechend festgesetzt (was dann wieder bei der Chemieprüfung eine Rolle spielte). An der Hochschule gab es eine Unmenge von Übungen, jeden Nachmittag und auch am Samstag Vormittag. Da die Vorlesungen den ganzen Vormittag ausfüllten (es gab ja auch noch Freifächer dazu) war ich den ganzen Tag auf der BOKU. Wann sollte man da für eine Prüfung lernen? Zum Glück gibt es relativ lange Ferien - aber da mußte man mindestens sechs Monate Ferialpraxis und vier Wochen Anbaupraxis für die Staatsprüfungen vorweisen. Da wurde nun von den Einzelnen genau ausgewählt, was man streichen konnte, d.h. die An-Testur wurde in den ersten Stunden geholt, dazwischen mußten sie sich ein paarmal blicken lassen und dann bekam der Pedell am Ende des Semsters das Meldebuch in die Hand gedrückt: der Professor wird schon unterschreiben. Ich bin da vielleicht zu naiv oder zu ehrlich - also besuchte ich auch die Vorlesungen eines Monarchisten Zessner-Spitzenberg (ein Baron) über Jus (Allgemeines bürgerliches Recht und dann Verwaltungs- und Verfassungsrecht). Dabei waren wir oft nur drei Hörer! Inskribiert hatten aber über 80 Landwirte und je 30 - 40 Forstwirte und Kulturtechniker. Mit denen hatten wir einige Vorlesungen gemeinsam, z.B. Chemie, Allgemeine Botanik, Allgemeine Maschinenkunde usf. Die Wahlfächer, z.B. Vermessungswesen (für die Forstwirte und Kulturtechniker Pflicht), Bienenkunde, Weinbau usf. wären ja auch interessant gewesen (waren Wahlfächer) - aber wenn man dann für eine Prüfung lernen wollte, mußte man darauf verzichten. Ein paarmal habe ich mich in die Vorlesung gesetzt - aber es ging eben nicht.

Im zweiten Semester kam dann Blamauer zu uns (er war in der Realschule gewesen, hatte nur sieben Jahre gehabt, hatte dann Jus inskribiert und war jetzt bei uns). Er war bei einer schlagenden Verbindung und hatte schon einige Schmisse im Gesicht. Nach dem Krieg war er einigemale bei mir in Bruck, da er bei den Stickstoffwerken die Abteilung für Feldversuche führte.

Im Sommer 1933 hatten wir - begeistert durch die Schilderung vom "Langen" (Mitschke) über eine Reise ans Schwarze Meer nach Varna - die gleiche Fahrt mit der Zille nach Russe (Ruscuk) und mit der Bahn nach Varna geplant. Wir, das waren Pretl, Fritz Redlich (sein Vater war 1917/18 Regierungschef gewesen) und ich. Redlich war ein älteres Semester (Medizin) und Pretl war ebenfalls Mediziner. Redlich hatte die Aufgabe, in O.Ö. die Zille zu kaufen und sie dann in die Lobau zu bringen. Dort wollten Pretl und ich zusteigen. Es hatte stark geregnet und die Donau führte Hochwasser. Redlich war mißmutig wegen des Wetters, aber unsere Stimmung heiterte ihn auf. Wir beluden die Zille mit unseren Rucksäcken, stellten in der Mitte ein Zelt auf und es ging dahin - zum Schwarzen Meer! Ich war noch nie mit einer Zille gefahren (sie sind schwieriger als ein Ruderboot zu steuern), aber das sollte doch keine Schwierigkeit sein. Die Donau ist ja soo breit! Es gab ja wenig Schiffe auf dem Strom, also was sollte da schon passieren? Dazu gab es allerhand zu sehen: Kormorane, Reiher auf den Bäumen am Ufer, Wildenten in Scharen - da war das Hochwasser bald vergessen. Dazu kommt, daß man in einem fahrenden Schiff gar nichts von einer Strömung bemerkt, nur wenn man auf das Ufer schaut. Und wenn dann das Ufer weit genug weg ist, dann ist auch die Geschwindigkeit nicht mehr bedrohlich! Die Geschwindigkeit der Donau ist bei Wien ca. 10 km/h. Aber wir hatten ein Segel gesetzt (und Hochwasser) und machten 20 km. Am Ufer sind ja km-Steine gesetzt, so daß man ganz genau die Strecke bemessen kann. Pretl und Redlich räumten im Zelt um und unser Boot trieb immer weiter zum rechten Ufer. Da wir ja keine Eigenbewegung (das bißchen Wind!) hatten, war eine Lenkung nur durch das Rudern zu erreichen. Ich ruderte also verzweifelt, um wieder in die Mitte des Stromes zu kommen. Bei Petronell sind Steindämme, die den Strom vom Augebiet abgrenzen (und bei Normalwasser auch trennen). Jetzt waren aber diese Dämme überflutet, d.h. das Wasser strömte wie bei einem Wasserfall über diesen Steindamm in die Au. Auf diesem Damm wachsen auch einzelne Weiden. Und wir näherten uns immer mehr diesem Wasserfall mit den Weiden und da krachte auch schon das Boot breitseitig gegen eine Weide und kippte um, so daß das Wasser in das Boot schoß und alles Bewegliche mit sich riß. Durch den Anprall waren wir alle drei ins Wasser geflogen und schwammen wieder stromabwärt zum Damm, der unterhalb erhöht ist und aus dem Wasser ragte. Auf dem Damm gingen wir stromaufwärts, sprangen in den Seitenarm, schwammen in Richtung Ufer, wo das Wasser ruhig war, schwammen dann stromaufwärts in Richtung Steindamm und dann zum Boot, an dem wir uns anklammerten und in das wir dann kletterten (wobei auch die Weide als Hilfe herhalten mußte). Das Zelt war zerrissen, was nicht in den Rucksäcken war, war fortgeschwemmt, nur die Rucksäcke waren noch da. Jeder nahm seinen Rucksack, um schwimmend den Arm zu überqueren und das Ufer bei Petronell zu erreichen. Das Ufer ist mit Weiden bewachsen, die nun bei Hochwasser teilweise im Wasser standen und die Äste ins Wasser tauchten. Die Rucksäcke wurden beim Schwimmen immer schwerer und beim Ufer war es kritisch, da die ins Wasser tauchenden Äste den Schwimmer, der durch die Strömung nicht viel Möglichkeiten zum Ausweichen hatte, unter die Oberfläche drücken konnten. Ich hatte den Weg schon einmal gemacht, da ich den Schwimmsack, in dem wir Paß und Wertsachen verwahrt hatten, bereits ans Ufer gebracht hatte. Mir war es daher nicht besonders gefährlich und schwierig erschienen, die Rucksäcke an Land zu bringen. Aber Redlich, kein so guter Schwimmer, kam unter die Weiden, wurde untergetaucht und verlor seinen Rucksack. Wir versuchten es dann einigemale, durch Tauchen diesen Rucksack zu finden - vergeblich! Und dabei hatte Redlich in seinem Rucksack ein Buch über Patho, das er ausgeborgt hatte (und das sehr teuer war)! Pretl und ich waren wahrscheinlich bessere Schwimmer und retteten unsere Rucksäcke an Land. Wir versuchten nochmals, Redlichs Rucksack zu finden und tauchten in dem trüben Wasser auf den Grund, aber er war bestimmt mit der Strömung weitergetrieben und wir fanden ihn nicht. Redlich war in einer schwierigen Situation, also legten wir unsere Barschaften zusammen und teilten redlich durch drei, damit er wenigstens das Buch ersetzen konnte. Zunächst aber wanderten wir durch die Au nach Petronell. In dieser Au gab es einen Dschungel von mannshohen Brennesseln (so etwas hatte ich noch nie gesehen, solche Kaliber) und da mußten wir durch - dabei waren wir in Badehosen und hatte sonst nichts an. Also abenteuerlich! Aber nach dem Bisherigen konnte uns nichts mehr erschüttern. In Petronell marschierten wir auf die Gemeinde und klagten dort unser Leid, d.h. wir ersuchten, uns zu helfen, das Boot wieder flott zu kriegen. Die Leute auf der Gemeinde waren gar nicht so erstaunt über unser Schicksal, so etwas passierte wohl öfter. Ein junger Mann fuhr dann mit uns mit einer Zille in dem Seitenarm zur Unglücksstelle und wir versuchten, das Boot an einem Seil von dem Steindamm und der Weide loszubekommen. Der Druck des Wassers, das in das aufgestellte Boot trieb, hatte schon einen Teil der Wand eingedrückt, so daß es auch dann, wenn wir es flott bekommen hätten, nicht mehr in diesem Zustand zu gebrauchen war. Da wir es auch nicht von der Weide herunterbekamen, gaben wir es auf. Die Gemeinde war großzügig und gewährte uns Quartier im Gemeindekotter. Dort packten wir unsere Rucksäcke aus und hingen im Freien die Kleidersachen zum Trocknen auf. Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg nach Hause, d.h. wir marschierten auf der Straße Richtung Wien. Nach Deutsch-Altenburg steigt die Straße an und da kam uns ein mit Schotter beladener Lastwagen nach. Da er bergauf langsam fuhr, rannten wir nach und kletterten auf dieses Gefährt. So ging es bis Schwechat. Dort sprangen wir ab und liefen zur Straßenbahn. Redlich hatte ja auch keine Schuhe, also mußte er billige Turnschuhe kaufen, da er sich barfuß nicht vor seinem Vater sehen lassen wollte. Er wohnte in der Lerchenfelderstraße und da sprang er dann von der Straßenbahn ab, damit ihn nicht viele Leute sehen konnten, wenn er so nach Hause kam und stürmte ins Haus.

Papa bezweifelte stark meine Erzählungen von unserem Unglück und unterstellte, wir hätten das fehlende Geld im Prater mit "Frauen-zimmern" durchgebracht.

Ich wanderte in die Werdertorgasse zu den sozialistischen Studenten, um eine Ferialpraxis zu ergattern und fand eine in der Landwirtschaft des Erziehungsheimes der Gemeinde Wien in Eggenburg. Von Anfang August bis 15.Oktober war ich also "Nachsteher" bei den Feldarbeiten von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends. Meine Familie besuchte mich einmal und brachte mir das Fahrrad mit (an der Außenseite des Autos festgezurrt, nachdem ein Pedal abgeschraubt war, damit es am Wagen glatt anlag). So konnte ich am Sonntag in der Gegend umherfahren. Ich hatte im Verwaltungsgebäude ein Zimmer und bekam mein Essen zusammen mit den Erziehern, hatte aber überhaupt keinen Kontakt mit einem von diesen Leuten außer mit dem Verwalter, und der wohnte irgendwo außerhalb. In der Landwirtschaft, die neben der Erzeugung von Lebensmitteln für die Anstalt auch als Beschäftigungstherapie für ältere Zöglinge diente (es gab fünf Paar Pferde und fünf Zöglinge als Kutscher), wurden die Arbeiten unter der Aufsicht von Erziehern auf dem Feld und im Stall durchgeführt. 1932/33 ging es auf der BOKU ziemlich wild zu. Alle Parteien waren noch erlaubt, aber die BOKU war eine Domäne der Nazis. Einmal stand der Rektor in der Früh in der Aula, es wurden von Nazis Reden gehalten (aus irgend einem Anlaß) und dann das Deutschlandlied gesungen, und unser Rektor erhob die Hand "zum Gruß". Wir konnten nicht in die Hörsääle, weil die ganze Aula verstellt war, und mußten uns das anhören. Im Juli 1933 hatte ich schon die Allgemeine Maschinenkunde gemacht und nach den Ferien (Praxis) nahm ich Chemie in Angriff. In der Mittelschule hatten wir einen guten Lehrer gehabt und hatten die Grundbegriffe gut gelernt, so daß es mir auf der Hochschule relativ leicht fiel. Aber es ist ja ein großer Stoff und man muß es auch exakt lernen; ein Drüberschwindeln gibt es da nicht. Am 13.12.33 traten wir an. lch hatte eine Zeit lang mit Buskasz, dem Sohn eines Weinhändlers in der Heiligenstädterstraße (Jude) gelernt. Prof. Stritar nahm immer zwei oder drei Kandidaten in sein Arbeitszimmer (das war seine "Öffentlichkeit"), so daß man nicht mitbekam, wie er prüfte und was sein Steckenpferd war. Nach der zweiten Partie kam er heraus und meinte: "Kollegen, ich meine es gut mit ihnen, treten sie zurück. Die Kollegen vor ihnen sind alle durchgefallen, verderben sie sich nicht die Weihnachten - treten sie zurück". Wir zwei blickten uns an und sagten dann: nein, wir treten an. Und dann kam die Überraschung: ich bekam ein Vorzüglich und Buskasz ein Sehr gut und der gute Professor Stritar (sein Vorname war "Milan" - ein Ungar?) hatte auch seine Weihnachtsfreude. Vor Weihnachten bekam ich dann noch das Zeugnis (20.12.), das ja nicht gleich ausgestellt wurde und vom Rektor noch unterschrieben und in irgendwelche Bücher (wegen der Staatsprüfung?) eingetragen werden mußte. Und dieses Zeugnis legte ich dann unter den Christbaum. Die Überraschung war vollkommen, da ja alle nach meinem Lernen und anschließendem Schweigen über das Ergebnis geglaubt hatten, daß ich durchgefallen sei. Und dann gings wieder fort zum Skifahren nach Terfens-Weer in Tirol. Weihnachten 1932 waren wir auf der Fanninghöhe ober Weißbriach gewesen, zu Ostern auf der Elmau-Alm zwischen Mühlbach am Hochkönig und Zell/See, zu Pfingsten im Toten Gebirge und nun waren wir in Tirol. Die Hütte lag im Wald an einem Waldweg, auf dem von den Almen das Heu und aus dem Wald das Rundholz mit Schlitten zu Tal gebracht wurde. Über diesen Weg führte uns der Weg hinauf in Almgebiete und auf den Hierzer, einen höheren Berg, an dessen Namen ich mich noch erinnere. Ich lernte fleißig, hatte 1933 schon 5 Prüfungen gemacht und hatte anfangs Februar Geognosie abgelegt, als der Schutzbundaufstand losging. Das waren aber nur ein paar Tage und unterbrach mein Lernen für Botanik (ein umfangreiches Gebiet, da wir Allgemeine und Botanik für Landwirte mit Übungen hatten). Ein Pedell hatte Pflanzenpräparate (getrocknete Blüten und Blätter) zu Hause (da er wahrscheinlich die Präparate anfertigte, waren sie den bei der Prüfung vorgelegten sehr ähnlich) und bei dem machten wir im 10. Bezirk einen Kurs. Ende Februar machte ich meine Botanikprüfungen auf Vorzüglich. Der Februar 1934 hatte mir einen gewaltigen Ruck gegeben: bisher hatte ich geglaubt, das Fortkommen könne irgendwie leichter sein, wenn man sich an eine Institution anlehne (die meisten Mediziner waren bei dieser Studentengruppe, weil die Stipendien und die Famulierplätze von der Gemeinde Wien an gleichgesinnte - oder organisierte - Studenten vergeben wurden) und ich hatte ja auch bei der Praxis in Eggenburg gesehen, daß es mit dieser Einrichtung leichter geht. Aber jetzt kam die Ernüchterung: was zählt, ist die eigene Leistung. Umso mehr also mußte ich mich dahintersetzen und lernen. Die Botanik war ein Ansporn. Dabei war es gar nicht so sehr die allgemeine Botanik als die spezielle. Daß man die Kulturpflanzen alle bis zum Saflor und solche ausgefallene Dinge kennen mußte, war ja nicht so schwierig - aber die Unkräuter und Ungräser - überhaupt diese Gräser! Dazu mußte man natürlich alles über die Blütenstände, Staubgefäße usf., die Fortpflanzung (durch Samen, vegetativ mit Ausläufern usf.) und womöglich die Nützlichkeit für Mensch und Tier, also die Kulturpflanzen, ihre Herkunft, Verwandtschaften usf. wissen. Nachdem ich 1934 acht Prüfungen abgelegt hatte, erhielt ich im Dezember das Staatsprüfungszeugnis für die "Erste". Zu Ostern war ich mit Pretl auf der Schneealpe gewesen, wobei wir schlechtes Wetter hatten. Das hatte aber auch seine guten Seiten, denn auf der Hütte (Selbstversorger) gab es kein Wasser, so daß wir Schnee schmelzen mußten, wenn wir nicht aus den Pfützen schöpften - das war aber manchmal ganz bitter! Nach dem Februar 1934 war das Heim gesperrt worden und die Leute verliefen sich. Z.T. war es ja auch nicht mehr so interessant, denn die Hospitierposten wurden ja jetzt von anderen Leuten vergeben, und auch die Stipendien der Gemeinde Wien. Die Leute verliefen sich also, aber ich blieb in Verbindung mit Pretl, Scholz, Hansi Schiffmann, Harrer und Brachtl. Wir trafen uns in einem Verein "Settlement" zu Vorträgen, aber es waren viele Fremde dort und außerdem war ich durch Lernen und Praxis zu Ostern und im Sommer oft nicht in Wien. Die Anbaupraxis machte ich im Frühjahr 1935 in der Versuchswirtschaft der Hochschule in Groß Enzersdorf, die war nämlich eine Voraussetzung für die Zweite Staatsprüfung. 1935 machte ich 10 Prüfungen, also ganz schön. Zu Weihnachten 1935 machten wir wieder unsere "Ski-Kolonie", diesmal in Saalbach. Wir waren bei einem Bauern auf der Nordseite des Tales in Richtung Hinterglemm untergebracht. Zu Ostern machte ich mit Scholz und einem Physiker (den Namen weiß ich nicht mehr) von Mallnitz aus auf den Hochalmspitz und Ankogel eine Schiwanderung. Wir wollten dann zurück nach Mallnitz oder Gastein. Wir waren auf einer Selbstversorgerhütte, als es zu schneien begann. Am nächsten Tag wollten wir über eine Scharte hinüber nach Gastein. Als wir mit unserer Tour begannen, hatten wir herrlichen Sonnenschein. Und nun begannen nach dem Schneefall von den Hängen rund um die Hütte und natürlich auch von dem Gebiet, über das wir aufsteigen wollten, die Lawinen herabzurauschen. Leider geht so etwas nicht mit einem Ruck - denn dann könnte man ja auf dem von Neuschnee befreiten Gelände schön aufsteigen. Aber so rauschte es rundherum - aber eine freie Fläche zum Sattel, über den wir hinüber ins Gasteiner Tal wollten, zeigte sich nicht. Wir hatten ein Seil mit - wegen des Gletschers auf der Hochalmspitze und dem Ankogel - und ich erbot mich, angeseilt aufzusteigen und die Lawinen loszutreten. Die Kameraden sollten mich sichern, falls ich unter den Schnee kam. Da hätten sie mich am Seil bald heraußen gehabt. So wollte ich Stück für Stück zur Scharte kommen. Auf der drüberen Seite meinte Scholz, ist es nicht so steil, also nicht so gefährlich. Aber nach einer Beratung wollten die zwei doch nicht dieses Risiko eingehen und so mußten wir durch das Maltatal hinaus nach Spittal a.d.Drau, denn Scholz hatte nur mehr ein oder zwei Tage Urlaub. Der Weg war überhaupt nicht begangen worden, aber es fließt ja ein Wasser hinaus, also konnten wir das Ziel nicht verfehlen. Im Almgebiet ging es flott und gefahrlos dahin bis wir in den Wald und da zum "blauen Tumpf" kamen. Das ist ein steilwandiger Kessel, in den das Wasser in einem Wasserfall in den "Tumpf" stürzt. Der Weg ist in den Felsen gesprengt, so daß darüber der Felsen hinausragt. Zuerst versuchten wir, diese Stelle oberhalb zu umgehen. Aber diese Sprengungen waren nicht nur aus Fremdenverkehrs-Gründen gamacht worden, sondern weil man, vor allem im Winter, in diesem felsigen Gebiet keinesfalls über diese Stelle hinwegkam. Die Stelle war deshalb so kritisch, weil der Weg, d.h. der Einschnitt in die Wand mit Schnee bis hinauf angefüllt war. Ich besah mir die Situation und bemerkte, daß durch die Erwärmung des Gesteins bei Sonneneinstrahlung der - im übrigen eisharte - Schnee am oberen Rand etwas abgeschmolzen oder abgesunken war, so daß man mit den Händen in einen Spalt greifen konnte. Da der Schnee beinhart war, konnte man sich sogar daran halten - wenn nur kein Zug darauf kam! Ich machte also den Vorschlag, wenn sie mich ordentlich am Seil hielten, an der Außenseite dieser Galerie um den "blauen Tumpf" herumzuturnen und die Kameraden dann mit dem Seil, von meiner Seite gesichert, nachkommen zu lassen. Da keine andere Möglichkeit bestand und Scholz ja unbedingt nach Wien kommen mußte, wurde es so gemacht. Wenn ich geflogen wäre, wäre ich halt in den blauen Tumpf, also ins Wasser, gefallen und hätte mich auch an den Felsen ordentlich angeschlagen - aber es ist alles gut gegangen und wir schritten ordentlich aus, denn der Weg (wir sagten zu so etwas immer "der Hatscher") bis zum Pflüglhof ist ganz schön weit. Von dort gibt es eine Straße und wir fuhren mit dem Autobus nach Spittal. Dort stiegen meine Kameraden in den Zug nach Wien und ich fuhr nach Zell am See, da ich den Pinzgauer Spaziergang machen wollte, um mich am übernächsten Tag mit Pretl und den anderen Kameraden zu treffen. Wir wollten auf eine Hütte auf der Gerlos. In Zell am See beeilte ich mich, um noch vor dem Finsterwerden auf die Schmittenhöhe zu kommen. Dort hatte man mir geraten, das Übernachtungsgeld herabzuhandeln mit der Drohung, wieder abzufahren. Es gelang, ich zeigte mich aber weder am Abend noch in der Früh im Gastzimmer, da ich eisern sparen mußte. Frühmorgens ging es dann auf den "Pinzgauer Spaziergang", d.i. eine Wanderung über die Höhen nördlich der Straße. Die Berge sind so um die 2.000 m hoch, also waldfrei und man geht einmal mit den Fellen ein paar hundert Meter hinauf, dann wieder eine Abfahrt - und hat dabei einen guten Ausblick ins Tal, so daß ein Eingeweihter immer gewußt hätte, wo er gerade war. Ich habe bewußt "Eingeweihter" gesagt, weil ich trotz einer Wanderkarte bald nicht mehr wußte, wie weit ich schon war. Dazu kam, daß mir die Geschichte etwas verleidet wurde, da ich bei einer kleineren Abfahrt ein Schneebrett lostrat. Ich fiel dabei mit dem Kopf nach unten - hatte aber Glück, daß ich mit den Skiern irgendwie hängen blieb und der Schnee vor mir hinabrauschte. Zufällig kam unten ein Skifahrer vorbei (es war übrigens das einzige Lebewesen, das ich auf der ganzen Wanderung sah!) und rief herauf :"Glück gehabt". Ich fuhr also ab und kam nach Uttendorf, wo ich noch einmal übernachtete. Am nächsten Tag marschierte ich im Tal (Ski-Langlauf) ca. 20 km nach Neukirchen am Großvenediger. Ich wußte die Ankunftszeit des Zuges und war ganz knapp dran - aber ich hatte ein fürchterliches Bauchweh und mußte dringend das Klo suchen. Zum Glück war es offen und ich wurde meine Beschwerden los. Inzwischen war aber auch schon der Zug eingefahren und als ich angezogen war, standen schon alle in einer Gruppe beisammen und hielten nach mir Ausschau, denn ich sollte sie ja erwarten (und dann war ich der letzte). Wir zogen also auf eine Hütte auf der Gerlos - aber da war nicht viel los. Das Gebiet ist eher für Wiesenrutscher als für hochalpine Skifahrer. Ich hatte mit Pretl vereinbart, auf den Großvenediger zu gehen. Also brachen wir am nächsten Tag auf und marschierten bis zur Kürsingerhütte. Dort übernachteten wir und am nächsten Tag ging es auf den Venediger. Mit Fellen ist es, vor allem im Tiefschnee, ganz schön mühsam, über mehr als 1.000 m aufzusteigen. Dazu war der Schnee wechselnd, wie es ja an windausgesetzten Stellen im Hochgebirge zu erwarten ist. Bei der Abfahrt war das Licht diesig und diffus, es war direkt eine langweilige Sache, denn es ging auf dem Gletscher ohne Hindernis oder Abwechslung dahin und infolge des komischen Lichtes konnte man kaum die Geschwindigkeit erkennen. Da passierte es, daß ich flog (das war zu dieser Zeit schon eine Seltenheit) und als ich aufstand, war eine Skispitze ab. Sie hing noch an den Metallkanten, stellte sich aber bei dem kleinsten Hindernis auf. Also mußte ich sie mit einem Stock niederhalten - das nahm mir ein wenig von der Freude an der Abfahrt. So kamen wir also zurück mit einem gebrochenen Ski. Irgend ein versierter Freund machte dann eine Bandage aus dem Blech einer Kondensmilchdose, und so konnte ich die restlichen Tage noch fahren. Zu Hause ließ ich mir eine Spitze anschiften - aber es gab dann nicht mehr viel Gelegenheit zum Skifahren.

Der Februar 1934 hatte den CV gestärkt (d.h. es waren viele aus Opportunität dort eingetreten) und der Juli 1934 die Nazis, die auf der Hochschule das Sagen gehabt hatten, stark gedämpft und zum Teil auch nach Deutschland vertrieben. Auch bei den Professoren gab es Änderungen, denn Kölbl (ich hatte meine Prüfungen schon gemacht) z.B. ging als Nazi nach München und wir bekamen (zum Austausch?) den Nicht-Nazi Amschler aus München. So verschwanden mehrere Professoren - über die Qualität kann ich nichts aussagen - aber was nachkam, war bestimmt nicht besser, sondern höchstens angepaßter.

Im Sommer 1932 waren wir mit einer Aktion der Gemeinde Wien in einer Schule am Magdalenensee (bei Villach). Wir waren in der Schule einquartiert und machten nach dem Eingewöhnen jede Woche einen dreitägigen Ausflug. Der erste Ausflug war das Laserz, also die Lienzer Dolomiten und die Karnischen Alpen. Agerl (er hieß eigentlich Schnabel und hatte den Spitznamen nach Agamemnon), einer der älteren Semester, (er machte Lehrer, nachdem er irgend ein anderes Studium abgebrochen hatte), wollte im Laserz klettern und suchte einen Kameraden, während die anderen über eine andere Route von Lienz aus zur Karlsbaderhütte aufstiegen. Wir waren direkt ins Laserz gewandert, um am nächsten Tag eine Tour zu machen. Es war ein Aufstieg und eine Wanderung im Fels an der Südseite des Sees geplant. Natürlich gingen wir am Seil. Leider war es aber in der Früh nebelig und wir hatten bald die Orientierung verloren. Da sich herausstellte, daß der gute Agerl ein schlechterer Kletterer war als ich (ich hatte gerade ein wenig Erfahrung von der Mitzi-Langer-Wand in Rodaun!), mußte ich die Führung übernehmen - und das in einem Gebiet, das ich nicht kannte und über das man durch den Nebel auch keinen Überblick bekommen konnte. Wir waren schon einige Stunden unterwegs, als uns eine Seilschaft begegnete, die ganz munter und frisch drauflos kletterte, so daß wir wenigstens die Gewißheit gewannen, nicht auf einem falschen Weg zu sein. Zum Glück klarte es dann auch auf - und da sahen wir, daß es ganz knapp vor dem Ausstieg war. Der zweite Ausflug ging auf den Triglav und zu den Bleder Seen in Jugoslawien. Leider war der Triglav im Nebel und wir verzichteten auf die Kletterei vom "Triglavski-Dom", der Schutzhütte, auf die Spitze. Der dritte Ausflug führte uns von Mallnitz auf den Ankogel und die Hochalmspitze, also über Gletscher. Wir gingen in drei Dreiergruppen am Seil. Ich bekam einen Pickel in die Hand gedrückt und da wir nur Bergschuhe und keine Steigeisen hatten, mußte man in den steileren Stücken für Tritte den Schnee oder Firn etwas wegräumen, um eine kleine Stufe zu machen. Ich war so naiv, daß ich diese Arbeit mit dem Pickel machte, ohne die Lederschutzhülle abzunehmen, so daß das Leder an den Ecken durch den scharfen Stahl durchgescheuert wurde. Aber die übrigen Bergwanderer waren anscheinend der Ansicht, daß sich ein Kerl, der auf einen Gletscher geht, ohnehin auskennt!

Pretl bekam von einer obskuren Studentenzeitung als Rezensent zwei Karten für Premieren in der Skala (Beginn der Favoritenstraße) und im Apollo (Gumpendorferstraße). Dazu lud er mich gelegentlich ein - es war nur immer etwas ungemütlich, denn er ging erst knapp vor Beginn los (wir gingen alles zu Fuß) und wir mußten die Beine in die Hand nehmen, um nicht zu spät zu kommen. Im Apollo gab es immer Orchestereinlagen und die Filmschauspieler kamen vor den Vorhang zwischen der Wochenschau und dem Film.

Für das Deutsche Volkstheater und das Raimundtheater bekam ich manchmal durch einen jüngeren Kollegen (Seidl) Karten als Claque für Theateraufführungen. Im Raimundtheater konnte man im Juchhe um 50 g sitzen, im Deutschen Volkstheater um den gleichen Preis stehen (wenn man nicht in der Pause durch die Absperrung schlüpfte und sich auf einen freien Platz auf der Galerie setzte). Da gab es moderne Stücke z.B. "Das bezaubernde Fräulein", eine Art Operette von Ralph Benatzki, aber auch Stücke von Nestroy sind mir in Erinnerung. Unsere Karten bekamen wir von einem Claque-Chef, der sie uns knapp vor Beginn der Vorstellung ausfolgte. Bei der Aufführung stand er dann in der Nähe der Gruppe und gab das Signal zum Klatschen, wenn der Schauspieler, von dem er die Karten bekommen hatte, seinen Auftritt hatte. Und beim Klatschen war ich nicht schlecht. Ob ich es dabei gelernt habe?

Die Wirtschaft schrumpfte immer mehr - es gab 1,5 Millionen Beschäftigte und 500.000 bis 600.000 Arbeitslose. Gegen die heutigen Zahlen (3 Millionen Beschäftigte und 200.000 Arbeitslose) ganz unvorstellbare Zahlen. Natürlich waren noch mehr Leute als heute in der Landwirtschaft beschäftigt und daher in diesen Zahlen nicht enthalten. Außerdem gab es noch lange nicht so viele Frauen im Arbeitsverhältnis. Aber die Relation war so schlecht, da ja jeder Vierte arbeitslos gemeldet war (oder ausgesteuert - also ohne Unterstützung!). Während nun die meisten Kollegen gebannt nach Deutschland und auf die dortige Entwicklung der Wirtschaft schauten (die Propaganda arbeitete sehr tüchtig im Untergrund), trug ich mich mit dem Gedanken, sozusagen, als Entwicklungshelfer nach Peru oder Bolivien zu gehen.

Dann hörte ich die "Chemische Technologie", die mich begeisterte und dann die Vorlesung "Genossenschaftswesen" mit Prof. Schobel. Dieser Mann hatte eine Beinverletzung aus dem Weltkrieg und war gleichzeitig Leiter bei der Revisionsabteilung der Genossenschaften in der Landeslandwirtschaftskammer. Den fragte ich einmal um die Chancen, bei einer landwirtschaftlichen Brennereigenossenschaft unterzu-kommen. Er konnte mich anscheinend gut leiden - ich ging in seine Vorlesung und zeigte nicht so wie die Nazis die Abneigung gegen einen CV-er. Er sagte mir also zu - ich sollte mich im Spätherbst bei ihm in der Landwirtschaftskammer melden.

Die Chemische Technologie hatte es mir angetan gehabt und ich hätte gern ein Doktorat auf diesem Gebiet gemacht. Also war ich eines Tages in die Sprechstunde unseres Prof. Janke gegangen, um mit ihm darüber zu sprechen. Er hörte sich meine Pläne an, es paßte aber anscheinend nicht in seine Gedankenwelt. Die Umgebung war schon eigentümlich: ein finsterer (anscheinend fensterloser) Raum, nur durch eine Tischlampe etwas beleuchtet, hinter dem Schreibtisch der kleine Mann und davor ein schlaksiger junger Mensch mit "Rosinen" im Kopf. So bezeichnete er meine Vorstellung, mit Pilzen oder Bakterien Holzzellulose aufzuschließen und diesen Zucker als Futtermittel zu verwenden. Wir hatten bei ihm von den Methoden gehört, mit schwacher Salzsäure Zellulose aufzuschließen oder mit konzentrierter Schwefelsäure in Behältern aus Harz (die gegen Schwefelsäure unempfindlich waren). Die Schwierigkeit war dabei, daß man diese Behälter ja nicht erwärmen konnte, um die Schwefelsäure abzudampfen. Da hatten sie sich eine raffinierte Methode einfallen lassen: sie ließen heißes Öl in den Behälter, das die Schwefelsäure zum Verdampfen brachte. Solche Sachen konnten einen jungen Menschen ja begeistern. Ich aber wollte mit Pilzen und Bakterien arbeiten.

Anregung für alle Enkel: Da im Wiederkäuermagen (Pansen) Zellulose verdaut wird (eigentlich sind es Bakterien, die Zellulose fressen und dabei dick und fett werden, dann wieder von Protozoen gefressen werden, die ihrerseits wieder vom Magen verdaut werden) und dabei Fett (z.B. Milchfett = Butter) entsteht, könnte man diesen Vorgang in einem gesteuerten technischen Prozeß durchführen. Man könnte also aus Holz auch Fett erzeugen! Also auf - und an die Arbeit!

Es sollte eine Art Vergärung der Zellulose werden. Bei der Verrottung von Holz mußte es ja auch so einen ähnlichen Vorgang geben. Und da wir ja beim Malz (aus Gerste) gesehen hatten, daß die Enzyme im Übermaß gebildet werden, da ja mit 150 kg Gerste, gekeimt, 6.000 kg und mehr Kartoffeln verzuckert werden konnten, war ich überzeugt, daß man auch Organismen finden könnte, die die Zellulose im gleichen Ausmaß verzuckern würden. Dieser Zucker wäre dann die Grundlage für Schweinefutter geworden - wir hätten also das Problem der Futterversorgung im eigenen Land gelöst. Obwohl ich heute noch überzeugt bin, daß das die Lösung aller Nahrungsprobleme ist, konnte ich den guten Professor davon nicht überzeugen - ich war schon immer ein schlechter Redner gewesen und konnte daher einen (verknöcherten?) Skeptiker nicht überzeugen. Aber in gewissem Sinn war ich erleichtert, daß dieser Plan gescheitert war, denn ein Arbeiten auf diesem Gebiet, um zu einem Doktorat zu kommen, hätte wahrscheinlich weitere zwei Jahre an der Hochschule bedeutet - und ich wäre meinen Eltern noch so lange Zeit "auf der Tasche" gelegen. Aber ganz wollte ich die Idee nicht aufgeben, einmal das Doktorat zu machen. Dazu schien mir die Brennerei eine günstige Gelegenheit: Es gibt eine "Kampagne" von Oktober (Kartoffelanlieferung) bis Mai, dann Buchhaltungsarbeiten und Kanzleiarbeiten (nicht bedeutend) und bis Oktober viel Zeit. Wenn man die Stunden rechnete - Samstag wurde immer voll gearbeitet (in Ebreichsdorf und in vielen anderen Brennereien auch am Sonntag), so kam man bestimmt auf eine volle Jahresarbeitszeit. Aber der Ausgleich im Sommer konnte ja auch anders als als Urlaub und Zeitausgleich genützt werden. Und dann mußte es ja auch eine Einrichtung für chemische und biologische Untersuchungen geben - das schien mir eine Voraussetzung für den Betrieb und paßte dann wunderbar zu meinen Plänen für eine Doktorarbeit. Ich war also mit der Entwicklung und den Aussichten wieder einverstanden und machte meine dritte Staatsprüfung. Mit dem Schluß des achten Semesters traten wir (vielleicht 10 bis 12 - davon aber auch ältere Semester) an. lm letzten Augenblick wäre der Termin fast noch geplatzt, denn der Professor aus Mikrobiologie und Milchwirtschaft hatte das Begräbnis seines Sohnes, der im Sudetenland (von dort dürfte er gestammt haben) an einer Speiseeisevergiftung gestorben war. Trotz dieses Trauerfalles ließ er sich von uns bewegen, uns vorzeitig die Prüfung abzunehmen. Mit den anderen Fächern gab es keinerlei Schwierigkeiten - und so war ich mit 22 Jahren mit dem Studium fertig. Mein nächster Weg war zu Dr. Schobel, dem Genossenschafter, um die Praxis in einer Brennerei zu fixieren - denn bis dahin waren es ja nur allgemeine Gespräche gewesen. Der fragte: "Haben sie eine Protektion?". Meinem naiven Ausdruck mußte er entnommen haben, daß er das erläutern mußte. Also: "Kennen sie einen Abgeordneten?" "Nein". "Sind sie beim CV? "Nein". "Ja, aber vom Pfarrer werden sie doch eine Befürwortung bekommen?" Also machte ich mich auf den Weg, d.h. zum Pfarrer ging Mama, ich kam über Buskacs an einen höheren Beamten in der Landwirtschaftskammer oder im Ministerium, den ich um Unterstützung bat. An andere Protektoren kann ich mich nicht mehr erinnern. Das Ansuchen um die Erlaubnis, in einer landwirtschaftlichen Brennereigenossenschaft praktizieren zu dürfen, gab ich dann ab. Anschließend fuhr ich mit Pretl mit der DDSG die Donau abwärts - wir wollten nach Varna, dann Konstantinopel, dann nach Ägypten, zurück nach Athen und über Saloniki nach Sofia und von dort wieder zur Donau und mit dem Schiff zurück. Diese Reise war auf sechs Wochen veranschlagt. Den ersten Aufenthalt gab es in Preßburg, da wir uns dort entsprechend einkleiden wollten: es sollte ein Leinenanzug sein und hübsche Schuhe. Die gab es in der Tschechei wesentlich billiger als bei uns. Mein Anzug kostete - wenn ich mich recht erinnere - ca. 8 S (nach heutigen Verhältnissen rund 800 S) und die Schuhe auch in dieser Preislage. Pretl war etwas anspruchsvoller - sein Anzug war etwas hübscher - aber auch teurer. Mit dem nächsten Schiff ging es donauabwärts bis Russe (Rusczuk) und von dort mit der Bahn nach Varna. Das Studentenferienheim, zu dem wir wollten, war in Svete Konstantin, ca. 8 km nördlich von Varna neben einem Felsenkloster (die Zellen waren Höhlen in einer Felswand, mit Leitern zu erreichen - aber nicht mehr besetzt) direkt am Schwarzen Meer, d.h. man ging über eine Straße und war schon am Sandstrand. Der Sand war ganz komisch: es waren eigentlich nur zerbrochene Muschelschalen. Wir wurden in diesem Ferienheim ganz formlos aufgenommen, denn anscheinend wollten die Heimleiter auch ausländische Gäste haben, damit die Studenten Gelegenheit hatten, sich in einer fremden Sprache zu üben. Es gab auch Nichtstudenten darunter z. B. einen Tschechen, der aber wieder deutsch sprach, so daß ich mit französisch und Pretl mit englisch sich mit den meisten verständigen konnte. Wir blieben dort 14 Tage und wollten dann nach Konstantinopel mit dem Schiff weiterfahren. Die bulgarischen Studeten waren zum größten Teil schon abgereist, als Pretl nach einem Bad im Meer bemerkte, daß aus seinem Kasten das Geld gestohlen worden war. Der Heimleiter war sehr behilflich, machte uns aber aufmerksam, daß die Polizei in Bulgarien mit einem Verdächtigen sehr brutal umging, wir also mit Verdächtigungen vorsichtig sein sollten. Nach meiner Überzeugung war es auch kein Bulgare gewesen sondern wahrscheinlich der Tscheche. Der war auch bereit, sich untersuchen zu lassen, ob wir bei ihm etwas fänden, aber gerade diese Bereitwilligkeit kam mir verdächtig von. Sicher hatte er es bereits irgendwo deponiert oder irgendwohin geschickt. Aber das konnte unsere Pläne nicht umwerfen. Wir bestiegen daher in Varna ein Schiff, um einmal nach Konstantinopel zu kommen. Wir hatten nach Hause geschrieben und gebeten, uns Geld dorthin nachzusenden. In Konstantinopel ging ich auf die Gesandtschaft, um "als bestohlene Studenten" (ich hatte ja noch meinen Studentenausweis bei mir, damit bekam man auf der Bahn und auf den Schiffen Fahrpreisermäßigung!) eine Unterstützung zu erreichen. Der Beamte war sehr mißtrauisch. Als ich ihm schilderte, welche Reise wir machen wollten,fragte er nach unseren Mitteln. Das fand er ganz und gar unglaublich, daß wir mit solchen Beträgen eine solche Reise machen wollten - er würde damit nicht einmal 14 Tage auskommen! Schließlich bekam ich, nachdem noch eine Klippe umschifft war - der Kerl hatte doch in einem Einwohnerverzeichnis von Wien nachschauen lassen, ob meine Angaben stimmten - dabei gefunden, daß unter der Adresse von Pretl ein Potschka (sein Stiefvater) wohnte - (das mußte ich erst umständlich aufklären), eine Anweisung auf ein Quartier in der Österreichischen Schule und ein Mittagessen. Das Quartier in der Schule sah so aus, daß man uns in den Turnsaal verwies, auf dem wir es uns auf einer Matte bequem machten. Aber ich hatte von da an von den "Behördenwegen" genug!

Konstantinopel ist sehr interessant - es gibt dort bestimmt viel zu sehen. Uns beeindruckten die Stiegen, die vom Meer anstatt der Straßen auf die Anhöhen der Stadt führten (nach Pera), die Moscheen und anderen Bauten. Dann machten wir eine Fahrt auf die kleinasiatische Seite und warteten eine Woche, bis Geld von zu Hause eintraf. Da gingen wir in das Reisebüro "Cook" um Fahrkarten für das Schiff nach Athen (Ägypten hatten wir wegen des Mißgeschickes mit dem Reisegeld gestrichen). Wir waren in unseren Leinenanzügen ganz ansehnlich gekleidet und erkundigten uns nach einer Überfahrtmöglichkeit nach Griechenland. Man nannte uns den rumänischen Dampfer "Bella Romania" und die Preise für die 1. und 2. Klasse, für eine Kabine usf. Da fragten wir um der Preis für eine Karte im Zwischendeck: ein Pfund! Dem Mann blieb die Sprache weg, als er dieses "gute Geschäft" mit uns abschließen konnte. Auf der Fahrt hielten wir uns wegen des leichten Seeganges in der Mitte des Schiffes auf und da das Zwischendeck ziemlich bevölkert war (es fuhren eine Menge Juden in Richtung Palästina mit) und wir befürchten mußten, daß man uns in der Nacht auf den Kopf treten könnte, legten wir uns so nieder, daß der Oberkörper unter einem Tisch zu liegen kam. Beeindruckend waren die Delphine, die in der Bugwelle zu beiden Seiten des Schiffes schwammen und immer wieder, wie auf Kommando, gleichzeitig vor dem Bug in der Luft von einer Seite zur anderen sprangen. Daneben zahllose Quallen von gelb bis rosa und dazu wunderbares Wetter. In Athen mußte dann Pretl aufs Konsulat gehen - ich weigerte mich nach den Erfahrungen in Konstantinopel. Pretl hatte aber eine andere Idee. Er ging ins Unterrichtsministerium der Griechen. Das schien ihm nach meiner Schilderung der Erlebnisse mit österreichischen Beamten ratsamer - und kam mit einem Quartierschein für eine Schule zurück. Wir hatten - es waren ja Ferien - die Schule für uns allein, mit Ausnahme des Schulwartes, der leider kein Wort deutsch, französisch oder englisch verstand, und schliefen in einer Klasse auf dem Podium mit einer Unterlage von Zeitungspapier. Der Jammer war, daß unser Schulwart gern ausging (ins Wirtshaus oder Kaffeehaus?), dann alles absperrte, so daß wir, wenn wir auch aus waren, beim Nachhausekommen über eine grobverputzte Mauer in den Hof klettern mußten, um in unsere Klasse zu gelangen.

In einem Speisehaus - meistens aßen wir Paradeiser mit Reis gefüllt - machte uns der Wirt mit einem Ingenieur bekannt, der in Deutschland studiert hatte und der daher gut deutsch sprach. Er erzählte uns, daß er in einem Goldbergwerk auf Kreta arbeite. Der lud uns ein zu einem Ausflug auf den Hymenäion und nahm sich Zeit für unsere Fragen. Natürlich gingen wir auch auf die Akropolis (wir waren sehr empört, daß man dort unsere Studentenlegitimation nicht beim Eintrittspreis berücksichtigte - hatten wir doch bisher überall halbe Preise bezahlen müssen und hier mußten wir den vollen Preis hinlegen!) und schauten uns alles an, was man in Athen sehen kann. Als wir also Athen "durch" hatten, ging es per Schiff nach Saloniki. Über diese Fahrt ist mir nichts mehr in Erinnerung als daß man ständig links oder rechts eine Insel im Meer sah. In Saloniki nahmen wir die Bahn, um nach Bulgarien und zwar nach Sofia zu kommen.

Dazwischen aber liegt noch eine Sehenswürdigkeit: das Rilla Monastir, ein sehr berühmtes Kloster in Bulgarien. Wir hatten uns erkundigt und erfahren, daß man in Bulgarien mit einer Bahnkarte drei Tage fahren kann, d.h. dazwischen auch unterbrechen, wenn das Ziel in drei Tagen erreicht wurde. Von Saloniki nach Sofia wollten wir mit der Bahn reisen. Die Griechen machten uns aber einen Strich durch die Rechnung, denn sie hatten die Bahn ca. 40 km vor der Grenze unterbrochen (wollten sie damit die Bulgaren ärgern oder ihre Landsleute von einem Besuch in Bulgarien abhalten?). Diese Strecke mußten wir also irgendwie überwinden. Einen Teil machten wir zu Fuß und schleppten unsere Koffer auf einer staubigen Straße. Dann sahen wir ein Büffelfuhrwerk mit einem Leiterwagen. Da stiegen wir auf, aber leider ging das Tier nicht mehr als drei km in der Stunde. Dann wurde es Nacht und wir standen im Finstern ohne ein Haus oder irgend eine Unterkunft zu erspähen. Da gingen wir von der Straße ab auf ein Feld, auf dem Garben lagen. Wir legten uns also ins Stroh und deckten uns auch damit zu. In der Früh sahen wir dann, daß es Gerstenstroh gewesen war, daß wir also voll Gräten waren. Aber dann kam ein Lastauto angerumpelt, das wir enterten und das uns bis in den Grenzort brachte. Die Griechen betrachteten uns argwöhnisch und ließen sich langmächtig Zeit, um uns abzufertigen. Dann kamen wir zu den Bulgaren. Die waren sehr nett aber ganz unbeholfen. Sicher waren sie nur einen kleinen Grenzverkehr gewohnt, und da kamen auf einmal "Austrici" daher, also dauerte es wieder sehr lang. Endlich waren wir durch und gingen zum Bahnhof. Wir kauften also unsere Karten (der Bahnbeamte sprach etwas französisch) und erhielten bestätigt, daß sie drei Tage gültig sei, d.h. man mußte am dritten Tag am Ziel sein. Es zählte aber jeder begonnene Tag. Jetzt war es schon nachmittag und wenn man die Fahrzeit rechnete (dort geht die Bahn "nicht so schnell") war es mit einer Unterbrechung in Svete Konstantin nichts. Also fuhren wir in einem vollen Zug nach Sofia und waren richtig am "dritten Tag" in Sofia ohne Svete Konstantin gesehen zu haben. In Sofia, so hatten uns Walzbrüder, die wir unterwegs getroffen hatten, erzählt, konnte man in der Deutschen Gesandtschaft ein Gratis-Quartier bekommen. Es war ein Souterrainlokal unter der Gesandtschaft, bevölkert von den verschiedensten Typen. Da gab es Emigranten (wenn sie einen Paß hatten), Nazis, die Propaganda betreiben und Kontakte knüpfen wollten und auch zwielichtiges Volk. Nur die Nazis hatten Lust, nach Deutschland zurückzukehren. Die anderen scheuten sich, öffentlich gegen die Nazis Stellung zu nehmen, da sie fürchteten, denunziert zu werden und dann den Paß zu verlieren. Sie hatten tausend Gründe, die Rückkehr aufzuschieben. Hier wohnte man gratis, aber riskant. Man erklärte uns, wie es so zuging: gestohlen wurde prinzipiell nicht. Sicher war es auch nicht ratsam, denn wurde einer erwischt, war er zumindest das Gratisquartier los. Aber es gab einen Ausweg: man versteckte einfach etwas, auf das man ein Auge hatte, wenn der Mann einmal wegging. Wenn er es suchte und fand, hatte man eben Pech gehabt. Fand er es nicht und mußte abreisen, dann fand man es eben. Und finden war ja nicht strafbar - noch dazu, wenn niemand genau wußte, ob es dem Finder nicht schon früher gehört hatte oder der Finder es dem Verlustträger bei nächster Gelegenheit zurückbringen werde. Wir mußten also turnusmäßig unsere Koffer bewachen und konnten so nur einzeln die Stadt erforschen. Von Sofia ging es mit der Bahn nach Lom, einem kleinen verschlafenen Städtchen an der Donau und von dort mit der DDSG stromaufwärts nach Hause. Ab dem Eisernen Tor hatten wir regnerisches Wetter. Es war bereits Ende September, und wir übersiedelten vom Oberdeck, wo wir geschlafen hatten, in einen Gang neben ein Fenster in den Maschinenraum, aus dem es warm herauskam (Es war auch schon kalt geworden). Und als wir endlich bei der Reichsbrücke nach unserer sechswöchigen Balkanreise ankamen, waren wir froh - aber wir hatten auch voneinander für eine Weile genug. Da man aus Bulgarien natürlich Zigaretten mitbringen mußte, hatten wir uns in Sofia eingedeckt: sie waren dort sehr billig. Aber wie sollten wir sie transportieren, daß uns die österreichischen Zöllner nicht erwischten? Zuerst mußte der Fotoapparat aus seiner Tasche auswandern und da hinein kamen Zigaretten, aber das war nur ein kleiner Teil. Zum Glück hatten wir Knickerbockerhosen an und in die konnte man eine Menge hinein verstauen, ohne daß man das von außen sah. Beim Gehen war man dann etwas unbeholfen- aber das konnte ja an unserem großen Koffer liegen, den wir da schleppten. Im Fotoetui waren jetzt Zigaretten, aber wenn dann der Apparat frei lag, konnte das dem Zöllner auffallen. Also sprach ich einen Studenten, der ebenfalls auf dem Schiff fuhr (wir hatten ihn in Sofia als Nazi kennengelernt, der sich mit seinen Verbindungen mit den reichsdeutschen Nazis in München brüstete) darauf an, daß er den Fotoapparat durch den Zoll bringen solle. Der Lump war aber verschwunden, als wir nach der aufregenden Zollkontrolle vom Schiff (bei der Reichsbrücke) kamen und wir erst im Park vor der Anlegestelle einmal die Zigaretten aus der Hose wieder in den Koffer räumten. Die Freude über den Schmuggel war also getrübt, da ich um den Fotoapparat fürchten mußte. Zum Glück wußte ich aber den Namen des Studenten und auf der Polizei, die ein Einwohnerverzeichnis aufliegen hatte, erfuhr ich (gegen den Erlag von 5.-S) die Adresse dieses Kerls. Ich rief dann an, konnte ihn nicht erreichen, ließ ihm aber ausrichten, daß ich ihn klagen würde, falls der Apparat nicht schleunigst zurückgegeben werde. Einige Tage danach brachte die Post den Apparat. Die Zigaretten verkaufte ich an Leopold, womit die Kosten wieder hereinkamen.

Nun war es auch Zeit, zum Kammeramtsdirektor, Ing. Greil, vorstellen zu gehen. Zuerst (wir waren für eine bestimmte Uhrzeit bestellt!) warteten wir - zu dritt - einige Stunden. Ein Mit-Bittsteller bei dieser Audienz ging in dem fensterlosen, spärlich beleuchteten Vorzimmer mit Plüsch und nicht ausgeleuchteten dunklen Winkeln - ununterbrochen wie ein Tiger im Käfig auf und ab, während uns ein Bürodiener von Zeit zu Zeit vertröstete, daß es noch eine Weile dauern werde. Als der hohe Herr endlich erschien und es begann, da ging es dann dafür umso rascher. Das ganze dauerte bestimmt nicht mehr als zwei Minuten. Ich stand vor dem Schreibtisch - Sitzen war wohl nur für Höhergestellte als für einen solchen Postensucher - und wurde nur nach den Protektoren gefragt - mein Staatsprüfungszeugnis wurde mit keinem Blick gewürdigt. Einen meiner Protektoren kannte er angeblich gar nicht, obwohl mir dieser Herr versichert hatte, mit dem Kammeramtsdirektor ein- oder zweimal im Monat zusammen zu sein. Jedenfalls wurde mir der Herr Kammeramtsdirektor fürchterlich sympathisch. Als er dann 1938 unter den Nazis als einer der ersten ins KZ kam, wunderte ich mich nicht - er tat mit aber trotzdem leid. Ich bekam also die gnädige Erlaubnis, in der Brennereigenossenschaft Baden praktizieren zu dürfen. Am 2.11.1936 war Beginn der Kampagne. Brennereileiter war Ing. Roth, der schon viele Praktikanten ausgebildet hatte. Mit ihm vertrug ich mich sehr gut, da er merkte, daß ich die Arbeit ernst nahm und mich nicht ganz ungeschickt anstellte. Ich wohnte im Gebäude der Brennerei in einer Art Waschküche (nach dem Fußboden zu schließen) und fuhr mit dem Fahrrad vom Wiener Neustädter Kanal (dort lag die Brennerei) nach Leesdorf zum Essen. Frühstück und Abendessen machte ich in meinem Kämmerlein. Ein Ofen war aufgestellt und Kohle konnte ich vom Lager der Brennerei (der Kessel wurde auch mit Kohle beheizt) holen. Wenn ich mein Quartier sauber hielt, dann war es eben in Ordnung! Zuerst schaffte ich mir eine Schlossermontur an - die Dienstkleidung in der Brennerei. Nach kurzer Einführungszeit ließ mich Ing. Roth seine Arbeit machen, das war die Arbeit an der Destillierkolonne. Es gab vier Arbeiter im Betrieb: einen geprüften Kesselwärter und Maschinisten, einen Hausmeister, der die Kartoffellager und die Zubringung zur Wäscherei und die Malztenne überhatte und zwei Arbeiter, die bei der Malzquetsche, dem Hentze-Dämpfer (in dem die Kartoffeln mit leichtem Überdruck mit Dampf gekocht wurden), dem Maischebottich in dem die gedämpften Kartoffeln gekühlt und mit Malz verzuckert wurden) und bei der Reinigung der abdestillierten Gärbehälter sowie der Reinigung der Böden in der Brennerei beschäftigt waren. Ehrgeizig, wie ich war, trachtete ich schon nach kurzer Zeit, den Chef bei der Arbeit an der Destillierkolonne - dem alleinigen Bereich des Brennereileiters - zu übertrumpfen. Das andere lief automatisch, da die Leute schon jahrelang die gleiche Arbeit machten und daher gut eingespielt waren. Die Arbeit begann um 6 Uhr und wir trachteten, um 1/2 1 bis 1 Uhr fertig zu sein. Und das hing wesentlich vom Destillierer ab. Man konnte 170 l, aber auch 205 l Alkohol in der Stunde machen - bei einer Tagesmenge von rund 1.200 l. Anlaufzeiten (zum Anwärmen) und Abschluß mit Reinigungsarbeiten ergeben die Gesamtzeit für die Belegschaft. Die Schwierigkeit bestand darin, daß eine bestimmte Kühlwassermenge gegeben war und wir trachten mußten, möglichst tief zu kühlen, da der Alkohol für die Steuerbehörde automatisch mit einem plombierten Zählwerk volummäßig und in einem Behälter, in den bei jeder 5-l-Schüttung eine gewisse kleine Menge entleert wurde, auch die Alkoholgrade (% Alkohol) festgehalten wurde. Die Normtemperatur für das Finanzamt, das dies alles überprüfte, waren 15°. Konnten wir mit einer tieferen Temperatur "fahren", so ergab das bei der Auslagerung ein Plus. Wurde ein Minus festgestellt, so war diese Menge zu versteuern, so, als ob wir ihn verbraucht oder verkauft hätten. Dabei hatte niemand Interesse an diesem Alkohol, denn da waren auch noch die Fuselöle enthalten samt dem Metylalkohol - also sogar gesundheitsschädlich. In Baden hatten wir nun das Glück, daß wir nicht nur Brunnenwasser mit 10°C zur Verfügung hatten, sondern daß vor dem Haus (wir hatten auch eine Turbine mit einem kleinen E-Werk) der Wiener Neustädter Kanal vorbeifließt. Dieses Wasser ist naturgemäß im Winter meistens wesentlich kälter - meistens unter 5°C, das wir dann auch zum Kühlen verwendeten, so daß dort kaum ein Manko entstand. Dadurch konnten wir aber auch die Kühlung, die auf 10°C ausgelegt war, etwas überlasten, ohne den Kühleffekt zu verringern.- Nachmittags lud mich dann Ing. Roth immer dazu ein, zu einem Mitglied - manchmal waren es auch zwei oder drei- nach Baden, Pfaffstätten, Traiskirchen, Tribuswinkel, Sooß, Vöslau, Gainfarn oder Oeyenhausen zum Heurigen zu fahren. Alle schickten Einladungen an die Brennerei, wenn sie aussteckten urd Ing. Roth konnte sich nicht entziehen - oder wollte er nicht? So radelten wir neben dem Wiener Neustädter Kanal flußauf- und flußabwärts oder über die Hügel um Baden nach Osten. Ende Februar - um den 20. herum - kam überaschend der Brennereileiter von Ebreichsdorf, Karner, ins Spital - Blinddarmoperation - und ich mußte ganz rasch nach Ebreichsdorf, dort die Brennerei als Stellvertreter zu führen. Dort war ich 4 bis 6 Wochen, fuhr mit dem Rad bis Eisenstadt und ließ mir dort bei einem Schuster in der Haydngasse ein Paar Stiefel anmessen, da ich bei meinen Fahrten mit dem Rad bei Schlechtwetter immer Wasser in die Schuhe bekommen hatte - und das hatte ich gar nicht gern. Den Schuster hatte mir der Heizer in der Brennerei empfohlen - ich glaube, die ganze Gegend ließ bei ihm arbeiten, denn er war sehr preiswert. Nach der Genesung von Karner kam ich wieder nach Baden zurück und lernte die Buchführung einer Genossenschaft kennen. Auf der Hochschule hatten wir ja ein Fach Buchführung und auch Übungen schon gehabt, aber hier hatten wir eine "Ruf"-Buchhaltung (ein Schweizer System mit Durchschreiben, d. h. jede Buchung auf einem Kontoblatt geht gleichzeitig auf ein Journal). Das ist sehr praktisch und da bei der Buchung auch die Art und Nr. des Kontos durchgeschrieben wird, kann man auf dem Journal die einzelnen Gruppen herausaddieren und hat sofort einen Überblick oder gar den Abschluß. Ende April war die Kampagne zu Ende und ich kehrte in die Kammer zurück, um bei der Bodenkartierung mitzumachen. Die Bodenkartierung war eine gemeinsame Aktion der Kammer mit dem freiwilligen Arbeitsdienst, bei der jede Institution die halben Kosten, das war im Außendienst je 5 Schilling pro Tag, trug. Im Innendienst die Hälfte! Aber dieser Job war gar nicht so einfach zu haben. Bei der Kammer war es wieder ein Antichambrieren beim Herrn Kammeramtsdirektor, das wieder lange Wartezeit und kurze Audienz ohne Niedersetzen bedeutete - aber das konnte mich beim zweitenmal nicht mehr erschüttern. Beim Arbeitsdienst wäre aber auch noch die Bedürftigkeit nötig gewesen - und da waren meine Eltern als Geschäftsleute direkt ein Hindernis. Ich protestierte mit dem Einwand, daß ich ja nicht ewig von zu Hause ausgehalten werden wollte. Ob diese Einwendungen etwas nützten, erfuhr ich nie - möglicherweise waren auch andere Überlegungen (vielleicht im Zusammenhang mit der Kammer) maßgebend - oder war das ganze überhaupt nur ein Manöver gewesen, um mir vor Augen zu führen, daß es eine Gnade war - jedenfalls durfte ich arbeiten. In der Kammer war ein Raum eingerichtet in dem die Bodenproben untersucht wurden, d.h. es wurde der pH-Wert festgestellt und der Tonanteil von Hand aus (mit Fingerspitzengefühl) ermittelt: die trockene Probe wurde im Tiegel fein gerieben, angefeuchtet und zwischen den Fingern geknetet und nach der Pickigkeit eingestuft. Sandige Proben waren das eine Ende der Skala und richtig patzige Proben (richtiger Ton) das andere Ende. Dazwischen lagen die Mittelwerte, die zu schätzen waren - ob sie mehr zum einen oder anderen Ende neigten. Der Humusgehalt wurde nach der Farbe bestimmt. Die Werte wurden dann auf der Karte eingezeichnet, auf der auch die Mächtigkeit der Schichten vom Probenehmer bereits eingetragen waren und dann die Zonen im Gebiet abgegrenzt, wobei man Schichtenlinien, Gewässer usf. als Grenzen der Zonen einbezog. Nach kurzer Zeit der Einschulung beim "Patzeln" (so nannten wir diese Arbeit) ging es in den Außendienst in den Bezirk Herzogenburg. Wir waren drei Mann, die am 15.5.37 von Dr. Lintschinger eingeschult wurden - ich kann mich an das Datum deswegen erinnern, weil wir ganz nah und deutlich einen Kuckuck hörten - und Dr. Lintschinger sagte uns, daß der um den 15.5. zu uns kommt. Lintschinger blieb bei uns in Herzogenburg einige Tage und dann entließ er uns in die jedem Einzelnenen zugewiesene Ortschaft. Wir kamen dann nur noch ein- oder zweimal zusammen, wenn wir unser Gehalt bei der Bezirksbauern-kammer abholten und dort zufällig gleichzeitig ankamen. Ansonsten waren wir auf uns gestellt und fuhrwerkten mit Hilfe der Bürgermeister und Ortsbauernräte herum, wobei es oft Eifersüchteleien und Verdächtigungen der Funktionäre untereinander gab (oft mißtrauten sie einander und bezeichneten den anderen als Nazi - wobei sie auch öfter recht hatten). In Weißenkirchen an der Perschling - meiner ersten Gemeinde - wohnte ich beim Abgeordneten Buchinger in einer Kammer neben der Einfahrt. Buchinger hatte eine Schwester Figls zur Frau und wollte mir unbedingt einreden, daß ich den Figl kennen müsse. In diesem Quartier gab es so viele Wanzen, daß ich mich die ganze Nacht nicht zudecken durfte, denn dann kamen sie über mich. (Vielleicht hätten sie mich aus dem Bett geschmissen!) Blieb ich kalt, dann ließen sie mich in Ruhe. Also hatte ich die Wahl, zu frieren oder gebissen zu werden - ich entschied mich fürs Frieren. Sonst wohnte ich immer in Gasthäusern, von denen ich auch meistens einige Ortschaften bearbeitete. lch war ja immer mit dem Fahrrad unterwegs, also spielte das keine große Rolle. Montag fuhr ich um 4 Uhr früh von Wien weg da wir um 8 Uhr Arteitsbeginn hatten und Samstag um 18 Uhr zurück bis 10 oder 11 Uhr nachts. Von Traismauer aus fuhr ich nach Osten, Westen und Süden einige Wochen von einem Quartier aus. Auch in Mautern wohnte ich längere Zeit in einem Gasthaus. In Kapelln wohnte ich in einem Wirtshaus, das mir in Erinnerung blieb: der Wirt war als Nazi eingesperrt und die Frau mit einem kleinen Kind (vielleicht 1/2 Jahr alt) hatte deshalb großen Jammer. Die Arbeit ging so vor sich, daß mir die Gemeinde einen Arbeiter stellte, der mit einem Rucksack und einem Spaten ausgerüstet war. Ich hatte die Karte, die Probesackerln und das Salzsäuretropfflascherl. Alle 60 bis 80 m (je nach der Geländeformation) wurde ein Loch von 60 bis 80 cm Tiefe (wieder je nach der Bodenart) gegraben. Die Schichtenstärke wurde nach der Färbung festgestellt (Oberboden durch Humus dunkel gefärbt, Unterboden meist heller), mit der Salzsäure nach der Intensität des Aufbrausens der Kalkgehalt geschätzt und womöglich wurde auch der Untergrund (Schotter, Tegel usf) ermittelt. Große Hilfen waren natürlich Sand- oder Schottergruben, Baugruben, Hohlwege usf. Aus jeder Schicht wurde eine Probe in ein beschriftetes Sackerl gefüllt und der Probenahmepunkt in der Karte mit der gleichen Nummer wie das Sackerl eingetragen. Ich kam mit der Zeit darauf, daß es klüger war, vormittags in den höher gelegenen Feldern (wir untersuchten natürlich auch die Wiesen) und Weingärten und nachmittags neben der Traisen und später neben der Donau zu arbeiten, da ich sonst durch das taufeuchte Gras gründlich naß geworden wäre (am Anfang war ich es ja auch geworden - aber aus der Fehlern kann man ja lernen). Gearbeitet wurde von 7 - 12 Uhr und von 1 - 6 Uhr auch an Samstagen. Dann schwang ich mich aufs Rad und fuhr übers Wochenende nach Hause. Am Sonntag ging ich mit Scholz, Pretl, Brachtl, Harrer usw. in die Lobau baden und am Montag früh um 4 Uhr fuhr ich schon Richtung B1. Beim Radfahren ist es eine Eigentümlichkeit, daß man immer Gegenwind hat. Nach Westen - ich fuhr über den Flötzersteig, dann neben der Tiergartenmauer (die heutige Einfahrt neben der Wien gab es natürlich damals noch nicht) nach Maria Brunn, Purkersdorf, Gablitz über den Riederberg bis Kapelln und von dort nach Herzogenburg und weiter über Mautern bis Nieder-Arnsdorf - gegenüber von Spitz. Da war der Gegenwind ja natürlich. Aber wenn ich heimzu fuhr, blies mir der Wind ebenfalls entgegen. Dabei war es ja bald finster und die Beleuchtung nicht ausreichend. Es war daher immer eine Freude, wenn mir ein Auto oder Motorrad nachkam und die Straße ausleuchtete. Da spurtete ich mit, um möglichst lange das gute Licht zu haben. Zu dieser Zeit geschah das aber nach meinen Begriffen zu selten und ich neidete diesen Fahrzeugen ihr gutes Licht. Wenn eine Regenperiode einsetzte und wir draußen nichts machen konnten, wurden wir über die Bauernkammer zum Patzeln ins Labor beordert und ich machte die Fahrt im Regen. Das war besonders hart. Einmal hatte ich dabei einen Patschen. Unter dem Gummimantel (damit der Schlauch trocken blieb) montierte ich den Mantel ab, so daß ich das Loch finden konnte, klebte den Fleck drauf, montierte Schlauch und Mantel, pumpte auf und fuhr weiter. Dabei hatte ich im Rucksack auf dem Gepäckträger das Gepäck für eine Woche, das natürlich auch immer durch das Volumen und das Gewicht ein Hindernis, mindestens aber eine Erschwernis bildete. Wenn ich dann nach Hause kam - meistens um Mitternacht - setzte ich mich in die Badewanne und blieb stundenlang drin (oft schlief ich ein und Mama kam öfter und pumperte an die Türe und rief mich an - da war das Wasser schon oft kalt). Wenn ich die Beine im Sitzen wusch, bekam ich einen Krampf in den Oberschenkeln - aber es war gesund und ich blieb in Kondition.

Im September wurde ich der neu gegründeten Brennereigenossenschaft Mitterndorf/Fischa als Brennereileiter, also als Geschäftsführer, zugeteilt, d.h. ich wurde von der Genossenschaft (mit Bewilligung der Kammer, in diesem Falle der Revisionsabteilung) angestellt. In Mitterndorf hatte Alexander Landesmann - ein Viehkommissionär in St. Marx ( d.h. er hatte Aufkäufer in Jugoslawien, Ungarn, Polen, Rumänien usf.) so wie in Unterwaltersdorf eine eigene Brennerei. Diese privaten Brennereien hatten ein Brennrecht (Kontingent) von ca. 500 hl Alkohol im Jahr. Der Revisor der Brennereien, Ing. Rosenauer, hatte nun Landesmann vorgeschlagen, diese Brennerei einer zu gründenden Genossenschaft zu verpachten, wobei Landesmann 50 % der Anteile und damit des Brennrechtes erhielt. Nachdem die Genossenschaft ein Brennrecht von 1.100 bis 1.200 hl erhielt, konnte Landesmann soviel Erdäpfel wie früher liefern, ersparte sich dabei aber auch den Brennereileiter (ein Fachmann war ihm zu teuer gewesen - also hatte halt ein angelernter Arbeiter den Betrieb irgendwie geführt) und hatte dann eine moderne Brennerei, die auch eine bessere Ausbeute brachte. Nachdem dieses Modell im Landesmann-Betrieb Unterwaltersdorf schon vor Jahren erprobt worden war, stimmte er nun auch für Mitterndorf zu und ich kam zum Umbau zurecht. Nun ist eine Brennerei auf einem Gutshof nicht mit einer Brennerei, die in eine ehemalige Maschinenfabrik (Baden) gestellt wird oder gar eine eigene Baulichkeit wie in Ebreichsdorf erhält, zu vergleichen, aber ich mußte und wollte halt das Beste daraus machen. In Unterwaltersdorf war der Brennereileiter ein Dr. Mund, der nur immer zynisch über alles, was die Brennerei betraf, redete - und dabei lebte er ja davon. Im übrigen war er ein Nazi und verschwand dann aus meinen Augen, da die Brennereien ja 1979 zur Gänze stillgelegt wurden.

Die Gebäude und Einrichtungen waren irgendwie behelfsmäßig und primitiv. Die hauptsächlichsten Maschinen kamen aber neu, so daß es dann halbwegs ging. Leider hatten wir schlechtes Erntewetter für die Kartoffeln - es regnete und regnete, so daß die Pferde die beladenen Truhenwagen nicht aus den Äckern ziehen konnten, so tief sanken sie ein. Traktore mußten von den Wegen und von der Straße aus mit Ketten die Wagen aus den Feldern hernausziehen, wobei es einmal vorkam, daß ein Wagen entzweiriß. Die Kartoffeln wurden mit Rodemaschinen geerntet, von Hand aus in Körbe gesammelt und auf den Truhenwagen geleert. Auf dem Hof wurde der Schild hochgezogen und die Kartoffeln nach rückwärts mit Kartoffelgabeln abgeladen. Durch das Regenwetter waren die Kartoffeln stark verschmutzt und durch rücksichtsloses Zufahren zu den Mieten, wobei viele Kartoffeln zerquetscht wurden, kam es später zu starker Fäulnis. Die Kartoffeln wurden auf ca. 1,5 m breite und über 1 m hohe Haufen von 50 bis 60 m Länge gelagert, dann mit Stroh abgedeckt, das gegen den Regen noch mit einer Schicht Erde abgedeckt wurde. Wahrscheinlich waren die Erdäpfeln durch das feuchte Wetter mit Kraut- und Knollenfäule befallen, so daß die Krankheit in den Mieten ordentlich gedieh. Im Winter bekamen wir dann in die Brennerei teilweise eine stinkende Soße anstatt der Erdäpfel in die Wäscherei geliefert. Durch die Wäscherei wurde dann ja das verfaulte vom gesunden getrennt - aber die verarbeitete Menge stimmte dann natürlich nicht mehr mit der angelieferten Menge überein. Da die Genossenschaft erst nach dem Frühjahrsanbau gegründet worden war, hatten die Bauern natürlich nur wenig Kartoffeln anliefern können, da sie die für die Brennereigenossenschaft notwendige Menge nicht angebaut hatten (Die Mitglieder mußten pro Anteil 1 ha Kartoffeln anbauen).

In dieser Zeit wohnte ich im Gasthaus Hietz (Josef) in einem Zimmer im Hof. Im Herbst hatte ich mir ein Motorrad, eine Puch 250 S4 - also 250 ccm-Sport - mit vier Gängen gekauft! Ein Superding zu dieser Zeit, die normalen waren T3, also Touren mit 3 Gängen. Es war auch ganz schön teuer gewesen: 1.650 S - ich verdiente zu dieser Zeit monatlich S 250.- (Wenn man es auf die heutigen Preise beziehen würde, wären es 165.000 S). In dieser Zeit spitzte sich die politische Lage zu, Schuschnigg fuhr nach Berchtesgaden und verkündete auf dem Rückweg in Innsbruck, daß er in acht Tagen eine Volksabstimmung machen wolle. Hitler hatte etwas dagegen und ließ die Wehrmacht einmarschieren. Im Gasthaus war ein Radio und wir hörten die Abschiedsrede Schuschniggs mit "Gott schütze Österreich". Ich war überzeugt, daß es da drunter und drüber gehen würde, schwang mich auf die Maschine und fuhr nach Wien. Alles war ruhig, nur in Himberg sah ich bei der Heimfahrt einen Nazi mit einer Hakenkreuzarmbinde. In Wien kaum eine Naziuniform. Dann kam die massive Propaganda mit Zeitschriften und Aufmärschen (einmal mußte der ganze Ort samt dem Gutshof um 7h früh zum Bahnhof und da fuhr ein Propagandawaggon mit Lautsprecher ein, von dem aus ein Parteiredner mit öliger Stimme seine phrasenreiche Wahlrede für die Volksabstimmung über den "Anschluß der Ostmark an das Deutsche Reich" hielt. Als dann bei der Abstimmung in Mitterndorf eine "nein"-Stimme war, wurde ein Bauer bezichtigt, der Verräter zu sein, der verhindert hatte, daß es ein hundertprozentiges Ergebnis gegeben hätte und Mitterndorf zu einer "Führergemeinde" geworden wäre. Alle waren eingeschüchtert. Mich erklärte die Mitterndorfer Parteileitung zum Juden: 1.) war ich bei Landesmann (er war Jude, seine Firma war eine AG, die in Liechtenstein, Vaduz, ihren Sitz hatte, was aber weder ihm noch der Firma half, denn der Betrieb wurde arisiert), 2.) bezog ich eine Prager Zeitung (ein liberales Blatt), da ich mich informieren wollte (der heutigen Presse entsprechend), 3.) war mein Aussehen nicht so arisch, wie sie es sich wünschten und meine Ansichten, aus denen ich auch nie ein Hehl gemacht hatte waren auch nicht die eines Nazis. Ich mußte die Taufscheine meiner Eltern bringen, um die Herren von meiner arischen Abstammung zu überzeugen.

Inzwischen waren die Erdäpfel fast zu Ende, wir hatten aber noch ein Kontingent offen. Also fuhr ich mit einem Mitterndorfer, Josef Kopp, nach Wiener Herberg und Rauchenwart, Erdäpfel einkaufen (um 6 Groschen). Damit kamen wir halbwegs aus (unsere Mitglieder bekamen 7 g und die Schlempe gratis als Viehfutter), aber das Finanzamt hatte etwas anderes entdeckt: die Genossenschaft war ein "jüdischer" Betrieb, da Landesmann ja 51 % der Anteile hatte. Daher gebührte uns nicht der Spirituspreis für die Arier, sondern ein entsprechend niedriger - und überhaupt müßten wir zusperren! Also erschien ein Finanzer und plombierte unsere Destillierkolonne, denn das war ja diese böse Stelle, aus der der jüdische Spiritus floß. Aber so leicht gab ich nicht auf. Da hatten sie ja so geschrien "Kampf dem Verderbt' und nun so etwas! Immerhin waren ja 4 Behälter mit je 100 hl Maische, das sind 24 t Kartoffeln, im Vergären oder schon vergoren und mußten destilliert werden, sollten sie nicht verderben (zu Essig werden!). Also fuhr ich - da war halt die Maschine wieder einmal gut!- nach Pottendorf (dort war auch der Sitz des Finanzamtes, von dem aus die Verplombung erfolgt war) zum dortigen Kreisbauernführer Ott. Dem schilderte ich die Lage - na und "Kampf dem Verderb" zog ja - und außerdem hatte er vielleicht auch mit dem Finanzamt ein Hühnchen zu rupfen? Ott rief also und ein SA-Mann erschien mit seiner Beiwagenmaschine. Der erhielt den Auftrag, den Finanzbeamten, der die Plomben angebracht hatte, in seiner Maschine umgehend nach Mitterndorf zu führen, damit er diese Plomben eigenhändig wieder abnehme! (Das alles mußte - so wie das Anbringen - mit Protokoll und Trara gemacht werden.) Also geschah es, und der arme Finanzbeamte hatte dann noch arge Scherereien mit seinen Vorgesetzten, weil er der Gewalt gewichen war. Ich mußte ihm dann noch bezeugen, daß er tatsächlich unter Zwang gehandelt hatte. Aber es ist möglich, daß er dadurch einen Schlechtpunkt bekam (er hätte sich wahrscheinlich in Stücke hauen lassen müssen als einem Kreisbauernführer - übrigens ein großer Illegaler - zu Willen zu sein), einen Schlechtpunkt, der ihm vielleicht 1945 zu einer Beförderung verholfen hat. Wer weiß?)

Aber jedenfalls war es ein Betrieb unter Krampf und dazu kam der Gedanke, daß ich mit meinen 24 Jahren den Gipfel erreicht hatte, daß es infolge der Kontingentierung nie mehr als 1.000 t Erdäpfel jährlich sein würden, die zu verarbeiten waren - also keine Entwicklung, nichts, nach dem man auf diesem Gebiet streben könnte. Dann die Kammer - zuerst ganz, ganz schwarz und eine Domäne des CV - jetzt die Kreis- und Landesbauernschaften nur mehr "Blut und Boden", also ganz, ganz braun - da gab es für mich weder eine Möglichkeit, noch hatte ich Lust, dabei mitzutun (sie hätten mich auch nicht lassen).

Zuerst hatte ich daran gedacht, den Doktor zu machen. Zeit hätte ich ja gehabt, da wir um 1/2 2 Uhr nachmittags mit der Arbeit fertig waren. Und die Buchhaltung nahm auch nicht so viel Zeit in Anspruch. Im Mai mußte man dann eine Einreichung beim Finanzamt mit einer Aufstellung der Flächen der Mitglieder (mit Grundbesitzbogen) und die Viehbestände (um den Bedarf an Schlempe zu begründen) abgeben und dann noch den Jahresabschluß der Genossenschaft für die Vollversammlung fertigstellen. Dazu kamen einige Sitzungen der Funktionäre und die Vollversammlung mit Sitzungsprotokollen. Da wäre gewiß Zeit für eine Arbeit für ein Doktorat gewesen. Ich vermißte wohl die Ski-Ferien zu Weihnachten und Ostern. Zu Weihnachten z.B. gab es keine Pause, da ja die Hefe immer jeden Tag neu angesetzt werden mußte (nur in Baden gab es eine Sonntagsruhe) und zu Ostern war ja noch Betrieb. Ich spekulierte daher auf einen "Sommerskilauf" - eine zu dieser Zeit ganz und gar unmögliche und unerprobte Sache. Auf der anderen Seite hätte man im Sommer einen ausgiebigen Urlaub genießen können - die Jahresarbeitszeit war durch den Kampagnebetrieb sowieso mehr als erfüllt.

Nach dem März 1938 erhielten wir einen kommissarischen Leiter, Ing. Lerner von der Landwirtschaftlichen Schule in Weigelsdorf. Wir mußten eine Vollversammlung abhalten, bei der der bisherige Obmann Hofbauer - weil er kein Nazi war - zurücktreten mußte. Dazu wurde ein Teil der Funktionäre ausgewechselt (auf Weisung der Ortsgruppen-leitung - der Ortsgruppenleiter nahm an der Vollversammlung teil, obwohl er kein Mitglied war, sicher um zu kontrollieren, daß alles nach seinen Weisungen erfolgte) wobei auch ein Mitglied Funktionär wurde, weil sein Sohn bei der SA war. Also lauter Sachen, die nach dem Genossenschaftsgesetz gänzlich unzulässig waren und mir ganz und gar gegen den Strich gingen. Das demokratische Prinzip war ja der Hauptgrund gewesen, warum ich mich dem Genossenschaftswesen verschrieben hatte. Denn die Funktionäre waren ja gewählt und hatten sich nichts zuschulden kommen lassen. Aber das war einem Faschisten in seinem Machtrausch nicht beizubringen. Ich konnte dabei gar nicht viel reden, denn ich war ja kein Funktionär sondern nur ein Angestellter der Genossenschaft. Sie ließen mich zwar in Ruhe (Fachleute brauchten sie wohl trotzdem!) aber ich hatte die Nase voll - war aber unschlüssig, was ich machen sollte.

Für den Sommer hatten wir privat große Pläne: Brachtl wollte mit einem Studienkollegen aus Waidhofen/Ybbs und mir ins Gesäuse zum Eingehen, anschließend wollten wir die Palavicinirinne auf den Glockner machen und uns halt im Hochgebirge herumtreiben. Ich fuhr also mit der "Maschin" mit der ganzen Ausrüstung nach Gstatterboden. Ab der steirischen Grenze war schon seit über einem Jahr Rechtsfahren. In Gstatterboden hatten wir unser Quartier in einem kleinen Holzhäuschen auf dem Dachboden. Da hausten schon fünf oder sechs andere Kletterfaxen. Unten wohnte eine Familie, zwei alte Leute. Wir richteten uns auf dem Matratzenlager ein. Brachtl war mit seinem Freund (von der Uni) mit dem Radl da. Am nächsten Tag ging es auf den Kleinen Buchstein, ich glaube SW-Kante. Es war gar nicht so einfach, eine "sehr schwierige" Tour. Und dabei war ich mindestens ein Jahr oder länger nicht im Fels gegangen. Jedenfalls war eine Stelle drinnen, wo ich zwei Meter fast ohne Griff und Tritt - und dabei total ausgesetzt! - schön schwitzte und Brachtl beschwor "Halt", d.h. "halt mich fest". Aber das war bald vergessen. Mehr beschäftigte mich ein kleines Steinchen, das mich auf der Oberlippe getroffen hatte, daß ich glaubte, ein Zahn sei draußen. Oben übernachteten wir in einer Almhütte auf der Nordseite, stiegen dann am nächsten Tag wieder zum Gipfel auf, um durch die Südwand abzusteigen. Bei dem kurzen Aufstieg, den wir lachend und laufend über schönen Fels machten, überholten wir eine Partie Wiener, die einen Reichsdeutschen mithatten. Der war ganz begeistert von unserer Art und wollte unbedingt mit uns gehen. Aber seine österreichischen Freunde überredeten ihn doch, bei ihnen zu bleiben, da er nicht unsere "Erfahrung" hätte. Wir waren auch ganz und gar unbekümmert und kletterten drauf los mit Freude und Schwung. Auf der Südseite ging es dann hinab. Die Route war als "schwierig" bezeichnet - also für uns überhaupt kein Problem. Wir legten nicht einmal die Kletterschuhe an und Anseilen kam schon überhaupt nicht in Frage. Brachtl ging zuerst, dann kam ich und den Schluß bildete der Waidhofener. Die ersten 100 m oder mehr waren wirklich nicht schwierig - d.h. die ganzen Tour war nicht schwierig. Zuerst ein Kamin, der oben etwas enger war, und in dem es leicht zu klettern ging. Auf einem tischgroßen Klemmblock in einer Erweiterung des Kamins wartete Brachtl auf mich, während der Waidhofener langsam nachkam. Brachtl war für das Überklettern des Blockes, was etwas schwieriger war, da man ja nicht sah, was einen darunter erwartete und man wie bei einem Überhang unten wieder in den Kamin hinein mußte. Der Waidhofener war für ein Umgehen des Blockes in der Wand. Brachtl kletterte vorsichtig über den Block und war dann im Kamin unter dem Block verschwunden. Von dort konnte er mich dirigieren. Ich stützte mich außen auf und ließ mich hinunter, wobei mir Brachtl ansagte, wo ich einen Tritt finden würde. Möglicherweise war der Block durch Brachtl schon etwas gelockert worden, oder ließ ich mich vom Stütz in den Hang zu schwungvoll hinunter - jedenfalls sah ich, als ich in Augenhöhe mit der Blockkante war, an der Seite des Blockes mit der er im Kamin festsaß, Sand rieseln: der Block kippte um (aber das sah ich nicht mehr), ich flog hinaus und dann sah ich im Zeitlupentempo einmal einen weiß-grauen, dann einen gelblichen Fleck (Stein) auf mich zukommen, immer größer und größer werden, dann ein schneller "Klatsch" und wieder ein farbiger Fleck, der sich langsam aber unaufhaltsam näherte, während ich stillzustehen (oder-liegen) schien. - Und dann ein schnelles "Klatsch, klatsch, Klatsch" und ich lag still. In diesem Augenblick schoß etwas Bräunliches an mir vorbei und ich dachte: jetzt kommt der Steinschlag und kroch rasch aus der Fallinie fort. Da lag ich unter der Wand auf einer schrägen Geröllhalde auf einem breiten Band, das von Westen nach Osten geneigt war, in das der Kamin in der gleichen Richtung unten in einem Knick mündete und das nach ca. 20 m abbrach. Ungefähr 10 bis 12 m unter mir lag Brachtl in seinem braunen Schnürlsamt Kletteranzug. Mein Flug war durch die plattige Begrenzung (d.h. durch dreimaliges Aufschlagen - vermutlich mit dem Kopf - denn in halber Höhe sah man Blutflecken auf dem Stein und mein Kopf blutete ganz schön) gebremst worden, während Brachtl in den "Auslauf" gekommen war. Da lagen wir also. Ich hörte Brachtl stöhnen, also lebte er, und den Dritten von oben fragend rufen. Ich rief zurück: "Wir leben". Inzwischen wurde Brachtl munter und kroch zu mir herauf. Bei mir stellte sich der Schock ein und ich wurde apathisch, so daß unser unverletzter Gefährte, als er endlich bei uns ankam (er hatte diese Stelle durch die Wand gemacht und war sicher - durch die Ereignisse beeindruckt - sehr vorsichtig geklettert), einen unguten Eindruck gewann. Er ließ Brachtl seine Jacke zurück und versprach, schnellstens die Bergrettung zu verständigen, damit wir bald ins Tal kämen. Soviel wir sehen konnten, hatten wir Wunden am ganzen Körper. Ich hatte eine größere Wunde auf der Kniescheibe: in Wien wurde ein Gelenkskapselabriß festgestellt mit Verletzungen des Schleimbeutels, was mir bei der Bewegung Schwierigkeiten machte, eine tiefere Wunde ober dem Bergschuh außen, Hautwunden am Rumpf, den Armen, Händen und vor allem am Kopf (Stirn und Scheitel) und am Kinn. Brachtl hatte eine angeknackste Hüftschaufel und ebenfalls jede Menge Hautverletzungen. Zuerst suchten wir unsere Sachen zusammen. Ich hatte den Rucksack umgehabt und der hatte meinen Rücken geschützt. Der Fotoapparat war weg und wurde am nächsten Tag 20 m weiter unten auf dem Band gefunden: die Außentasche war weggerissen worden, so daß der Apparat davonfliegen konnte. Wegen des Steinschlages, der laufend aus dem Kamin niederging, krochen wir das Band höher hinauf - weg vom Kamin. Dort lag noch ein Schneefeld vom Winter her. Zwischen der Wand und dem Schnee war eine Kluft ausgeschmolzen und dahinein verlegten wir unser Biwak. Inzwischen war es Nachmittag geworden, ein Nebel stieg auf und es begann zu nieseln und dann zu regnen. Durch die Wand im Rücken waren wir von oben etwas geschützt - aber kalt war es doch im Schneekeller und naß wurden wir auch nach und nach. Das Knie lehnte ich an den Schnee, um den Schmerz zu lindern (Lokalanästhesie), ein feuchtkalter Umschlag gegen die Entzündung. Die Zeit verging sehr langsam und wir gaben rufend von Zeit zu Zeit das alpine Notsignal. Es wurde dunkel, bis wir endlich eine Antwort erhielten. Unser Kamerad war nach Johnsbach gerade zurecht zum Kirtag gekommen, wo alle Kletterer und Rettungsmänner gemütlich beisammen saßen. Sie waren sofort aufgebrochen, mußten aber um 9 Uhr wegen der Dunkelheit aus der Wand zurück - da hatten wir sie und sie uns gehört. Sie übernachteten am Fuß der Wand in einer Holzfällerhütte, um in der Früh gleich aufsteigen zu können. Für uns wurde die Nacht sehr lang. Schon bald klapperten wir mit den Zähnen - vor Kälte oder Wundfieber - bekamen starken Durst und konnten natürlich nicht schlafen. Eine Feldflasche wurde so aufgestellt, daß das Schneeschmelzwasser hineintropfte - das half uns gegen den Durst. Brachtl meinte, das wenigste, was wir da bekämen, wäre eine Lungenentzündung.

Endlich wurde es heller, auch der Regen ließ nach und um 7 oder 8 Uhr hörten wir dann unsere Retter nahen. Ausgezogen waren 15 Mann, zu uns kamen 7. Der Rest war durch Steinschlag verletzt oder mußte die Verletzten abtransportieren. Es war aber auch ein Wahnsinn, soviele Leute auf einmal in die Wand hineinzulassen. Durch die Seile lösten sie immer wieder Steine und bei der großen Anzahl von Leuten war es kein Wunder, getroffen zu werden. Unser Kamerad hatte die Lage drastisch geschildert (in der Kronenzeitung und in anderen Zeitungen waren wir als tot gemeldet worden), so daß unsere Retter über unsere Verfassung erstaunt waren. Wir wurden allerdings schwer enttäuscht, als die "Rettung" begann. Je eine Seilschaft nahm einen von uns in die Mitte ans Seil und dann konnten wir hinabklettern. Das hätten wir allein auch gekonnt! Aber eine andere Möglichkeit war nicht gegeben (vielleicht hatten sie Erdäpfelsäcke mit - in den nächsten Tagen erzählte mir einer von diesen Gemütsmenschen, wie er am Damischbachturm im Vorjahr Abgestürzte zusammengeklaubt und in einem Erdäpfelsack heruntergebracht hatte - die Reste halt) - also ging es mit einem steifen Knie hinunter. Brachtl ging es mit seiner Hüfte ähnlich, aber es gab keine andere Lösung. Daher blieb uns nichts anderes übrig und wir verloren kein Wort darüber, sondern waren nur froh, daß das Wetter wieder schön geworden war. Beim Abstieg wurden noch zwei oder drei Männer durch Steinschlag verletzt, einer von einem Brocken um die zehn kg in die Nierengegend getroffen (sie sagten, es habe ihm dabei einen Bruch herausgedrängt?), aber die Kerle waren so ungeschickt, daß sie sich mit dem Körper (und vor allem mit dem Gesicht) zur Wand preßten, wenn es polterte, anstatt hinaufzuschauen und den Stein im Auge zu behalten, wenn er so von einer Seite der Wand zur anderen springt und zu versuchen, dem Stein auszuweichen (was meistens gelingt, wenn es ein einzelner Stein ist). Unter der Wand im Wald wartete ein Auto auf uns, das uns in unser Quartier in Gstatterboden brachte. Dort untersuchte uns der Arzt aus Admont, der darin ja bestimmt viel Erfahrung hat und erklärte: "Am Berg ist alles rein", stellte fest, daß wir keine 10 cm gute Haut hätten und bestellte mich wegen der Verletzung am Knie für den nächsten oder übernächsten Tag in seine Ordination nach Admont. Zum Schutz gegen Steinschlag hatte ich in unserem Biwak einen Schladminger Hut getragen, den ich auch gegen den Regen brauchte. Der war mit seinem Schweißband an den Kopfwunden festgeklebt, so daß ich wieder blutete, als ich ihn dann abnahm. Zuerst zogen wir einmal alles aus und Trainingsanzüge an. Prompt klebten dann die Kleidungsstücke am nächsten Tag an unseren Körper- und Armwunden fest. Aber der Arzt hatte recht! Auch eine Oberarmwunde, die am Trainingsanzug festgeklebt war, begann nicht zu eitern. Am nächsten Tag kam Poldi Schätz (Brachtls spätere Frau - Regiefahrerin) mit dem Zug und nahm ihren Karli mit. Ich fuhr mit meiner S 4 nach Admont zum Arzt, der mit H202 in die Kniewunde hineinspritzte und prompt Sand herausbeförderte. Er meinte, ich könne mit dem Motorrad nach Hause fahren - aber stürzen dürfe ich nicht. Und dabei wäre das bei der Fahrt nach Admont bald passiert. Da ich den Fuß gestreckt halten wollte - so tat er mir am wenigsten weh - hatte ich mir aus einem Langriemen eine Lederschlaufe gemacht, die ich am Lenker befestigte. Da hinein hatte ich den Fuß gesteckt. Das muß man einmal probieren, um zu erfahren, was das für eine wackelige Fahrt ergibt. Das Wegfahren, wenn der Lenker stets auf eine Seite gezogen wird, ist schon ein Problem. Zum Glück kam ich aus der Schlinge heraus, bevor es zu spät war, aber es war knapp vor einem Sturz gewesen! Also setzte ich mich mit dem Oberschenkel auf den Sitz und streckte das blessierte Bein steif schräg nach vorne. Für die Heimfahrt hatte ich dann den Rucksack auf dem Soziussitz so aufgebaut, daß eine tadellose stabile Rückenlehne entstand und ich ganz bequem fahren konnte. Und so ging es in kurzen Etappen von 50 km mit jeweils einer kleinen Rast nach Hause. Daheim hatten sie auf Grund der Zeitungsmeldungen bei der Polizei nachgefragt, die sie auf die Post verwies. Ich war auf das Postamt gerufen worden und konnte dort bestätigen, daß die Zeitungsmeldungen stark übertrieben waren.

Anschließend war ich im Krankenstand - mit einem steifen Kniegelenk - und hatte Zeit, nachzudenken. D.h. eigentlich war ich mir gar nicht so sicher, daß ich noch ich sei. Ich konnte mir vorstellen, daß ich bereits tot sei und alles weitere nur träume oder daß es ein "geliehenes" Leben sei. Wenn ich ging, hatte ich das Gefühl, einige cm über dem Boden zu sein - also ganz unwirklich. - Jedenfalls war ich zur Überzeugung gekommen oder vielmehr gebracht worden, daß Klettern nicht meine absolute Stärke war. Nicht, daß ich es nicht gerne machte und auch konnte - aber es gehört mehr dazu. Im entscheidenden Moment war ich nicht genug ruhig oder vorsichtig oder konzentriert oder hatte einfach nicht das Glück dazu. Vor allem kam mir zum Bewußtsein - und es schauderte mir davor - wie furchtbar es sein müsse, wenn einem dabei ein Kamerad stirbt. Brachtl hätte ja auch tot sein können! Entweder war ich auf ihn gefallen - was weniger wahrscheinlich war, denn er war sicher nicht unter mir stehen geblieben, sondern hatte sich seitlich einen Standplatz gesucht (außerdem war ich nach außen gefallen!), oder der Block hatte ihn gestreift, so daß auch er stürzte - allerdings etwas langsamer als ich, weil er ja im Kamin stand, während ich nach rückwärts und damit nach außen flog und erst später in den Kamin wieder hineinfiel, wo ich durch das Aufschlagen an die seitlichen Wände den Sturz etwas abbremste.- Jedenfalls empfand ich diese Vorstellung eines schwer verletzten oder gar toten Kameraden - noch dazu durch meine kleinere oder größere Schuld - als unerträglich und ich beendete damit meine Kletterlaufbahn. Dazu kam, daß ich an mein Glück in den Bergen nicht glauben konnte, denn ich hatte mit Brachtl bereits ein Erlebnis gehabt, das auch schlecht ausgehen hätte können.

Noch in der Studienzeit wollte ich nach Holland auf einen Viehzuchtbetrieb, um in den Ferien zu praktizieren. Von der Lehrkanzel für Milchwirtschaft (Staffe) erhielt ich einige Adressen und ich schrieb an diese Mijnheers. Entweder war meine Schreibweise nicht entsprechend oder hatten sie wirklich keine Möglichkeit, einen Praktikanten, der jede Arbeit gemacht hätte, gegen ein Taschengeld in die Kunst der praktischen Tierzucht einzuweihen - jedenfalls bekam ich abschlägige Be- scheide. Ich verfolgte das Eintreffen dieser negativen Antworten mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Einerseits wollte ich ja nach Holland um etwas zu sehen - es war vor der Zeit meiner Liebe zur Technologie und den Genossenschaften - andererseits wollte Scholz mit einer größeren Partie in die Schobergruppe und in die Zillertaler, und da wäre ich gar zu gern mitgegangen. Brachtl machte Turnen an der Uni und da hatte er einen Alpinkurs auf der Südseite des Großvenediger (Pragerhütte) zur gleichen Zeit - aber für den Venediger wären ein paar Tage vor dem Beginn des Kurses möglich gewesen. Jedenfalls wartete ich auf die letzte Antwort. Sie kam - wieder negativ - am Vormittag des Tages, an dem zu Mittag die Partie vom Westbahnhof abfuhr. Ich mußte noch Steigeisen und Pickel kaufen (natürlich bei Mitzi Langer) und kam gerade noch zurecht zur Abfahrt. Das war ein Hallo! Ich ging also mit Brachtl auf die Kürsingerhütte, während die anderen zum Dreiländereck marschierten. Ich sollte dann nachkommen und Pretl wollte gar erst in Mayerhofen zu uns stoßen. Brachtl und ich machten zum Eingehen am ersten Tag den Kleinvenediger über die Westwand auf den Grat und zur Scharte - gar nicht schwierig, nur bitterkalt, da wir in der Wand (westseitig) in der Früh natürlich im Schatten waren. Von der Scharte ging es auf dem normalen Weg auf den Großvenediger und dann wieder zurück zur Kürsingerhütte. Dabei sahen wir uns den Weg an, den wir am nächsten Tag planten: die Ostwand und über den Nordgrat zum Gipfel. Der Nordgrat fällt nach beiden Seiten steil ab, hat Gendarmen (kleine Felstürme), die umgangen werden, wenn es geht, oder überklettert werden müssen - was meistens etwas länger dauert - dann kommt ein Firngrat, der ansteigend zum Gipfelaufschwung führt - wieder Fels mit Schnee durchsetzt und darüber die überhängende Gipfelwächte. Mit Scholz waren wir auf dem "Geiger" gewesen, eine ganz harmlose Sache, dann waren sie weitergezogen und ich sollte also in zwei Tagen nachkommen. In der Früh um 3 Uhr war es nebelig und die Bergführer erklärten, an diesem Tag nicht auf den Venediger zu führen. Um 1/2 5 Uhr waren die Bergführer für's Gehen und auch wir machten uns auf den Weg, überquerten den Gletscher und stiegen zum Nordgrat auf. Oben wurde das Wetter wieder etwas schlechter, wir gingen aber weiter. Bei den Gendarmen dauerte es etwas länger als wir gerechnet hatten, dafür machten wir den Firngrat dann rascher. Vielleicht drei Seillängen versuchten wir zuerst reitend - das geht langsam -, dann gut gesichert, wobei wir uns versicherten, daß der Haltende, wenn der Vorausgehende stürzt, auf die andere Seite hinunterspringen muß, sonst hat er keine Chance, den Kameraden zu halten. Und schließlich gingen wir beide gleichzeitig, wohl sehr vorsichtig (aber springen konnten wir auch aus dem Gehen heraus!) und kamen rasch zum Gipfelaufschwung. Dann wurde es aber auch schon Mittag - normalerweise die Zeit, zu der man oben sein will. Dabei war so dichter Nebel, daß wir kaum 10 m weit sahen. Aber wir konnten es ja nicht verfehlen, denn der Grat führte eindeutig zum Gipfel. Es hatte zu schneien begonnen, ein quatschiger Schnee, so daß wir ganz naß wurden. Beim Gipfelaufschwung lag dann soviel Schnee auf den Steinen, daß wir mit den Steigeisen kletterten. Ich hängte mich mit den vorderen Zacken in Ritzen und versuchte so zu klettern. Irgendeinmal riß eine scharfe Ecke am Fels meiner Knickerbockerhose am Oberschenkel ein Stück Stoff, ca. 12 x 12 cm heraus, so daß es nur mehr am oberen Rand an der Hose hing. In diese Öffnung fiel natürlich beim Klettern der Schnee hinein - also gar nicht angenehm. Wir hatten nichts gegessen und getrunken (Wasser gab es da oben ja nicht und zum Essen nahmen wir uns keine Zeit) und mühten uns im Nebel ab. Brachtl ging vorne, aber im lockeren Schnee und verschneiten Fels - ohne richtigen Überblick, wie weit es noch zur Wächte sei - gab er bald auf, denn wir mußten ja damit rechnen, daß wir für den Abstieg wieder so lange brauchen würden wie für den Anstieg - und dann war es finster auf dem Gletscher. Und das bei Schneetreiben und Nebel. Die Spuren waren sicher zugeschneit - also Rückzug. Ich wäre ja gerne über den Gipfel gegangen, denn den normalen Abstieg kannten wir bereits, den hätten wir laufend zurückgelegt. Aber Brachtl hatte Respekt vor der Gipfelwächte und erklärt noch heute, wir hätten es nicht geschafft. Man muß eine Gipfelwächte so angehen, daß einer seitlich sichert, während der andere von unten ein Loch durch die Wächte ausarbeitet, durch das man dann auf den Gipfel hinausklettert. Nun war die Wächte sicher drei Meter stark und es wäre sicher nicht leicht gewesen (und vor allem langwierig) sie zu überwinden. Kritisch wäre es geworden, wenn während der Wühlerei und Hackerei an der Wächte ein Stück abgebrochen oder der Stand ausgebrochen wäre, so daß der "Wächtenbohrer" womöglich mit einem Trum geflogen wäre. Ob da der Zweite einen genug festen Sicherungsstand gehabt hätte? Auch mit Pickelsicherung (etwas anderes hatten wir ja nicht) erscheint mir das fraglich. Denn wenn man dort flog, landete man erst auf dem Gletscher - und das waren einige hundert Meter. Jedenfalls riskierte Brachtl nichts und es hieß Rückzug - vielleicht zwei oder drei Seillängen vor dem Gipfel. Genaues konnten wir wegen des Nebels nicht ausmachen. Und das hieß auch: hinunter auf den Gletscher und das möglichst bald, denn die Zeit verrann. Das hieß aber wieder: gänzlich unbekanntes Gebiet, denn es war immer noch starker Nebel. Nur eines wußten wir: daß es hinunterging. Zuerst also ein Abstieg über verschneiten Fels und dann über Firn mit Neuschneeauflage - ziemlich steil - bis wir zur Randkluft des Gletschers kamen. Sie war ganz schön überhöht, d.h. vom Firn zum Gletscher war ein zimmerhoher Abbruch und eine 1,5 bis 2 m breite Spalte. Also sicherte ich Brachtl über den eingerammten Pickel und Brachtl sprang. Unten ging es steil weiter wie auf einer Sprungschanze im Anlauf. Natürlich - wir hatten ja damit gerechnet - konnte er den Sprung nicht stehen und sauste hinab. Meine Sicherung brachte ihn zum Stehen, d.h. er bekam einen ordentlichen Ruck und konnte sich aufrappeln, aber dafür hatte es mich samt meinem Pickel ausgehoben und ich rutschte zur Randkluft und flog darüber hinaus auf den Gletscher. Inzwischen hatte aber Brachtl festen Stand gefunden und bis das Seil gespannt war so über seinen Pickel gesichert, daß er mich hielt. Dann ging es auf den ebeneren Teil des Gletschers hinunter. Und dabei ging mir auf, was mir schon öfter Sorgen bereitet hatte: meine Orientierungsfähigkeit war katastrophal! Beim Hinsehen war der N-Grat zur Rechten gewesen und nachdem wir nun auf dem Rückweg den Grat zur Linken hatten, war ich der festen Meinung, wir wären nicht auf der Ost-, sondern auf der Westseite des Grates. Zur Entschuldigung möchte ich anführen, daß wir dichten Nebel hatten, so daß ein Überblick überhaupt nicht möglich war, sondern daß man nur das Allernächste sehen konnte - also eine Orientierung an einem Berg oder einer Spitze ja nicht möglich war. Aber trotzdem machte mich das stutzig, daß Brachtl selbstverständlich und mit Sicherheit den Weg angeben konnte, während ich verkehrt gegangen wäre. Wir waren ja auf dem Gletscher, der wohl in Richtung Tal eine geringe Neigung besitzt, aber durch Unregelmäßigkeiten und die vielen großen und die Unzahl kleiner Spalten und Eisaufbrüche und -würfe keine Aussage über das Gefälle zuläßt - vor allem im Nebel, wo man nur die nächsten paar Meter sehen konnte. Dieses Gewirr von Spalten muß der obere Teil der "Türkischen Zeltstadt" sein, den man vom normalen Aufstieg zum Venediger (wahrscheinlich durch eine uhrglasförmige Gestalt des Gletschers) nicht sehen kann. Da kletterten wir und sprangen auf blankem Eis mit den Steigeisen. Die Zeit verging und es wurde dunkel. Wir waren uns einig, vor allem ich sagte: biwakieren kommt nicht in Frage! (Kunststück - wir hatten überhaupt nichts mit dafür), sondern wir gehen bergab, bis wir vom Gletscher herunten sind und dann finden wir schon den Weg und die Hütte. Natürlich hielten wir uns auch nach Osten, um den Gletscher zu queren, und um 1/2 9 Uhr abends klarte der Nebel etwas auf, und wir sahen schräg vor uns Steine und Felsen und gegen den Himmel ein Steinmanderl. Es war die Moräne und das Steinmanderl war eine Markierung des normalen Weges auf den Venediger. In einer halben Stunde waren wir laufend und springend - trotz Dunkelheit - bei der Kürsingerhütte und als wir die Tür aufmachten, standen vor uns die Bergführer, die im Begriff waren, mit Seilen und Rettungsegerät ausgerüstet, diese unvorsichtigen jungen Leute auf dem Gletscher, dem Nordgrat oder sonstwo zu suchen. Jedenfalls waren sie vom ganzen Vorhaben nicht begeistert, das sah man ihnen an. Sie sagten aber nicht viel, sicher waren sie froh, bei diesem Wetter in der Nacht unter dem heimeligen Dach der Hütte bleiben zu können.

Aber wir waren noch lange nicht schläfrig. Bei der Moräne hatten wir an einem Wasserl getrunken, das war das einzige und erste, was wir nach dem Frühstück um 1/2 5 Uhr an diesem Tag zu uns genommen hatten. Dementsprechend war unser Durst und Appetit. Nachdem der Wirt ebenfalls blitzartig in seiner Schlafkammer verschwunden war, tranken wir von seinem Zitronenkonzentrat. Dabei war es auf der Hütte nicht billig: jedes Glas Wasser mußte bezahlt waden - es mußte aber auch alles mit Trägern aus dem Tal, das Wasser von einer Quelle mit Trägern mit Kraxen hinaufgetragen werden. Wir hatten aber eine andere Quelle entdeckt: von der Regenrinne floß das Wasser in einen Behälter - und dieses Regenwasser war unsere Wasserquelle! Die nassen Kleider hatten wir über den Kachelofen auf die dafür gerichteten Stangen gehängt und waren schlafen gegangen. Am nächsten Tag regnete es und wir genossen die trockenen und warmen Kleider in der Hütte. Brachtl spielte mit mir Schach, d.h. er spielte gegen sich selbst, denn er mußte meine Züge auch noch überdenken. Daneben zeigte er mir aus dem Kopf verschiedene berühmte Partien, gute Eröffnungen usf., mit einem Wort, er trainierte und frischte seine Kenntnisse auf. Er war - und ist sicher auch noch heute - ein sehr guter Spieler, während ich wohl die einzelnen Züge kannte, aber keinen Ehrgeiz besaß, dieses Spiel zu beherrschen. Tags darauf war das Wetter besser und Brachtl wanderte nach Süden über den Sattel zwischen Groß- und Kleinvenediger zu seinem Alpinkurs, während ich über den Gletscher nach Westen marschierte, um Scholz und die Übrigen einzuholen. Müde und zerrissen erreichte ich sie auch und Scholz als ehemaliger Pfadfinder stopfte das Loch in meiner Hose, das gar zu auffällg war.

Das Wetter verschlechterte sich wieder, während wir einen Aufstieg von 7 Stunden zu einer Hütte machten. Das drückt die Stimmung stark, wenn alle Sachen patschnaß sind, man sich bergauf müht und einen ordentlichen Rucksack mitschleppt. Aber dann kam eine Schönwetter-periode, wobei wir am ersten Tag über einen frischverschneiten Gletscher im unberührten Schnee stapften. Die Bergführer schimpften dann ordentlich mit uns, da wir mitten durch ein spaltenreiches Gebiet marschiert waren. Wir hatten uns auch gewundert, daß auf diesem Gletscher fast ständig einer in einer Spalte hing und herausgezogen werden mußte. Wenn der Erste, wenn er mit dem Pickel stocherte, keinen festen Grund fand, versuchte er es trotzdem, da wir ja weiterwollten. Wenn man vorsichtig auftritt, so kann es ja gelingen, daß einen die Neuschneeauflage trägt. Fiel dann der Zweite hinein, so hing er am Vorder- und am Hintermann. Allerdings konnte er sich beim Einbrechen nicht nach vorne - ans "rettende andere Ufer" werfen, um eine größere Auflage zu haben oder das drübere Ende der Spalte zu erreichen, da ihn ja der Hintermann am Seil hielt. Der Arme mußte dann in abgestimmter Aktion, so daß der Vordermann zog und der Hintermann etwas nachließ, auf festen Boden geschleppt werden. Der Letzte - ich war meistens Schlußmann - hatte es besser, da er nach vorne volle Bewegungsfreiheit hatte. Andererseits war aber auch das Risiko, daß der Schnee durchbrach, für den Letzten das größte. Das konnte aber unsere Laune überhaupt nicht beeinträchtigen und wir lachten wie die Narren den ganzen Vormittag über jeden "Reinfall", bis wir dann gegen Mittag durch die Erwärmung ein Einsinken des Schnees über den Spalten an einem leichten Schatten im Neuschnee erkennen konnten. Da konnten wir den Spalten leichter ausweichen.

Im weiteren Verlauf machten wir dann noch einige Gipfel. Einer davon, eine sehr, sehr schöne Tour, aber auch sehr anstrengend (wir brauchten zum Gipfel und zur Hütte "Rifugio Citta die Monza" fast 20 Stunden!) war der Hochfeiler (Gran Pilastro). Wir waren um 1 Uhr nachts von der Hütte aufgebrochen, zuerst bergab - im Finstern nicht sehr schön - dann über einen Gletscherbach, wobei man über Steine, die aus dem reißenden Bach herausragten, springend den Weg durch den Bach suchen mußte (wobei Scholz ins Wasser fiel) zur Rötenwand. Diese Wand hat ihren Namen nach einem zum Teil fast erdigen - jedenfalls aber sehr brüchigen Gestein, das zum Teil schiefrig in Platten zu Tage kommt. Wenn man sich an diesen Platten anhielt, hatte man sie in der Hand - also keinen Griff! Eine zweite Partie versuchte es links von uns, hatte aber noch weniger Glück und kehrte dann im Laufe des Vormittags unverrichteter Dinge um. Wir waren zu dritt, Scholz, Halbkram und ich. Ich fand heraus, daß man an diesen Platten nicht ziehen durfte, sondern daß man sich auf sie stützen mußte. Gegen Druck waren sie nicht empfindlich und man konnte sie dann auch ordentlich belasten. Dazwischen gab es dann wieder festeres Gestein, das aber wieder sehr steil war (Scholz bevorzugte diese Route). Aber die Hauptsache war, daß wir doch höher kamen und dann standen wir endlich vor dem Gletscher. Wir fanden eine Stelle, wo wir auf das Eis hinaufkonnten, und dann gings über den Ferner. Aus diesem Gletscher steigt dann der Gipfel auf. Über einen Firngrat keuchten wir ein paar hundert Meter hoch (wie ein kleines Matterhorn) auf den Gipfel. Von oben sahen wir dann auf dem Gletscher zwei Touristen - wir vermuteten Südtiroler - die gerastet hatten und dann mit einer Geschwindigkeit den Gletscher überquerten, daß uns die Sprache wegblieb. Und dabei hatten wir geglaubt, wir wären ganz gute Bergsteiger! Da fraß uns fast der Neid. Nachdem es aber schon Nachmittag geworden war, konnten wir nicht mehr damit rechnen, am gleichen Tag zurückzukommen. Wir marschierten also zur Schutzhütte auf der italienischen Seite (wir waren ja auch auf dem Berg in Italien) und übernachteten dort. Der Wirt machte uns den Eindruck eines einsilbigen Älplers - aber es dürfte sich um einen argen Notstand gehandelt haben, denn wer kam schon auf diesen Berg? Die Hütte lag fast am Gletscher, also ziemlich hoch, von Österreich war der Berg entweder durch einen langen, leichteren Anstieg, oder über unsere Route erreichbar - also für normale Tourengeher etwas zu schwierig. Und von der italienischen Seite war die Hütte bestimmt auch nicht leicht zu erreichen - und dann hatte man nur diesen einen Gipfel.

Am nächsten Tag waren wir über den leichteren Weg, der zum Teil die Route auf den Löffler war, wieder bei der Hütte und da gab es ein großes Hallo. Wir hatten einen anständigen Hunger (zu Trinken gab es genug Möglichkeiten an den Bächlein unterwegs) und aßen einmal eine ordentliche Pfanne Schmarren. Wir machten dann noch einige Gipfel in der Nähe - an die Namen kann ich mich gar nicht mehr erinnern - und gingen dann über den Olperer nach Mayerhofen. Der Olperer ist ein schöner Berg und nicht schwierig, obzwar Stellen zum Klettern darinnen sind. Bei so einer Stelle überholten wir eine andere Partie und mußten, um sie zu überholen, die normale Route verlassen. Da das ganze ja nicht sehr schwierig war, war das Ausweichen kein Problem - glaubt man. Auf einmal wurde es da draußen ganz schön schwierig und ausgesetzt. Aber nachdem wir (ich glaube Pretl war da mit mir) schon einmal vom normalen Weg abgewichen waren, blieb nichts anderes übrig, als durchzustarten. Und nachdem wir über den "Grablern" waren, konnten wir wieder auf den normalen Weg zurück und rasch den Gipfel erreichen. Dann gings hinunter nach Mayerhofen, laufend und springend - und dann warteten Scholz, Pretl und ich auf die Nachzügler (die sich dann einiges an Frozzelei anhören mußten). Insgesamt hatte ich bei dieser Tour zehn Dreitausender "gemacht" - am meisten von allen. Das war dadurch möglich, da wir nicht immer zusammengingen, sondern immer einige rasteten, während ich immer bei denen war, die etwas unternahmen. Und nach dem Kleinen Buchstein kam mir das alles zum Bewußtwein: die Orientierung, mein ungestümes, manchmal nicht genau überlegtes Handeln und das, was ich mit "wenig Glück" bei diesen Unternehmen bezeichnete (es war zwar immer gut gegangen - aber meistens etwas knapp) - das bewog mich nun, auf die Kletterei zu verzichten. Brachtl war einige Wochen später schon wieder unterwegs - seine Hüftverletzung behinderte ihn nicht so sehr wie mich mein Knie - ich hinkte noch eine schöne Weile. Außerdem war mein Urlaub aus. Zu dieser Zeit unterbrach Krankheit noch nicht den Urlaub. Ich kam wieder zurück nach Mitterndorf. Durch den Mechaniker Röschl, der meine Maschine nach einem Stern immer in Pflege bekam, war ich zum NSKK - einer Naziorganisation der Kraftfahrer - gekommen. Er hatte mir vorgeflauselt, daß man dadurch billiger Benzin bekommen würde, wobei ich beim Exerzieren mit Dr. Hauswirt und Oberverwalter Reiner zusammenkam. Dabei fragte mich Reiner einmal, ob ich Lust hätte, ins Lagerhaus zu kommen. Auf die Frage, ob ich es zum Geschäftsführer bringen könne, versicherte er mir, das sei durchaus möglich. Ich kündigte daher bei der Brennereigenossenschaft, mit der ich keine rechte Freude mehr hatte und der ich auch keine Zukunft unter den Nazis zutraute, und ging ins Lagerhaus Gramatneusiedl. Die Brennereigenossenschaft lebte dann noch ein Jahr unter einem farblosen Geschäftsführer (den Namen habe ich sogar vergessen) und löste sich dann auf.

Jedenfalls war es ein negatives Erlebnis für mich gewesen, daß dieser Betrieb so wenig Lebenskraft gehabt hatte. War es meine Schuld gewesen? Zuwenig Überzeugungskraft, zuwenig "Biß"? Irgendwie belastete mich diese Entwicklung, für die es aber nach menschlichem Ermessen keine Schuld gab. Denn die Entwicklung (Besetzung Österreichs, Krieg) war nicht von mir oder meinesgleichen abhängig gewesen, sonst wäre sie anders abgelaufen. Ich halte es für ein Naturgesetz, daß die Jungen die vorige Generation unbarmherzig kritisieren und für alle Zustände, die sie antreffen, verantwortlich machen. So wetterten wir über unsere "Alten", die die Arbeitslosigkeit nicht beherrschten und wegbrachten, so urteilte die Nachkriegsgeneration, daß die "Alten" die Naziherrschaft ertrugen und so verdammt die heutige Jugend das "Establishment" und den Materialismus der Nachkriegsgeneration. Und jede Generation ist überzeugt, daß diese argen Fehler der Vorgänger nicht notwendig waren und daß sie alles besser machen kann und wird. Soweit die Jugend diesen Standpunkt einnimmt, ist auch alles bestens, denn dieses Verhalten treibt die Entwicklung ja weiter (Satz - Gegensatz - Synthese). Negativ - aber auch irgendwie erklärlich - aber dann nur als Schwäche und Unvermögen - ist die Haltung, diesem Kampf der Generationen entfliehen zu wollen durch eine Flucht in andere Welten: physisch als Landstreicher und Blumenkinder oder psychisch als Süchtiger.

Im Frühjahr - ich war noch bei der Brennerei - wurden wir vom NSKK aus zum Spatenstich für den Flugplatz Schwechat zum Eichhof zwischen B 9 und B 10 geladen. Wir hatten noch keine Uniform, also traten wir mit unseren schwarzen Gummimänteln (Motorradbekleidung) an. Als der Größte stand ich am linken Flügel in der ersten Reihe. Wir waren um 6 Uhr dort. Um 9 Uhr kamen einige hundert Soldaten, die dann ihre Stiefel und Koppel nocheinmal putzten, während wir uns die Beine in den Bauch standen und in der Sonne in unseren Gummimänteln schmorten. Um 2 Uhr kam dann Hermann Göring persönlich und schritt die Front ab. Zu dieser Zeit litt ich unter der Vorstellung, den Fettwanst beim Vorbeischreiten niederzuschießen. Aber was hätte das gebracht? Einer mehr oder weniger machte nichts aus (wobei man ja gar nicht zum Zielen gekommen wäre, sondern aus dem Mantelsack heraus hätte schießen müssen - also keine Treffsicherheit). Und was wäre dann mit den Angehörigen und Freunden passiert? Ganz abgesehen davon, daß man Selbstmord hätte verüben müssen. Außerdem hatte ich keine Waffe und auch nicht das Zeug zum Attentäter.

Im Herbst wurde ich beim deutschen Militär gemustert und auf Grund der frischen Wunden nach dem Absturz im Gesäuse ein Jahr zurückgestellt. 1937 war ich beim österreichischen Heer gemustert worden. Auf die Frage nach dem gewünschten Truppenteil antwortete ich: Panzer. Da sagten sie mir, ich sei zu groß (sie hatten nur kleine "Fiat"), da müßte die Luke offen bleiben oder sie müßten oben ein Loch herausschneiden. Ich meinte, dann also Kavallerie. Da sagten sie, ich sei zu schwer für ein Pferd. Darauf sagte ich ihnen, es sei mir egal. Zum Einrückungstermin schrieb ich dann ein Gesuch um Aufschub, da ich gerade in der Brennereigenossenschaft Mitterndorf angefangen hatte und ich bekam Aufschub.

Im Lagerhaus wurde mir die Organisation der Krautübernahme und die Verrechnung mit den Sauerkräutlern im Rahmen der "Bast" (Bezirksübernahmsstelle für Gemüse) übertragen und ich fuhr fleißig mit dem Motorrad abends von einer Gemeinde zur anderen: Velm, Moosbrunn, Mitterndorf, Schranawand, Seibersdorf, Au, Hof, Götzendorf, Pischelsdorf und vor allem Reisenberg. Bezugspersonen waren Bürgermeister, Ortsbauernführer und von uns eingesetzte Personen, die bei der Abwaage dabei waren und die Lieferscheine ausstellten. Z.T. wurde das Kraut auch mit LKW von Händlern abgeholt, z.T. wurde es traditionellerweise von den Bauern mit Truhenwagen zum Abnehmer (Sauerkräutler, der auch öfter ein Verwandter des Erzeugers war) nach Wien transportiert. Nach 5 Uhr abends fuhr ich also los und machte meine Runde. In Seibersdorf war Endstation, dort waren die Bauern um 1/2 12 bis 12 Uhr auf der Brückenwaage, da sie um diese Zeit bereits aufbrachen, um abends wieder zurückzusein. 1938 war ein gutes Krautjahr gewesen und es war zu befürchten, daß ein Teil unverkäuflich blieb. Das wäre aber für die nun an der Macht befindlichen Nazigrößen eine unvorstellbare Sache gewesen. Sie hatten ja immer darüber gewettert, daß unter den Liberalen und Kapitalisten (Juden) so etwas geschehen könne - aber jetzt! Also kam es zu Besprechungen mit der Kreisbauernschaft, der BAST und den Ortsbauernführern und da wurde der Ausweg gefunden, dieses Kraut im Rahmen des Winterhilfswerkes nach Oberschlesien, ins Sudetenland (erst vor kurzem befreit und daher als "armes, bedürftiges Land" bevorzugt behandelt) und ins Saarland zu liefern. Dabei, d.h. bei einer Fahrt nach Wien mit einem Krautübernehmer, Kummer aus Au, passierte mir in Himberg ein Malheur. Ich fuhr, wie immer etwas flott, durch die Ortschaft, als das Tor zum Gemeindeamt - auf der linken Seite, einige Häuser vor der nach Wien abzweigenden Straße - aufging und die Kindergartenkinder herauskamen. Dabei lief ein Mädchen einem anderen nach und beide liefen, ohne zu schauen, auf die Fahrbahn. Ich bremste, die Maschine stellte sich quer, das erste Kind kam mit dem Gesicht in den Scheinwerfer (das Gesicht wurde durch das zerbrochene Glas zerschnitten), wir stürzten und mein Mitfahrer schlug mit dem Kopf aufs Pflaster auf. Ich krabbelte unter der Maschine hervor und mit Hilfe eines Zuschauers trugen wir den bewußtlosen Mann, der aus dem Ohr blutete, ins Gemeindeamt. Dort blieb ich mit ihm bis die Rettung kam. Inzwischen begann der Arme zu toben und wollte unbedingt fort aus diesem ihm unbekannten Ort. Mit Gewalt mußte ich ihn zurückhalten, wobei ich aber wieder so sanft wie möglich sein wollte, da ich ja sah, daß er einen Schädelgrundbruch hatte. Er blieb dann längere Zeit im "Allgemeinen" und klagte später noch über Kopfschmerzen. Das Gesicht des Mädchens heilte gut ab, so daß kaum Narben verblieben. Gegen die Kindergärtnerin (weil sie die Kinder unkontrolliert auf die Straße laufen ließ) und mich wurde ein Verfahren eingeleitet, das aber nach einiger Zeit eingestellt wurde. Es kam überhaupt zu keiner Verhandlung. Natürlich war wieder einmal der Fußraster ab und ich mußte mein bewährtes Verfahren anwenden: ich hatte einen kleinen Franzosen, den ich am Rahmen unten so anschraubte, daß er mir als Fußrasterersatz diente. Bei Röschl stellte ich auch fest, daß der Lenker einen Riß hatte. Da er der Bestandteil nicht hatte - er war auch später nicht zu kriegen - fuhr ich einfach weiter. Am nächsten Tag hatte ich dann in Wien zu tun und fuhr auf der Babenbergerstraße gegen den Ring, als plötzlich der Motor aufheulte und ich den halben Lenker, losgelöst von der Maschine und nur an den Kabeln hängend, in der Luft hielt, während ich mit der anderen Lenkerhälfte die Maschine gerade noch halten und mit der Fußbremse zum Stehen bringen konnte. Wie ich damit nach Gramatneusiedl kam, weiß ich nicht mehr - jedenfalls lötete Röschl den Lenker und ich fuhr damit bis zum Kriegsausbruch, also fast noch ein Jahr.

Das Kraut wurde also in Waggons verladen und weggeschickt. Natürlich ging auch zu dieser Zeit der Amtsschimmel langsam. Die Sorge um das unverkäufliche Kraut war ja auch relativ spät gekommen, so daß es bereits Ende November war, als die Waggons rollten. Und wie es der Teufel will, gab es nach einigen Tagen -10°C und das Kraut erfror in den Waggons. Man wollte mir daraus einen Strick drehen (Sabotage = KZ), daß es nicht genug frostgeschützt gewesen sei. Ich forderte von der Zertralanstalt für Meteorologie einen Bericht über die Temperaturen an den Tagen der Absendung und den Reisetagen (die Bahn ist verpflichtet, eine gewisse Strecke an jedem Tag zu fahren) und danach wäre bei Einhaltung dieser Normen das Kraut noch vor Eintritt des Frostes am Bestimmungsort gewesen und hätte nicht erfrieren müssen. So verlief die Sache im Sand - für mich hätte es durchaus kritisch werden können, denn diese Leute waren geschwind mit "Sabotage" bei der Hand - und das hätte u.U. KZ bedeutet - und was das wieder bedeutet hätte, wurde mir erst nach dem Krieg, als wir mehr darüber erfuhren, bewußt. Aber wir waren eben auch "Reiter über den Bodensee", hatten von der Gefährdung keine Ahnung. Jedenfalls hatten die Bauern ihr Geld: 5 Pf/kg und was mit dem Kraut war, war mir trotz des Schlagwortes "Kampf dem Verderb" ganz und gar Wurst. Im Winter arbeitete ich in der Buchhaltung im Lagerhaus. Im Februar gab es einen Ball in Gramatneusiedl und der Kassier Bauer überredete mich, auch dorthin zu gehen. Ich war nie ein begeisterter Ballbesucher und Tänzer - aber ich ging dort hin. Ich tanzte auch mit der Tochter aus dem Wirtshaus, in dem ich meine Mahlzeiten einnahm. Ich hatte sie einigemale gesehen - sie gefiel mir, aber ich fand keine Gelegenheit zu einem Gespräch, da sie ja in der Wohnung und Küche war und ich im Gastzimmer. Nun tanzten wir zusammen und da fragte ich sie, ob ich sie dann nach Hause begleiten dürfe. Vom Gemeindewirtshaus bis zur Bahn ist eine längere Strecke, auf der wir uns sagen konnten, daß sie mir gefiel und sie sich nicht dagegen sträubte, diese Erklärung anzunehmen. Wir gingen dann einigemale ins Kino - nach Ebergassing zu Fuß oder nach Mariental. Dann kam die schönere Zeit und wir fuhren mit dem Motorrad am 1. Mai in die Wachau. Mutti hatte noch Schule. Im Sommer fuhren wir nach Kärnten nach St. Magdalen, fuhren in die Lienzer Dolomiten, gingen zum Wolayer-See und hinunter zum Plöckenpaß und mit dem Autobus wieder nach Lienz.

Im Herbst begann dann der Krieg. Zuerst Polen, im Frühjahr Norwegen, Dänemark, dann Frankreich und es war kein Ende in Sicht, da ja auch England beteiligt war, das nicht so leicht ausgeschaltet werden konnte. Die Matura von Mutti wurde vorverlegt, so daß wir unseren Hochzeitstermin für den 30. April festlegen konnten (ich hätte am liebsten am 1. Mai geheiratet). Das Standesamt war im vierten Bezirk. Zeugen waren Scholz und Pretl, so wie schon Pretl und ich bei Scholz und Scholz und ich bei Pretl. Kirchlich heirateten wir in Wien am Kernstockplatz (zur heiligen Familie). Die Hochzeitstafel war im Wohnzimmer in der Friedrich Kaisergasse, anwesend waren Muttis Eltern, meine Eltern und Käthetante - die Brüder waren schon alle eingerückt. Richard war vom österreichischen Militär sofort zum deutschen Militär überstellt worden und die anderen Brüder waren dann nach Kriegsausbruch eingezogen worden. Mich hatte nur meine Knieverletzung und die UK-Stellung vom Lagerhaus (unabkömmlich) vor dem Militär bewahrt. Anschließend fuhren wir mit der Bahn nach Gstatterboden im Gesäuse. Das Motorrad war mit Kriegsbeginn stillgelegt worden, da ich keinen "roten Winkel" auf meine Nummerntafel (als nicht kriegswichtig) bekam. Dort hatten wir schreckliches Wetter - es regnete die meiste Zeit. Daher fuhren wir vorzeitig nach Hause (im Gasthaus mußten wir beim Essen Marken abgeben - es war daher ziemlich dürftig). Am 10. Mai waren wir zu Hause, drehten das Radio auf - und da hörten wir, die Wehrmacht war in Belgien, Holland und Frankreich einmarschiert - der Krieg war also total geworden. Großmutter hatte für uns von Bilkovski (dem ehemaligen Bürgermeister) das Haus 136 gemietet, das wir noch vor der Hochzeit eingerichtet hatten - da standen wir also im Garten und hörten durch das offene Schlafzimmerfenster diese Nachrichten. Da die Nachrichten in der Folge immer nur von Siegen und einer Unzahl von Gefangenen berichteten, hofften wir, daß das Ende des Krieges in greifbarer Nähe sei und wir dem Unheil persönlich entronnen wären. Schon vor der Hochzeit waren wir gemeinsam zur Parteileitung gegangen, um in die NSDAP aufgenommen zu werden. Für mich hoffte ich, beruflich leichter weiterzukommen und Mutti (sie war durch die Schule eine BDM - Bund deutscher Mädchen - Führerin) versuchte auf diese Art, Lehrerin in unserem Gebiet zu werden. Wir wurden beide brüsk abgewiesen - die Schwiegereltern galten als "erz-schwarz". Sippen-haftung?

1938 und 1939 hatte die RfG (Reichsstelle für Getreide) mit Hilfe von Lagerhäusern und Händlern große Getreidelager (in Vorbereitung für den Krieg) angelegt. In Gramatneusiedl wurde die Spinnerei in Mariental (seit den frühen Zwanziger-Jahren stillgelegt - daher die große Arbeitslosigkeit in diesem Gebiet), in Ebergassing eine stillgelegte Papierfabrik und in Mitterndorf/F. eine stillgelegte Schraubenfabrik als Getreidelager adaptiert. Es wurden einfach Holzböden (wenn nicht schon vorhanden) verlegt, die Fenster eingeschnitten und an den Wänden Holzwände aufgestellt (als Isolierung). Hauptsächlich wurde Weizen aus Ungarn und Jugoslawien - in Mariental ca. 500 Waggon und in Ebergassing 250 - 300 Waggon - und in Mitterndorf 150 Waggon Plata-Mais (aus Argentinien) eingelagert. Die Ware kam mit dem Schiff auf der Donau, oder nach Hamburg und mit der Bahn zu uns. Die Waggon wurden mit Dritteln (Blechmulden mit Griffen) entleert, d.h. die Ware in Säcke gefüllt, auf Truhenwagen von den Bauern nach Mariental oder in Mitterndorf zur Fabrik gebracht und auf den Schultern ins Lager - in Mariental auch in den ersten Stock - und dort auf einer schiefen Ebene bis zu 2,5 bis 3 m hoch getragen und entleert und alles wurde bezahlt: mit Papier, für das man wieder Lebensmittel, Industrieartikel und etwas Vergnügen bekam. So wurde die Wirtschaft angekurbelt - und alles mit Papier. In dieser Halle mußte das Getreide dann einigemale im Jahr umgeschaufelt werden, damit es nicht verdirbt. Außerdem wurde dabei festgestellt, ob Getreidekäfer aufgetreten waren. Dazu wurden alle paar Meter Thermometer, an Hölzern befestigt, in die Haufen gesteckt. Eine Bedienungsperson mußte dann die Temperaturen täglich in Tabellen eintragen, so daß die Kontrolle (die kam alle paar Wochen) feststellen konnte, ob die Ware in Ordnung war. Natürlich mußten die Frachtbriefe für die eingegangenen Waggons gesammelt und abgerechnet werden und dazu die Einlagerungsgebühren und Lagergebühren für die einzelnen Lager abgerechnet und die Bezahlung kontrolliert werden. Diese Arbeit hatte ich organisiert (die Gebäude hatte Reiner erkundet, worauf die RFG sie einfach beschlagnahmt hatte) und beaufsichtigt. Natürlich war es mit Ausbruch des Krieges auch aus mit den Anlieferungen, und nachdem ich in die Filiale Himberg gekommen war, hatte ich damit auch nichts mehr zu tun.

Da ich den Köder nicht geschnappt hatte - Frau Reiner hätte mir gar zu gerne ihre Nichte Elfie zugeschanzt - war ich nach Himberg versetzt worden (um als Filialleiter ausgebildet zu werden). Das war unmittelbar nach unserer Hochzeit. Ich war darüber nicht allzu traurig und radelte mit dem Fahrrad hinter dem Bahnhof zur Straße nach Velm und bei der Kreuzung nach Himberg in ca. 15 Minuten. Zu Mittag kam ich auf der gleichen Strecke zurück, aß und fuhr wieder nach Himberg. Das paßte dem Ehepaar Reiner nicht und ich wurde als Filialleiter nach Mannersdorf versetzt (damit der dortige Filialleiter Bosch - ein Himberger - nach Himberg kommen konnte). Dorthin konnte ich also nicht mehr mit dem Fahrrad fahren - und das Motorrad war ja eingemottet. Dorthin fuhr ich also mit der Bahn und hatte ein schönes Stück vom Bahnhof zur Filiale zu Fuß zu gehen, denn der Bahnhof ist am Ortseingang von Götzendorf her und die Filiale war am anderen Ende, fast beim Ortsausgang nach Hof. Aber das machte uns nichts aus - wir waren frisch verheiratet und im siebenten Himmel. Außerdem war ja der dumme Krieg, und nur in einem lebenswichtigen Betrieb konnte man UK (unabkömmlich) gestellt werden. Reiner hatte - nachdem die RfG Mariental ausgelagert hatte, diesen Betrieb für das Lagerhaus gekauft und adaptiert, so daß im alten Lagerhaus nur mehr die Mühle verblieb. Er hatte in Mariental eine große Werkstätte mit dem Meister Molnar eingerichtet (für die Maschinen in der Landwirtschaft), eine Menge Leute eingestellt, so daß die Belegschaft über 100 Personen betrug. Dadurch war es ein großer "W"-Betrieb geworden (was das W heißt, weiß ich nicht) und damit war er als Betriebsführer direkt dem Wehrbezirkskommando unterstellt, d.h. er war dort nicht das kleine Würstchen wie wir, sondern ein Verhandlungspartner. Dadurch hatte er sich seine Unabkömmlichkeit gesichert und konnte mit diesen Leuten gleich zu gleich verhandeln. Dadurch hatte er also darauf Einfluß, wer im Betrieb UK-gestellt wurde. Wenn also vom Wehrmeldeamt eine bestimmte Anzahl von Einrückenden verlangt wurde, konnte er mitentscheiden, wer aus dem Betrieb geopfert wurde.

Da also Mutti nicht als Lehrerin gehen konnte (d.h. in die besetzten Gebiete gehen wollte) blieb noch die Kartenstelle. Das war die Einrichtung, in der die Lebensmittel- und Kleiderkarten ausgegeben und verrechnet wurden. Daneben gab es auch noch Karten für Rauchwaren und für Einrichtungsgegenstände (bei Hochzeit, später bei Bombenschäden). Leiter dieser Kartenstelle war Wiltschke, ein ehemaliger Oberlehrer, der sich um Mutti sehr sorgte, wie ein Großvater. Vor allem, als sie dann schwanger wurde.

Inzwischen war ich wieder gemustert worden - natürlich KV (Kriegsverwendungsfähig). Auf meinen Hinweis auf das lädierte Knie wurde mir gnädig gesagt:"Sie kommen zu einer motorisierten Einheit, da müssen sie nicht marschieren". Da ich jetzt verheiratet war und somit für seine Elfie ausfiel, hatte Reiner auch nicht mehr ein so großes Interesse an mir und ließ meine UK-Stellung auslaufen. Ich erhielt daher eine Einberufung am 7. oder 9.12.1940 zum Franz-Josefsbahnhof in Wien. Gramatneusiedl war ja zu dieser Zeit bei Groß-Wien, also spielte sich alles in Wien ab. Mutti war inzwischen im 5. Monat schwanger, also waren wir beide unglücklich, daß ich fort mußte. Großmutter fuhr mit uns nach Wien zum Franz- Josefsbahnhof. Dort erfuhren wir, daß es nach Prag ging zur BEA 1 (Beobachtungs Ersatz Abteilung 1). Ich hatte mich inzwischen ja auch selbst bemüht, einen Weg zu finden, um vom Militär loszukommen. Der frühere Verwalter von Unterwaltersdorf, den ich von früher - noch aus der Brennereizeit - kannte, war als Wehrmachtsbeamter eingerückt und von dem erhoffte ich mir Informationen, wie man zu so einer Stellung kommen könne - also dem einfachen Soldatenleben entgehen könne. Der hatte mir verraten, daß ein Ing. Duralia (auch ein Landwirt) in Wehrkreis 17 - also in Wien - das Sagen bei den Wehrmachtsbeamten habe. Wenn einen der Mann anforderte, würde man nach einer Ausbildungszeit als Wirtschaftsoffizier abgestellt.

Aber wer einmal fort war, für den waren alle Wege verschlossen. Einmal hieß es, daß man zuerst die Ausbildungszeit machen müsse, bevor daran überhaupt zu denken sei, daß man für so etwas einreichen könne. Dann wieder, daß man dazu mindestens 30 Jahre alt sein müsse. Also war vorläufig nichts zu machen, als gute Miene zum bösen Spiel zu zeigen. Sie hatten es im Krieg mit der Ausbildung ganz eilig - in drei Monaten waren alle Männer perfekte Soldaten! Bei uns aber zog es sich, denn die Herren Ausbildner und vor allem die Chefs waren in Weihnachtsurlaub gefahren, so daß fast ein Monat verging, bis die Ausbildung begann. Die Zurückgebliebenen (nicht in Urlaub gehen dürfen war ja die Strafe für kleinere Vergehen) waren dafür ordentlich frustriert und ließen ihre Wut an den rechtlosen Rekruten aus. Bevor wir nicht vereidigt waren, waren wir in der Kaserne - einer Schule in Prag - Debica - praktisch eingesperrt. Diese Ausbildner - ein besonders unangenehmer Typ war nach Aussage von Ostpreußen ein "Müllkutscher" - "scheuchten" uns, d.h. jagten uns mit "Kostümfesten" und anderen Blödheiten bis zum Zapfenstreich um 10 Uhr abends herum. Wir waren also bei einer ostpreußischen Einheit, Standort Königsberg, als Besatzungstruppe in Prag. Ich war zu einer Schallmeßbatterie gekommen. Es gab noch eine Lichtmeßbatterie und eine Stabsbatterie im Haus. Am Beginn des Krieges hatten sie auch eine Ballonbatterie gehabt - aber im Frankreichfeldzug waren die Ballons so rasch abgeschossen worden, daß sie diese Einheiten auflösten. Wir waren Ostpreußen, Leute aus dem Memelgebiet, Ostoberschlesier (Polen), Österreicher (Ostmärker) und da vor allem Wiener und Niederösterreicher (ein paar Burgenländer waren ja auch Nieder-donauer). Die Kaserne war eine Schule, so daß größere Zimmer vorhanden waren (Stuben) in denen je ca. 20 Personen in Stockbetten hausten. Ich hatte mich für den ersten Stock entschieden und unter mir hauste Merwald, ein Wiener, ein Feinmechaniker für Rechenmaschinen und Schreibmaschinen. Bei der Beobachtungs-abteilung waren relativ viele Maturanten. Bei der Ausbildung merkte ich dann auch, warum. Es ging dabei ja auch um Mathematik, d.h. zumindest mußte man logarithmieren können. Dabei kam ich darauf, daß unsere Kameraden aus dem Altreich (auch ein paar Berliner waren dabei) in dieser Kunst gar nicht besonders geschickt waren - der Ausbildungsstand war ziemlich weit unter dem unsrigen. Nach meiner Meinung hätten sie bei uns die Matura nicht geschafft.

Zuerst wurden wir also "geschliffen", damit unser Wille (bei mir war es der Widerwille) gebrochen wurde. Die Reichsdeutschen kannten ja nichts anderes als diesen Zwang, die Ostoberschlesier (Pollaken) und Memeler waren geduckt und unterwürfig und die Wiener falsch und anbiedernd. Nur ein paar waren gegen "der Stachel löckend" und die wurden dann "hart drangenommen", d.h. ordentlich "gescheucht", damit sie mürbe wurden. Die Jungen 18-jährigen glaubten an den Sieg, die Älteren wollten vom Krieg nichts wissen (durften es aber nicht zeigen). Automatisch bildeten sich dabei Gruppen, die für sich blieben, denn eine Verständigung war da nicht möglich. Außerdem war es gefährlich, denn man wußte nie, wem man da trauen konnte. Ein netter Kamerad war da Teufel aus Ybbs/Donau - er kam dann mit mir nach Polen. Er war Heizer in der Landespflegeanstalt, war verheiratet und bekam von seiner Frau, einer Pflegerin in dieser Anstalt immer wieder Berichte, die ihn zutiefst erschütterten: immer wieder ließ man unheilbare Pfleglinge sterben (durch Injektionen?), was diese Frau erschüttert in ihren Briefen ihm mitteilte. Aber auch er wagte es nicht, das laut zu sagen. Ein einziges kleines Wort, aus dem unsere Ausbildner schließen konnten, daß wir mit dem System oder einer Einrichtung nicht einverstanden waren, setzte sofort den ganzen Betrieb in Aufregung, dann war der Teufel los.

Dabei fragten sie uns - provozierend - während des Unterrichtes, was wir vom Militär hielten. Ich meldete mich und sagte ungefähr: das sollten diejenigen machen, die damit Freude hätten, die anderen aber sollten sie in Ruhe damit lassen. Hui, da war der Teufel los und ich mußte schließlich froh sein, auf entsprechende Vorhalte bestätigen zu dürfen, daß ich auch ganz froh wäre, dabei sein zu dürfen. Als dann die Vorgesetzten aus ihrem Weihnachtsurlaub eingetroffen waren, wurde um so rascher getrachtet, die Soldaten umgehendst zu vereidigen, denn dann kam jedes Wort und jede Tat vor das Kriegsgericht. Um die armen Rekruten recht einzuschüchtern und ihnen den Fahneneid als etwas hinzustellen, was um einige Stufen höher zu halten wäre als alles andere auf der Welt, hatten sie sich einige willfährige Geistliche (katholische und evangelische) besorgt, die die armen "Würstchen" entsprechend weich machten. Bei der Bewaffnung gab es Schwierig-keiten: es gab nicht genug Gewehre (die mußten im Feld gebraucht werden), also bekamen wir tschechische Gewehre - Beute. Beim Schießen kamen sie dann darauf, daß der Lauf Rostnarben hatte und brüllten mich jedesmal auch beim Gewehrappell deswegen an. Das ließ mich aber auch immer kalt bis in die Knochen.

Da wir also unvereidigt nicht hinausdurften, waren wir auf die Ausbildner oder andere geschäftstüchtige Kameraden angewiesen, wenn wir etwas aus der Stadt wollten. In Prag gab es zu dieser Zeit noch mehr zu kaufen als im "Altreich" und in der "Ostmark", und so vertrauten wir diesen geschäftstüchtigen Kameraden unsere Märklein an, um zu Waren zu kommen, die es bei uns nicht mehr gegeben hatte. Dadurch kam ich zu Babyschuhen für unser kommendes Kindlein, die dann aber für Otti zu klein waren. Mir machte das Eingesperrtsein in der Kaserne nichts aus, denn meine Gedanken waren in Gramatneusiedl. Wir schrieben uns täglich - auch dann während des Feldzuges - was manchen möglicherweise lächerlich erschien, der Mehrzahl aber durch die Konsequenz Respekt abnötigte. Mir jedenfalls war es ein Bedürfnis, wenn ich schon nicht zuhause sein konnte, diese Verbindung durch einen Brief zu finden.

Nach dem Eintreffen der Vorgesetzten und Ausbildner aus ihrem Urlaub begann dann die eigentliche spezielle Ausbildung. Der Schall des Abschusses eines feindlichen Geschützes wird bei diesem System von vier Mikrophonen, die ziemlich weit vorne parallel zur Front in einer Entfernung von je 1 km aufgestellt sind, zum Aufnahmegerät durch Draht oder Funk übertragen. Im Aufnahmegerät werden diese Impulse, d.s. elektrische Schwingungen, wieder in mechanische Schwingungen gebracht, die einen Lichtstrahl auf ein Fotopapier bringen. Dadurch hat man auf einem Papierstreifen vier Linien, die nach dem Eintreffen des Schalls Zacken aufweisen. Die Zwischenräume zwischen den Zacken ergeben den Zeitunterschied, in denen die Schallwellen angekommen sind. Nachdem der Schall 333 m/sek zurücklegt, hat man dadurch Streckenabschnitte. Und die Kurve, auf der alle Strecken mit gleichem Streckenunterschied liegen, ist eine Hyperbel. Wenn wir also zwei Hyperbeln haben (wir haben sogar drei), haben wir im Schnittpunkt die Schallquelle, also das Geschütz, das bei Abschuß diesen Knall erzeugt hat. Das schöne dabei ist, daß man dieses Geschütz gar nicht sehen muß, sondern hinter einem Berg stehen kann und trotzdem den Standort dieser Schallquelle feststellen kann. Natürlich muß man den Wind, die Temperatur, ja sogar die Luftfeuchtigkeit berücksichtigen, wenn man genauere Restultate erhalten will. Dazu hatte die Stabsbatterie einen eigenen Wettertrupp, der diese Daten lieferte. Die Hyperbel konnte man nun rechnen oder zeichnen. Zum Rechnen gab es einen eigenen Rechenzettel, auf dem man dann die Logarithmen eintragen mußte. Für diese Rechenzettel waren Zeiten vorgegeben, 10 bis 12 Minuten - und ich kam nach kurzer Übung auf 7 Minuten. Dadurch hatten wir auch ein etwas ungezwungeneres Leben in unserem Kurs, während die Fernsprecher z. B. mit ihrem Morsealphabet mehr gedrillt wurden. Wir mußten das ja auch lernen - aber wenn wir wieder Auswertungs-Unterricht hatten, war es - wenigstens für mich - wesentlich angenehmer. Zur Übung bekamen wir immer ein Beispiel und die Zeit wurde gestoppt. Im Ernstfall waren dann immer zwei Mann bei der gleichen Aufgabe, so daß verglichen werden konnte, ob das Ergebnis gleich war. Erst bei Übereinstimmung wurde geschossen, d.h. an die Batterie das Ergebnis bekanntgegeben.

Da die Ausbildner für die Auswerter (es waren Offiziere) keine solchen "sturen Böcke" waren, konnten wir uns auch etwas freier bewegen und geben. Als uns ein - im übrigen sehr netter - Ausbildner einmal fragte: "Was finden sie am schönsten beim Militär?", kam vom Kanonier W.:" Den Urlaub, Herr Leutnant". Und das hatte bei diesem prima Kerl nicht einmal Folgen! Allerdings war ich damit auch nie und nimmer ein "zackiger" Soldat.

Da Großvater eine Landwirtschaft betrieb, konnte er (eigentlich war es Mutti, die als Betreiberin bei der Kreisbauernschaft - oder war es das Wehrbezirkskommando?) für mich einen Anbau-Urlaub im März bewirken. Leider verging der zu rasch. Angebaut haben wir auch. Und kaum war ich in Prag, erfolgte schon die Überstellung zur Feldeinheit. Andere Kameraden waren schon während meines Urlaubs irgendwohin verschwunden, denn diese Ersatzeinheit versorgte mindestens drei Feldeinheiten mit menschlichem Ersatz. Um den 19. April fuhren wir, als kleines Häufchen unter der Führung eines Wachtmeisters, zur B 21 nach Polen mit der Bahn nach Rzew = Reichshof. Von dort ging es mit LKW in ein kleines Städtchen - Kolbuszowa. Es liegt an einem Fluß (San?), der in der Nähe unserer Unterkunft vorbeifloß. Wir, das waren ungefähr 150 Mann, hausten in einer ehemaligen Mittelschule - etwa so wie die Schule beim Bahnhof in Bruck - und der Fluß war unser Waschraum. Wir kamen am 20. April an (Führers Geburtstag), gerade recht zu einer Strafpredigt für die Batterie. Drei Männer der Batterie hatten sich am Vortag (Geburtagsfeier) angesoffen und dann in der Stadt Juden belästigt. U.a. hatten sie den Juden den Vollbart mit ihren Messern abgeschnitten und von einem Juden, der ihnen Lösegeld anbot, Geld genommen. Die drei kamen dann vor ein Kriegsgericht und wurden wegen Schädigung des Ansehens der Wehrmacht zu 16 bis 18 Monaten Festung verurteilt. Dazu muß ich sagen, daß es eine Königsberger Einheit war, die drei waren Ostpreußen und im Zivil SA-Männer - einer ein SA-Sturmführer. Die hatten daher sicher nichts dabei gefunden, - außerdem waren sie besoffen - gegen Juden etwas zu unternehmen. Man hatte ihnen ja seit Jahren eingebleut, daß Juden keine Menschen, sondern eben "Untermenschen" seien, und man hatte ihnen auch gezeigt, was man alles mit ihnen ungestraft tun durfte, ja von der Partei aus sogar tun sollte. Und nun dies. Also ich war beeindruckt, daß das ostpreußische Militär die Partei links liegen ließ und die Leute verurteilte, wobei der Kommandeur bei unserer Ankunft mit der gesamten Mannschaft brüllte. Der Kommandeur war ein alter 12- Ender, er hatte in der Reichswehr als gemeiner Soldat begonnen und es zum Unteroffizier gebracht. Als Hitler an die Macht kam, wurden diese Leute zu Offizieren befördert, und erst vor kurzem war er zum Major befördert worden. Allerdings hatte man diesen Leuten preußische Disziplin eingebleut und die ehemalige Reichswehr galt (vielleicht nicht ganz zu Unrecht - ebenso die Marine) als monarchistisch - wie man es auch vom alten Hindenburg sagte. Vielleicht war das der Schlüssel für sein Verhalten - aber mich beeindruckte, daß da nicht die Partei das Sagen hatte, ja, ihre Leute nicht einmal schützen konnte, wenn sie "Mist" machten. (Später kamen allerdings Polit-Offiziere zu den Einheiten - aber das war nach meiner Zeit). Neben Ostpreußen gab es auch Rheinländer in der Batterie und jetzt ein paar Österreicher. Wir wurden wieder gedrillt, es wurde exerziert bei typischem Aprilwetter mit Schneeschauern. Das spielte sich zwischen dem Fluß und dem auf einer kleinen Erhöhung liegenden Friedhof ab. Dabei jagte uns der Leutnant wieder einmal gegen das Flußufer. Automatisch schwenkten wir vor dem Wasser nach links und rannten am Ufer weiter. Nur ein sturer (oder schlauer) Rheinländer stürmte geradeaus - es hatte ja keinen anderen Befehl gegeben - in den Fluß hinein und blieb erst, das Gewehr über den Kopf haltend, auf das Kommando "Halt", bis zur Brust im Wasser, stehen. Der durfte dann vorzeitig abtreten. Bevor dann die ganze Batterie in den Fluß sprang, brach der Leutnant das "Schleifen" ab und ließ uns einrücken.

Dann brach auf einmal der Frühling aus. Die Äpfel und Zwetschken blühten und waren bei der herrschenden Wärme in acht Tagen verblüht. Am Sonntag hatten wir, wenn wir nichts "ausgefressen" hatten, also nicht "aufgefallen" waren, frei und streiften in der Gegend umher. Da gab es Fischteiche, um die man herumwandern konnte. Meistens ging ich mit Teufl, den ich ja von Prag schon gut kannte, durch die Gegend, denn auch er wollte von den Vergnügungen in den Wirtshäusern nichts wissen. So war ich auch am 4. Mai mit Teufl unterwegs. Er spielte mit dem Gedanken, sich einen Dreizack anzufertigen, um einen Karpfen aus so einem Fischteich herauszuholen. Er war Kraftfahrer und handwerklich recht geschickt, aber dazu hätte er eine Werkstätte gebraucht. Die Kraftfahrer hatten wohl einen Werkstättenwagen mit Ersatzteilen, Werkzeug und Gerät (Schweißgerät usf.), um Reparaturen auch beim Einsatz durchführen zu können - aber darüber verfügte der "Schirrmeister", der Chef über alle KFZ. So blieb es also nur bei der Vorstellung vom Fischen in den polnischen Teichen.

Als wir nach Hause (in unser Quartier) kamen, brachten sie mir ein Telegramm: "Bub angekommen, Mutter gesund". Also, ich hatte ja nie daran gezweifelt, daß es gut gehen werde - aber es war doch gut, daß alles vorbei war - und Mutti gesund war. Die Freude war groß - aber ich hatte die Ruhr bekommen und verbrachte viel Zeit auf dem Klo. Wir benutzten unser Waschwasser - den Fluß - auch zum Zähneputzen und dabei könnte es passiert sein, daß ich mich ansteckte. Nach einigen Tagen war es dann wieder besser.

Natürlich hatte ich mich beim "Chef" - mit Koppel und Stahlhelm - angemeldet, um um einen Urlaub anläßlich der Geburt meines Sohnes zu bitten. Seine Antwort: seit ein paar Tagen "Urlaubssperre" - und was könnten sie bei der Geburt auch schon nützen? Und im übrigen ist sie ja auch sowieso schon vorbei! Also abgeschmettert! Er war eben ein typischer Ostpreuße, daher hatte er auch diesen typischen "Humor". Ich (das "arme Schwein") war wütend - aber ich wußte eigentlich nicht, auf wen ich wütend sein sollte, denn die Urlaubssperre war allgemein, da hatte der Chef keinen Einfluß.

Dann gab es noch einmal ein Schießen, dann eine Übung im Zusammenwirken mit unserer Artillerie, wobei wir hinter den Geschützen standen und die Granaten davonfliegen sahen. Wir hatten unser "System" aufgebaut und die Einschläge auf der Karte festgehalten. (Im Ernstfall wird jedoch der Abschuß-Ort festgestellt). Für die Übung war das aber ja gleich. Und dann erfolgte der Aufbruch in ein "Manövergebiet". Nachdem wir in unserer Behausung sowieso nicht heimisch waren, ging das ganz einfach. Schwieriger wird es für die Küche und die diversen Kammern (Bekleidungs-, Waffen-) und Reparaturabteilungen gewesen sein. Aber unser Gerät war sowieso in Fahrzeugen untergebracht (Aufnahmewagen, Auswertewagen), so daß das ziemlich reibungslos gescheheh konnte. Wir fuhren in ein sandiges Gebiet mit Föhrenwäldern, wobei wir in der Nacht fuhren, in der Nacht - ohne Licht! - die Zelte aufbauten (für das Auswertegerät) und unsere Drei-Mann-Zelte aufstellten. Wir betrachteten das als Übung - in Wirklichkeit war es aber bereits der Aufmarsch.

In Kolbuszowa hatte man uns das russische Alphabet beigebracht (ich kannte es noch aus Bulgarien). Dabei gab es ein Gerücht, wir würden durch das zu der Zeit noch befreundete Rußland in den Iran und von da über Syrien und Palästina nach Ägypten marschieren (fahren), um den Suezkanal zu sperren. Das waren also die "Latrinengerüchte", warum wir die russischen Schriftzeichen lernen mußten - um eben in Rußland die Verkehrsschilder lesen zu können, damit wir uns nicht verfahren und vielleicht gar nach China kommen.

Diese Übungen im Gelände waren also schon für den Ernstfall gedacht - für uns waren es aber doch nur Übungen. Der Wagen hielt, der Unteroffizier drückte auf seine Stoppuhr, einer sauste auf das Dach des Wagens und warf ein Bündel - ein großes Zelt - herab und während das Zelt aufgerollt wurde kamen die Zeltpflöcke herunter. Ein Mann kroch unter das Zelt und stellte die Pflöcke auf, während die anderen schon die Heringe einschlugen - in drei bis vier Minuten hatte das Zelt zu stehen. Da hinein kamen Tische, Faltstühle und das Auswertegerät. Im geschlossenen Zelt gab es auch Licht von einer NiFe-Batterie (wir hatten ein eigenes Ladegerät, da auch die Funker Batterien brauchten). Für unser Zelt war niemand mit einer Stoppuhr nötig. Jeder Mann hatte eine Zeltplane - auch als Regenschutz - und drei Zeltplanen ergaben ein Zelt für drei Mann. Dann mußten Splittergräben gebaut werden - jeder hatte ja seinen kleinen Spaten. Auch das wurde geübt - aber im Ernstfall waren wir dabei sehr flink, wenn man die Splitter im feuchten Erdreich zischen hörte - sie waren ja heiß! Aber das war dann ja erst später. So wurde in der Nacht gefahren und dann die Fahrzeuge unter Bäumen und mit Ästen getarnt. Wir werkten fleißig und übten - und hielten das alles für ein Manöver. In Wirklichkeit war es aber der Aufmarsch gegen Rußland - nur wußte es keiner von uns (wahrscheinlich nicht einmal die Offiziere) - denn es gab ja einen "Nichtangriffspakt" mit Rußland, ja uns gegenüber sprachen sie sogar von einem "verbündeten" Rußland, da es uns ja Getreide lieferte und Deutschland sogar Waffen und Gerät (z. B. die Einrichtung für die Schallmessung) geliefert hatte. Wir fuhren in der Gegend umher und kannten uns nicht aus. Dann ging es in Richtung Przemysl, das wir dem Namen nach aus Erzählungen über den ersten Weltkrieg als Festung kannten, in die Bereitstellungsräume. Und am 22. Juni um 2 Uhr früh gab es einen Feuerüberfall unserer Artillerie und wir warteten auf unseren Einsatz. Am Abend hatten sie uns antreten lassen und dabei hatte der Chef eine Rede geschwungen: Der Führer habe beschlossen, die "Bolschewiken" anzugreifen - aus Prinzip. Und außerdem brauche ja Deutschland Lebensraum im Osten. Aber wir waren ja den Spruch schon gewöhnt: "Das Denken überlassen sie der Pferden, die haben größere Köpfe!".

Wir warteten also auf unseren Einsatz - aber der Russe schoß nicht zurück. War er wirklich überrascht worden? War der Aufmarsch so geheim erfolgt? Waren die Gerüchte über den Durchmarsch in der Irak zu den Ölquellen alles nur Phantasie gewesen? Aber: Das Denken überlassen sie den Pferden Im Morgengrauen standen wir in Bereitschaft, als Flugzeuge über uns in Richtung Front flogen. Wir hatten auf einem Dreibock ein Maschinengewehr zur Fliegerabwehr montiert und Lenz, ein Kamerad aus dem Rheinland, schoß mit Leuchtspur auf diese Flugzeuge. Sein Pech war, daß er zu kurz, also hinter die Flugzeuge schoß - im übrigen waren es aber sowieso deutsche Flieger. Er war eben zu "fickrig" gewesen. Und als es dann hell wurde, bauten wir unsere Stellungen ab und fuhren hinein nach Rußland, d.h. es war ja noch Polen, aber eben von den Russen besetzt. Waren in unserem Teil Galiziens noch kleine Felder in Streifen zu sehen gewesen, so gab es hier schon große Flächen der Kolchosen. Und dann sahen wir im Vorbeifahren vom Auto aus den ersten Toten. Es war ein Russe in Uniform, der im Graben lag, das Gesicht schon mit Straßenstaub bedeckt - und mich befiel ein leises Grauen. Wenig später sahen wir dann eigene Leute - der Unterschied war nur die Uniform, sie waren genau so tot und genau so staubig. Aber vom Krieg sahen wir sonst eigentlich nichts. Am Abend kamen wir dann zu einer ausgebrannten Kirche, bei der wir dann unser Lager aufschlugen, da machte einer eine Aufnahme von mir. So ging das einige Tage fort. Wir kamen zu keinem Einsatz, da wir ja feindliche Batterien aufklären sollten - und die gab es nicht, oder sie waren schon ausgeschaltet bevor wir kamen. Wir waren nicht ganz vorn - dafür war unser Gerät zu wertvoll - aber trotzdem immer soweit, daß wir jederzeit unser System aufbauen konnten. Plötzlich wurde es laut: es gab da eine Kesselschlacht bei Uman und wir waren am Rande dabei. Plötzlich hieß es "Gasalarm" und alles rannte um die Gasmasken, die wir im Fahrzeug gelassen hatten, bis es wieder hieß:"falscher Alarm", richtig war "Panzeralarm", d.h. russische Panzer sind durchgebrochen. Für unser "wertvolles" und vor allem "geheimes" Gerät galt natürlich: Sicherheit zuerst, denn es war nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn es den Russen in die Hände gefallen wäre. Die Deutschen hatten ja den Russen im Rahmen ihres Nichtangriffspaktes und der wirtschaftlichen Beziehungen auch Ausrüstungen für Beobachtungsabteilungen verkauft und geliefert - aber man sagte uns (zu unserer Beruhigung und als Entschuldigung) das wären nur veraltete Anlagen gewesen, während sie unsere moderne Ausrüstung noch nicht kennen würden. Da nun die Gefahr bestand, daß der Russe unser Gerät erbeuten könnte, hieß es: zurück, soweit der Sprit reicht. Das waren ca. 40 km. Da sahen wir die Ortschaften, durch die wir gekommen waren, wieder. Sie waren kaum mehr wiederzuerkennen. Überall Wegweiser und Aufschriften, also richtig durchorganisiert. Und bei einer Kreuzung gab es eine Stockung, da der Querverkehr - es waren natürlich auch Soldaten auf der Kreuzung, die den Verkehr regelten - Vorrang hatte. Da war an der rechten Straßenseite ein großes Zelt - vielleicht 15 oder 20 m im Quadrat, ein Sanitätszelt. Ein Teil der Seitenwand war hochgeschlagen - es war ein heißer Tag im Sommer - und man sah in das Zelt hinein. Auf einem Tisch lag ein Mann, und ein Arzt im weißen Kittel arbeitete an dem herum - also ganz normal. Aber vor dem Zelt im Straßengraben, mit dem Rücken auf der Böschung, lag ein russischer Soldat, und ein deutscher Soldat (nach der Uniform) sägte da das Bein des Russen in halber Höhe zwischen Knie und Knöchel mit einer Knochensäge ab. Und das im Straßengraben neben den vorbeifahrenden Fahrzeugen, die mächtig Staub aufwirbelten. Hatten mir schon vorher die Erschossenen einen mächtigen Schock versetzt - hier hätte jedem die Illusion (falls er eine gehabt hätte) verloren gehen müssen, daß er eine Chance auf auch nur eine notdürftige Versorgung habe.

Da dies ja erst der Anfang des Feldzuges war, legten unsere Vorgesetzten größten Wert auf strammes Verhalten der Soldaten. Daß ständig gegrüßt werden mußte, war ja selbstverständlich. Aber einmal packte mich schon die Wut. Es hatte ein kleines Gewitter gegeben, gerade soviel Regen, daß der Staub auf der Straße ein richtiger Brei geworden war, so daß unsere Fahrzeuge - es war in einer Ortschaft - wie auf Eis rutschten. Also wurden wir eingeteilt, mit unseren Spaten, d.s. so kleine Dinger, mit denen man in einem Loch buddeln kann, mit denen man aber nur stark gebückt arbeiten kann, den Schlamm von der Straße zu entfernen. Nach dem Gewitter brannte die Sonne wieder herunter und wir arbeiteten im Schweiße unseres Angesichtes. Der Herr Leutnant schritt auf der Straße auf und ab und kontrollierte unseren Arbeitseifer und den Arbeitsfortschritt, während die armen Schweine mit hochgeschlossenem Rock mit gerötetem Gesicht und schwitzend mit den kleinen Spaten den Schlamm an die Seite der Straße schoben. Ich richtete mich auf und stand still, als er auf mich zutrat. Er herrschte mich an: "Was machen sie da?" Mit Wut im Bauch schrie ich (wir mußten ja mit lauter Stimme antworten): "Herr Leutnant, ich schwitze". Er drehte sich um und ging die Straße hinunter. Nach einigen Minuten wurde die Weisung von Mann zu Mann durchgegeben "Marscherleichterung", d.h. man durfte den Kragen öffnen. Sie wußten genau, daß solche Kleinigkeiten die Disziplin lockerten und verlangten, daß jeder Vorgesetzte immer zu grüßen sei. Dann mußten sie aber einsehen, daß dies bei der Arbeit auf keinen Fall durchzuhalten sei und "gestatten" uns, den Vorgesetzten jeden Tag bei der ersten Begegnung zu grüßen - dann waren wir davon befreit. Am Anfang wurde noch sehr streng auf Disziplin geschaut und jedes kleine Vergehen streng bestraft. In der Kaserne gab es ja im Keller ein kleines Loch, in das man die straffälligen Leute einfach einsperrte, aber im Feld? Sie fanden schon eine Lösung: der Sträfling kam auf einen offenen LKW und mußte dort seine Zeit absitzen. Aber gar so arg war so eine Strafe gar nicht, denn wir mußten ja in dieser Zeit schuften, während der Sträfling uns von oben zusah. Später versprachen sie uns, daß die Strafen in der Ruhestellung abzusitzen seien. Aber auch da war es keine große Strafe, da er ja im Warmen (bei der Wache) sitzen konnte, während die "Braven" im klirrenden Frost auf Wache stehen oder auf Streife gehen mußten.

Nach zwei Tagen hatte sich die Truppe im Kessel ergeben und wir fuhren die gleiche Strecke wieder nach Osten. Die Lage war dabei ziemlich undurchsichtig: auf der einen Seite sagte man uns, der Russe habe schon so viel Menschen und Material verloren, daß er nicht mehr weiterkönne, auf der anderen Seite aber sahen wir selbst, daß da, seitlich der Straße eine Reihe von Panzern stand, von denen der erste Panzer durch ein Artilleriegeschoß außer Gefecht gesetzt war, während die anderen ganz und gar unversehrt waren, einfach von der Mannschaft verlassen. Wir fanden LKW, denen nichts als der Treibstoff fehlte - einen davon requirierten wir - er war sehr dankbar und begnügte sich auch mit dem russischen Treibstoff, das war ein Benzin-Petroleumgemisch, mit dem die deutschen Motoren nicht und nicht laufen wollten. Da russischer Treibstoff in Fässern herumlag, war dieser Wagen sehr viel im Einsatz. Denn bei unseren Wagen mußte gespart werden: wir bekamen jeweils von der Division, bei der wir eingesetzt waren, die Verpflegung und auch den Treibstoff und auf dem Weg von einer Division zur anderen, also von einem Einsatz zum anderen war es immer ein Gefrett mit der Verpflegung und dem Treibstoff. Andererseits hatte es auch wieder den Vorteil, daß wir zu Sonderverpflegung kamen: für einen Angriff gab es immer Sonderrationen. Und wenn wir Glück hatten, dann gab es in acht bis zehn Tagen dreimal so eine Sonderration. Und da ein Landser ganz, ganz bescheiden wird, war das schon ein Lichtstrahl. Meistens war es eine Tafel Schokolade, die ich aufsparte, um sie bei Gelegenheit nach Hause zu schicken. Mutti machte dann wieder eine gute Mehlspeise und schickte sie mir nach Rußland. Ja, irgendwie mußte auch die Post und die Feldpost beschäftigt werden!

Als Soldaten hatten wir in der Garnison 50 RPf bekommen. Pro Tag und im Einsatz bekamen wir nun 1 RM. Da es aber nichts zu kaufen gab - der Marketenderwagen kam nur in der Ruhestellung zu uns und das war sehr, sehr selten, der Rechnungs-Unteroffizier aber alle zehn Tage auszahlte, hatte ich Geld, das ich wieder nach Hause schickte. Was hätte ich denn dort damit angefangen? Wenn der Marketenderwagen kam, dann kaufte ich höchstens Briefpapier, da ich ja auch weiterhin jeden Tag schreiben wollte. Wenn ich nichts bekam, schrieb ich an Mutti und die schickte mir welches, obwohl es auch zu Hause sehr schwierig war, etwas zu bekommen.

Einesteils zogen sich die Russen zurück, andererseits wurde unerwarteter Widerstand geleistet. Wir hatten wiedereinmal die Stellung gewechselt und waren dabei, unser System aufzubauen. Der Chef war von der Besprechung vom AOK (Artillerie-Oberkommando = Divisionsstelle) zurückgekommen und unser Kommandeur hatte die Orte bekanntge-geben, wo die Meßstellen, die Mikrofone, aufzustellen seien. Der Vorwarner (ein Leutnant, der an die Aufnahmestelle durchsagte, wenn ein Abschuß zu hören war, damit das Aufnahmegerät eingeschaltet werden konnte), der ja einen km vor den Mikrofonen, also in der Höhe der Infanterie seine Stellung hatte, fuhr mit einem Trupp aus, um die Gegend zu erkunden. Der Kommandeur hatte erklärt, das Gebiet sei "feindfrei", also kein Problem. Sie wollten nur die Situation sehen und feststellen, wo die Mikrofone aufgestellt und wo die Vorwarner postiert werden sollten. Dabei kamen sie in eine Ortschaft - natürlich auch feindfrei gemeldet - und sahen einen Russen auf der Straße. Sie hielten an und da begann von allen Seiten ein Gewehrfeuer und eine Handgranate flog in ein Fahrzeueg, das natürlich sofort in Flammen stand. Die Leute rannten zurück durch ein Roggenfeld und der Leutnant kam mit seinem Fahrer auch wieder zur Einheit - aber sieben Mann fehlten. Am nächsten Tag fuhren wir aus, um an Ort und Stelle zu suchen. Wir fanden vier Mann, erschossen und mit Seitengewehr-stichen zerfleischt, die wir dann bestatteten. Von den übrigen kam dann zu Weihnachten einer wieder zur Einheit. Er war Brillenträger, war im Roggenfeld gestürzt und hatte seine Brille verloren. Da er wenig sah, konnte er nicht weg und wurde von den Russen gefangen, zurückgebracht und mit einigen Kaiserjägern eingesperrt. Als sich dann die Russen zurückziehen mußten, stellten sie die Gefangenen an die Wand und erschossen sie. Die Kaiserjäger waren tot, unser Mann erlitt aber nur einen Schulterdurchschuß. Die Gefangenen wurden dann noch mit dem Seitengewehr "erledigt". Unser Mann war auf das Gesicht gefallen, so daß sie ihn mit dem Seitengewehr (die russischen sind dreikantig und sehr biegsam) in den Rücken stachen. Wieder hatte er Glück, denn sie trafen auf das Schulterblatt und die biegsame Waffe fügte ihm nur Fleischwunden bei. Der Ukainer, bei dessen Haus das geschah, nahm nach dem Abzug der Russen den Armen in sein Haus und übergab ihn dann den einrückenden Truppen, so daß er mit dem Leben davonkam. Die verstümmelten Leichen der Kameraden, die wir dort fanden, gaben uns ein Bild über die Grausamkeit dieses Krieges. Zum Teil war es ja verständlich, daß die Russen diese "Nazis", die ihr Land überfallen hatten, aus ganzem Herzen haßten, aber die wahren Übeltäter saßen ja im Führerhauptquartier und in Bunkern und die, die sie zu Gesicht bekamen, waren zum größten Teil dazu gezwungen, in ein fremdes Land einzudringen. Irgendwie hatte ich geglaubt, daß der "Sozialismus" in Rußland den Leuten auch mehr "Humanismus" beigebracht haben sollte - aber das war ein richtiger Aberglaube gewesen. Diese Leute waren ganz und gar primitiv und mit Propaganda (da waren ihre Führer groß) leicht zu manipulieren - wie ja auch unsere Leute. Das war also ein Anschauungsunterricht in brutalster Form, was eine Ideologie aus harmlosen Leuten machen kann. Denn daß die Nazis brutal waren, hatten wir ja schon früher gewußt und dann auch in der Praxis beim Umgang mit Juden oder Andersgesinnten gesehen, daß aber die anderen auch so grausam waren, war eine richtige Ernüchterung - ja ein richtiges Erschrecken darüber, wie grausam ein Mensch sein kann. Viele meinten nun, die Propaganda der Deutschen über die Grausamkeit der Russen sei nun bestätigt, sie übersahen dabei aber, daß auch die Deutschen nicht viel besser waren. Bei einem Einsatz lagen wir einmal auf freiem Feld - es war vor dem Dnjepr-Übergang - als die Russen mit ihren Flugzeugen Angriffe auf unsere Nachschublinien flogen. Wir hatten Befehl, mit einem aufgebockten Maschinengewehr und mit unseren Gewehren auf diese Flieger zu schießen. Mit der Maschinengewehrmunition war auch Leuchtspur-munition eingereiht, so daß man die Flugbahn verfolgen konnte. Meistens wurde zu kurz geschossen, d.h. das Flugzeug war immer etliche Meter voraus. Die Kimme war ein Kreis, den man dem Flugzeug vorhalten mußte; aber das war immer zu wenig. Die meisten Kameraden feuerten also mit ihren Gewehren, während ich mich beim Maschinengewehr als Schütze oder Helfer betätigte. Da ging ein Flugzeug - eine "Rata" - in einer Entfernung von 150 bis 200 m seitlich von uns nieder. Sofort rannte einer hin und dann das Gros hintennach. Als wir ankamen, hatte Schreiber, so hieß der junge Kamerad, dem Russen einen Stoß gegeben, so daß er zu Boden fiel und ihm auch schon die Stiefel ausgezogen. Mit uns war aber auch ein Leutnant gekommen, der dem Russen die Stiefel wiedergab und ihn dann zu unserem Lager führte, von wo er mit einem Wagen nach rückwärts zu einer Gefangenensammelstelle gebracht wurde. Wäre der Leutnant nicht zur Stelle gewesen, hätte der Russe seine Stiefel gewiß verloren - und ob er dann nicht auch mißhandelt worden wäre (wie man es von englischen und amerikanischen Fliegern, die bei Angriffen auf deutsche Städte abgeschossen wurden auch hörte), möchte ich bezweifeln. Aber bei ans waren ja Nazis, die von den "Untermenschen" redeten! Und die Kommunisten sollten ja so menschenfreundlich sein! Aber möglicherweise bzw. wahrscheinlich war das sogar gewollt, denn damit erreichte man, daß jede Seite die Gefangenen unmenschlich behandelte - und daß sich jede Seite scheute, in Gefangenschaft zu kommen. Anfangs hatten sich die Russen ja in Scharen - in die Hunderttausende - ergeben, aber im Laufe des Krieges kam es dazu, daß fast keine Gefangene mehr gemacht wurden. Damit wurde aber auch ein Prozeß eingeleitet, der die (für die Russen und unsere Kommunisten unverständliche) totale Ablehnung des Kommunismus am Ende des Krieges ergab. Diesen Prozeß haben die Italiener und Franzosen nicht mitgemacht, daher gibt es dort noch immer eine größere Anzahl von gläubigen Kommunisten, während die betroffenen Völker - ob befreit oder besiegt - einen blutrünstigen russischen Imperialismus kennenlernten, der sich durch eine verlogene Propaganda unter der idealistisch gesinnten Jugend Anhänger wirbt, die er dann für seine eigenen Zwecke unter dem Deckmantel des Internationalismus gebraucht. Da er aber auch die eigenen Leute nur als Material betrachtet, gibt es auch im eigenen Land trotz unendlicher Möglichkeiten (diese Flächen! und diese Vorkommen von Erz, Öl und Mineralien!) keine echte Begeisterung (außer auf den Versammlungen) zu einer Leistung, der Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft und damit zu einem besseren Leben.

In dieser Zeit trat bei mir wieder die Ruhr auf und ich verbrachte drei Tage mit Fieber im Zelt, aus dem ich nur herauskroch, um mich unter Krämpfen und Schmerzen zu entleeren. Es ging ja nur Wasser und Blut weg. Arzt war keiner in der Nähe - wir hatten einen für die ganze Abteilung, etwa 500 Mann - der war meistens beim Abteilungsstab (beim Kommandeur) so um 40 km hinter uns. Der Sanitäter quasselte etwas von Keks, die er aber auch nicht hatte, also fastete ich drei Tage, d.h. ich aß und trank nichts. Später erfuhr ich, daß das falsch war. Der Flüssigkeitsverlust hätte ersetzt werden müssen. Aber bei mir half auch das Fasten und nach drei Tagen konnte ich wieder mitmachen. Allerdings wurden die Kameraden durch scheußlich stinkende Abgase wesentlich belästigt - aber was sollte man gegen die Krankheit machen?

Mutti schickte mir in dieser Zeit Pakete. Erlaubt waren 100 g - also hängte sie zehn solcher Pakete an einer Schnur zusammen. Sie hatte mehr Arbeit mit der Verpackung, aber sonst war der Effekt gleich. Darin war Mehlspeise, d.h. mit Zucker und Marmelade gebackene gute Sachen, die die Gasfabrik neuerlich in Gang setzten und die Kameraden zur Verzweiflung brachten. Aber diese Erfahrung mußte ich erst machen - und außerdem hatte ich auch wieder Hunger bekommen. Sicherlich wurden wir auch immer neu angesteckt. Auf einem LKW war ein Kessel aufgebaut, der durch ein Holzfeuer das Wasser erwärmte, das durch einen Zusatz in Kaffee verwandelt wurde (oder was man halt als Kaffee bezeichnete). Nachdem nur ganz wenig Bohnenkaffee zugeteilt wurde, war es ja sowieso vernünftiger, diesen für den Chef zu verwenden, und für die Mannschaft den Extrakt aus gebrannter Gerste, Zichorie und sonstigen Surrogaten auszugeben. Das Wasser schöpften sie aus den Dorfbrunnen (manchmal war ich auch dazu eingeteilt), die oft so entleert wurden, daß für uns kein Wasser zum Waschen blieb. Wenn dieses Wasser dann kochte, wurde der Extrakt eingeleert und dann wurde ausgegeben. Wenn die Köche dann sahen, daß nur mehr wenig im Kessel war, kam halt noch eine Milchkanne Wasser dazu und das solange, bis der Letzte seinen Kaffee hatte. Daß bei dieser Prozedur außer der homöopathischen Verdünnung auch die Temperatur zur Desinfektion dieses Getränkes nicht mehr ausreichte, ist sehr wahrscheinlich. Nur so konnte ich mir die ständige Wiederansteckung des Verdauungsapparates erklären. Inzwischen hatten ja außer mir auch Rheinländer dieses Leiden erworben - nur die Ostpreußen hatten anscheinend die abgehärteteren Organe, so daß es wesentlich länger dauerte, bis auch sie unter diesen Durchfällen litten. Aber bis zum Winter hin waren alle schon wenigstens einmal davon betroffen gewesen, so daß eine allgemeine Schwäche bemerkbar wurde. Dabei trat das Fieber wie bei der Malaria einige Tage auf, klang dann wieder ab und kam nach einiger Zeit wieder. Da die einzelnen Leute damit zu verschiedenen Zeiten betroffen waren, verblieb immer ein Rest, der die Arbeit erledigen konnte. Alle Stellen waren ja doppelt besetzt - schon wegen der Kontrolle - und wir konnten innerhalb des Zuges auch jeder die Arbeit des anderen übernehmen: also war ich einmal Rechner, dann Zeichner und einmal mußte ich die Arbeit des Wetterfrosches (er machte die wetterbedingten Korrekturen) über-nehmen.

Der Russe war inzwischen bis an den Dnjepr zurückgegangen (oder gedrängt worden) und hatte sich am gegenüberliegenden Ufer festgesetzt. Das Westufer hat einen Steilabfall (durch die Erdrotation) und das Ostufer ist eine weite, flache Ebene. Wir wurden also bei Krementschug, nördlich von Kiew, eingesetzt und hatten acht Tage fast Tag und Nacht keine Ruhe, denn der Russe setzte eine unglaubliche Menge an Artillerie ein. Da er sich zurückzog, hatte der Nachschub immer kürzere Wege. Er mußte nicht mit der Munition sparen, während sich bei uns die ersten Schwierigkeiten zeigten. Für die Bekämpfung eines Zieles hatten die Geschütze insgesamt acht Schuß zur Verfügung! Dazu muß ich jetzt ausholen. Wir gaben also den von uns ermittelten Standort des feindlichen Geschützes bzw. der Batterie (vier Geschütze) an den AKO (Artillerie-Kommando) durch (telefonisch), und der ließ auf das Ziel feuern. Den Einschlag dieses Geschoßes nahm unsere Aufnahme wieder auf und wir werteten sie aus, kontrollierten also, wie der Einschlag zu dem von uns festgestellten Ziel lag. Möglicherweise lag er zu weit links oder rechts oder zu kurz oder zu weit oder meist zwei von diesen Möglichkeiten, also zu weit rechts und zu kurz usf. Das Geschütz wurde neuerlich gerichtet und der nächste Schuß von uns wieder ausgewertet - so lange, bis wir feststellten, daß der Treffer im "Ziel" lag. Und dann hieß es Wirkungsfeuer, das waren 80 bis 100 Schuß. Diese große Anzahl war notwendig, da es bei der Artillerie durch die verschiedensten Umstände ein Streuung gibt - einmal ist es der Wind, der ja unregelmäßig bläst, dann kann es die Temperatur sein - wenn auf diese Entfernung bis zu 18 km eine Stelle liegt, die einen aufsteigenden Luftstrom hat und dann werden auch die Treibladungen (Kartuschen) nicht so hundertprozentig genau portioniert sein. Die "Entfernung" (also die Entfernung vom Geschütz zum Ziel) wird mit der Steigung (Steigungswinkel des Geschützrohres) und der "Ladung" d.i. die Menge Pulver ermittelt. Es gab acht Ladungen, d.s. Stoffbeutel mit Pulver gefüllt. Man konnte nun mit flacher Steigung und großer Ladung weit schießen oder mit höherer Steigung mit weniger Ladung die gleiche Weite erreichen. Zum Teil war da auch die Wirkung einzubeziehen, denn ein hochfliegendes Geschoß fiel steil mit großer Geschwindigkeit herab und hatte eine große Durchschlagskraft. Dazu kam aber auch die Überlegung, daß die größeren Ladungen das Geschützrohr mehr beanspruchten, daß es also früher Verschleiß-erscheinungen aufweisen würde, d.h. es wurde ausgeleiert, es schoß immer weniger genau.

Und nun hieß es, wir haben nur acht Schuß für ein Ziel. Das war aber fast immer die Menge, die wir brauchten, um das Ziel überhaupt einmal zu treffen - und das Wirkungsfeuer blieb dann aus. Dazu kam dann noch, daß wir die Ziele in einer Entfernung von 18 km und noch weiter bis 22 km aufklärten, unsere Artillerie aber nicht so weit schießen konnte. Es war also die ganze Arbeit nicht nur für die Katz, sondern der Russe heizte uns ganz schön ein - und wir konnten dagegen gar nichts machen.

Daneben gab es aber auch näher liegende Geschütze - und die auch in einer Unzahl. Wir stellten dort auf einer Breite von 6 km über 30 Batterien fest, die wir bekämpfen konnten. Möglicherweise waren es aber weniger. Da ja unsere Bekämpfung nicht ausreichend war konnten sie ihre Stellung wechseln, und wir stellten dann eine neue Batterie fest. Trotzdem dauerte es aber nicht lange, da hatte es unsere Infanterie mit den Pionieren (mit Sturmbooten) geschafft und den Dnjepr überquert. Damit war unsere Aufgabe erledigt, und in der Nacht fuhren wir vierzig km nach Süden, nach Kaneff. Die Fahrt im Finstern, entlang der Front, über Stock und Stein war fürchterlich. Also, Steine gibt es dort nicht, aber genug Löcher, in die der LKW rumpelte, daß wir mit den Köpfen an die Decke flogen! Aber in der Früh mußte unser System schon wieder stehen. Hier wehrte sich der Russe noch verzweifelter und wir wurden ganz verwirrt, weil es den Anschein hatte, daß unsere Karten nicht stimmten. Wir stellten fest, daß da Geschütze aus dem Fluß feuerten, dann wieder auf dem Ufer, und konnten uns das nicht erklären - bis dann von Fliegern festgestellt wurde, daß es auf dem Fluß Monitore (Flußkreuzer) gab, die da feuerten. Da unsere Karten aus dem ersten Weltkrieg stammten und der Fluß dort Inseln gebildet hat, die sich in den letzten dreißig Jahren wahrscheinlich verlagert hatten, war es möglich, daß - nach unseren Karten - die Abschüsse einmal im Wasser und das andere mal an Land erfolgten.

Wir lagen also am Steilufer, gedeckt durch ein kleines Wäldchen und hatten den Blick ganz weit nach Osten, konnten das Mündungsfeuer der Geschütze sehen, die wir nicht bekämpfen konnten, die uns aber erreichten. Ein ostpreußischer Obergefreiter ging da in der Früh pfeifend herum - Obergefreite waren ja nicht wie wir Kuli ständig bei der Arbeit - als der Russe wieder einmal schoß. Wir hörten das Heranheulen und sprangen in die Schützenlöcher - aber Sandhak, so war sein Name, stolzierte pfeifend weiter. Die Granate detonierte in der Nähe und Sandhak lag da: ein Splitter hatte die Halsschlagader zerfetzt und bis wir bei ihm waren, war er tot. Das Grab war rasch gegraben, der Körper in eine Gasplane (Schutz gegen Senfgas) gehüllt, da hinein gelegt, die Erde darüber geschaufelt und dann ein Birkenkreuz mit seinem Namen, also Obgefr.Sandhak aufgestellt und der Alltag ging weiter. Ein Ostpreuße sagte nur: "die frühen Vögel frißt die Katz" (weil er gepfiffen hatte in der Früh!). In dieser Stellung gab es dann noch zwei Tote, da sie von den Russen leicht einzusehen war. Als unser Verpflegungswagen kam, zog er natürlich eine Staubfahne nach. Und als er anhielt, wußte der Russe sicher, daß da ein Ziel sei und schoß darauf, so daß es also wieder Tote gab. Abends war es dann soweit, daß wir wieder unser Zeug zusammenpackten und einen Kilometer zurückfuhren, wo wir, gedeckt durch einen Hügel, wenigstens von diesem gezielten Feuer verschont blieben. Es gab da natürlich auch noch immer heranheulende Granaten, aber es hätte schon ein Zufallstreffer sein müssen. Unser Schallmeßsystem funktionierte ja auch hinter einem Hügel, denn der Schall wird davon nicht abgehalten. Und die Auswertung muß ja überhaupt nicht an so einer ausgesetzten Stelle liegen. Leider hatte der Russe aber auch die Möglichkeit, unseren Funkverkehr mit dem Vorwarner festzustellen und konnte so unsere getarnten Fahrzeuge ausmachen. Jedenfalls vermute ich das, denn plötzlich erschien ein russischer Flieger und warf Bomben auf unsere Stellung ab. Die Russen hatter ganz kleine Bomben, die aber einen so empfindlichen Zünder hatten, daß sie keine Löcher in den Boden machten, sodern schon bei der Berührung mit dem Bewuchs detonierten, so daß der Erdboden nur ganz wenig angekratzt wurde. Dadurch wurde aber ein größeres Gebiet bestrichen - sie waren also noch gefährlicher. Und in unserem Fall - wir waren ja unter Bäumen und glaubten uns getarnt, war es deswegen wieder kritisch, da diese Bomben schon bei der Berührung der Äste detonierten und wir den Segen von oben bekamen. Dadurch waren wir in unseren Splittergräben gar nicht geschützt und es gab wieder einen Toten. Ein Kamerad, der zuletzt in den Splittergraben gesprungen war, war auf den Kameraden daraufgefallen. Dem oben liegenden hatte ein Splitter die Brieftasche mit dem Hosensack weggerissen und der Kamerad, auf den er gefallen war, also unter ihm lag, war tot. Ja, Großmutter sagte immer: "Wenn der Teufel will, geht eine Butte los" - Jedenfalls wehrte sich der Russe verzweifelt, aber den Übergang über den Dnjepr konnte er auch in diesem Fall nicht verhindern und wir fuhren nach Kiew und über eine Schiffsbrücke an das Ostufer des Dnjepr und bald ging es weiter nach Poltawa. Die Luftaufklärung berichtete, daß sich vier oder fünf Divisionen mit einer Riesenzahl von Rindern (angeblich 100.000 Stück) nach Osten zurückzog, während wir mit nicht einmal einer Division "nachdrängten". Wir zogen also in Poltawa ein und wurden in ein größeres Gebäude am Abend einquartiert. Ich bekam wieder einmal Wache (das war ja eine Lieblingsbeschäftigung für so junge Kanoniere), und da sagte uns der Wachhabende: "Wenn in der Nacht Russen - also Soldaten oder Fahrzeuge - kommen, nicht schießen, sondern ganz ruhig verhalten, damit er uns nicht bemerkt". Zum Glück kamen aber keine Russen und die Kameraden konnten beruhigt schlafen, da wir sie ja bewachten.

lch möchte noch nachholen, daß wir beim Dnjeprübergang etwas von Nebelwerfern gehört hatten, eine uns bisher unbekannte Waffe. Angeblich waren das Geschoße, die eine so große Druckwelle erzeugen, daß die Lungenbläschen platzen. Jedenfalls hörten wir sehr starke Detonationen, worauf es am drüberen Ufer des Flusses still wurde, und als die Sturmboote übersetzten, wurde von drüben nicht mehr geschossen. Wir sahen dann auch tote Russen, bei denen wir keine äußeren Verletzungen - zumindest vom Fahrzeug aus - sehen konnten. Sonst gab es ja immer große Wunden und Blut. Von diesen Nebelwerfern hörten wir dann nichts mehr - sie dürften mit dem Gros der Armee nach Süden zum Kaukasus gezogen sein. Wir rückten also weiter nach Osten vor, hörten im Radio von den großen Fortschritten vor Leningrad und Moskau und den großen Siegen - und fühlten uns so gar nicht als die Siegreichen, denn wir bemerkten immer, daß wir nur ein kleiner Haufen in einem riesigen Gebiet waren.

Schon bevor wir den Dnjepr erreicht hatten waren wir an Bäumen vorbeigekommen, die unsere Ostpreußen gar nicht kannten: Kirschen-bäume. Ich kletterte sofort hinauf: es waren Halbweichsel, die schon richtig reif waren. Vom Chef wurde ich beauftragt, für die Küche zu pflücken. Jeder bekam dann in sein Kochgeschirr ein Kirschenkompott, bei mir waren in einem halben Liter Wasser ganze zwei Früchte drinnen! Wahrscheinlich erfolgte die Aufteilung so wie beim Kaffee! In der Gegend von Poltawa gab es dann wieder Bäume, die unsere Kameraden aus Ostpreußen nicht kannten: Marillen! Aber das verstanden sie ja nicht: Aprikosen! Leider waren nicht mehr viele Früchte auf den Bäumen - aber zum Kosten reichte es noch. Wenn dann etwas Ruhe war - meistens nach einem Einsatz ein oder zwei Tage - rückten wir auch aus, um Kartoffeln zu graben. Anfangs fanden wir ganz kleine Knollen, in der Größe von größeren Kirschen bis zu kleinen Marillen. Sie hatten natürlich noch eine ganz dünne Haut, wurden daher gar nicht mehr geschält. Umso wichtiger war, daß sie ordentlich gewaschen wurden!

Und so verging der Sommer, und der Herbst begann. Gelegentlich wurde wieder ein System aufgebaut, aber da sich die Front doch immer mehr nach Osten verlagerte, waren die Einsätze meist nur sehr kurz und es hieß wieder weiter. Dann wurde es auch kühler, und zeitweise gab es Regen. Da suchten wir manchmal Unterschlupf in Häusern. Die einfachen Häuser in dieser Gegend haben einen Raum, der an drei Seiten ein kleines Fensterchen, ca. 50 x 70 cm hat, das sich nicht öffnen läßt und an der fensterlosen Seite einen großen Ofen, auf dem die Leute (auf dem Aufbau über dem Abzug) auch schlafen. Manchmal gibt es einen kleinen Nebenraum mit Pritschen - wahrscheinlich schlafen dort die größeren Kinder. Um den Tisch, der in einer Ecke steht, gibt es Bänke und an der Tür ein paar Haken, an denen Kleider hängen (soweit sie nicht am Körper getragen werden). Das Geschirr steht auf dem Herd. - In Polen, wo es die gleiche Häuser gibt, kamen wir einmal in so ein Haus und ich ersuchte die Frau, mir Eier, die wir gekauft hatten zu kochen. Sie hatte ein offenes Feuer, entfachte also auf dem Herd ein Feuer, indem sie kleine Bündel Flachs entzündete und stellte dann daneben einen irdenen Krug mit Wasser, der an einer Außenseite vom Feuer beleckt wurde. Darin waren die Eier. Und richtig, nach einiger Zeit kochte das Wasser in dem Krug und meine Eier wurden gekocht. Und so ähnlich war es auch in der Ukraine. Bei den meisten Kolchosen gab es ebenfalls ähnliche Häuser, bei manchen Gütern waren es aber auch schönere Häuser - vielleicht Mustergüter.

Das Wetter wurde immer unfreundlicher und Mitte Oktober gab es den ersten Schnee. Ich hatte wieder einmal Wache und stapfte im Schnee zwischen den Zelten herum. Dabei verfing ich mich in einer Verspannung - oder war es ein Hering, über den ich stolperte - jedenfalls flog ich der Länge nach in den patschigen Schnee. Mir war saukalt, und nun war ich auch noch naß! Und wenn man dann ins Quartier, d.h. ins Zelt kommt, kriecht man mit den feuchten Kleidern unter die Decke, so daß sie dunsten. Zuerst klappert man noch mit den Zähnen, dann wird es etwas wärmer, da kommt der Wachhabende (der mußte immer dafür sorgen, daß die Ablöse rechtzeitig erfolgte), um den nächsten Kameraden zu wecken. Wenn dann dieser Kamerad hinausgeht, kommt nach einiger Zeit der Abgelöste, klappert mit den Zähnen und verkriecht sich unter seinen Mantel und die Decke. Und wenn man dann endlich eingeschlafen ist, wird man schon wieder für seine nächste Runde geweckt. Dazu kam, daß wir bei diesem schlechten Wetter natürlich wieder die Ruhr bekamen und auch dadurch, daß wir da plötzlich hinausstürzten - oder wenn es uns einmal besser ging, der Nachbar hinausstürmte - ständige Unruhe herrschte. Da fühlten wir uns gar nicht als die Sieger und fühlten uns als recht arme Teufel. Unseren Kraftfahrern ging es etwas besser, sie konnten es sich im Führerhaus einigermaßen bequem machen - bis unsere Offiziere daraufkamen, daß das ja ein trockenes Plätzchen ist und die Fahrer kurzerhand ausquartierten, um sich dort einzunisten. Die Verpflegung mußte zugunsten von Munitionstransporten zurückstehen und die sahen dann so aus, daß ein Ukrainer auf einem Panjewägelchen 3 Geschoße für eine 15-cm Haubitze transportierte. Wenn man die Strecke bedenkt und den Umstand, daß die Bahn ja noch lange nicht funktionierte! Die Russen hatten die Schienen gesprengt u.zw. hatten sie alle drei Meter eine Sprengladung - sie sah aus wie ein Stück graugelbe Seife - an die Schienen seitlich angelegt und mit einer Zündschnur entzündet. Damit war ein V-förmiges Stück aus der Schiene gesprengt worden. Da nicht alle Ladungen funktioniert hatten, fanden wir einige von diesen Stücken, die ganz harmlos aussahen. Es dauerte dann auch noch fast zwei Monate, bis diese Schienen ausgewechselt und auf die europäische Spur umgenagelt waren. Im übrigen hatten die Russen ein eigenes System für ihren Oberbau. Bei uns verwendet man Schotter, dort wurde Sand aufgeschüttet, der anscheinend von der Krim stammt, denn er erinnerte mich ganz an den Sand, den wir in Varna am Schwarzen Meer gesehen hatten.

Im Sommer hatte uns der Staub geplagt und jetzt gab es durch den Regen einen unvorstellbaren Schlamm. Die Fahrzeuge blieben hängen und wir mußten immer wieder schieben und an Seilen ziehen. Die Rollbahnen - an Straßen kann ich mich nur in den Städten wie Kiew, Krementschug oder Poltawa erinnern - waren einfache Spuren über die Felder. Und bei Regen wurden sie grundlos. Blieb ein Fahrzeug stecken, so wich man einfach nach einer Seite aus, so daß diese Rollbahnen immer breiter wurden - aber keinesfalls besser. In den Spuren blieb dann das Wasser stehen, so daß der Boden noch mehr aufweichte und das nachkommende Fahrzeug dann hängenblieb. Unsere Batterie hatte 32 oder 33 Fahrzeuge. Wenn wir da unterwegs waren, war fast ständig ein Fahrzeug in Not. Diese Regenperiode dauerte einige Zeit - und dann gab es plötzlich Frost. Der Schlamm wurde steinhart und die von der Fahrzeugen stammenden Furchen und Löcher wurden Fallgruben. Wenn ein Fahrer die Fahrspur wechseln wollte, war das nicht möglich. Die Getriebe und Differentiale brachen, so daß nach und nach ein Wagen nach dem anderen liegen blieb. Wir hatten Glück - oder einen guten Fahrer - er hieß Marienfeld und war ein typischer Ostpreuße. Er war ein dicker Mann, schon älter, aber gutmütig. Er lenkte eines der drei Fahrzeuge, die nach Charkow einfuhren. Nach der Ankunft in der Stadt wurde auch unser Auto kaputt. Da erklärte er uns: "Na Kinder, habe ich das gut gemacht, daß der jetzt kaputt gegangen ist. Jetzt können wir nicht mehr weiter". Die armen Kraftfahrer waren dann viele Wochen unterwegs, um die liegengebliebenen Fahrzeuge flottzumachen oder abzuschleppen. Wenn dabei mehrere Marienfeld waren,so könnte man denken, daß sie sich dabei soviel Zeit ließen, daß sie dann gerade zu Weihnachten wieder zur Truppe kamen.

In den Zelten hatten wir uns Garben von der Feldern aufgebreitet, damit wir nicht auf dem nassen Boden liegen mußten. In diesen Garben hausten Mäuse, die in ihrem Unmut in der Nacht über unsere Gesichter liefen. Das war zwar unangenehm, aber noch nicht schlimm. Da hatte aber ein gutmütiger Kamerad einem Krad-Melder gestattet, sich in unserem Zelt etwas auszuruhen. Und dieser Kerl (er hat sicher auch in Russenhäusern geschlafen) hatte uns Läuse hinterlassen. Das wäre im Sommer unangenehm gewesen, aber im Wienter war es ein Problem. Bei Tag hatten wir Einsatz und konnten nicht Läuse suchen. Und in der Nacht - wir durften ja niemals Licht machen - war es unmöglich. Also lebten diese Tierchen wie in einem Naturschutzpark auf uns und quälten uns bis aufs Blut. Ein Kamerad, Wantke, ein Ostpreuße, bekam davon Geschwüre an den Beinen, direkt offene Füße. Wir versuchten es mit öfterem Wäschewechsel, bis wir draufkamen, daß wir damit den Teufel mit Beelzebub austreiben wollten, denn wir vertauschten die behäbigen satten Alten gegen die flinken, hungrigen, Jungen. Der Umstand, daß man den ganzen Tag nie einen trockenen oder gar einen warmen Raum zu sehen und zu spüren bekam, dazu die Nässe, Kälte und dann dazu die Läuse, dann Dienst und womöglich noch eine Nachtwache, dazu die Durchfälle - ob es nun eine Ruhr war oder ein gewöhnlicher Durchfall - machten uns alle fertig. Aber es ging "siegreich" vorwärts und wir erreichten im November Charkow. Die Infanterie ging noch 30 oder 40 km weiter vor, bis es auch für sie ein Stellungskrieg wurde. Für uns war der Vormarsch zu Ende, da die Fahrzeuge ja kaputt waren - oder waren unsere Offiziere auch schon zur Einsicht gelangt, daß man mit so einem müden Haufen keinen Krieg gewinnen kann? Wir wurden also Besatzungstruppe. Wir bezogen einen "Kulturpalast" mit rotem Stern und Spruchbändern außen und innen mit einem Theatersaal mit Kulissen, einem Kino, Musikzimmer, Bibliothek usf. Uns quartierten sie im zweiten Stock ein, die Offiziere und Unteroffiziere ebenerdig. Als dann die Heizung in Betrieb genommen wurde, hatten sie es unten weniger warm, während wir oben ganz angenehm lebten. Nachdem die Klos natürlich für die Offiziere bestimmt waren, mußte für uns ein "Donnerbalken" im Garten, 30 bis 40 m vom Gebäude entfernt, errichtet werden. Diese Einrichtung war während des Feldzuges bei jedem Einsatz eingerichtet worden - natürlich von den Frischgefangten - doch nicht von den alten Hasen! Dafür wird eine Grube ausgehoben und darüber ein Querholz an Stehern rechts und links von der Grube befestigt. Das Querholz ist der "Donnerbalken", auf dem man sitzen kann (wenn man kann) und in die Grube fällt, was man fallen lassen will. ln Charkow hatten wir nun bereits 20C Frost und auch noch mehr. Da war es interessant, wie sich da ein Turm bildete, der durch die Durchfälle der Ruhrkranken richtig betoniert wurde und immer höher wuchs, so daß man schon den Tag erwarten konnte, wann er einen erreichen würde. Aber dann gab es vor Weihnachten einen Wärmeeinbruch, und das ganze Gebilde stürzte (wie der Turmbau von Babel) ein. Inzwischen aber gab es nicht nur solche Betrachtungen, sondern wir mußten natürlich auch unsere Pflicht erfüllen. Wir waren ja jetzt Besatzungstruppe. Da gab es eine Menge wichtiger Objekte zu bewachen. Zuerst die Unterkunft unseres Kommandeurs, dann unsere Unterkunft, dann eine Brauerei, dann eine Drahtseilfabrik, dann ein großer Bahnhof und dann noch ein riesiges Munitionsdepot im Wald. Möglicherweise habe ich das eine oder andere schon vergessen - jedenfalls waren es so viele Objekte, daß es vorkam, daß wir nach unserem Dienst (bei dem man ja nur wenig Schlaf bekam) sofort wieder zu einer anderen Stelle marschierten, um dort weiter zu wachen. Das war eigentlich unstatthaft, denn nach einer Wache mußte man einen Tag nur Innendienst machen - aber es war eben Krieg, und diese "Jungen" mußte man ordentlich drannehmen, damit sie endlich ordentliche Soldaten werden. Bei dem Frost -22°C waren wir mit unserer "Sommeruniform" wirklich arme Teufel. Damit die Füße nicht erfroren, schlüpfte ich soweit aus den Stiefeln, daß ich auf den Zehen stand und hielt sie immer in Bewegung. Es gab dann eine Aktion, bei der Winterkleidung von der Zivilbevölkerung gespendet wurde. Da bekam unsere Batterie drei Pelzmäntel: natürlich bekam der Chef einen, einen bekam der Spieß - und einen bekamen die Wachtmeister und Unteroffiziere, wenn sie auf Wache gingen. Diejenigen, die die ganze Zeit draußen waren, wurden dann von den Herren im Pelz kontrolliert, ob sie ihre Aufgabe auch gut machten. Bei Tag mußte dann natürlich auch etwas geschehen: die Truppe war ja schon ganz verwildert, ja es konnte sogar geschehen, daß ein Vorgesetzter nicht gegrüßt wurde. Also begannen sie, mit uns wieder zu exerzieren. Das muß man sich vorstellen: in Charkow - der Russe nicht weit, rundherum eine Bevölkerung, für die das ein Theater war, die armen Landser erschöpft, verfroren, wurden nun "gescheucht", damit wieder Disziplin in den Haufen kam. Aber möglicherweise war den Herren nur fad, da sie ja außer einer gelegentlichen Kontrolle der Wachen den ganzen Tag nichts zu tun hatten. Dafür waren wir umso mehr angefressen von der Kälte, dann wieder einmal von den Läusen - die Entlausungen funktionierten nur teilweise - von den unendlichen Wachen und von unseren Durchfällen. Da hatte ich wieder einmal Wache mit einem Kameraden aus Ostoberschlesien, einem kleinen Mann, einem Polen, der halt als Deutscher gelten wollte und recht angenehm war. Wir mußten patroullieren und vor allem die Unterkunft unseres Kommandeurs, Major Breitenstein, bewachen. Da mußte der Herr Major hinaus. In den kleineren Häusern gab es ja kein Klo, sondern im Garten einen Windschirm aus Schilf - nur im Kulturpalast gab es fürs ganze Gebäude zwei Klos. Ich riß den Karabiner herab und ließ das Visier klappen (das klingt ähnlich, als wenn man den Sicherungsflügel umlegt), da schrie er "nicht schießen, Soldaten, euer Kommandeur ist hier". Auf dieses jämmerliche Geschrei ließ ich ihn also leben. Eines Tages wurden wir eingeteilt, den Wald beim Munitionslager (es war etwa 2.0OO m lang und einige hundert Meter breit im Wald angelegt, mit Stacheldraht umzäunt, dann ein freier Streifen für eine Wache oder Hunde und wieder Stacheldrahtzaun) zu durchkämmen. Der Wald, ca. 30 - 40-jährige Buchen, war von den Panjepferden der Russen ganz geschält, so daß das weiße Holz sichtbar war. Im Lager war es angeblich immer wieder zu Diebstählen gekommen, und man konnte nicht wissen, ob sich nicht Partisanen mit Munition versorgen wollten. Wir bildeten also eine Schwarmlinie und ich kam an den rechten Flügel. Wir streiften so durch den Wald, daß wir gerade noch Sicht zum Nachbarn hatten. Da liefen plötzlich vor mir zwei junge Russen schräg nach rechts. Also mußte ich nach und damit weg von meinem Nachbarn. Ich schrie "Stoi, stoi", riß den Karabiner von der Schulter und schoß aus der Hüfte in die Luft, denn ich hatte ja nie und nimmer die Absicht, einen zu treffen. Die zwei blieben aber nicht stehen, und ich hatte bereits viermal geschossen (im Magazin waren fünf Schuß) - als ich überlegte: Wenn die Kerle bewaffnet sind, müßtest du ja Ernst machen können. Ich behielt also den letzten Schuß in der Waffe. Plötzlich war nur mehr einer vor mir - und den hatte ich bald eingeholt und gepackt. Er zitterte und bebte - von dem war also nichts zu fürchten. Inzwischen waren die etwas schwerfälligeren Ostpreußen auch aufgetaucht und hatten den zweiten, der sich fallen gelassen hatte, gefunden und mitgebracht, so daß beide Burschen an einem Baum lehnten. Nun konnten wir nicht russisch und die beiden nicht deutsch. Munition fanden wir auch nicht bei ihnen. Die Vermutung lag nahe, daß sie ins Munitionsdepot wollten, als wir sie entdeckten - oder sie hatten die Munition weggeworfen, als sie davonrannten. Unser Leutnant machte der Sache auf seine Art ein Ende: er gab jedem einen Tritt mit seinem Stiefel, und die beiden liefen davon. Damit war die Aktion beendet. Jedenfalls war dies aber das einzigemal, daß ich in diesem Krieg (außer auf dem Schießstand) mein Gewehr abschoß. Da ich zum Schutz vor dem Schnee auf den Bäumen in den Lauf Putzwolle gestopft hatte, wurde das Geschoß etwas behindert und es gab eine Laufaufbauchung. Bei einer Waffenkontrolle wurde das beanstandet und ich redete mich auf den Schnee aus, der möglicherweise in den Lauf gefallen war, als ich den Russen - oder war es ein Ukrainer - verfolgt hatte. Daß es die Putzwolle war, konnten sie mir nicht beweisen.

So ging der halbe Dezember hin. Es gab einen Wettbewerb für die hübscheste Stube (wir dekorierten sie mit Dekorationsstoff aus dem Theater). Lernen von Weihnachtsliedern, dazwischen Exerzieren und natürlich Wachdienst. Um Wasser mußten wir weit fahren. Manchmal schöpften wir aus dem Fluß (im Eis war ein Loch geschlagen), dann gab es auch einen Hydranten. Im Umkreis gab es eine uhrglasförmige glatte Eisfläche im Durchmesser von ca. 40 m. Da konnte man die Milchkannen (in denen holten wir das Wasser) mit einem Schwung bis zum Fahrzeug rutschen lassen.

Als wir einmal nach einer Wache nach Hause kamen, hing vor unserer Unterkunft an einem A-Mast ein Russe ohne Stiefel. Angeblich war es ein Kommissar, der da einfach aufgehängt worden war. Die Kameraden erzählten, daß ihm die Russen sofort nach dem Aufhängen die Stiefel von den Füßen gestohlen hätten. Beim Wasserholen, auf einer Fahrt durch die Stadt, sah ich dann noch einmal zehn tote Russen von Balkons hängen, je zwei oder drei von einem Balkon. Angeblich hatten sie vergiftetes Brot an Landser ausgegeben. Sonst war eher eine gedrückte Stimmung und eine merkwürdige Rastlosigkeit zu bemerken. Die gedrückte Stimmung kann ich ja jetzt, nachdem wir ja auch eine Besetzung mitgemacht haben, gut erklären. Und die Rastlosigkeit rührte wahrscheinlich davon her, daß die armen Leute ja keinerlei Lebensmittel bekamen. Entlang der gesprengten Schienen zogen in endlosen Kolonnen Menschen in beiden Richtungen. Man erzählte, irgendwo sei ein Kartoffelfeld, und die Leute versuchten, aus dem gefrorenen Boden etwas herauszubekommen.

Ukrainer hatten sich angeboten, mit den Deutschen zusammen-zuarbeiten und gingen mit uns auf Wache. Wir hatten aber kein besonders gutes Gefühl dabei, obwohl sie möglicherweise ehrlich zusammenarbeiten wollten. Aus der Brauerei war Koks organisiert worden, so daß wir etwas Wärme hatten. Nachdem ich nichts angestellt hatte, bzw. bei nichts erwischt worden war, konnte ich damit rechnen, über die Feiertage nicht zur Wache eingeteilt zu werden. Das war ja den Sündern vorbehalten - es sollte ja eine Strafe sein. Außerdem waren unsere Köche unterwegs gewesen und hatten Fleisch organisiert. Für den Weihnachtsabend gab es gar Gänsebraten! Und da wurde ich plötzlich gelb. Kameraden meinten, ich solle mich ins Krankenrevier legen. Aber die wachefreien Tage und den Gänsebraten vor Augen, lehnte ich dieses Ansinnen ab. Beim Aufstellen von Christbäumen im Speisesaal hatte ich das Bedürfnis, Knospen von den Bäumen zu essen. Ich sagte mir, wenn es hilft, ist es gut und hilft es nichts, dann schadet es auch nicht. Dann kam der Heilige Abend, Weihnachtslieder wurden gesungen und es ging ans Schmausen. Da kam also der Gänsebraten, auf den sich alle ja schon so lange gefreut hatten - natürlich auch ich. Ich setzte mich zum Teller und steckte den ersten Bissen in den Mund - da mußte ich fluchtartig den Raum verlassen. Ich stürmte in unsere Stube und flüchtete ins Bett. Da krümmte ich mich vor Schmerzen mit einem Galleanfall - und dabei hatte ich noch gar keinen Bissen gegessen gehabt. Ich bekam Fieber und lag da, bis die Kameraden von der großartigen Weihnachtsfeier zurückkamen. Einer hatte etwas Schmerzstillendes (er sagte, ein Morphiumpräparat (?) dann konnte ich einschlafen. In der Nacht bekam ich fürchterlichen Durchfall und versuchte, zum Donnerbalken zu kommen - aber die Tür war verschlossen. Die Klos der Offiziere waren ebenfalls zugesperrt. In der Not mußte ein Waschbecken vor einem solchen Klo herhalten. In der Früh schimpfte einer: eine besoffene Sau hat in das Waschbecken gekotzt.

Also lag ich zu Weihnachten mit Fieber im Bett und hatte mich so auf die dienstfreien Tage gefreut. Und dann kam ich ins Krankenrevier der Abteilung im Hause unseres Arztes. Das war ein Zimmer mit vier Betten. Der Arzt gab mir einen Trinkbecher mit Karlsbader Salz zum Einnehmen. Einen Teil versuchte ich, aufgelöst, zu trinken. Es schmeckte aber gar nicht gut. Also landete der Rest der Medizin im Kanonenöferl, das die Stube gut heizte. Im Keller dieses Hauses gab es Clos. Ich kannte diese Art von unserer Fahrt nach Konstantinopel: zwei Trittsteine in einer Mulde. Da aber bei diesem Clo der Ablauf verstopft war, war ein Berg von Exkrementen in dieser Mulde, so daß die Trittsteine bereits überdeckt waren. Ein findiger Kopf - solche gab es bei den Soldaten ja in Haufen - hatte nun einen Sessel so hingestellt, daß die Lehne an die Mulde rührte. Wenn man nun auf den Sessel stieg und über die Lehne hinweg--, dann fiel das auf den vorhandenen Berg. Und der war noch nicht einmal in der Höhe der Sitzfläche - also war noch Zeit. Und wie es dann weiterging, darüber sollten sich die Nachkommenden den Kopf zerbrechen. (Da fällt mir übrigens Kreisky ein mit der Schuldenmacherei).

Die Kameraden besuchten mich an den Sonn- und Feiertagen und erzählten eines Tages, daß die Einheit zur Neuaufstellung und Ausrüstung ins Rheinland zurückfahre. Natürlich wollte ich nicht allein in Rußland zurückbleiben. Aber der Arzt war der Ansicht, ich gehöre ins Lazarett. Also packte ich meine Siebensachen mit Gewehr, Tornister, Gasmaske und Brotbeutel und wanderte ins Lazarett von Charkow, während die Kameraden mit dem Zug (die Bahn war seit Mitte Dezember bis Charkow mit neuen Schienen instandgesetzt worden) nach Westen fuhren. Die Einheit wurde in Baumholder neu aufgestellt, d.h. neu ausgerüstet und war dann nur mehr teilmotorisiert (teilweise mit Pferdebespannung - also waren die KFZ schon Mangelware!). Das Lazarett von Charkow war sagenhaft: eine alte Kirche, Rundbau, schon lange nicht mehr in Betrieb, aber als Gebäude nicht zu verkennen. Dort kam ich am Abend an. Die Straßen waren ja so wie die ganze Stadt total verdunkelt. Durch eine Lichtschleuse betrat man das Gebäude, das ja ein einziger Raum war. In der Mitte des Raumes sah man bei Kerzenlicht auf zwei Tischreihen mit Bänken einige Landser beim Essen oder Spielen sitzen und im Finstern ahnte man mehr als man sehen konnte an den Wänden auf Stroh herumliegende Gestalten - die Patienten. Ich suchte mir eine freie Stelle im Dunkeln und legte meine Gepäckstücke ab. Ob mich dabei jemand fragte, was ich da mache, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich hatte ja Fieber und war auch sonst total fertig,. Ich lag also da und sah im Kerzenlicht die kartenspielenden Gestalten bei den Tischen, und neben mir ahnte ich mehr, als daß ich es sah, eine Menge Unglücklicher, die in dieser finsteren Höhle dahindösten. Die Situation wurde auch bei Tag nicht besser, da das Gebäude ja ordentlich verdunkelt sein mußte (bei einer Kirche sind ja die Fenster ziemlich hoch oben angebracht, so daß die Verdunkelung nicht entfernt wurde). Ein Arzt kam einmal im Tag durch, Sanitäter kümmerten sich um die Verwundeten - aber ich war kein Fall für die Medizin - ich hatte nur auf einen Transport zurück in ein richtiges Lazarett zu warten. Die Besitzer von Kerzen waren in dieser Vorhölle die Kapitalisten, während die armen Nichtbesitzer die Proletarier waren. Meinen täglichen Brief an Mutti schrieb ich an einem Tisch, an dem man auch die Mahlzeit einnahm. Ansonsten lag ich auf dem Stroh und döste. Nach ein paar Tagen Aufenthalt in diesem "Spital" wurden wir verladen und fuhren mit der Bahn zurück nach Poltawa. Nach meiner Erinnerung dauerte diese Fahrt drei Tage, denn es konnte nur bei Tag gefahren werden und auch nur dann, wenn kein wichtigerer Transport unterwegs war, und in der Nacht stand dann der "Lazarettzug" in irgend einem Bahnhof - aber draußen auf einem Abstellgleis. Da die Lokomotive abgehängt wurde, funktionierte natürlich auch die Heizung nicht - auch nicht am nächsten Tag, wenn wieder eine Lok angespannt wurde, da alles eingefroren war. Auch das Klo war eingefroren und füllte sich auf. In Poltawa kamen wir in eine ehemalige Militärschule (noch aus der Zarenzeit) mit riesig hohen Räumen und steilen Stiegen mit ganz hohen Stufen, so daß man am liebsten auf allen Vieren hinaufgegangen wäre. Da lagen wir in einem großen Saal mit getäfelten Wänden, d.h. an einer Wand waren lauter Bücher. Da hatten sie Eisenbetten für uns aufgestellt. Ich interessierte mich für die Bücher. Die meisten waren russisch - aber es gab auch deutsche. Und da fand ich eine Rede Stalins vor dem ZK (Zentral-Komitee) aus der Zeit noch vor dem Einmarsch der Deutschen. Stalin prophezeite, daß sich die Nazis mit den westlichen Kapitalisten zu Tode bekriegen würden und die Russen dann die lachenden Dritten wären, wenn alle Kapitalisten zu Tode erschöpft auf dem Boden lägen. Wahrscheinlich hatte auch Hitler von dieser Ansicht gehört und dann - wie er es auch im "Mein Kampf" ausgesprochen hatte, eben Rußland angegriffen, weil er meinte, damit die Sympathie der "Kapitalisten" auf seiner Seite zu haben. Außerdem sei es ja um die Russen als "Untermenschen" nicht schade - und dann gäbe es ja auch einen gewaltigen "Lebensraum" für das deutsche Volk.

Dort lagen wir einige Tage - es war nur eine Durchgangsstation - und dann ging es wieder weiter nach Krementschug am Dnjepr. Da lagen wir in einem alten Haus (vielleicht eine alte Schule so wie in Kolbuszowa), dann wieder in einen Zug, und weiter nach Westen. In den "Lazaretten" hatte man uns Gelbsüchtige so gut es ging mit Diätnahrung verpflegt. Für die Fahrten, die jeweils drei Tage gedauert hatten, gab es aber nur die Normalverpflegung und das waren neben Brot Streichwurst und Schweinefleischkonserven (eine Delikatesse zu dieser Zeit, da sie hauptsächlich aus Schmalz bestanden), etwas Hartwurst und Käse. Das war natürlich alles ganz besonders gut für Leute, die eine strenge Diät im Lazarett verschrieben und auch erhalten hatten. Mit Leber- und Gallebeschwerden aber war es weniger gut. Zum Glück hatte ich in der ersten Zeit überhaupt keinen Appetit und aß fast nichts - und als ich wieder Appetit bekam, war ich wahrscheinlich wieder in der Lage, diese Kost zu vertragen. Jedenfalls aber veränderte sich meine Farbe (und auch die meiner Mit-Leidensgenossen) während der ganzen Zeit nicht - wir blieben "stationär". Von Krementschug ging es also wieder mit der Bahn nach Westen. Wir waren inzwischen sieben "Kanari" (so nannten sie uns) geworden, die frierend in einem Abteil saßen. Wieder fuhren wir drei Tage, wobei nach dem ersten Tag wieder die Heizung eingefroren war, so daß die Fenster innen dick vereisten (durch unseren Atem) und die Klos zufroren. In den Nächten, wenn die Lokomotive abgekoppelt war, stellte ein Unteroffizier, der natürlich den Platz beim Fenster hatte, eine Kerze an den Fensterrahmen, damit das Eis auftaue (es war schon fingerdick). Das Eis taute nur ein ganz wenig auf - aber die Fensterscheibe zersprang. So erwarteten wir, in unsere Decken eingehüllt, sitzend den Morgen, damit es wieder weitergehe. Manche Kameraden hatten schon ganz dicke Beine - wie bei einer Wassersucht. Und als wir endlich an unserem Bestimmungsbahnhof ankamen (ich glaube, es war Berditschew - es könnte aber auch ein Irrtum sein) und unser Unteroffizier - er war ja der Reiseführer - beim Bahnhof-kommandanten die Ankunft von sieben "Kanarienvögeln" meldete (mit den entsprechenden Begleitpapieren vom Lazarett), hatten wir unwahrscheinliches Glück. Dieses Lazarett - spezialisiert auf die Behandlung von Gelbsüchtigen , die es in Rußand zu dieser Zeit in großer Zahl gab - aber durch einen knapp vorher erfolgten Anschlag auf die Bahn, wobei ein Zug entgleiste, so daß es viele Verletzte gegeben hatte, war im Augenblick nicht in der Lage, zusätzliche Kranke aufzunehmen, da alle Betten belegt waren. Da wir ja außerdem keine akuten Fälle und daher auch transportfähig waren (wir hätten ihnen das auch bei noch größeren Beschwerden bereitwilligst bestätigt), sandten sie uns weiter nach Lemberg. Wir waren keineswegs unglücklich, als wir wieder in unseren kalten Waggon zurückkletterten. Unser Gepäck schleppten wir mit, obwohl wir kaum mehr uns selbst schleppen konnten. Und wieder gingen ein paar schlimme Tage und Nächte hin. Am frühen Morgen eines nebeligen, kalten Wintertages kamen wir endlich in Lemberg an. Wir rissen die Augen auf: dort war schon Zivilverkehr. Die Straßenbahn verkehrte. Für uns hatten sie einen Sonderzug zur Verfügung gestellt, mit dem wir in unser neues Lazarett fuhren. Es war noch am Morgen - aber der Verkehr hätte so auch in Wien in Friedenszeiten gewesen sein können. Wir waren in einer anderen Welt. Vor Wochen, ja Tagen noch in trostlosen Gegenden mit dahinhastenden, gebückten Menschen - und nun ein fast fröhliches Treiben - jedenfalls kam mir das so vor nach dieser langen Zeit in der Steppe und in dem ärmlichen (und durch die Besetzung auch nicht schöneren) Behausungen.

Unser Lazarett war eine ehemalige Kaserne, ein alter Bau, außen mit einem Eisengitter umgeben - wie in Wien der Burggarten, nur nicht so hoch. Wir waren in Charkow schon bei der Einheit entlaust worden und wurden es immer wieder bei jedem Ortswechsel. Der Erfolg war sehr unterschiedlich: manchmal hatten wir nach der Entlausung keine Läuse mehr, das war aber für die nächsten kein Argument, uns nicht neulich zu entlausen. Und dann kam es vor, daß wir auf einmal wieder Läuse hatten, direkt aus der Entlausungsanstalt (das waren vielleicht Läuse, die gegen die Entlausung bereits immun waren!). Jedenfalls war die Angst vor dem Fleckfieber sehr groß, so daß man in jeder neuen Station neuerlich entlaust wurde. Die Kaserne war ein Riesenkomplex, und ich kam in ein Zimmer ganz oben (dritter oder vierter Stock). Dort war es ganz finster, mit einer ganz schwachen Glühlampe mit zwei Leuten belegt, die nach ihren Angaben schon lange da hausten und anscheinend vergessen worden waren. Aber sie hielten sich an die Grundregel beim Militär: nur nicht auffallen! - Also taten sie nichts und wurden auch nicht behelligt. Die Neuankömmlinge wurden also wieder einmal entlaust. Die Kleider wurden restlos abgegeben und wir durften uns unter eine Dusche stellen. Mir kann es dabei gar nicht warm genug sein, und diese Einrichtung war nach langer Zeit einmal in Ordnung, so daß man sich da schön aalen konnte. Wir bekamen neue Wäsche (nicht neu, aber gewaschen) und stellten uns vor einem Arzt an, der, hinter seinem Tisch thronend, die Papiere der Neuzugänge vor sich, die Einzelnen in Augenschein nahm. Er hatte seinen Tisch so im Zimmer aufgestellt, daß man einen Meter in das Zimmer hineingehen konnte, so daß die Warteschlange auf dem Gang war. Nachdem ich lange unter der Dusche gestanden war, war ich in der Schlange ziemlich weit hinten. Der Arzt hatte es auch nicht eilig, und so dauerte es halt. Endlich kam ich als dritter vor seinen Tisch, da schaute er auf und nahm mich sofort vor. Das warme Duschen und dann das lange Anstellen - dabei waren wir ja durch den über halbjährigen Einsatz und das Leben auf dem Land meistens im Zelt mit Einsatz vom Morgengrauen bis in die Nacht bei einer unregelmäßigen Verpflegung sowieso schon arg hergenommen worden, dazu kam bei mir die langandauernde Ruhr und schließlich die Gelbsucht mit anfänglich gänzlicher Appetitlosigkeit und die ganz und gar nicht zweckmäßige Verpflegung bei der Truppe dann im Krankenrevier, dann während der Transporte - also ich schaute für der Arzt sicherlich nicht sehr gut aus. Er hielt sich auch nicht lange mit Verschreibungen von Arzneien oder Behandlungen auf, sondern entschied sofort: zurück in ein Heimat-Lazarett. Mein Blutdruck muß bei Beginn der Untersuchung (auf Entfernung - aber doch mit einem günstigen Ergebnis) ganz unten gewesen sein - ich war vor dem Umfallen - aber kaum war dieser unverhofft günstige Befund ausgesprochen und ich weg vom Tisch, rannte ich wie ein Besessener den langen Gang zur Stiege und auf unsere Bude. Ein Transport wurde zusammengestellt, der die Fälle, die in der Etappe nicht ausgeheilt werden konnten, nach Deutschland bringen sollte. Wir wurden zum Bahnhof gebracht und da war ich "von den Socken". Blitzblanke große Waggons, an einer Seite eine Bank für drei Mann, auf der anderen Seite des Ganges eine Bank für zwei Mann. Da der Waggon nicht stark besetzt war, nahm ich mir eine Bank für zwei Mann, in der Erwartung, daß ich da ungestört bis - wir wußten es inzwischen - Thüringen fahren könnte. Der Waggon war schön warm, vorgeheizt, geräumig, hell und nicht überfüllt. Dann kamen aber noch ein paar Jammergestalten und einer fragte mich, ob er sich zu mir setzen könne. Da er mir leid tat - er war ein Österreicher - machte ich ihm Platz. Dann stellte es sich heraus, daß er aus Pöchlarn war, Sandler hieß, im Lagerhaus angestellt war - und später Geschäftsführer in Guntramsdorf und danach noch Direktor im Verband wurde.

In unserem Lazarett war das Tor durch einen Posten bewacht - aber die Umfriedung - ähnlich wie der Burggarten, nur nicht so hoch - war an einigen Stellen etwas beschädigt, so daß man durch die Öffnung zwischen zwei Stäben durchschlüpfen konnte. Ich war in den letzten Tagen einmal - die Kameraden hatten mir diesen Tip gegeben - durch so ein Loch hinaus in die Stadt gewandert. Natürlich konnte man das erst nach Einbruch der Dunkelheit riskieren. Ich wollte für Mutti irgendetwas kaufen, erstens hatte ich ja Geld (den Sold) und dann wollte ich unbedingt etwas mitbringen. Natürlich war verdunkelt, sodaß man nur sehr wenig sehen konnte. Da entdeckte ich ein Geschäft, in das man über vier oder fünf Stufen hinauf gelangte, in dem es Stickereien und Handarbeitsdinge gab. Die Verkäuferinnen freuten sich, daß ein Käufer kam und ich war froh, irgendetwas gefunden zu haben: es waren huzulische Stickereien im Format von Servietten - da ich nicht polnisch konnte und die Verkäuferinnen nicht deutsch, konnte ich nicht erfahren, wofür die Deckerln gut waren - aber Mutti haben sie gefallen und damit war ja der Zweck erfüllt. Dabei kosteten sie fast nichts - nur ein paar Zloty - und trotzdem waren die Verkäuferinnen froh über das Geschäft. lch hatte also richtig etwas mitgebracht von dem großen Rußlandfeldzug.

Unser Zug fuhr wieder ein paar Tage, denn natürlich hatten Militärtransporte und Rüstungsgüter Vorfahrt - aber die Fahrt war so angenehm, als wenn es eine Luxusreise gewesen wäre. Wenigstens kam es uns nach Rußland so vor. Es gab einen Arzt, Sanitäter, in den Stationen warme Getränke, anständiges Essen, also mehr, als ein Soldat verlangen konnte. Unangenehm war nur, daß auch viele Erfrierungen dabei waren. Ein Kamerad konnte vom Zeigefinger eine Hülle abziehen, wie einen Fingerling. Ein anderer hatte eine Schuß- oder Splitterwunde im Gesicht seitlich vom Mund, aus dem er ständig saftelte (Speicheldrüse?) und gar nicht gut roch. Es ist ja in einem Lazarett mit Verwundeten auch nicht immer schön - aber da waren wir doch ziemlich eng beisammen. Das machte aber alles nicht viel, ging es doch nach Westen. Dann endlich kamen wir an in Erfurt(?), stiegen in Autobusse und fuhren nach Friedrichroda. Das ist eine Gegend wie unser Semmering, eine Straße und da eine Pension neben der anderen. Wir kamen in das Haus Schütz, wobei ich Sandler wieder aus der Augen verlor, denn die Einteilung machten die Oberen, (wofür wären sie denn sonst gut gewesen?) wahrscheinlich nach der Art der Erkrankung oder Verwundung. Nachdem Sandler mit dem Blutdruck zu tun hatte (angeblich konnten sie überhaupt keinen mehr feststellen) wurde er woanders untergebracht. Sicher war es ja auch wegen der Verpflegung und Behandlung besser, ähnliche Fälle zusammenzulegen. Das Haus Schütz war in Friedenszeiten eine Pension gewesen und wurde nun als Lazarett belegt. Wir kamen in ein großes Zimmer zu siebt, wobei ich als einer der ersten das Zimmer betrat und mir ein Bett an der Fensterseite in der Ecke aussuchte. Als erstes zog ich mich einmal aus und wusch mich von Kopf bis Fuß. Das hatten die Kameraden anscheinend noch nicht gesehen - wahrscheinlich stammten alle aus der Etappe, wo es immer Möglichkeiten für eine Körperpflege gegeben hatte. Aber für mich war so ein Waschbecken in der Ecke des Zimmers der reine Luxus - lange entbehrter Luxus. Und dann gab es da ein richtiges, frisch überzogenes Bett! Nach dem bloßen Boden im Feld, dem Stroh in der Sammelstation und den Feldbetten mit einer Decke auf den Durchgangsstationen war das wie im Paradies - da konnte man sich schon ordentlich waschen, bevor man sich in ein solches Bett legte. Natürlich war ich schwach, aber doch schon wieder ganz munter, denn der Beginn der Gelbsucht lag schon bald vier Wochen zurück. Wenn sie auch noch nicht ausgeheilt war, so hatte ich mich vielleicht daran gewöhnt? (So wie der Hund an die Schläge?) Wir bekamen Diät und Wärme in einem Wärmekasten (Ein Holzkasten mit einer Unmenge von Glühbirnen wird über den Unterleib gestülpt - da entsteht eine ganz schöne Hitze!) Natürlich hatte ich auch in allen Tagen der Lazarettaufenthalte und der Fahrten regelmäßig nach Hause geschrieben - aber der Postweg war lang - oft drei Wochen. Und plötzlich bekam Mutti einen Brief aus Deutschland, eben aus Friedrichroda. Sie packte sich zusammen und fuhr über Dresden nach Friedrichroda. Daran hätte ich ja mit keinem Gedanken zu hoffen gewagt. Plötzlich stand also Mutti in der Tür unseres Zimmers. Zuerst erkannte sie mich nicht - ich lag an der Fensterseite, also mit dem Licht im Rücken. Sicher war ich auch verändert im Aussehen im Verhältnis zu dem von vor fast einem Jahr und außerdem noch ganz schön gelb. Jedenfalls förderte ihre Anwesenheit meine Genesung, denn wie sonst sollte ich aus dem Sanatorium herauskommen, als daß ich mich selbst als gesund erklärte. Wir wollten ja gemeinsam nach Hause fahren und allzulange konnte Mutti ja nicht wegbleiben und Großmutter den kleinen Wicht anhängen. Nach so einem Krankenhausaufenthalt konnte man einen Genesungsurlaub beantragen, der automatisch gewährt wurde. Also meldete ich mich bald gesund und konnte auf zwei oder drei Wochen nach Hause fahren.

Wir hatten unsere Ankunft angemeldet, so daß wir erwartet wurden: da stand in einem Fenster des Wirtshauses - an die Scheibe gedrückt und hinten von der Großmutter gehalten - ein kleiner weißer Wicht, blaß und weiß gekleidet. Mutti war so klug gewesen, ihn auf die Existenz des Vaters vorzubereiten und immer davon zu sprechen, daß er kommen werde, so daß es überhaupt keine Schwierigkeiten gab. In manchen Fällen hatten sich Kinder in so einem Fall vor dem fremden Mann - noch dazu in Uniform - geschreckt, aber bei uns gab es damit überhaupt keine Schwierigkeiten. Mutti hatte ihn immer wieder fotografiert und mir Bilder geschickt - aber in Wirklichkeit war er ja noch viel, viel lieber als auf den Bildern. Und alles war so nett und beruhigend. Der ganze Krieg war etwas Unwirkliches, fast so wie ein schlechter Traum.

Die Brüder waren inzwischen ebenfalls alle an der Front. Eine Zeitlang waren wir alle vier in Rußland gewesen. Aber auch dann, wenn wir voneinander gewußt hätten - man hätte einige hundert Meter entfernt aneinander vorbeigehen oder -fahren können - es hätte keine Möglichkeit gegeben, sich zu sehen oder zu treffen. Zu Papa sagte ich, ich würde gern den linken Fuß opfern, um nicht mehr nach Rußland zu müssen. Er war entsetzt und sagte:"Versündige dich nicht", aber es war mein Ernst. Inzwischen war Großmutter nicht untätig gewesen. Sie hatte über den Schuldirektor Wiltschke (Chef auf der Kartenstelle) mit seinem Sohn, einem Stabsarzt der Sanitätsstation der Meidlinger Kaserne, Verbindung aufgenommen. Ich fuhr in die Kaserne und er untersuchte mich dort. Mein Befund war allerdings niederschmetternd: ein selten gesundes Exemplar! Er schickte mich aber zu einem Spezialisten, der mich fragte, was ich wolle. Ich antwortete "g.v.H.-geschrieben werden" - also heimatverwendungsfähig zum Unterschied von kv = kriegsverwendungsfähig. Darauf erklärte er mir, ich könne av = arbeitsverwendungsfähig, also noch eine Stufe schlechter als gvH, geschrieben werden. Schlechter ist in diesem Fall ein schlechter Ausdruck, denn für mich war es ja nur besser. Der Bilirubinwert und die sonstigen Leberwerte waren entsprechend schlecht - nach einer Gelbsucht und den Ruhrerkrankungen durch den ganzen Sommer hindurch wahrscheinlich kein Wunder.

Nun hatte ich einen kv-Befund aus Friedrichroda (allerdings ohne Laborbefunde - nur nach dem Aussehen), der direkt an die Ersatzeinheit (die war jetzt wieder in Königsberg) geschickt worden war, und in der Hand - mit Laborwerten belegt - einen av Befund. So fuhr ich nach Beendigung meines Genesungsurlaubes nach Königsberg. Dort wollten sie mir Schwierigkeiten machen, weil ich zu spät gekommen war. Aber Schuld war ja die Bahn. Was konnte ich dafür, daß man von Wien bis Königsberg mehr als einen Tag fuhr? Die Einheit war ja in Prag nur Besatzungseinheit gewesen und war wieder nach Königsberg zurückversetzt worden. Die Kaserne lag in einem Vorort "Ponat" und war eine typische Kaserne für eine Abteilung (ca. 500 Mann). Ein großer Hof war von vier Gebäuden umgeben und in jedem Gebäude hauste eine Batterie. Eine Abteilung hatte ja vier Batterien. Im Mitteltrakt des Stabsbatteriegebäudes logierte der Kommandeur mit dem Abteilungsgeschäftszimmer, die Batteriechefs logierten in den Gebäuden der Batterie. Die erste Nacht wurde ich in ein Zimmer für durchreisende und zusammengewürfelte Soldaten eingewiesen. Unter den fünf oder sechs Soldten waren zwei, die aus dem Gefängnis kamen (wegen Kameradschaftsdiebstahls und Schlägereien). Einem Zimmer-kollegen war ein Fotoapparat abhanden gekommen und der Dieb, ein Ostpreuße, Landarbeiter von einem Gutshof, war in die Stadt gegangen. Der Schläger, ein Kumpel aus dem Ruhrgebiet, nahm die Klärung des Falles in seine Hand. Schließlich waren ja alle verdächtig, also mußte er den Richter spielen. Ich schlief schon, als um 11 oder l/2 12 Uhr der Teufel los war. Der Rheinländer hatte das Bürschchen beim Kragen und zwang ihm gewaltsam ein Geständnis ab. Dann ging er mit ihm zum Torposten, den er kannte, damit der Dieb noch einmal hinauskönne, um den Fotoapparat zu holen. Der kam aber nimmer wieder. Nach zwei Monaten wurde er als Fahnenflüchtiger aufgegriffen - er hatte sich als Milchkontrollor ausgegeben und im ländlichen Gebiet seiner Heimt durchgeschwindelt. Die ehemaligen Stubengenossen kamen nun zum Verhör und dann zur Gerichtsverhandlung (Kriegs-gericht, da Fahnenflucht). Ich war im Zwiespalt: ich war dagegen, daß der dumme Kerl wegen Fahnenflucht erschossen wird, konnte aber keinen Ausweg finden, ihn davor zu bewahren. Er erklärte, aus Angst vor Schlägen nicht mehr zurückgekommen zu sein - das konnte schon stimmen - aber Fahnenflucht kam eben vor das Kriegsgericht. Und dazu gab es ein Erschwernis: wenn ein Fahnenflüchtiger in dieser Zeit ein weiteres Delikt beging, bedeutete das die Todesstrafe. Er hatte sich als Milchkontrollor ausgegeben, kleinere Diebereien begangen - also Todesstrafe. Er bat noch um eine Bewährung in einer Strafkompanie, das wurde aber abgelehnt und das Urteil wurde vollstreckt. Ich war damals schon im Abteilungsgeschäftszimmer und erlebte wiederholt, wie Exekutionskommandos angefordert wurden. Ich konnte nie begreifen, wie sich dafür Leute (Freiwillige!) fanden. Dabei mußte die Einheit, aus der der Delinquent stammte, das Erschießungskommando stellen.

Ich meldete mich also bei der zweiten Batterie zurück und der Chef, ein Bayer, fragte mich, ob ich sofort wieder zur B 21 zurückwolle. Ich meldete ihm, daß ich a.v. sei und einen Befund dafür habe - aber das ging ihm gar nicht ein, da er ja einen K.v.-Befund bei meinen Akten hatte. Ich erzählte ihm also - möglichst stramm (wie ich es gelernt hatte), daß es mir im Urlaub nicht gut gegangen sei und daß ich daher (laut Urlaubsschein weisungsgerecht) in die nächste Kaserne zur Untersuchung gegangen sei (was wußte der Bayer schon, wo Gramatneusiedl und wo die Meidlinger Kaserne liegt!), was nun den neuen Befund ergeben habe. Er glaubte mir, aber ich blieb für die Einheit ein Problem, denn die Planstellen waren ja seit langem mit waschechten - und ebenfalls mit Befunden abgesicherten - Ostpreußen besetzt - vielleicht gab es noch einen Rheinländer, aber das waren wenigstens auch noch Preußen - und da kam nun ein Ostmärker, der sicher keine besondere Beschreibung als Soldat oder Untergebener hatte - also ein Problem!

Da auch andere Stellen Leute mit Befunden suchten, entdeckten sie für mich eine Möglichkeit, mich loszuwerden. Die Transportabteilung mit Sitz in Nymwegen in Holland suchte GvH Leute als Begleitschutz für Wehrmachtstransporte. Also bekam ich einen Fahrtausweis nach Nymwegen und fuhr zwei Tage quer durch Deutschland nach Holland. Die Reise ging über Berlin, das mir nur als unförmige Ansammlung von Häusern in Erinnerung ist, durch viel Gegend ins Ruhrgebiet, wo wieder viele Sperrballons über den Industrieanlagen hingen (an den Drahtseilen sollten sich die feindlichen Flieger die Flügel abschneiden) nach Holland. Es war April, und in der Stadt standen auf den Straßen Blumenverkäufer mit Zweiradkarren voll Märzenbecher und Tulpen. Mich wunderte, wie viele Leute da Blumen kauften, sie waren angestellt, als wenn man etwas geschenkt bekäme. Bemerkenswert fand ich auch, daß die Häuser gegen die Straße große Fenster bis zum Boden - und ohne Vorhänge - hatten, so daß man die "gute Stube" mit allen Besuchern offen sehen konnte, daß sie also in der Auslage saßen. Das machte ihnen nichts aus. Wenn wir Besuch hatten, zogen wir die Vorhänge zu (wenn wir nicht verdunkeln mußten). Dagegen gab es Geschäfte - vor allem in den Nebenstraßen - die über vier bis fünf Stufen von der Straße erreichbar waren und keinerlei Auslage hatten. Eine große Straße hatte aber auch schöne Geschäfte, man hätte meinen können, man sei in Wien. Dort gab es noch vieles zu kaufen, was bei uns nicht mehr zu haben war (für Mutti kaufte ich z.B. eine Handtasche in schönem blauen Leder).

Leider gefiel ich bei der Transporteinheit wegen meines a.v.-Befundes nicht - sie wollten nur g.v.H.-Leute, und so mußte ich nach acht Tagen wieder quer durch Deutschland zurück nach Königsberg. Dort - bei der zweiten Batterie - hatten sie auch keine rechte Verwendung für mich, und so nahm mich Leutnant Ricker, der mich von der Abrichtezeit her kannte, unter seine Fittiche und ließ mich Schaubilder für die Ausbildung zeichnen. Ricker war Berliner und war als Lehrer nach Ostpreußen gegangen, da dort höhere Löhne gezahlt wurden. Ich vermute, daß er in einem masurischen Dorf unterrichtete, denn die schöneren Stellen werden sich schon die Ostpreußen vorbehalten haben. Er war ein netter Mensch und hatte mich ganz gern - er war einige Jahre jünger und half mir, diese "postenlose" Zeit zu überstehen, indem er mir Arbeit gab. Er hatte nur den Jammer, daß ich ihm immer zu schnell damit fertig war. Aber ich kann nicht trödeln und Zeit schinden - dafür hatte ich auch nicht beim Militär eine Gabe. Und so mußte er immer neue Aufgaben für mich finden.

Schließlich überstellten sie mich von der zweiten Batterie zum Stab ins Abteilungsgeschäftszimmer als Schreiber. Dort war ich zuerst auch ein fünftes Rad am Wagen, denn die "Planstellen" waren eisern besetzt und ich wurde argwöhnisch als Eindringling betrachtet, der womöglich einem Alteingesessenen den Posten wegschnappen könnte. Ich ließ aber erkennen, daß ich keinen verdrängen wollte und daß ich jede Arbeit übernehmen und erledigen wollte. So gaben sie mir nach und nach Agenden ab - nur hatten sie ihre liebe Not mit meiner österreichischen Ausdrucksweise und meiner Ahnungslosigkeit im Amtsdeutsch (die anderen waren in den meisten Fällen Bundes- oder Gemeindeangestellte mit einer Beamtenschulung - also perfekt in der Formulierung und im Amtsdeutsch). Da aber alles zuerst im Konzept geschrieben werden mußte, geschah außer einigen kleinen Ohnmachtsanfällen der Kameraden kein größeres Unglück. Der Kommandeur war zu dieser Zeit ein Studienrat aus Pommern. Der fand heraus, daß ich stenografieren konnte und verwendete mich als Privatsekretär. Er wollte eine Schwedin heiraten und korrespondierte deswegen mit allen möglichen zivilen und militärischen Stellen, um dafür eine Erlaubnis zu bekommen. Ich glaube aber, daß meine Mithilfe dabei wenig half, denn es dürfte daraus nichts geworden sein. Dann durfte ich wieder mit dem Motorrad fahren. Zuerst mußte ich eine Fahrprüfung vor dem Schirrmeister ablegen, dann durfte ich die Post vom Bahnhofpostamt in der Stadt holen - natürlich in vorschriftsmäßiger Kleidung mit Stahlhelm und Koppel! Da ich eine Leber-Magen-Diät halten sollte, es aber in der Kaserne so etwas nicht gab, bekam ich Urlaubermarken und Verpflegungskosten, um mich selbst zu versorgen. Da ging ich also in ein Restaurant - ganz vornehm - und aß dort, was es halt so zu essen gab. Die Diät war mir gleich, so etwas gab es auch dort nicht - aber ich wollte den Schein wahren, daß ich eben nur "av" war. Sie wären vielleicht ansonsten auf den Gedanken gekommen, mich noch einmal in Rußland bewähren zu lassen. Unsere Einheit war ja nach der Neu-Ausrüstung wieder nach Rußland gekommen und hatte die Schlachten bis zur Wolga an der gleichen Front mitgemacht. Als der Kessel bei Stalingrad geschlossen wurde, waren sie mit darin und die ganze Einheit ging verloren mit Mann und Roß und Wagen. Das also wäre mein Schicksal gewesen, wenn nicht Mutti und ihre Mutter, mit Hilfe eines Stabsarztes, beeinflußt mit Fleischlieferungen an ihn und seine Eltern, meine Laufbahn etwas korrigiert hätten, so daß ich eben in Königsberg gelandet war.

Im Sommer war Mutti nach Königsberg gekommen und hatte sich in einem Hotel in der Stadt einquartiert. Ich erbat und erhielt "Urlaub bis zum Wecken" und konnte so am Abend mit ihr zusammensein. In der Nacht gab es sogar einigemale Fliegeralarm, etwas, was sie in Ostpreußen noch nicht erlebt hatten. Wir ließen uns aber dadurch nicht stören und es gab dabei auch kaum Schäden. Natürlich mußte ich Mutti auch die Umgebung, also die samländische Küste, Neukuhren und Pillau, einmal auch Danzig, zeigen. Es war immer sehr schön - aber leider immer zu kurz.

Da sie immer auf der Suche nach Soldaten für die Front waren - und Drückeberger aufspüren wollten - schickten sie auch mich wieder zur Untersuchung in ein Lazarett. Da gab es das Übliche: Magenausheberung nach einem Semmelfrühstück, fraktionierte Magenausheberung, wobei man eine blaue Flüssigkeit mit Alkohol bekam, darauf wurde ein Schlauch in den Magen eingeführt, den man dann über eine Stunde darinbehalten mußte - das Einführen war für mich jedesmal eine fürchterliche Qual - und durch den sie alle zehn Minuten den Mageninhalt zur Kontrolle heraussaugten. Bei mir hatten sie wenig Glück: ich sonderte boshafterweise gar keine Salzsäure ab, so daß die Flüssigkeit gleich blau wie am Anfang blieb. Dann gab es noch ein Gallenröntgen, zu dem ich ein ganz grausliches Kontrastmittel am Abend einnehmen mußte. Das brachte mich immer (leider mußte ich das einigemale über mich ergehen lassen) zur Verzweiflung, da das Zeug ganz fürchterlich grauslich schmeckte. Die Galle spielte da wieder nicht mit, die hätte, nachdem ich nach dem ersten Röntgen eine Spritze bekam, sich normal entleeren sollen. Und dieses Luder reagierte überhaupt nicht, sie hing ganz voll und schlaff - auch nach der Spritze - da im Bild - so als wenn sie das alles gar nichts anginge - also so stur wie der Soldat selbst. Aber ich war ja wohl selbst an diesen Ergebnissen schuld: jedesmal am Abend vor so einer Untersuchung hatte ich ganz fleißig fette Sachen, hauptsächlich Speck, den mir fürsorglich Mutti geschickt hatte (so daß ich immer einen Vorrat hatte, wenn aus heiterem Himmel wieder so eine Untersuchung angesetzt wurde) in jeder Form, frisch oder etwas angeröstet (es gab da auch eine kleine Kochplatte) mit viel Zwiebel (das soll ja auch sehr gut für die Galle - vielmehr für einen "schönen" Befund sein) in mich hineingemampft - und der Erfolg gab mir recht. Möglicherweise wären die Befunde auch so entsprechend schlecht gewesen - aber wir wollten nichts riskieren. Jedenfalls hielten die Gallebeschwerden - die Leber spürte ich ja nicht - noch lange Zeit an, so daß ich auch noch lange nach meiner Entlassung die Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen verspürte und automatisch mit der Hand die Stelle hielt und drückte.

Nachdem im Sommer einmal die Engländer bei Dieppe in Frankreich eine Landung eines Kommandounternehmens versucht hatten, gab es natürlich auch bei uns eine Nachtübung mit der Annahme einer solchen feindlichen Landung in unserem Gebiet. Ich hatte Nachtdienst und wurde mit dem Stichwort vom Divisionskommando alarmiert. Daraufhin mußte ich versiegelte Briefe mit dem entsprechenden Losungswort öffnen und die darin angeführten Weisungen durchführen: also Alarm an die Batterien, natürlich zuerst den Kommandeur und seinen Adjutanten und die Chefs der Batterien und die Spieße (der Spieß ist ja die "Mutter" der Batterie), die dann ihrerseits die Mannschaften aufscheuchten. Schwierig war das Herbeiholen des Leiters des Abteilungsgeschäftszimmers, Wachtmeister Heinrichs. Der hatte die Erlaubnis, in der Stadt zu wohnen, also mußte ich in die Stadt, die Wohnung suchen (ich kannte mich ja in Königsberg nicht so gut aus), und dann den Mann wachbekommen. Endlich schaute er verschlafen aus einem Fenster im ersten Stock, während ich so zwischen respektvoller Haltung und Wut über diesen Zirkus eine Meldung abgeben mußte, die er nicht verstehen wollte oder im Halbschlaf wirklich nicht ganz verstand. Wenn er da angefressen war, so war ich es noch viel mehr über so einen Zirkus. Ich hatte schon zuviel Alarm im Ernstfall erlebt, während diese Leute (er war Berufssoldat und noch nicht an der Front gewesen) noch immer glaubten, nur die anderen armen Würstchen müßten den Kopf hinhalten. Einige Zeit später wurde wieder eine Feldeinheit aufgestellt und dabei wurde Heinrichs mit an die Front geschickt. Der Transport endete schon in Polen: eine Mine auf den Geleisen der Bahn sprengte den Zug, so daß etliche Waggons ineinanderkrachten; die Leute hatten Öfen in den Waggons, die das Stroh, auf dem sie schliefen, in Brand setzten, so daß es nicht nur Tote durch die zersplitterten Holzwände der Waggons sondern auch durch das Feuer gab. Heinrichs war bei diesem Transport - ob er verletzt wurde, weiß ich nicht.

Dann kam der Winter 1942/43, der bitterkalt war - und draußen geschah die Katastrophe von Stalingrad. Das wäre mein Schicksal gewesen, wenn nicht der "gute" Befund geglückt wäre. Die Katastrophe wurde im Hinterland durch laute Parolen für den "totalen Krieg" und solche Propagandasprüche zu übertönen versucht - aber es lag wie schwerer Frost auf den meisten, denn ein Ende mit Schrecken zeichnete sich ab. Allzuviele identifizierten sich mit den armen Menschen, die dort in Hunger und Kälte einem sturen (und dummen) Durchhaltebefehl geopfert worden waren. Mich schüttelt es heute noch, wenn ich daran denke, daß von 200.000 noch 90.000 in Gefangenschaft kamen, von denen dann 6.000 zurückgekehrt sind. Dieses Schicksal hatte mich bedroht, dem war ich mit Glück - und etwas Nachhelfen - gerade noch entronnen.

Hatte noch 1941 die Propaganda vom Zusammenbruch der Sowjets gejubelt, so war es nun nach dem im Dezember 1941 erfolgten Eintritt von Amerika in den Krieg und nun nach dem Untergang der Armee in Stalingrad - sicher auch durch die materielle Unterstützung durch die Amerikaner mit Waffen und Ausrüstung - für jeden mit Augen sichtbar, daß ein Sieg nicht mehr möglich war. Einerseits fürchteten wir ja einen Sieg, denn im besten Falle wären wir als Nichtparteimitglieder irgendwo in Polen oder der Ukraine gelandet - oder vielleicht in Syrien oder Nordafrika? Wer wußte das schon bei diesen Größenwahnsinnigen?

Inzwischen war wieder ein Anbauurlaub fällig. Ich hatte mich mit den Leuten im Abteilungsgeschäftszimmer gut gestellt, hatte Weihnachten und Ostern alle Feiertagsdienste freiwillig übernommen (ich versäumte ja nichts und die Kameraden freuten sich darüber) und aus den Urlauben immer Speck und Schnaps und Wein für den Stabsarzt, den Adjutanten und die Kameraden mitgebracht, so daß also keine Schwierigkeiten seitens der Dienststelle auftraten.

Im Abteilungsgeschäftszimmer hatte ich die Möglichkeit, alle Verordnungen und Anweisungen des Oberkommandos des Heeres zu lesen. Und da war eine interessante Sache verlautbart worden: a.v.-Leute konnten von ihren Betrieben angefordert werden. Da war jetzt nur die Schwierigkeit, das Lagerhaus dazu zu bringen, mich als besondere Fachkraft anzufordern. Es galt also, ein für beide Teile gutes Geschäft abzuschließen. Das Lagerhaus, d.h. Oberverwalter Reiner, wollte ja doch von Vater den "Spitz", d.i. das Grundstück zwischen der Straße, dem Pferdestall und der Verlängerung der Grundgrenze zum Lagerhaus. Dieser Spitz engte die Einfahrt in das Lagerhaus ein, so daß es die Fuhrwerke bei der Einfahrt zur Kanzlei abdrängte (wenn sie aus der Ortschaft kamen) und bei der Ausfahrt ebenfalls etwas behinderte. Für das Lagerhaus war der Spitz wichtig, wenn sie die Einfahrt verbreitern wollten. Und das wollten sie unbedingt, denn es gab schon Traktore, die mit zwei Anhängern fuhren und auch ein Lastkraftwagen der Genossenschaft hatte gelegentlich einen Anhänger. Also gab es Verhandlungen: Vater wollte die Bretterwand, die die Kegelbahn gegen das Lagerhaus abschloß, durch eine Ziegelmauer ersetzt haben und Mutter und Mutti (selbstverständlich auch Vater) wollten, daß mich das Lagerhaus als Fachkraft vom Militär anforderte. Darüber wurde verhandelt und die Genossenschaft war mit diesem Preis einverstanden. Da ich die Post im Abteilungsgeschäftszimmer in die Fächer für die Batterien einlegte (auch für das Krankenrevier) und dabei die Post für das Krankenrevier auch öffnete - was zwar nicht ganz in Ordnung war - aber der Sani-Soldat, der die Post bei uns abholte, fand nichts dabei) erfuhr ich als erster, daß ich wiedereinmal zu einer Durchuntersuchung ambulant ins Lazarett mußte. Wieder diese Magenausheberungen und sonstigen Quälereien neben den Blutabnahmen - aber für mich stand die Freiheit auch dem Spiel (natürlich hatte ich auch kräftig mit ordentlichen Speckmahlzeiten vorgesorgt)- sie hätten noch viel mehr Untersuchungen und Torturen erfinden und anwenden können. Natürlich las ich auch den Befund, als er dann mit der Post zur Abteilung (an das Krankenrevier) kam. Der Befund war eigentlich katastrophal! Am besten: nach Hause mit dem Kerl, bevor es größere Scherereien mit ihm gibt (und das Heer vielleicht noch ein Leichenbegängnis veranstalten kann). Sicher dachten sie, die sollen zu Hause schauen, wie sie mit ihm zurecht kommen.- Und dann kam von der Division in Insterburg die Nachricht (wieder von dem Gefreiten Weintögl als erstem gelesen) Gefr. W. zum Entlassungskommando in Wien versetzt.Da schickte ich ein Telegramm nach Gramatneusiedl: "Grundstück kann verkauft werden". Das war unser Tarnname für einen ordentlichen Jubelschrei. (Vielleicht erinnert sich Otto noch daran, den Schrei gehört zu haben, denn der müßte ja von Königsberg bis Gramatneusiedl zu hören gewesen sein). Auf der Fahrt nach Wien kam mir meine Gasmaske abhanden. Aber ich hatte ja nie den Ehrgeiz besessen, ein "zackiger" Soldat zu sein, und bei dieser Fahrt war ich ja schon ein halber Zivilist! (Bei einer Kontrolle in Rußland hatte einmal ein Kamerad in der Blechbüchse keine Gasmaske sondern seine Briefschaften - also so ein schlechter Soldat war ich nie gewesen!) Das Entlassungskommando war hinter dem Rotschildspital im 18. Bezirk. Die hatten das Bestreben, möglichst viele Soldaten dort zu versammeln, um ihre Existenzberechtigung zu erbringen. Und tatsächlich lungerten dort unzählige Gestalten herum, die sich vor einem zivilen Leben fürchteten, dort aber Verpflegung und Unterkunft hatten. Ich hatte aber an einem solchen Leben kein Interesse und ging lieber arbeiten. Das heißt: nach der Entlassung mußte ich ja erst noch einmal einen Urlaub haben - aber dann ging es richtig los. Da keine richtige Stelle frei war (Reiner wollte ja seine Schützlinge u.k. stellen und dafür mußten sie einen wichtigen Posten bekleiden und unersetzlich sein), arbeitete ich bei Asperger in der Buchhaltung. Dabei erwähnte er einmal - er war wohl ein Nazi aus Überzeugung und Tradition, aber ein durchaus feiner Kerl und deutete es nur an - daß ich bei der Partei als ehemaliger Soldat um Aufnahme ansuchen könne. Ich überlegte im Hinblick auf den Verband - ich wollte ja Verwalter werden - aber Großmutter vor allem und auch Mutti fragten mich, ob ich übergeschnappt sei. Jetzt, wo ein Blinder sehe, daß das Ende nahe sei! Wiedermann, der die Jagd in Gramatneusiedl gepachtet hatte und immer im Wirtshaus einkehrte und dort große Reden führte, wurde wahrscheinlich von Mutter angesetzt, damit ich als Verwalter zum Verband käme. (Er war als hoher Nazi Betriebsobmann beim Verband). Im Spätherbst war es dann so weit: zwei Lagerhäuser standen zur Wahl: als Verwalter nach Kaplitz mit einer Mühle und einer Bäckerei, im Sudetenland, nördlich von Freistadt, oder eine Kriegsvertretung in Bruck/L. für den eingerückten Geschäftsführer Hermann Nebel. Wieder wurde Familienrat gehalten. Die Entscheidung war nicht schwer. Denn daß das Sudetenland wieder an die Tschechei zurückkam, war uns ziemlich klar (die Form konnten wir allerdings nicht ahnen)- also blieb die Vertretung in Bruck/L.

Inzwischen war in einer mondhellen Nacht Gerhard zur Welt gekommen. Der Mond spielte insoweit eine Rolle, als bei der totalen Verdunkelung und dem Fahren mit Tarnscheinwerfern (ein Schlitz in der Scheinwerferabdeckhaube ermöglichte eine Sicht von vielleicht fünf Metern) das Mondlicht eine wesentliche Hilfe war. Der Werkstättenleiter Molnar war von Mutter schon vorher organisiert worden, wollte aber um 10 Uhr nicht mehr aus dem Haus und maulte, daß es schon nicht so dringend sei - aber die Überredungskünste von Mutter (und vor allem die vorherigen und die zu erwartenden Lebensmittellieferungen) erreichten, daß er dennoch fuhr. Ein Ungeübter hätte da die allergrößten Schwierigkeiten gehabt (in Rothneusiedl kamen wir aus der mondbeschienenen Straße in den Häuserschatten - da wäre es mir schlecht gegangen, wenn ich gefahren wäre), aber Molnar war geübt und kannte anscheinend die Strecke im Finstern. Wir kamen also rechtzeitig ins Goldene Kreuz und Prof. Kahr wurde verständigt. Ich machte mich auf den Weg (zu Fuß) nach Ottakring, um dort zu übernachten. Mama überließ mir ihr Bett. Um 4 Uhr früh läutete das Telefon und als ich hinstürzte, hörte ich: ein Bub ist angekommen. In der Früh durfte ich dann ins "Goldene Kreuz" hinein und sah Mutter mit Kind. Leider hielt die Idylle nicht an, denn Mutti bekam eine Brustdrüsenentzündung (Kahr brummte, wegen mangelnder Hygiene des Personals), wurde röntgenbestrahlt und hatte dann auf dieser Brust keine Milch. Also mußten wir zufüttern, aber Gerhard vertrug diese Zukost wenig. Unser Hausarzt Dr. Hauswirt hatte uns im Sommer geraten, Kamillen zu sammeln und wir hatten fleißig die Feldkamille gesammelt und getrocknet. (Eigentlich für einen Bodenkulturler eine Schande, nicht die Feldkamille - ein Unkraut - von der Arzneipflanze zu unterscheiden.) Das bekam nun der arme Kerl, worauf er ziemlich laut protestierte. Ich weiß nicht mehr, durch wen wir auf unseren Irrtum kamen - aber jedenfalls war Gerhard hart genug, diesen Anschlag auf seine Gesundheit zu überstehen - aber eine Überempfindlichkeit des Verdauungstraktes blieb zurück - oder hatte er immer.

Ich stellte mich also bei Direktor Tributsch im Verband vor - dieser war zuständig für die Geschäftsführer. Er war ein überzeugter Nazi gewesen, als er Geschäftsführer von Neulengbach war und nach dem Tod des Direktors des Verbandes - Stipan - der hatte sich nach dem Einmarsch der Deutschen erschossen - wurde Tributsch also Direktor im Verband. Dem sagte ich nun, daß ich kein Parteimitglied sei. Tributsch blickte eine Weile sinnend vor sich hin und meinte dann, das sei vielleicht gar nicht so schlecht. Er sagte es gerade nicht mit diesen Worten, aber man konnte entnehmen, daß es ihm zumindest nicht unangenehm sei. Ich verstand mich dann mit ihm recht gut, weiß aber nicht, ob da nicht auch schon eine kleine Rückversicherung für den Fall danach im Spiel war? Bruck kannte ich, denn von Mannersdorf aus war ich wiederholt bei der Kreisbauernschaft gewesen: die Aufbringung von Heu und Stroh für die Wehrmacht wurde dort organisiert und dort bekam ich auch Benzinmarken usf. Die Genossenschaft hatte ich auch schon von außen gesehen. Sie war noch ganz jung, sie bestand seit Dezember 1938. Esel kannte ich von der Kreisbauernschaft (er war früher Kreisbauernführer und Reichstags-abgeordneter) und von Erzählungen der Ortsbauernführer. Esel war aber wegen öffentlicher Kritik der Agrarpolitik aus der Partei ausgeschlossen worden und Hutfleß aus Nickelsdorf war jetzt Kreisbauernführer. Mein Vorgänger Hermann Nebel war Parteiredner, hatte sich aber mit dem Kreisleiter (politisch der höchste Mann im Kreis, natürlich auch über dem Kreisbauernführer) überworfen. Man erzählte mir, er habe in der Kreisleitung - in dem Gebäude in der Schloßgasse mit dem Durchgang zur Stiege zum Stadtgraben - dem Kreisleiter das Götzzitat zugerufen und mußte dafür einrücken. Gerhard war also drei Wochen alt, als ich nun nach Bruck kam. Da gab es drei gemietete Scheunen: vom Gürtel mit Eingang neben dem Finanzamt die Scheune von Fritz Bauer, für den Landesproduktenhandel eingerichtet; Fritz Bauer, Schwager von Kögl, Sohn eines Bauern. Paul Bauer war in Ausgleich oder Konkurs gegangen - genau habe ich es nicht erfahren: es hieß einfach, er habe "falliert"- wegen der übergroßen Konkurrenz von Jerabek. Der war als Zugrundegegangener selbstverständlich ein Nazi geworden und jetzt auf der Kreisbauernschaft ein mächtiger Mann. Anschließend war die Scheune der Emma Bauer, der Mutter von Carl Bauer, Bäckermeister in der Altstadt und zu dieser Zeit Bürgermeister der Stadt Bruck/L. Der Eingang dazu war von der Feldgasse. Daneben war noch eine Scheune von Reisenbergers Erben. Diese drei Scheunen waren durch Mauerdurchbrüche verbunden. In der Kögl-Scheune (nach dem Zusammenbruch von Fritz Bauer hatte sein Schwager die Scheune übernommen - er hatte ihn "ausgelöst", also die darauf lastenden Schulden übernommen) waren gleich bei der Einfahrt zwei Getreideaufzüge mit einer Gosse und fünf Boxen aus Holz eingerichtet. Im anschließenden Rinderstall war eine Kanzlei eingerichtet worden. Gegenüber war ein Keller - oder was man in Bruck in dieser Gegend so nennt: eine Kammer, die oben auf der Decke mit Erde abgedeckt ist. Anschließend an die Kanzlei war ein Holzschuppen - unser Futtermittelmagazin. Gegenüber an der Wand zum Finanzamt waren Kohlenhaufen im Freien und beim Durchbruch zum Grundstück Emma Bauer war noch linkerhand ein kleiner Holzschuppen für Stückkalk. Nach dem Durchbruch war man im Hof der Emma Bauer. In der Scheune war das Lager für gesackten Dünger, in einem angebauten kleinen Raum Klos und ein Gefolgschaftsraum, rechts von dem Durchbruch eine kleine Wohnung für einen Hausmeister (Schrotmüller Fuik mit Frau und Kind) und an der Grenze zum Grundstück Reisenberger eine Schrotmühle im ehemaligen Schweinestall. Der Garten (mit Weinstöcken) zum deutschen Bahnhof blieb der Familie Bauer zu ihrer Nutzung. Zwischen der Scheune und dem Schweinestall gelangte man durch einen Durchbruch in den Hof von Reisenbergers Erben. Zur Straße war wieder eine Scheune, in der loser Dünger lagerte und an der Westgrenze (zum Grundstück Baswald) waren zwei RAD (Reichsarbeitsdienst) Baracken aufgestellt, in denen Maschinen und Geräte gelagert wurden. Im Hof lagen Fässer mit Motor- und Getriebeöl und Spritzmittel (Obstbaum - Karbolineum). In Zurndorf hatte die Gemeinde das Gebäude des Landesproduktenhändlers Spiegel (ein Jude und emigriert) an die Genossenschaft als Filiale vermietet, in Nickelsdorf war in einem Wirtshaussaal, mit Eingang vom Hof, eine Filiale errichtet worden und in Pama gab es eine Filiale am Bahnhof, die von der Genossenschaft Frauenkirchen bei der Gründung der Genossenschaft Bruck übernommen worden war (wohl unter sanftem Druck vom Kreisbauernführer Esel), da das Gebiet nördlich der Bahn Bruck-Budapest zur Genossenschaft Bruck gekommen war. In Zurndorf gab es den Filialleiter Beck, Ortsgruppenleiterstellvertreter, ein gelernter Schneider (so wie sein Vater) mit großem Maul, eine Kanzleikraft, weiblich, und einen Arbeiter Amri. Die Landesbauernschaft hatte diese östlichen Teile von Niederdonau (das Burgenland gab es ja nicht mehr) zum Gebiet für die Saatmaiserzeugung erklärt, da dort ja schon immer Mais gebaut worden war, der in "Tschardaken" (Reischen) zum Trocknen über den Winter hinaus gelagert wurde, so daß er als Saatgut geeignet war. Da man aber in einem größeren Maßstab arbeiten wollte, wurden Maistrocknungsanlagen errichtet, in denen der Saatmais sofort nach der Ernte gedroschen und dann getrocknet werden sollte. Es waren Rieseltrockner vorgesehen, bei denen der Mais von oben nach unten über Zwischenböden aus gelochten Blechen mit Öffnungen für den Durchfluß eben durchrieselt und durch einen Gegenstrom von warmer Luft von unten getrocknet wird. Da der feuchte Mais am empfindlichsten gegen höhere Temperaturen ist, funktionierte dieses System auch bei Saatmais, da ja die wärmste Luft an die trockenste Ware kam und die dann bereits kühlere Luft mit den feuchtesten Partien in Berührung geriet. Die Heizung bzw. Erwärmung der Luft erfolgte über einen mit Koks geheizten Kessel. Diese Anlage war am Bahnhof Zurndorf bereits aufgestellt und war gerade in Betrieb genommen worden. Da aber die Waggonbeistellung nicht so gut funktionierte, daß man den getrockneten Mais sofort verladen und wegschicken konnte, mußte noch ein Zwischenlager - ebenfalls am Bahnhof und zwar neben der Trocknungsanlage - errichtet werden. Das war gerade in Bau, und ich mußte mich dann noch um Baumaterial kümmern, damit es fertig wurde.

Eine gleiche Anlage, und zwar der Rieseltrockner, lag in Pama im Freien neben den Bahngleisen. Die Gemeinde hatte der Genossenschaft ein Grundstück zugesagt, das auch schon gekauft worden war, auf dem eine Trocknungsanlage errichtet werden sollte - aber die Bahn hatte dagegen Einspruch erhoben, da es die Sicht beim Bahnübergang der Straße von Deutsch Jahrndorf nach Pama behinderte. In diese Anlage hätte auch Mais aus Deutsch Jahrndorf gebracht werden sollen, während Mais aus Nickelsdorf auch in Zurndorf verarbeitet werden sollte.

Es war also allerhand im Gang - und da mußte Nebel einrücken. In Zurndorf funktionierte die Angelegenheit so halbwegs - mit der Einschränkung, daß sowohl Beck als auch Amri (bei der Trocknungs-anlage arbeiteten auch drei Serben - Gefangene, dann wieder Franzosen) keinerlei technische Vorkenntnisse hatten. So zersprangen einmal einige Kesselglieder, weil zu wenig Wasser im Kessel war - das konnte durch neue Kesselglieder ausgebessert werden, dann ging der Gebläsemotor im Trockner kaputt, der für die Luftbewegung sorgte, und konnte nicht repariert werden, so daß wir im ganzen Land einen gleichen Motor suchen mußten. Schließlich fand ich einen in Stammersdorf: eine gleiche Anlage war dort aufgestellt, aber noch nicht in Betrieb genommen worden, und ich konnte ihn ausleihen mit dem Versprechen, ihn bald zurückzubringen. Die Ereignisse verhinderten die Einhaltung dieses Versprechens, so daß wir nach Kriegsende einmal darüber mit den Korneuburgern (Stammersdorf ist eine Filiale von Korneuburg) sprachen und irgend eine Vereinbarung trafen - genaueres weiß ich nicht mehr darüber.

Unter diesen Umständen ist es erklärlich, daß ich öfter nach Zurndorf unterwegs war. Zur Einführung hatte die Filiale in Zurndorf eine Versammlung in einem Wirtshaussaal einberufen, bei der Nebel sprach und dann auch ich - zum erstenmal in meinem Leben in der Öffentlichkeit etwas sagen mußte. Ich überwand mich halt - und dann war das auch vorüber. Nebel hatte mich im Tatra mitgenommen und mir versprochen, mich nach der Versammlung nach Gramatneusiedl nach Hause zu führen. Als wir nach Bruck kamen, hielt er am Gürtel - er wohnte beim Höbinger in dem Gebäude hintaus am Gürtel in einem Zimmer - stieg aus und meinte, ich könne ja nach Hause fahren und am nächsten Tag mit dem Wagen wieder nach Bruck kommen. Ich hatte ja den Führerschein und war auch beim Militär - selten aber doch - mit einem Auto gefahren, aber jetzt, mitten in der Nacht im Stockfinstern! Aber ich ging es an und fuhr los. Ich wollte über Wilfleinsdorf in Richtung Reisenberg nach Gramatneusiedl fahren, fuhr aber in der finsteren Nacht in Wilfleinsdorf wieder auf die Bundesstraße und kam dann über Schwadorf endlich wieder in ein bekanntes Gebiet. Natürlich gewöhnte ich mich dann an den Tatra, ich mußte ja doch öfter in die Filialen fahren und fuhr dann auch gelegentlich in der Nacht nach Hause. Dabei passierte es mir wieder einmal, daß ein Reifen die Luft verlor (das war zu der Zeit keine Seltenheit, da es auf der Straße viele Nägel gab und die Reifen schon sehr abgefahren waren). Es war der linke Hinterreifen und ich plagte mich, um die Muttern zu lösen. Trotz gewaltiger Kraftanstrengung wollte es mir nicht gelingen, die Schrauben zu lösen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem Patschen nach Gramatneusiedl weiterzu-fahren. In der Früh half mir Großvater, das Rad herunterzubringen - es hatte ein Linksgewinde (und das hatte ich nicht gewußt), das durch mein Gemurkse so angezogen war, daß wir die Schrauben heruntermeißeln mußten. Der Reifen war natürlich auch total kaputt, so daß ich in Hinkunft ohne Ersatzreifen auskommen mußte. Das hieß, jeden Patschen an Ort und Stelle flicken.

Nach dem Ausflug nach Zurndorf traf ich am nächsten Tag mit Nebel in Wien im Verband zusammen: er wollte mich dort vorstellen. Da gab es eine Menge Abteilungen und Zimmer - und Nebel kannte anscheinend nicht einmal alle Namen der Referenten oder vielmehr Referentinnen, denn die Männer waren ja auch meistens eingerückt. Da stellte er das Fräulein "Weizen" vor oder das Fräulein "Gerste" oder die Frau "Kartoffel" - und das ging im Sauseschritt. Er mußte ja bald einrücken. In Bruck übernahm die Vorstellung der Obmann Bauer (Brieftaschenbauer) aus der Hainburgerstraße 6. Wir gingen auf die Kreisbauernschaft, der Kreisbauernführer war zu dieser Zeit Wurm aus Gols, zum Landrat (auf der Bezirkshauptmannschaft), zur Kreis-leitung zum Kreisleiter Silbernagel und auf die Gemeinde zum Bürgermeister Bauer Carl. Dort brachte er wieder den Wunsch nach einem Bauplatz für die Genossenschaft vor. Der Bürgermeister war gegen den "Deutschen Bahnhof", denn dorthin sollte ein Amtsgebäude für alle Ämter von der Gemeinde, Finanzamt, Gericht, Kreisbauernschaft bis zum Landrat gebaut werden und eine Siedlung dazukommen. Die Bahn sollte aus der Stadt verschwinden und durch den Harrachpark in Richtung Petronell geführt werden. Ob das nur seine Idee war oder ob der Plan wirklich bestand, weiß ich nicht - aber jedenfalls war klar: die Genossenschaft hatte in der Stadt nichts zu suchen. Er war der Meinung, am Eisteich (heute Gur usf) wäre Platz für eine Genossenschaft. Bauer war skeptisch, daß das ein geeigneter Platz sei, denn die B 10 sei stark von Autos befahren, so daß die Pferdefuhrwerke (damals ja das hauptsächlichste Transportmittel) sehr stark gefährdet wären. Man sähe das jedes Jahr bei den Unfällen bei der Zuckerfabrik bei der Rübenanlieferung und beim Abholen der Schnitzel. Aber der Bürgermeister hatte seine Meinung und wir zogen unverrichteter Dinge ab. Jedenfalls aber war ich im Bild, welche Probleme bestanden und wie die einzelnen Leute dazu eingestellt waren. Nebel war verschwunden, er hatte noch ein paar Tage Urlaub genommen und dann war er zu seinen Nebelwerfern eingerückt. Er schrieb dann noch ein- oder zweimal von seiner Ausbildung, dann hörte ich erst wieder von ihm, als er nach dem Krieg aus der englischen Gefangenschaft zurückkam. Ich führte also das Lagerhaus so gut es ging im Sinne wie bisher weiter. Zuerst nahm ich mir die Korrespondenz vor, um mich zu informieren. Über die Dinge, die glatt verlaufen waren, gab es ja nicht viel zu schreiben , dagegen über Anstände und Mängel recht viel. Da konnte ich mir ein Bild über kritische Situationen und Personen machen, die mich in die Lage versetzten, den gleichen Fehler nicht zu wiederholen. Dazu kamen die Informationen, die ich von den Arbeitern erhalten konnte. Vor allem Ertlbauer war ein wahrer Gedächtniskünstler, der auch nach Jahren wußte, wer eine Maschine bezogen hatte. Das war deswegen wichtig, da eine Revision stattgefunden hatte - der Püfungsbericht war gerade eingelangt - bei der bemängelt worden war, daß einige Maschinen nicht in Rechnung gestellt worden waren, da sie im Bestand fehlten. Nun konnte es ja vorkommen, daß ein Bezieher seine Maschine (Bindemäher oder Pflug usf) sofort selbst vom Bahnhof abholte, ohne daß ein Lieferschein geschrieben wurde. Da wurde dann keine Rechnung ausgestellt und beim Abschluß fehlte diese Maschine. Das lag bereits Jahre zurück - und Ertlbauer konnte fast alle diese Fälle aufklären, da er wußte, wer das bezogen hatte - und wenn ich dann die Liste der angewiesenen Waren mit seiner Auskunft verglich, war der vergessene Bezieher auch schon ermittelt. Und keiner protestierte - anscheinend waren sie nur verwundert, daß die Rechnung erst so spät ausgestellt wurde. Aber vielleicht hatten sie den Preis noch nicht gewußt? Oder hatten diese schlauen Burschen auch gehofft, daß sie vergessen würden? Ertlbauer war Jahrgang 1900, doch mußte ich oft darum kämpfen, daß er nicht einrücken mußte. Das Wehrmeldeamt war in Bruck/L., aber das Wehrbezirks-kommando in Baden. Da mußte ich wieder einmal zum Wehrbezirkskommando, um für Ertlbauer die Rückstellung von der Einberufung zu erkämpfen - ein Arbeiter aus Rohrau war bereits zum Landsturm (als Älterer zum Gefangenenbewachen, und solche Aufgaben) einberufen worden, so daß ich in Bruck nur mehr Ertlbauer und Fuik sowie drei gefangene Franzosen, die vom Lehrer Wiesinger als Landsturmmann in der Früh mit "Gewehr auf" antransportiert und am Abend abgeholt wurden, hatte. Ich bemühte mich, dem Offizier dort die Lage verständlich zu machen, daß wir ja ohne diesen Mann, der mit unserem Hanomag-Traktor fahren konnte und die Gefangenen bei der Be- und Entladung von Waggons am Bahnhof unterstützen, anweisen und gleichzeitig überwachen mußte, den Betrieb gar nicht mehr weiterführen konnte. Da meinte dieser Ignorant oder Drückeberger oder sonstige Geselle - dann solle eben ich einrücken. Mir wurde ganz warm - aber ich konnte ihm vorhalten, daß ich ja av sei und daher für diese Stelle uk gestellt worden war.

Im Verband gab es einen eigenen Mann - den Namen weiß ich nicht mehr - der die uk-Stellungen der Geschäftsführer betrieb und fallweise auftauchte - mit einer größeren Tasche oder einem Rucksack, in denen er Mehl (bei uns) nach Wien schleppte - wahrscheinlich für die Direktoren, aber der größere Teil wird schon für ihn geblieben sein. Jedenfalls aber hatte ich es in Baden wieder einmal erreicht, daß Ertlbauer zu Hause bleiben durfte.

Bei der Maistrocknung gab es Schwierigkeiten, d.h. nicht bei der Trocknung sondern beim Ergebnis. Wir stellten nach der Trocknung einen Feuchtigkeitsgehalt von 14 % fest, bei den Maizena Werken in Hamburg wurden aber 15 - 16 % gemessen. Das war uns unerklärlich, bis wir auf das Geheimnis kamen. Wir lagerten ja auch, wenn wir nicht gleich Waggons bekamen, was immer wieder vorkam, den getrockneten Mais in dem neuerrichteten Magazin in Zurndorf ein und verluden ihn dann nach einigen Tagen. Da machte ich einmal eine Kontrolle und mußte feststellen, daß dieser zwischengelagerte Mais tatsächlich einen höheren Feuchtigkeitsgehalt hatte. Ich konnte mir das nur so erklären, daß bei unserer relativ raschen Trocknung die äußeren Partien des Korns übertrocknet, d.h. auf wesentlich geringere %-Gehalte an Wasser abgetrocknet wurden, während im Inneren des Kornes ein feuchter Rest verblieb. Bei der Feststellung des Wassergehaltes erhielten wir einen Durchschnittswert, der unseren Wünschen entsprach. Bei einer Lagerung - oder auch beim tagelangen Transport - hatte nun die am Rand liegende übertrocknete Partie die Möglichkeit, Wasser vom feuchten Kern, aber auch aus der umgebenden Luft, aufzunehmen, was ja bei einem größeren Feuchtigkeitsunterschied zu erwarten ist. Außerdem wurde bei einem raschen Trocknungsvorgang die Aleuronschicht, die diese Vorgänge regulieren soll, überfordert und geschädigt (meine Theorie). Jedenfalls trockneten wir in Hinkunft nicht mehr in einem Zug, sondern trockneten ein paar Prozent Wasser ab, lagerten dazwischen, um einen Feuchtigkeitsausgleich im Korn zu ermöglichen und trockneten dann nocheinmal. Dadurch erreichten wir, daß der Mais anstandsloser abgenommen wurde. Allerdings hatten wir die doppelte Arbeit, mehr Energieaufwand, da ja die Ware zweimal erwärmt und gekühlt werden mußte und mußten die doppelte Zeit in Rechnung stellen - ganz abgesehen vom Platzbedarf. Mit solchen und ähnlichen Problemen schlug ich mich also herum und versuchte, den Betrieb aufrecht und in Schwung zu halten.

In der Kanzlei, im ehemaligen Rinderstall saß bei der Kassa Frau Brödl - eine mords Nazisse und dann noch drei Mädchen, eine aus Nickelsdorf, Michelberger, die später Braun heiratete, Hauzinger aus Zurndorf, Smudich aus Trautmannsdorf. Ein dienstverpflichteter Tscheche war in Urlaub gefahren - kam aber nicht mehr zurück. Dafür kam dann noch Leitner aus Nickelsdorf nach Ableistung des Arbeitsdienstes in den Betrieb zurück. Smudich machte die Post und machte den Sammmelbogen, die anderen, vor allem Hauzinger und Leitner, arbeiteten in der Buchhaltung - wir hatten ja auch die Buchhaltung der Filialen zu führen - und Michelberger half überall aus, gelegentlich auch bei der Kassa, wenn Brödl nicht da war. Brödls Mann war Magazineur gewesen, bevor er einrücken mußte.

Wenn wir in Bruck Getreide in Waggons verluden, wurde die Ware in der Scheune abgesackt und durch eine Tür in Rampenhöhe neben dem Tor auf einen Anhänger mit der Rodel geführt (wir hatten zwei ungefederte gummibereifte Anhänger zum Hanomag-Traktor). Dann fuhr Ertlbauer damit zum Bahnhof, nagelte die Vorsatzwände vor und lud über die Vorsatzwand das Getreide in den Waggon, wo es von einem Gefangenen wieder mit einer Schaufel verteilt werden mußte.- Tagesleistung: 15 Tonnen. Und dabei durften sie nicht langsam sein, da ja die Waggons auch nicht immer gleich bereitstanden, oder auch dazwischen einmal verschoben wurden, wenn ein Waggon aus der Reihe herausgezogen wurde. Ähnlich war es bei Waggonentladungen. Zum Glück bekamen wir da meistens gesackte Ware (Dünger oder gelegentlich Futtermittel), aber wenn es einmal lose Ware war (Kali), dann war es umso schlimmer. Zum Glück gab es nicht viel zu verladen, denn bei der Gebietsverteilung hatte die Genossenschaft ganz schlecht abgeschnitten. Zuerst waren die Mühlen berücksichtigt worden: das war die Mühle Seidl in Trautmannsdorf für Trautmannsdorf und Sarasdorf (Stixneusiedl gehörte zu Schwadorf), die Mühle Gröschl in Wilfleinsdorf für Sarasdorf und Wilfleinsdorf, die Mühle Schmid Luki in Rohrau für Rohrau, und Raser in Gerhaus für Gerhaus, dann hatte ja Jerabek ein Vorrecht von früher, also bekam er Bruck, Höflein und Göttlesbrunn, so daß für uns fast nichts blieb als ein Mehlumtausch, den wir mit der Tompa-Mühle in Bruck erledigten. In Zurndorf gab es die Götz-Mühle an der Leitha, in Potzneusiedl die Mühle Brandlhofer (Schwager von Bauer Ernst), in Neusiedl eine Mühle und dann die große Mühle von Polsterer in Trautmannsdorf, die dann unter den Russen abbrannte. Für unseren Getreideaufkauf blieb also herzlich wenig. Dafür hatte man uns einige Gutsverwaltungen überlassen: Harrach in Bruck, Walterskirchen in Parndorf, der nach dem Verlust von Äckern in Wolfsthal mit Äckern in Parndorf entschädigt worden war, Kiesling in Neudorf (die hatten Äcker in Aspern verloren), Boden in Gattendorf (er war ein Schwager Görings und hatte diesen Betrieb, der "arisiert" worden war, gekauft), der Csardahof in Pama und der Karlhof in Deutsch Jahrndorf. Der Csardahof gehörte der deutschen Ansiedlungsgesellschaft - diese Betriebe sollten auf Bauern aufgeteilt werden, die enteignet worden waren (so wie in Sommerein oder in Döllersheim). Das waren also unsere hauptsächlichen Getreide-lieferanten. Mit denen hatten wir die wenigste Arbeit. Sie meldeten uns die Menge, die sie liefern mußten und konnten, wir "dienten sie an" beim Verband, der die Meldung an den Getreidewirtschaftsverband in der Riemergasse machte, von wo dann die Zuteilung an eine Mühle erfolgte. Wir bekamen vom Verband einen Kaufbrief, schrieben die Frachtbriefe und schickten sie an die Gutsverwaltungen. Diese bestellten die Waggons, verluden das Getreide (ähnlich war es bei den Kartoffeln - Boden verlud allein 40 - 50 Waggon Frühkartoffeln in Gattendorf im Jahr) und schickten oder brachten uns die Frachtbriefdoppel. Ich rechnete ab und stellte einen Scheck auf die Sparkasse Bruck aus - und das Geschäft war erledigt. Damit hatten wir natürlich einen großen Umsatz, etwas kleiner als Frauenkirchen, das allerdings ein wesentlich größeres Gebiet hatte. Diesen Umsatz in den behelfsmäßigen Lagerräumen - und ohne Bahnanschluß abzuwickeln, wäre nicht möglich gewesen. Wahrscheinlich hatte man die Genossenschaft deshalb so organisiert. Nur Pama lag an der Bahn, daher konnte die Ernte auch gleich in die Waggons - zum größten Teil von den Bauernwagen - verladen werden. In Kittsee hatten wir einen Funktionär, dem wir Frachtbriefe schickten. Dort verluden die Bauern gleich direkt in den Waggon und der Mann brachte uns die Frachtbriefdoppel, worauf er das Geld für die Auszahlung erhielt. Es gab ja eine Ablieferungspflicht und die Kreisbauernschaft erhielt von jeder Anlieferung bzw. Abrechnung eine Durchschrift, so daß es immer festgehalten war, wieviel der Einzelne geliefert hatte und ob sein Soll bereits erfüllt war. Gab es eine Differenz, so wurden Hofbegehungen durchgeführt, bei denen das unterste zu oben gekehrt wurde - und außerdem riskierte der Mann, daß seine uk-Stellung aufgehoben wurde und er einrücken mußte. In diesem Fall bestimmte der Ortsbauernführer einen Verwandten oder auch einen "tüchtigen" PG (Parteigenossen), daß er diesen Betrieb überwache oder nötigenfalls weiterführe. (So geschehen bei Windholz Karl - der allerdings kein Manko bei der Ablieferung hatte, aber als "Junggeselle" von seinem Bruder, dem Ortsbauernführer, fürs Militär freigestellt worden war, worauf der Bruder Leopold die Wirtschaft führte).

Unser Gebiet war von der Landbauernschaft als Saatmaisproduktions-gebiet vorgesehen. Bisher hatten sie den spätreifenden Silomais "Petender Goldflut" als Saatgut vermehrt. 1943 hatte es Frühfröste gegeben, so daß dieser Mais, der noch nicht reif war, Schäden in der Keimfähigkeit erlitt. Da wurde rasch geschaltet und in vielen Versammlungen - ich war dann auch damit befaßt - die "Erzeuger" dazu veranlaßt (d.h. einfach vor die Tatsache gestellt) die Sorte "Gloria" aus Baden - Würtemberg zu vermehren. Diese Sorte ist ein Rundmais - zum Unterschied von Petender, der ein Zahnmais ist und daher auch frühreifer. Um den Bauern den Anbau von Saatmais schmackhafter zu machen, wurde ihnen eine Rücklieferung der gleichen Menge Futtergetreide (Gerste und Hafer) versprochen und später auch eingehalten. Für uns bedeutete das auch wieder einen größeren Umsatz, da wir ja bedeutende Mengen Futtergetreide zurückerhielten. Wir hatten damit nicht viel Arbeit, denn das ganze spielte sich ja im Burgenland - also bei unseren Filialen - ab. Und da dort ja wesentlich größere Betriebe sind (ein Ganzlehner in Zurndorf hatte ll0 Joch, in Nickelsdorf 220 Joch - allerdings ungarische Joch mit l200 Klafter, während unser Joch l600 Klafter hat!). Früher war der Mais "um die Hälfte" gebaut worden, d.h. der Bauer machte die Bodenvorbereitung und baute den Mais an, der Arbeiter, meistens katholische Kleinbauern, machten die Kulturarbeiten, hacken, Unkraut jäten und die Ernte, d.h. sie brachen von Hand aus die Kolben aus und verluden sie dem Bauern auf den Wagen. Dann wurde geteilt auf zwei Haufen - einen für den Bauern und einen für den, der bearbeitet hatte. Dann wurde entliescht, d.h. eine ganze Schar von Nachbarn kam zusammen, die im Kreis um so einen Haufen saßen, erzählten sich Geschichten, sangen dabei und entlieschten die Kolben. Und die kamen dann zum Trocknen in die Tschardaken. Wenn er dann "ausgefroren" war wurde er gerebelt, im Kleinen mit der Hand, im Großen mit Maschinen - Maisreblern, die aber erst vor kurzer Zeit auf dem Markt waren. Und nun gab es eine Trocknungsanlage, man konnte daher den Mais sofort nach der Ernte - wohl sehr vorsichtig, damit keine Keimschäden entstanden - dreschen und abliefern. Also war die Arbeit mit den Tschardaken nicht mehr notwendig. Außerdem hatte der Saatmais einen höheren Preis und Futtergetreide gab es auch dazu - also war das ein gutes Geschäft. Ich fand da eine Aufgabe, die es lohnte, daß man sich dafür einsetzte (nicht um vielleicht den Krieg zu verlängern sondern um unseren Mitgliedern einen Vorteil zu verschaffen) und ich tigerte mich da richtig hinein. (Mutti sagte dann, ich hätte im Schlaf über den Mais gesprochen!) Jedenfalls war Bruck ein Gebiet, das noch wenig entwickelt war, aus dem man also noch viel machen konnte. Eine Folge der späten Gründung war ja, daß überhaupt noch kein Baugrund, geschweige denn Gebäude bestanden. Aber auch wenn ein Baugrund vorhanden gewesen wäre, hätte man an einen Bau nicht denken können (die Maistrocknungsanlage in Zurndorf war eine Ausnahme, denn die Belieferung der Maizenawerke war anscheinend kriegswichtig, da gab es sogar die sonst so raren Baustoffe. Über die Baustoffe war ja auch Nebel gestolpert. Da die Baustoffbezugsscheine in der Kreisbauernschaft für Notfälle - vom Kriegsschaden bis zu Unwetterschäden und Feuer - lagerten und am Jahresende abliefen bzw. an die Zentrale zurückgegeben werden mußten (wobei der Referent, wenn er zu knauserig gewesen war vielleicht auch noch Unannehmlichkeiten hatte), nutzte Nebel diese Situation. Er kreuzte dann auf, (vielleicht mit einigen Flaschen Wein?) bekam die Bezugsscheine und stand seinerseits vor dem Problem, in einigen Tagen - noch vor Jahresende - die Ziegel (hauptsächlich handelte es sich um Mauerziegel) vom Werk abzutransportieren. Da gab es in Bruck den Fuhrwerker Sieg, der die Aufgabe übernahm, in einigen Tagen 100.000 Mauerziegel von Leopoldsdorf abzuführen. Der Absatz war nicht sehr schwierig, da ein großer Bedarf bestand, auf normalem Weg aber Baumaterialien kaum zu bekommen waren. Die Weinbauern und auch die "Krowoten" hatten das nötige Geld - wie auch die meisten anderen - denn man bekam ja nur sehr wenig zu kaufen. Einen Bezugsschein für Baumaterialien bekam man nur nach einer Baugenehmigung - und das war eben nur in Notfällen. Nun wurden die Ziegel sofort an die Abnehmer ausgeliefert - in Bruck wäre ja für solche Mengen überhaupt kein Platz gewesen. In Pama wurden nun die Ziegel vor den Häusern fein säuberlich aufgeschlichtet - und dort wohnte der Stabsleiter der Kreisleitung, Martschitz oder so ähnlich. Und da er befürchten mußte (so vermute ich jedenfalls) daß ihn ein anderer Bonze deswegen anzeige, wenn in seiner Heimatgemeinde solche illegalen Geschäfte unter seinen Augen vorgehen könnten, mußte Nebel dafür büßen. Ich setzte diese Tradition aber fort und konnte im Dezember 1944 von dem Referenten Hutasch auf der Kreisbauernschaft auf diese Weise 400 t Sackkalk und 200 t Zement aus Mannersdorf ergattern. Das Transportproblem für den Zement aus Mannersdorf löste ich durch den Bauern Kopf aus Mannersdorf, der die Menge 5-t-weise mit einem Ochsenfuhrwerk nach Bruck brachte, während der Sackkalk mit Waggon ankam. Alles lagerte in der Bauerscheune in der Feldgasse. Daß sich der Krieg seinem Ende zuneigte, bekamen wir durch die immer häufigeren Fliegerangriffe zu spüren. Dadurch kam es zu Stromausfällen oder auch nur Abschaltungen, die bei der Maistrocknung mehr als unangenehm waren, da ja dann das Gebläse, also die Kühlung ausfiel, während der Kessel ja noch warm war und der Trockner mit seinem Rohrsystem nicht gekühlt wurde. Die Aufzüge "verbärten" (Wir sagten dazu "Bär" wenn ein Aufzug wegen Überfüllung steckenblieb) und wir hatten mehrfache Arbeit ohne Erfolg. Wegen der Trocknungsanlage war ich häufig in Zurndorf. Von der Kreisbauernschaft bekam ich ein paar Liter Benzin und Beck konnte mir aus dem Kontingent der Druschgenossenschaft in Zurndorf gelegentlich 10 l zukommen lassen, so daß ich also meistens mobil war. Eine Fahrt nach Zurndorf war zu dieser Zeit immer ein kleines Abenteuer. Hinunter ging es ja noch, da war es meistens noch ruhig. Auch bei Fliegeralarm war es da nicht sehr aufregend - es ist ja kein Industriegebiet - höchstens der Bahnhof wäre ein Ziel gewesen. Aber da war ja Hegyeshalom viel wichtiger - oder sogar Bruck. In Parndorf war ein großer Flugplatz hauptsächlich für Nachtjäger. Die Flugzeuge wurden in den Feldern ziemlich weit weg vom Flugplatz aufgestellt, damit sie bei einem Angriff nicht so leicht getroffen werden konnten. Da dann am Nachmittag meistens Fliegeralarm war, stiegen diese Jäger auf - wahrscheinlich deswegen, damit sie nicht "am Boden zerstört" werden konnten. Wenn ich nun am Abend von Zurndorf nach Hause fuhr, kamen diese Maschinen auf der Straße von Parndorf nach Neudorf gefahren, so daß ich mit meinem Tatra durch den flachen Straßengraben in die Felder ausweichen mußte. Da immer eine größere Anzahl von Maschinen unterwegs waren, war das ein Hindernisrennen bis Parndorf, das außerdem sehr viel Zeit kostete. Oder sie fuhren zum Flugplatz, dann mußte ich hinter ihnen herzukkeln und kam auch nur langsam vorwärts.

So ging das Jahr 1944 zu Ende. Wir hatten Revision. Ing. Huber aus Schranawand war Revisor, ein PG (ParteiGenosse) - und der erzählte mir eines Tages von einer Widerstandsbewegung 05 (0e) - ob wir da nicht mitmachen sollten? So knapp vor dem Ende, das man jeden Tag näher kommen sah - und das vor allem von selbst kam, auch ohne unser Zutun - verspürte ich keine Lust, den Kopf hinzuhalten. Denn es war ja auch klar, daß der kleinste Verdacht (oder gar ein Verrat) ganz kurz und schmerzlos den Kopf kostete. Damit waren sie ja schon immer rasch bei der Hand gewesen und nun, da sie ein Ende mit Schrecken inszenierten, kam es ihnen auf ein paar "Verräter" mehr oder weniger auch nicht an - und es ließ sich daraus ja so eine schöne Dolchstoßlegende erfinden.

Wieder war ich einmal mit Mutti in Wien, ich im Verband, sie bei meinen Eltern. Wieder hatte es einen Fliegeralarm gegeben und wir waren in Abschnitten mit der Straßenbahn zum Ostbahnhof gekommen. Aber wie sah es da aus! Das Gebäude war von Bomben getroffen worden und eingestürzt. Es lag nur Schutt herum in großen Haufen und einige Stücke der Mauern standen geschwärzt darin. An einen Zugsverkehr war natürlich nicht zu denken. Die Eisenbahner sagten uns, der Zug verkehrt von Simmering. Also marschierten wir neben dem Geleise nach Simmering zum Zug. Die Schäden im Bahnhof wurden dann so weit repariert, daß die Züge wieder von dort abgehen konnten. Aber natürlich waren ja auch die Fahrkartenschalter mit dem Gesamtgebäude zerstört. Also stellten sie vor dem Schutthaufen ein kleines Holzhütterl (ca. 1m²) auf, in dem ein Eisenbahner saß, der auf einem Block die Fahrkarten schrieb, abriß und dann kassierte. Da es aber bei der Eisenbahn noch niemals "so schnell" gegangen ist, dauerte das sehr lang, so daß die Leute, die in der Schlange weit hinten standen, ihre Fahrkarte erst nach Abfahrt des Zuges erhielten. Zum Glück gab es einen Ausweg: der Bahnhof Simmering war nicht zerstört, dort konnte man bis zum Gleis hineingehen. Die Frage der Fahrkarte war dann nicht mehr so wichtig! Wichtig war, daß man in den Zug hineinkam. Der war wohl von Wien heraus ziemlich voll - aber irgendwie kamen wir dann schon hinein. Und die Karten lösten wir beim Schaffner. Manchmal fuhren wir dann mit der Straßenbahn nach Simmering - aber manchmal mußten wir auch gehen - wenn wieder einmal keine Straßenbahn fuhr. Und einmal ging weder vom Ostbahnhof noch von Simmering ein Zug, da durch einen Angriff jetzt auch die Geleise zerstört waren. Da versuchten wir (wieder war Mutti mit) es mit der Straßenbahn nach Schwechat. Das ging gerade noch. Dann marschierten wir nach Pellendorf, das ist ein ganz schönes Stück. Dort erwischten wir einen Autobus, der nach Himberg fuhr - also wieder ein Stück in unsere Richtung. In Himberg war es allerdings aus und wir mußten zu Fuß weiter. Unterwegs kurvten die Flugzeuge ober uns herum, nur glaubte ich, sie hätten lohnendere Ziele, als zwei arme Menschlein auf der Gutenhofer Straße. Trotzdem stellten wir uns an den Stamm eines Baumes am Straßenrand, wenn sie gar zu nahe kamen. Da wir einen Angriff auf die Bahn befürchteten, blieben wir auf der Straße und gingen erst vor dem Ortseingang von Gramatneusiedl von der Straße hinunter zum Bahnhof und dann zum Wirtshaus. Dort war schon große Aufregung, denn die Eltern hatten durch die Eisenbahner von dem großen Angriff auf Wien und den Ostbahnhof gehört. Natürlich hatten sie sich große Sorgen gemacht und schon das Ärgste befürchtet. Sie sagten uns dann, sie hätten die Kinder bereits aufgeteilt, (beide wollten sie keineswegs hergeben - nur einer hätte nach Wien kommen dürfen). Ob da dann einer Gastwirt und der andere ein Fleischhauer geworden wäre?

Der Volkssturm wurde aufgestellt. Ich wurde in Gramatneusiedl erfaßt, sah aber nie etwas davon - vielleicht, da ich ja den ganzen Tag fort war und eine "kriegswichtige" Arbeit verrichtete. In Bruck wurden die Leute (auch aus der Umgebung) bei Schanzarbeiten an der Leitha im Harrachpark (da war z.B. der spätere Obmann Gretsch) eingesetzt - Befehlshaber des Volkssturms in diesem Gebiet war Dr. Schubert, der Rechtsanwalt und Schwager von Tschadek - und vor allem beim Bau des "Ostwalles" mit einer Bunkerstellung am Ungerberg neben Ostarbeitern und Juden eingesetzt. Da war es wieder ein Vorteil, in Gramatneusiedl zu wohnen. Dieser Ostwall zeigte uns, daß das Gebiet im Burgenland bereits aufgegeben war. Die echten Nazis bestritten das wohl heftig, bereiteten aber in aller Stille alles für den Abzug vor. Das Gebiet östlich von Bruck war also schon aufgegeben. Die Flieger kamen fast täglich nach Wien oder Wiener-Neustadt. Die Russen rückten immer weiter vor und die Landesbauernschaft machte einen Plan zur Evakuierung des Getreides und vor allem von Saatmais aus dem Seewinkel und aus unserem Gebiet. Wir waren mit einer Kommission der Deutschen Reichsbahn mit Dir. Tributsch unterwegs, um die Transporte - es lagerte ja noch eine Menge Mais in Zurndorf - und die Waggonbeistellung zu organisieren. Dabei kamen wir gerade zurecht, wie die Zurndorfer - auch unser Filialleiter Beck - zum Treck nach dem sichereren Westen aufbrachen. Dabei hatte mir dieser Kerl gar nichts davon gesagt, daß er jetzt schon verschwinden wollte. Es gab ja noch eine Menge Arbeit, wenn wir die Waren aus der Filiale retten wollten. Beck versprach zwar, zurückzukommen, wenn seine Familie das Ziel erreicht hätte - aber - das glaubte er ja selbst nicht mehr. Auf der Rückfahrt sah ich einen "Christbaum" (Magnesiumlichter an Fallschirmen, die ein Zielgebiet abzeichneten für die nachfolgenden Bomber) hinter dem Neusiedler See: die Bahnanlagen in Ödenburg wurden bombardiert und damit war ein Weg aus dem Seewinkel zu. Die Amerikaner hatten dadurch den Nachschub für die Front gegen die Russen unterbrochen. Zwei Tage darauf wurde der Bahnhof Bruck bombardiert und damit war die Bahn nach Osten ganz unterbrochen. Wir hatten zuerst Schutz in einem kleinen Splittergraben neben der Schrotmühle gesucht bis eine Bombe in ein Haus in der Troststraße einschlug. Durch den Sog wurde eine Seite des Bauer-Stadels auf der Feldgassenseite hochgehoben, so daß der hofseitige Teil des Daches hineinfiel. Dieser Teil verkeilte sich dann ungefähr 1 1/2 m unter dem First mit dem hochgehobenen Dachteil, so daß er abgestützt war - aber es war schon ziemlich ramponiert. Die Mädchen aus der Kanzlei waren wie immer bei Fliegeralarm in den Harrachpark gegangen. Diesmal fielen viele Bomben auch in den Park, so daß sie ganz verstört zurückkamen, mit nächster Gelegenheit nach Hause fuhren und nie mehr auftauchten. Nach dieser Bombe in der Nähe verließen wir unseren Splitterschutzgraben und verlegten unseren "Luftschutz" auf das Gelände des Deutschen Bahnhofes, der zu dieser Zeit eine "Gstetten" war, wo auch einige Splitterschutzgräben ausgehoben waren, die aber etwas tiefer gegraben waren. Wir waren nicht zu faul gewesen, tiefer zu graben, sondern hatten wegen des Grundwassers bald aufhören müssen. Von unserem neuen Unterstand hatten wir nun auch einen besseren Ausblick und Überblick über das Geschehen. Die Bomber kamen in ununterbrochenen Wellen in großen Mengen und luden ihre Fracht über dem Bahnhof ab. Zu der Zeit war der Bahnhof wesentlich größer - er war gegen Wilfleinsdorf viel weiter und breiter ausgebaut - und voll mit Zügen bzw. Waggons. Die Flak war ganz wenig wirksam, so daß die Bomber ungehindert ihre Last abladen konnten. Zum Teil waren die Züge für die Ostfront bestimmt, also beladen mit Munition, Bekleidung, usw.; zum Teil waren es aber auch Züge von der Evakuierung des Burgenlandes bzw. von Westungarn. Wir fanden nach Kriegsende Waggons mit Sojabohnen, die wir in Zurndorf getrocknet und nach dem Westen verladen hatten. Einmal sahen wir einen riesigen Rauchpilz aufsteigen und dachten, daß die Zuckerfabrik getroffen worden sei - wahrscheinlich war es aber der Munitionszug, der getroffen wurde und in die Luft ging. Wir sahen dann später ein riesiges Loch von ca. 200 m Länge, 50 m Breite und l0 bis l5 m Tiefe. Oberhalb der B 10 sah ich später noch Waggonachsen mit Rädern liegen und sogar in Göttlesbrunn fielen Kleidungsstücke und Unterwäsche aus Militärbeständen vom Himmel. Die Flaksplitter erinnerten uns, nicht zu viel aus dem Graben zu gehen, aber der Angriff dauerte so lange, daß wir zum Schluß abstumpften. Jedenfalls war der Bahnhof gründlich zerstört - auch der Personenbahnhof (auch die Brücke über die Leitha in Richtung Burgenland), so daß in Hinkunft der Zugsverkehr nur ab Wilfleinsdorf möglich war. In dieser Zeit war auch der Tatra krank geworden, - das Kurbelwellenlager klapperte so laut - daß ich mich nicht mehr fahren traute. Da half mir ein Unteroffizier aus Parndorf, mit dem ich in Geschäftsverbindung gekommen war. Vom Verband gab es gelegentlich Waren, die in der Geschwindigkeit nicht ordentlich plaziert werden konnten. Diesmal war es ein Waggon Konservendosen gewesen, die ich als unternehmerischer Mensch nach Bruck bestellt hatte. Damit machten wir vielen Leuten eine Freude, da sie vom geschlachteten Schwein bis zum Gemüse alles eindosen konnten. Holler aus Enzersdorf/Fischa, zu dieser Zeit am Flugplatz Parndorf, hatte also auch solche Dosen in Mengen bekommen (kein Kunststück, wenn man einen ganzen Waggon hat!) und war mir wieder dienlich gewesen, indem er mir Benzin (vom Flugplatz) gegeben hatte. In der Not wandte ich mich daher an Holler und der gab mir einen Steyr-PKW, mit dem ich anstatt des maroden Tatra fuhr. Die Nummerntafel hatte ich einfach ummontiert - zu dieser Zeit schaute ja keiner auf die Papiere, Hauptsache war, der "rote Winkel" war auf dem Nummern-schild. An diesem Tag nun fuhr ich mit Autostop nach Schwadorf und wanderte dann zu Fuß nach Gramatneusiedl. Am nächsten Tag fuhr ich dann mit der Bahn nach Wien, um mit den Direktoren zu besprechen, wie wir uns in Bruck weiter verhalten sollten. Die Züge gingen unregelmäßig, d.h. sie hatten unterschiedlich große Verspätungen, so daß man nie genau wußte, wann man ankam. Aber so früh kam dann der Zug meistens an, daß man auf dem Weg in die Stadt den Fliegeralarm erlebte. Da durch die Bombentreffer in Wien die Straßenbahn auch nicht auf allen Strecken fahren konnte, ging man meistens zu Fuß und kletterte über die Schutthaufen vor den Ruinen. Ich kam also in den Verband, als schon alles im Keller saß. Im tiefsten Keller, drei Stock unter der Erde, Dir. Kern mit den Damen, darüber die anderen und beim Hauseingang Dir. Sandner. Ich suchte also Dir. Tributsch, der ja für diese Sachen zuständig war und vereinbarte mit ihm, daß wir in Bruck unsere Sachen zusammenpackten - d.h. wir hatten ja schon bereits damit begonnen - und die Unterlagen nach Gramatneusiedl bringen würden. Das Lagerhaus Gramatneusiedl würde dann später seine Unterlagen und damit auch unsere nach Westen verlagern. Der Ostwall würde ja schon noch eine Weile die Russen abhalten, also eile das nicht allzusehr. So sah es also noch am Donnerstag - zumindest in Wien - aus.

Freitag fuhr Mutti dann mit mir mit dem Zug nach Wilfleinsdorf, dann gingen wir zu Fuß nach Bruck. Dort fand ich eine verstörte Frau Brödl (die Mädchen waren ja nach dem Luftangriff nicht mehr gekommen), die mir ausrichtete, daß ich auf der Kreisbauernschaft dringend verlangt würde. Dort erfuhr ich, daß mich die Frau Brödl verleumdet hatte: ich habe mich schon abgesetzt und ließe alles im Stich. Da fielen sie also über mich her: ich sei ein Kriegsverbrecher, gehöre an die Wand gestellt usf. Also ein totaler hysterischer Zirkus. Die Kreisbauernschaft war zu dieser Zeit im ersten Stock des "Grünen Baum" (heute Sparkasse) und vom Fenster aus sah man auf dem Hauptplatz eine große Menge, vor allem Frauen, die heftigst (unter der Anführerin "Schubert-Mitzl" = Frau Tschadek) und lautstark demonstrierten und gegen den "Krieg" wetterten. Einzelne Soldaten, mit dem Gewehr in der Hand bewegten sich in diesem Haufen, wobei ihnen die Frauen die Gewehre zu entreißen suchten - also der reine Volksaufstand im Kleinen mit viel Geschrei und hilflosen Gesetzeshütern. Sogar die SS war da hilflos, da sie ja - auch mit den Soldaten - in einer hoffnungslosen Minderheit waren. Und auch die Mächtigen aus der Kreisbauernschaft verdufteten langsam. Sie hatten noch ein Anliegen: wenn das Lagerhaus seine Buchhaltung evakuiere, so solle sie doch auch die Unterlagen der Kreisbauernschaft mitnehmen und in Sicherheit bringen. Das konnte ich leicht zusagen und sie versprachen, die Unterlagen ins Lagerhaus zu bringen. Das Schauspiel auf dem Hauptplatz hätte mich noch länger interessiert - aber ich mußte ins Lagerhaus zurück: dort wartete Mutti auf mich - und vor allem mußte ich mit dieser Megäre, der Brödl, ein Hühnchen rupfen. Ich kam also - von den dummen Drohungen der Kreisbauernschaftler noch richtig wütend - ins Lagerhaus, das ganz verlassen wirkte.Mutti stand in der Kanzlei an der rückwärtigen Wand bei meinem Schreibtisch und Brödl bei ihrem Tisch beim Kanzleieingang. Mutti sagte mir: stell dir vor, die Frau Brödl sagt, du hättest dich schon abgesetzt, die Großen würden es sich schon richten und die armen Kleinen müßten das Bad ausgießen. Geladen wie ich war, schrie ich dieses Weibsbild an - wie ich so etwas weder vorher noch nachher je wieder getan habe - Dir. Tributsch, dem ich von ihren Umtrieben erzählt hatte, hätte mir geraten, dieses Mistvieh an ihren Zotten aus der Kanzlei zu schleppen. Diese Äußerung des von ihr (sicher auch aus der Zeit von Nebel) geschätzten Dir. Tributsch und mein Getobe ließen sie erstarren. Die Kassa hatte sie schon abgeschlossen, also übergab sie mir das gezählte Geld und das Kassabuch und verschwand. - Ich habe sie nie mehr wiedergesehen. lnzwischen war wieder Fliegeralarm gegeben worden und ich wollte mit Mutti aus der Stadt hinausfahren - mir lag noch der letzte Angriff auf den Bahnhof, wobei die Bomben ja auch in der Stadt gefallen waren, im Magen. In der Höfleiner Straße, gleich nach dem Beginn, gab es einen Krach, und der arme Steyr lag mit dem Hintergestell auf dem Boden - die Achse war gebrochen. Wir gingen dann zu Fuß noch weiter in Richtung Höflein, bis die Straße leicht ansteigt. Dort war an der rechten Seite im Feld eine Lehmgrube von einem Ziegelwerk (heute ist das eingeebnet), in die wir uns setzten, um von da den Angriff zu beobachten und abzuwarten. Danach gingen wir wieder zurück zu Bauer Josef, dem Obmann, dem ich von dem Mißgeschick mit dem Auto erzählte und den ich bat, das Auto mit Pferden ins Lagerhaus schaffen zu lassen. Dann mußten wir noch nach Wilfleinsdorf marschieren, da ja erst von dort ein Zug fuhr und konnten dann endlich nach Hause kommen. Am nächsten Tag, dem Samstag, fuhr ich mit dem Rad nach Bruck, um die Kassa abzuschließen und alles für die Evakuierung vorzubereiten. Ertlbauer sollte dann alle Unterlagen am Sonntag nach Gramatneusiedl bringen. Am Samstag erschien dann Esel, um sein Konto auszugleichen. Das Bargeld, das Kassabuch und die letzten Belege nahm ich mit, das andere war schon auf einem Anhänger verladen. Dazu waren auch schon die Unterlagen der Kreisbauernschaft gekommen, die ja ebenfalls abtransportiert werden sollten. Die Kassaschränke ließ ich offen, da ich ja von Rußland her wußte, daß in verschlossenen Schränken natürlich Schätze vermutet wurden, so daß sie unweigerlich aufgebrochen wurden. Nur mit dem Tresorfach hatte ich Pech - da ließ sich der Schlüssel nicht abziehen, wenn es nicht versperrt war. Natürlich wurde es dann aufgeschossen, so daß das Schloß kaputt war. Dann fuhr ich wieder mit dem Rad zurück nach Gramatneusiedl. Da sah ich schon am Leithaberg Rauchwolken und das Aufblitzen von Geschützen - noch südwestlich von Mannersdorf. Zu Hause war schon alles aufgeregt. Der Treck des Lagerhauses Gramatneusiedl war bereits fort. Mutti wäre gerne mitgefahren, denn die Gerüchte waren nicht schön: Frauen wurden vergewaltigt, Männer verschleppt, alles geplündert und zerstört. Da aber die Eltern keineswegs weg wollten, vor allem Vater mit seinen Pferden - das jüngste Fohlen war ja erst etwas über ein Monat alt - und auch ich eine Abneigung hatte, mit kleinen Kindern auf der Straße zu hausen und ins Ungewisse zu wandern, sah sie ein, daß es besser sei, zu Hause abzuwarten. Mutter hatte natürlich auch an Müllnermutter gedach - Pepi-Onkel war wieder zu einer Militäreinheit eingezogen worden - die sie auch nicht allein lassen konnte. Ich hatte mir als großer Stratege auch meine Gedanken gemacht und erklärte jedem, der es hören wollte, wie es kommen würde: Die Russe würden entlang der B 9 und B 10 und von Süden entlang der B 17 gegen Wien vorgehen. Wir in Gramatneusiedl liegen dazwischen, also sehen und hören wir von dem ganzen Spektakel nicht viel. Wenn die Russen weit genug vorgedrungen sind, kommt eine Ortskommandantur, die für Ordnung sorgt, für durchreisende Soldaten Quartier anfordert, z.B. in der Schule, im Gemeindeamt, vielleicht auch im Lagerhaus, das ja jetzt leer steht oder in der Fabrik - und uns Zivilisten schön in Ruhe läßt. - Wie es sich halt der kleine Maxi vorstellt (oder war auch ein Wunschdenken dabei). Da die Nazis den Bahnhof zur Sprengung vorbereitet hatten, (vom Lagerhaus wurde es auch behauptet) - hatte Vater die Tiere zu Müllnermutter gebracht. Mutti hatte für mich als Versteck vor dem Volkssturm den Boden über dem Pferdestall (Eisgrube) ausersehen und wollte mich dort in der Nacht versorgen, bis der Volkssturm abgezogen war. Sonntag kam Ertlbauer mit den Anhängern, die wir im Hof des Lagerhauses abstellten. Die Geldkassette hatte ich in unserem Haus über der Verandadecke versteckt, indem ich die Holzschalung löste, die Kassette hineinschob und das Brett wieder festmachte (den Nagel einschlug). Einige Lebensmittelvorräte (Zucker in Einsiedegläsern usf.) vergrub ich so, daß ich im Brunnenschacht bis unter die Seitenwand (Beton) grub und dann von unten hinter der Wand eine Höhlung machte, in die ich etwas hineinstellen konnte. Fand man die Grabungsstätte, so war sie ja leer, da das Versteck hinter der Wand war. Und von oben war über dem Versteck alles fest und unberührt. Im Wirtshaus grub ich neben den Mauern im Garten und legte dann Ziegel darauf, so, als wenn dort ein Ziegelstoß gewesen wäre. Vater versteckte ein Fäßchen Wein unter den Futterrüben im Keller. Es waren wohl wenig Sachen, die ich vergrub, sie wurden aber auch nicht gefunden, obwohl die Russen im Aufspüren von Verstecken schon sehr viel Erfahrung hatten, wahrscheinlich aus Ungarn. Da die Sprengungen drohten - es gab keinen Bahnverkehr mehr, aber die Eisenbahner waren sehr aufgeregt, da ja das Personalhaus neben dem Bahnhof auch sehr gefährdet war - wanderten wir also auf dem Hintausweg in den Oberort zu Müllnermutter (sie hatte das Scheunentor nicht verriegelt, so daß wir da hineingelangten). Auf diesem Weg schlugen schon Gewehrgeschoße neben uns im Acker ein, daß die Erde spritzte. Wir waren aber schon ganz apathisch und nahmen keine Notiz davon - wobei meine Begleiter, also die Großeltern, Mutti und die Kinder wahrscheinlich die Gefahr gar nicht so richtig erkannten. Wenn etwas ordentlich kracht, bekommt man ja mehr Schrecken, als wenn es ein wenig bafft (wie es ein Geschoß, das in den Ackerboden fährt, macht). Am Abend hörten wir dann wieder, daß die Bomben im Bahnhof von Eisenbahnern entschärft worden waren - also wanderten wir wieder zurück in unsere Häuser. In der Nacht wurde das Feuer wieder stärker und der Bahnhof wurde mit Artillerie beschossen. Also zogen wir uns an und stellten uns, mit den Kindern auf den Armen, zum rückwärtigen Zaun, von wo aus wir das Mündungsfeuer der Gewehre beim Friedhof beobachteten. Plötzlich gab es ganz in der Nähe eine Detonation und im Feuerschein sahen wir Trümmer über uns fliegen. Wir sprangen in den Brunnenschacht (eine Grube l x l m, ca. l,2 m tief, mit Betonwänden), um uns zu decken, während ich schrie: "Jetzt haben diese Hunde doch den Bahnhof gesprengt". Nach kürzerer Zeit hörten wir ein Wimmern vor der Gartentür: es war die "Kainer-Riedl". Wir sollten sie hereinlassen, ein Artilleriegeschoß war in ihr Haus eingeschlagen. Also hockte die auch noch im Loch. Sie klagte, daß ihr Hunderl tot sei. Ich schaute in ihr Haus: eine Granate war an der Grenze Kainer - Fam. Hof (unser unmittelbarer Nachbar) in einen Holzschuppen eingeschlagen und hatte ihn zerfetzt. Holz und Teerpappe waren die Trümmer gewesen, die wir durch die Luft fliegen gesehen hatten. Der Hund war tatsächlich tot. Einige Fetzen glosten unter den Holztrümmern und es wäre sicher zu einem Brand gekommen. Das hätte für die Häuser Hof und das unserige eine Katastrophe bedeutet, denn die Häuser sind ja zusammengebaut - an ein Löschen wäre da überhaupt nicht zu denken gewesen. So aber konnte ich diese Glutnester austreten und herausziehen. Inzwischen war auch Trinkl aus dem Eisenbahnerhaus herausgekommen und wir löschten das beginnende Feuer. Nach Mitternacht beruhigte sich das Feuer etwas und wir konnten wieder in unser Haus, um etwas zu schlafen. Am nächsten Tag kamen SS-Soldaten durch die Ortschaft, abgekämpft und erschöpft. Sie führten eine Anzahl gefangene Russen (Asiaten) zum Bahnhof. Später wurden sie dort erschossen aufgefunden. Mutter schenkte noch das restliche Bier an die letzten abziehenden deutschen Soldaten aus, dann waren die paar Mann in Richtung Ebergassing weg - und wenig später fuhren Motorräder mit Beiwagen mit Soldaten zur Bahnübersetzung: die ersten Russen. Sie hielten kurz an und fuhren dann weiter in Richtung Ebergassing. Die Russen hatten am Vortag Moosbrunn genommen und waren nach Gramatneusiedl vorgestoßen. Da wurden sie von der SS zurückgeworfen - und jetzt waren die Deutschen aufgerieben, so daß kein Widerstand mehr geleistet werden konnte.

Wir waren alle im Wirtshaus. Plötzlich entdeckte Mutter vom Fenster aus, daß Russen in unser Haus, das man ja vom Wirtshaus gut sehen konnte, eindrangen. Couragiert ging sie hinüber, um denen auszudeutschen, daß sich das nicht gehört - so einfach in ein fremdes, abgeschlossenes Haus einbrechen! Sie kam ganz still zurück. Nun gingen wir hinüber. Da sahen wir, daß auf dem Schlafzimmerfenster, das zum Hof hinausging, ein Funkgerät stand, in das ein Russe ständig "Zigarra, Zigarra" rief. Unsere Cremeschnitten von Mutter waren gegessen, das Himbeerkonzentrat ausgetrunken und das Haus beschlagnahmt. Die nächsten Tage waren ein Alptraum. Im Wirtshaus war es - wenn es das überhaupt gibt - noch schlimmer. Die Russen suchten Wein und Bier und drohten Vater zu erschießen, wenn sie etwas fänden. Mutter war krank geworden (das Herz - infolge der dauernden Aufregungen) und lag auf einer Matratze auf dem Terrazzoboden der Küche, da sie aus dem SchIafzimmer hinausgeworfen worden waren - das wurde von russischen Soldaten beansprucht. Ich mußte die Kühe melken, da Mutter nicht aufstehen konnte. Das letztemal hatte ich in Eggenburg bei meiner erster Praxis gemolken - aber nach einiger Zeit gelang es mir wieder, denn die Theorie hatte ich ja nicht vergessen. Das Geflügel (Hühner, Enten, Gänse und Truthühner) hatten die Russen aus Freude am Schießen getötet und liegengelassen, die Schweine - und was Vater besonders traf - die Pferde weggenommen: die Mutterstute Berta, ein zweijähriges und ein einjähriges Fohlen waren fort, nur das Fohlen mit vier Wochen war geblieben. Ohne Muttermilch war das kleine fast zum Sterben verurteilt. Mutter gelang es, mit Kuhmilch und etwas Kleie dieses letzte von Vaters Pferden aufzuziehen. So schön wie die anderen wurde es allerdings nicht. Natürlich herrschte Ausgehverbot, aber wir waren schon so abgestumpft, daß wir uns aus gar nichts mehr etwas machten. Als einmal über uns ein Luftkampf tobte: deutsche und russische Flugzeuge kurvten wild herum und schossen aus allen Rohren, flüchteten die Russen ins Haus und drängten uns, ebenfalls dort Deckung zu suchen. Wir aber meinten, es sei schon egal, wie wir umkommen. Zeitweise waren zwanzig Russen in unserem Haus. Sie wechselten fast täglich, also immer auf dem Durchzug. Die einen sagten: "Alles absperren!" Am nächsten Tag war alles aufgebrochen und die Schlösser an den Möbeln mit dem Holz herausgebrochen. In einem waren sich alle einig: sie hinterließen einen heillosen Saustall! Aus unseren ordentlichen Zimmern jagten sie uns in das von anderen zurückgelassene Durcheinander, das wir wieder in Ordnung brachten. Dadurch mußten wir jeden Tag mit Sack und Pack umziehen. Um wenigstens ein Ei für die Kinder zu retten, hatten wir zwei Hennen und einen Hahn (wir dachten ja schon wieder an "Singerln") in eine Kiste gesperrt, die wir beim Umzug immer in unser Zimmer mitnahmen. Diese Tiere retteten wir, und eine kleine Henne, die "Goldene", wurde die Stammmutter vieler Hühner im Hause Wittner und Weintögl. Die Russen waren prinzipiell kinderlieb, doch hatten die Kinder mitgekriegt, wie sehr sie uns eingeschüchtert hatten und wie arg uns ihre Anwesenheit bedrückte. Als einmal ein Offizier unseren Gerhard (er war damals l6 Monate) von hinten faßte und ihn hochhob, jauchzte das Kind, doch als er wieder auf den Füßen stand, sich umdrehte und merkte, daß die Person ein Russe war, stieß er mit dem Fuß nach ihm. Unser Entsetzen war groß, zum Glück aber war der Russe nur verlegen und nahm es uns nicht übel.

In den erster Tagen - Mutter lag noch in der Küche auf dem Boden - es war schon Nacht - kam einmal, von den Russen verfolgt und vor Angst schreiend, eine Frau (Deitzer aus Himberg, bei der Bahnübersetzung) in die Küche im Wirtshaus gestürzt. Ihr Haus - eine kleine Landwirtschaft - war von den Russen besetzt worden und ihr Mann und sie liefen davon. Ihr Mann lief nach Himberg und sie über die Felder nach Gramatneusiedl. Es war ja Ausgehverbot bei Einbruch der Dunkelheit, so daß der Russe mit dem Gewehr in der Hand recht bedrohlich wirkte. Die "Deitzerin" - wie wir sie nannten - stürzte vor Mutter in die Knie und beugte sich über die Liegende. Da war der Russe etwas fassungslos, drehte sich um und verschwand wieder in der Nacht. (Es war ja alles verfinstert, wir waren ja noch Front). Sie jammerte und wimmerte, während wir die Russen beruhigen mußten, daß das keine Spionin, sondern nur die Frau Deitzer aus Himberg war. Natürlich blieb sie dann auch bei uns. Der Bahnvorstand Kugler war aus Angst um sein Leben (er sagte zwar immer: "ich fürchte nicht das Sterben, nur das Martern") aus seiner Wohnung im Bahnhhofsgebäude geflüchtet und ebenfalls mit seiner Frau bei uns gelandet. Vater und Mutter waren in der Folge aus dem Wirtshaus verjagt worden und lebten nun ebenfalls bei uns. Eines Tages erschien ein Russe mit Kainer Riedi und quartierte sie bei uns ein. Sie mußte einen Raum für sich allein bekommen, weil er sie ungestört besuchen wollte - und sie verlangte das auch im Hinblick auf ihre "Stellung" bei den Russen. Dazwischen gab es noch Russen an allen Ecken und Enden. Einmal schliefen sie auf Stroh in der Veranda - plötzlich brannte das Stroh. Aber das regte uns gar nicht mehr auf. Irgendwie ging es weiter. Aus Ungarn oder dem Burgenland hatten die Russen ein Fäßchen Rotwein mitgebracht, das nun in den Veranda stand. Wenn die Luft rein war, zog Vater an einem Gummischläucherl. Dann war wieder einmal das Wirtshaus freigegeben worden (die Kühe und das kleine Fohlen waren in der Zwischenzeit von unserem Haus aus betreut worden) und ich zog mit den Kindern, einen auf dem Arm, den anderen an der Hand führend (das galt als das beste Mittel gegen Verschleppung, wenn man mit Kindern bepackt war) vom Wirtshaus nach Hause, als ich auf dem "Schiefen Weg" von Russen angehalten und ohne weitere Untersuchung und Prüfung ganz taxfrei zum Rinderhilten h.c. ernannt und gleich dienstverpflichtet wurde. Wir waren zu sechst (auch Trinkl war dabei), die etwa 80 Jungrinder, die vorerst im Lagerhaushof eingesperrt waren, bewachen und später auf dem Fußballplatz Marienthal weiden lassen mußten. Die Wachen waren so eingeteilt, daß wir zwei Stunden Dienst und vier Stunden frei hatten. Im Lagerhaus war es ja leicht gewesen, nach Hause zu gehen. Von Marienthal aus war es schon kritischer. In der Nähe der Polizei, dieses Gebäude war ja auch von den Russen besetzt, wollten mir nämlich einmal zwei Russen die Stiefel ausziehen - d.h. sie wollten meine Stiefel gegen ihre Latschen austauschen. Es waren noch junge Kerle und ich hatte eine mords Wut, daher wurde nichts aus diesem Geschäft als ein bißchen Rangelei und Stoßen mit viel Geschrei und Schipfen von meiner Seite. Sicherlich bin ich dann schneller - vielleicht ganz schnell gegangen. Und in Hinkunft habe ich alte Stiefel angezogen. Die Russen brachten aus Ungarn eine Menge Sachen mit, die inzwischen ganz verdreckt waren. Sie schmissen nun die dreckige Ware weg (egal ob es Wäsche oder Silberbesteck war) und nahmen von uns reine Sachen mit. So wurden auch Möbelstücke von einem Haus ins andere geschleppt - es waren aber nicht immer die Russen, d.h. es gab auch einheimische "Russen".

Das Eisenbahnerhaus hatten sie als Lazarett eingerichtet (die Bewohner waren ausquartiert worden), so daß da immer sehr viel Verkehr herrschte. Wir verfolgten aufmerksam das Vordringen der Front der roten Armee und erfuhren von der Russen, die mit den Verwundeten aus dem Einsatz zurückkamen, den Stand der Front. Zuerst standen sie am Gürtel, dann am Donaukanal - und endlich kamen keine mehr zurück. Dafür begann jetzt die Zeit der Marodeure, die herumzogen und plünderten. In Münchendorf wurde der Flugplatz für die Russen adaptiert, d.h. sie bauten Bunker d.h. Erdwälle in Hufeisenform zum Unterstellen ihrer Flugzeuge und zum Schutz gegen Bombensplitter. Die Pläne stammten also von den Russen und nun trieben sie in Gramatneusiedl und in allen anderen Orten die Bevölkerung, männlich und weiblich, mit Hilfe von selbsternannten Polizisten (bei uns war es ein ehemaliger Nazi, der geschwind ein Kommunist geworden war) zusammen und dann marschierte der ganze Haufen unter Bewachung von russischen Soldaten nach Münchendorf. Jedermann und Jedefrau hatte eine Schaufel mitzunehmen. Dort wurden also diese Erdwälle in der Art errichtet, daß immer eine Schicht Stroh (aus umliegenden Tristen herangeschafft) und eine Schicht Erde (von uns aufgeschaufelt) übereinandergeschichtet wurde bis zu einer Höhe von ca. 3 m. Abends wollten sie uns nicht nach Hause lassen - wir vermuteten, daß sie eine Unterhaltung mit den Frauen wünschten - aber die ganze Partie - und wir waren ja doch ein großer Haufen - war fürs Heimgehen - also gingen wir wieder nach Hause. Das passierte mir zweimal. Dann gelang es mir einmal, nach Wien zu kommen. Das war abenteuerlich, aber es gab doch eine Möglichkeit. Die Bauern mußten Pferde und Wagen stellen, um Frauen aus Marienthal, die beim Einzug der Russen vergewaltigt und dabei infiziert worden waren, nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus zu bringen. Nachdem auch Müllnermutter einen Streifwagen stellen mußte, hatte ich eine Möglichkeit, auf diesem Wagen mit nach Wien zu fahren. Mein Weg führte in den Verband. Das war eine schöne Enttäuschung. Man mußte über Berge von Schutt klettern und dabei sah man die Bescherung: so viele Häuser kaputt, die Oper, dann die Stefanskirche, davor die Häuser am Neuen Markt, die Kärntnerstraße - es war kaum wiederzuerkennen. In den äußeren Bezirken waren wir ja schon im Zickzack gefahren, um jeweils einem Schutthaufen einer Hausruine auszuweichen. Und hier kletterte man von einem Schutthaufen zum anderen. Im Verband selbst waren nur kleinere Schäden in den oberen Geschoßen, die notdürftig abgedeckt waren. Im ganzen Haus war es finster, da es keinen Strom gab und die Gänge auf einen kleinen Lichthof gehen, der aber durch die Höhe des Gebäudes unten auch kein Licht hat. Die Zimmer waren durch das Tageslicht etwas heller - aber auch ganz düster. Ich hatte das Geld vom Lagerhaus aus dem Versteck über der Veranda geholt und konnte es nun abgeben. Sie waren sicherlich darüber sehr froh. Allerdings konnten sie mir keine großen Hoffnungen machen, da sie selbst noch keinen Überblick hatten und ich einer der ersten war, der nach Wien gelangt war. Es herrschte natürlich auch eine gewisse Spannung: wer war Nazi gewesen? Wer wird in Hinkunft das Sagen haben? Keiner traute dem anderen. Und die Direktoren (außer Niesner, der kein PG gewesen war) waren ja alle geflüchtet und noch nicht zurück. Niesner schickte mich also in die Schenkenstraße zum n.ö. Bauernbund, wo ich einen Ausweis, von Figl unterschrieben, bekam, der mich auswies als für die Ernährung wichtige Person, die eben unterwegs sein mußte und durfte. Damit hatte ich meinen Befreiungsschein von dem Arbeitskommando nach Münchendorf und wieder einen kleinen Kontakt mit meiner Arbeitswelt.

Auf der Fahrt nach Wien war auch Bürgermeister Bleyer mit gewesen. Ich kannte ihn vom Lagerhaus, da er dort beschäftigt gewesen war. Im Krieg war Bleyer Kommunist geworden (Asperger hatte immer gewarnt, daß im Lagerhaus Kommunisten beschäftigt wurden), da er sicher auch die Feindsender abhörte und er von dieser Propaganda überzeugt worden war. Er war ja nicht in Rußland gewesen und hatte daher nicht die Wirklichkeit gesehen. Als nun die Russen ankamen, ging er ihnen entgegen, um sie zu begrüßen - als die Befreier. Als Erster, der mit ihnen in Berührung kam (in Marienthal), verlor er auch als erster seine Uhr. Als in der darauffolgenden Nacht die Frauen um Hilfe schrien, wenn sie vergewaltigt wurden, wollte er, da er von seinen Anhängern schon zum Bürgermeister von Marienthal gekürt worden war - den Frauen, wie er es für seine Pflicht hielt, auch helfen und bekam fürchterliche Schläge. Damit trieben sie ihm anscheinend den Kommunismus gründlich aus und er erinnerte sich an die Zeit vor dem Krieg, als er Sozialdemokrat gewesen war. Als wir durch Himberg fuhren, sah er nun einen ihm von früher Bekannten , der dort mit einer rot-weiß-roten Armbinde Polizeidienst oder so etwas machte. Da sprang Bleyer vom Wagen, rannte zu ihm hin, sprach einige Worte und rannte wieder dem Wagen nach, um aufzuspringen. Da erzählte er mir, das sei ein ihm von früher bekannter Sozialdemokrat gewesen, der ihm erzählt habe (in der Geschwindigkeit), daß die Partei wieder existiere - und von da ab war er kein Kommunist mehr, er hatte wieder seine wahre Heimat gefunden. Da sich die Russen auch in Marienthal durch die Vergewaltigungen und Plünderungen selbst in den ärmsten Wohnungen die allermeisten Sympathien verscherzt hatten, war dann das Wahlergebnis im November für die meisten von uns gar keine Enttäuschung zum Unterschied von den Kommunisten. Später wurde Bleyer als Bürgermeister offiziell gewählt und hätte mich gern als Verwalter im Lagerhaus Gramatneusiedl gesehen. Er wollte sogar deswegen im Verband intervenieren - aber als wir dort im Vorzimmer von Dir. Niesner saßen und auf die "Audienz" warteten, verließ unseren Bürgermeister der Mut und als wir eintreten durften, blieb er sitzen. Niesner hörte mich an - er lehnte meinen Vorschlag nicht direkt ab - aber er erklärte mir, wie wichtig ich doch für Bruck sei, daß dort alles wieder in Schwung komme und daß ich ja dort ganz dringend gebraucht werde, ja unersetzlich sei - also war es mit Gramatneusiedl nichts.

Wir fuhren also auf dem Streifwagen nach Wien, Mutti und ich. Auf dem Südtirolerplatz stieg ich ab und marschierte zu Scholz in der Meidlinger Hauptstraße - Straßenbahn ging ja keine. Dort traf ich Scholz und seine Frau in der Ordination - sie lebten also. Mutti war mit dem Pferdewagen weitergefahren bis zur Zweierlinie und dann zur Bellaria gewandert und von dort in Richtung Ottakring. Vom Gürtel weg funktionierte sogar wieder eine Straßenbahn, so daß sie wenigstens ein Stück fahren konnte - sie hatte sowieso genug für meine Eltern zu schleppen (Lebensmittel). Von Scholz ging ich nun in die Seilergasse zum Verband, wo ich mein "Papier", meine Legitimation bekam und von dort nach Ottakring. Mutti hatte ein Brot und andere Lebensmittel geschleppt (ein Brot war mein Tageslohn beim Rinderhüten gewesen). Wir waren müde, aber glücklich, daß in Wien nicht viel passiert war. In meinem Elternhaus hatten sie nur einen Tag Einquartierung gehabt. Meine Eltern waren froh, daß sie wenigstens von einem der Kinder etwas wußten - die anderen waren ja alle noch fort und ihr Schicksal war ganz und gar ungewiß. Bald mußten wir uns wieder auf den Weg machen (mit der Straßenbahn bis zum Gürtel und dann zu Fuß), um auf dem Südtirolerplatz zur vereinbarten Stunde den Streifwagen-Expreß nach Gramatneusiedl zu erreichen.

Vom Verband aus wollten sie also, daß ich mich wieder um Bruck kümmern sollte. Das war aber gar nicht so leicht, es gab ja keine Post, natürlich auch kein Telefon, keinen Zugsverkehr und außerdem war es gar nicht sehr ratsam, sich auf der Straße zu zeigen: allzuoft wurde da einer in eine Kolonne marschierender Männer eingereiht (weil ihnen da irgendeiner abhanden gekommen war und die "Zahl" ja stimmen mußte!) und der kam dann meistens nie mehr wieder. Etwas sicherer war man nur, wenn man sich in einer größeren Menge bewegte, denn da scheuten sie brutale Übergriffe, da sich die Leute dann auch oft gegen sie stellten und sie im Grunde ja feige waren. Traten sie dagegen selbst in größerer Gruppe auf - und natürlich immmer schwer bewaffnet (mit Maschinenpistole) und dazu (was natürlich ganz kritisch war) noch besoffen, dann war höchste Alarmstufe, dann waren sie ganz unberechenbar.

In Gramatneusiedl hatte sich im Lagerhaus eine Militärbäckerei einquartiert, die einmal die Mehlvorräte verbrauchte - von da bekamen auch die Rinderhirten die Löhnung, ein Kastenbrot. Später war Hutterer, der Obermüller (ein Nazi) - aber ohne seine Familie, seine Frau und vier Kinder waren in Oberösterreich geblieben - zurückgekommen. Ihm gelang es, die Müller zusammenzubringen und das Werkel in Betrieb zu setzen. Da die Stromleitungen unterbrochen waren (von der Turbine an der Fischa zum Lagerhaus), wurde ein Dieselmotor in Betrieb genommen und die Mühle lief. Der Mann hatte Magengeschwüre. Ob infolge des Zusammenbruches und der damit verbundenen Ängste - er war ja auch bei der Partei gewesen - oder schon früher durch seine Überlastung in den letzten Kriegstagen, da er bei oftmaligem Fliegeralarm und mit Gefangenen seinen Betrieb doch gut führen wollte, weiß man nicht. Mutter versorgte ihn mit Milch gegen seine Erkrankung, mit der er sich kurierte, so daß er arbeiten konnte. Dafür gab es Kleie für die Tiere und Mehl für uns und auch für das Geschäft. Es wurde ja sozusagen auch eine Werksküche für die in der Mühle Beschäftigten daraus, was Mutter ganz recht war. Später kam auch Stöckl zurück und im Frühjahr 1946 dann auch Reiner. Die waren in Oberwang gewesen und hatten - nach ihren Erzählungen - natürlich auch "Schreckliches" erlebt. Das erinnert mich an Scholz, der seine Patienten, wenn sie über arge Schmerzen klagten, die Stelle abgriff und dabei fragte: tut das weh? Und wenn dann der Arme "Auweh" schrie, dann meinte er, das ist nicht so schlimm. Er zeigte auf eine Stelle seines Armes und sagte dazu: wenn es da weh tun würde, dann wäre es schlimm (weil es ja sein eigener Arm war).

Inzwischen war auch die Bahn instand gesetzt worden - die gesprengten Brücken waren durch Behelfsbrücken ersetzt worden - das Bahnpersonal hatte die Weichen und Signale irgendwie provisorisch funktionsfähig gemacht und die Telefonleitungen, die von Wien aus repariert worden waren, in Richtung Bruck ergänzt, und vereinzelt verkehrten Güterzüge - hauptsächlich für die Russen. Es wird Ende Mai gewesen sein, da tauchte eines Tages Johann Braun (ein ehemaliger Buchhalter der Genossenschaft Bruck/L.), der in Trautmannsdorf wohnte, bei mir in Gramatneusiedl auf. Er war eingerückt gewesen, konnte in den Wirren freikommen und nach Trautmannsdorf gelangen und hatte sich auch schon in Bruck umgesehen. Er war im Lagerhaus gewesen und hatte auch den Obmann Bauer aufgesucht. Bauer hatte ihm einen Brief übergeben, da er angekündigt hatte, mich in Gramatneusiedl aufzusuchen. In dem Brief schrieb Bauer, daß die Russen von ihm als Obmann der Genossenschaft die Lieferung von Riesenmengen Heu und Stroh verlangten. Ich ließ mich nicht lange drängen sondern ging mit Braun zum Bahnhof und als ein Güterzug etwas langsamer durch die Station fuhr sprangen wir beide in einen Güterwaggon, der mit offener Tür vorbeifuhr. So gelangten wir langsam aber sicher nach Bruck, wo der Zug anhielt. Ob die Brücke über die Leitha schon repariert war weiß ich heute nicht mehr - wahrscheinlich noch nicht. Die Straßenbrücke (Grafbrücke) war gesprengt, so daß wir auf einem Steg über die Leitha gehen mußten. Ansonsten waren in Bruck relativ wenig Kriegsschäden und es war in Bruck relativ ruhig. Im Herbst l945 wagte ich es dann auch, mit einem Pferd nach Bruck zu fahren, wenn wieder einmal kein Zug ging. Großvater hatte mir gesagt, daß das Pferd (es gehörte eigentlich Müllnermutter - aber sie hatte es mir mit einem Streifwagen geborgt) schon alt urd dämpfig (asthmatisch) sei: ich dürfe es daher nicht zu sehr treiben. Nun sind es aber über 20 km von Bruck nach Gramatneusiedl, daher trieb ich das arme Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Zum Glück hat es keinen Schaden genommen. Aber diese Art der "Reise" nach "Bruck und wieder zruck" währte nur ein paar Tage, dann gab es wieder einen fallweisen Zugsverkehr. Wir waren ja alle schon so bescheiden, und oft saß ich auf dem Dach - Hauptsache war, daß man hin- und wieder zurückkam. Einmal war ich - wie so oft - auf der Heimfahrt eingeklemmt vom Gedränge der armen Wiener Hamsterer, als ich plötzlich heftigstes Bauchweh bekam (meine Durchfälle traten ja noch immer auf). In der Station Götzendorf hielt ich es nimmer aus. Zur Tür konnte ich nicht wegen der vielen Leute mit ihrem Gepäck (Rucksäcke und Taschen), da kletterte ich aus dem Fenster auf der vom Bahnhof abgelegenen Seite und rannte in ein Feld, wo ich mich halbwegs zugedeckt entleeren konnte. Nach dieser Erleichterung war der Zug natürlich bereits abgefahren und ich stand in Götzendorf. Da das aber der einzige Zug an diesem Tag gewesen war blieb mir nichts anderes über, als die sieben Kilometer nach Gramatneusiedl zu marschieren. Neben den Geleisen gibt es einen Steig für die Streckenbegeher (wenn sie nicht zwischen den Schienen gehen) und alle hundert Meter einen Stein, der die km anzeigt und die Zwischenteilung. Also konnte ich leicht feststellen, wieviele Schritte ich für hundert Meter brauchte. Einmal waren es 97, das andere mal 98. Mit dieser interessanten Arbeit verging die Zeit rasch - ich brauchte knapp eine Stunde für die sieben Kilometer.

Gegen Wien waren die Kriegsschäden geringfügig und die Moral der Russen durch die Anwesenheit der Kommandantur auch eine Spur besser als z.B. in Gramatneusiedl, das durch durchziehende (und marodierende) Truppenteile und einzelne Soldaten eher gefährdet war, da für diese Kerle ja keine Sanktionen zu befürchten waren. Es kam mir immer so vor, daß die Offiziere wenig Gewalt über die Mannschaften hatten. Alle Übergriffe wurden begründet mit der Erklärung, die "Faschisten" hätten Vater, Mutter und die ganze Familie ausgerottet, daher sei eben auch gegenüber diesen "Austrizi" alles erlaubt. Der Unterschied zwischen der Nationalität und dem "Faschist" war ihnen nicht geläufig (so wie manche meiner Kameraden in jedem Russen einen Bolschewiken gesehen hatten).

Das Lagerhaus war von den Russen besetzt. Im letzten Hof - Reisenberger - war eine Auto-Reparaturwerkstätte eingerichtet, denn die Holzmagazine mit den großen Schiebetoren, den betonierten Fußböden und den befestigte Flächen vor den Magazinen sagten ihnen zu. In der Schrotmühle war eine Wäscherei untergebracht, d.h. eine größere Anzahl von Frauen wusch in Waschtrögen die Russenwäsche. In der Kanzlei wieder wurde auf den Schreibtischen gebügelt. In den Magazinen und Scheunen herrschte ein wüstes Durcheinander, zerrissene Säcke mit ausgelaufenen Waren: Dünger, Zement, Kalk usf. lagen durcheinander und vermischt. Wir konnten nur einen kurzen Blick hineinwerfen, da wir von den Russen sofort gestellt wurden und ihnen, da wir ja nicht russisch konnten, keine rechte Erklärung für unser Auftauchen und "spionieren" geben konnten. Also gingen wir auf die Gemeinde. Dort herrschte ein lebhaftes Treiben: Kommunisten, Russen und einige verschüchterte Österreicher rannten - anscheinend ziellos - umher oder saßen selbstsicher in den Zimmern. Der Führer der Kommunisten war Heßheimer, der der Sozialisten Wieger und später Koppensteiner und erst viel später erschien der Altbürgermeister (er war in der Schuschniggzeit Bürgermeister gewesen) Halter. Die wichtigste Person schien der Dolmetsch zu sein, ein Ausländer, Russe oder Pole, der seine Stellung geschickt nutzte - zu seinem Vorteil. Ohne den ging gar nichts. Wenn er einmal - vielleicht wegen einer Einquartierung oder Requirierung - eine Zeit abwesend war, stand der ganze Betrieb fast still. Der Unmut der Besatzer, die erleben mußten, daß auf ihr Wort nicht sofort gesprungen wurde (nicht aus bösem Willen, sondern weil man sie eben nicht verstand), und die dahinter sofort Sabotage oder Neonazi (Werwölfe waren ja gefürchtet) vermuteten oder befürchteten, wurde sofort sichtbar. Dieser Dolmetsch konnte über Leben und Tod entscheiden, je nachdem wie er einen Sachverhalt übersetzte oder darstellte. Die Kommandantur war im "Grünen Baum", und im Keller schmachteten die Nazis. Ein Teil der Nazi mußte die Grafbrücke als Holzbrücke wiederaufbauen. Bauer Fritz als alter Nazi war auch darunter. Auf dem Nachhauseweg von dieser Arbeit kam er zu einem Zwischenfall zurecht, der für ihn tödlich endete. Zwischen dem Lagerhaus und dem Kino wollte ein Russe einem Brucker die Uhr oder sonst etwas wegnehmen. Bauer Fritz wollte dem dann helfen, da schoß ihn der Russe nieder. Natürlich: es war ja ein Angriff gegen einen Mann der Besatzungsmacht - und außerdem war ja um ihn nicht schade, da er ein alter Nazi war (so wird der Kommentar der Kommunisten gewesen sein - aber der größte Teil der Bevölkerung ging über solche Vorkommnisse nicht so kommentarlos hinweg, was die Kommunisten spätestens bei der Wahl dann sehen sollten). Das war wohl nicht alltäglich, aber auch kein besonderes Vorkommnis in dieser Zeit. Mir tat er leid - und vor allem seine Familie - obwohl er sich mir gegenüber und auch den übrigen Bruckern gegenüber gegen Ende des Krieges nicht besonders gut aufgeführt hatte. Er war eben ein überzeugter Nazi gewesen - er war ja auch kein besonderes Kirchenlicht gewesen - aber ein solches Ende hätte ich ihm bestimmt nicht gewünscht.

Die Bauernkammer war hinten im Hof des Rathauses (im ersten Stock) untergebracht. Dort residierte Josef Rupp. Vor dem Krieg war er Landeskammerrat gewesen (jede Bezirksbauernkammer entsandte einen Funktionär als Landeskammerrat in die Landwirtschaftskammer), Obmann der Volksbank (er war ja Fleischhauer in Höflein), Funktionär der Raiffeisenkasse Höflein, Gemeinderat in Höflein, Obmann der Wassergenossenschaft, Obmann des Burschenvereins in Höflein und im Bezirk usf.usf. Beim Einmarsch der Deutschen veranlaßte der böse Esel (sein Erbfeind - die Leute erzählten, beide hätten die Vorherrschaft in Höflein angestrebt und Rupp hätte Esel überflügelt, daher war Esel ein Nazi geworden) eine Revision aller dieser Körperschaften und dabei wurden sie fündig: da fehlten Gelder bei der Volksbank, bei der Raiffeisenkasse, bei der Gemeinde und fast überall, wo er zu tun hatte. Er hatte einfach Geld entnommen (ich vermute, daß er sich nicht einmal bereichert hat, das hätte er ja auch gar nicht nötig gehabt, sondern daß er einfach zu dumm war oder zu "groß", daß er da einen Beleg ausgestellt hätte) und da sich niemand getraut hatte, ihn zu kontrollieren, waren es ganz schöne Beträge geworden. Als der Tag der Rache nahte, verduftete "Pepi" nach Preßburg. Die Tschechen stellten ihn aber zurück und die Höfleiner SA (Sewald erzählte mir davon, der war auch dabei) nahm ihn auf der Donaubrücke in Empfang, wobei er einige saftige Höfleiner-Tetschn bekam. Eine Revision (ein Revisor, der bei uns revidierte, erzählte mir dann, daß er 1938 die Gebarung überprüfen mußte und natürlich die Abgänge feststellte - der Mann fürchtete nach dem Krieg dann noch Repressalien) stellte dann die Abgänge fest und er mußte den Schaden durch den Verkauf des Gasthauses, der Fleischhauerei und der Landwirtschaft abdecken. Den Heidehof übernahm sein Bruder Felix mit den darauf haftenden Schulden. Pepi wurde verurteilt und kam anschließend nach Dachau. Esel erzählte mir, daß sich "Pepi" den Heidehof richtig erschlichen hatte. Linging, ein Engländer, war ein Fachmann, der noch unter Lueger die Errichtung der Gasversorgung in Wien organisierte und dadurch zu viel Geld kam, so daß er den Heidehof kaufen konnte. Seine wesentlich jüngere Frau überlebte den Mann und nahm sich eine "Gesellschaftsdame", die Jüdin Rebhahn. Und Rupp wurde ihr Buchhalter und Geschäftsführer (wohl von der Volksbank aus). Nun lamentierte die Rebhahn, daß sie keinen Mann fände. Da die Linging anscheinend keine Verwandtschaft hatte, Kinder waren jedenfalls keine da, versprach sie der Rebhahn, wenn sie heiraten würde, sie und ihren Mann zu Erben des Besitzes einzusetzen. Rupp sah und hörte das ja auch und machte das Angebot, die Rebhahn zu heiraten. Er hatte aber seinen besonderen Plan. Nach der Hochzeit - also in der Hochzeitsnacht - mußte ein Notar anwesend sein, um bezeugen zu können, daß die Hochzeit nicht vollzogen worden war. Mit diesem Schmäh konnte man sogar in dem frömmelnden Ständestaat eine Annulierung der Ehe erreichen. Und so geschah es und Rupp und Rebhahn teilten sich das Erbe. Die Rebhahn wohnte dann in der Hainburgerstraße und heiratete später noch einen H.Walz, der heute das Haus besitzt.

Rupp war also nach dem Krieg der Mann, da er ja aus dem KZ gekommen war. Daher war es ihm ganz leicht, gegenüber den Russen als von den bösen Nazis Verfolgter alles zu erreichen. Dabei aber war er so schlau, die Russen nicht zu überfordern sondern ihren Haß auf "böse Nazis" zu lenken, an denen er sein Mütchen kühlen wollte. Und jeder, der ihm nicht zu Gesicht stand, wurde der Willkür der Russen ausgeliefert. Oft waren es gar nicht richtige Nazis sondern nur keine guten Freunde vom Pepi. Die Russen benützten die Bauernkammer, also Rupp, um sich zu verproviantieren. Auch noch zu der Zeit, als es bereits offiziell bekanntgegeben worden war, daß Requirierungen nicht mehr erlaubt waren, schickte Rupp die Russen in Häuser, die er ihnen nannte, damit sie dort Vieh oder Futtermittel oder sonst etwas holten. Ich trieb mich zu dieser Zeit viel auf der Kammer herum. Erstens konnte ich gar nicht ins Lagerhaus, da es ja noch immer besetzt war und zweitens hatte Rupp mir versprochen, behilflich zu sein, von der Gemeinde Unterlagen über die Waren zu bekommen, die von Jerabek aus dem Lagerhaus fortgeführt worden waren. Nach Kriegsende hatten die Russen eine großzügige "Maispende" gegeben. Das waren Waren, die die Russen in Lagern und Fabriken gefunden, beschlagnahmt und nun "geschenkt" hatten. Da vertröstete er mich von einem Tag auf den anderen: "Morgen gehen wir auf die Gemeinde". Da kamen nun die Bürgermeister und Ortsbauernräte (aus der früheren Zeit - und daher ihm noch bekannt) aus dem ganzen Gebiet bis in den Seewinkel, der ja zu dieser Zeit noch zu Bruck gehörte. Das war nun für mich wieder interessant, da ich ja nun die maßgebenden Leute kennenlernte - bisher hatte ich es ja nur mit Parteigenossen zu tun gehabt. Ich hielt nun Rupp vor, daß er ungesetzlich handelte, da alle diese Requirierungen nur mit einem Befehl der Hauptkommandantur mit Sitz in Baden gesetzlich seien. Davon aber wollte er nichts hören. Er wollte es sich nur nicht mit seinen Freunden - den örtlichen Russen - verderben - und außerdem Rache nehmen an seinen früheren Feinden und solchen, die ihm vielleicht gefährlich werden konnten. Die konnte er mit solchen Aktionen einschüchtern. Denn noch immer war es möglich, daß die Russen jemand unter dem Vorwand der Spionage verhafteten und verschwinden ließen. Die Frau Redmann (Fleischhauer in der Hainburgerstrasse) hatte mit den Russen fleißig Schleichhandel getrieben - und eines Tages war sie fort. Sie hatte eine Verhandlung in Rußland, kam nach Sibirien und starb dort. Der Fall ist mir in Erinnerung, da die Frau eine Tochter der Frau Moos und eine Schwester von Baleks Frau (Heinzis Mutter) war, also eine Gramatneusiedlerin. Rupp übersah dabei, daß er sich durch seine hemmungslose Rachsucht wieder sehr viele Leute zu Feinden machte - er hatte nichts daraus gelernt, daß er schon einmal aus Herrschsucht und Geltungsstreben (seine vielen Funktionen sind der beste Beweis dafür) sich sehr viele Feinde geschaffen hatte. Vielleicht hätte der Bezirkshauptmann da eingreifen können - soweit es ihm die Russen erlaubt hätten - aber der wollte es sich ebenfalls nicht mit Rupp verderben. Die Russen hatten beim Einmarsch vorerst einmal alles als Kriegsbeute betrachtet und die Waren im Lagerhaus im Rahmen der "Maispende" großzügig (weil sie damit größtenteils ja nichts anfangen konnten: Baumaterial, Kupfervitriol, Bindegarn usf.) der Gemeinde Bruck übergeben. Diese hatte die Waren zu Jerabek bringen lassen, der sie verkaufte und seinerseits wieder das Geld oder halt einen Teil davon (denn eine richtige Abrechnung darüber existierte nicht - oder wurde niemals vorgezeigt) der Gemeinde Bruck übergeben. Diese Tatsachen mußte ich in mühevoller Kleinarbeit durch Befragen der daran Beteiligten herausfinden. Die hatten ihrerseits fast alle ein schlechtes Gewissen, da sicher nicht alles, was im Lagerhaus aufgeladen worden war, auch wieder bei Jerabek abgeladen wurde. Niemand war bereit, von sich aus eine Auskunft zu geben. Alle versteckten sich hinter den Russen und der ominösen "Maispende". Diese Maispende kann möglicherweise für öffentliches Gut (und auch da habe ich meine Zweifel, ob nicht der Finanzminister hätte nachfordern können) gegolten haben, für privates Eigentum aber wurde es niemals sanktioniert. Mit diesen Tatsachen wanderte ich also zu Rupp (als dem Vertreter der Bauernschaft, ihrer Genossenschaften - und auch als dem "mächtigen Mann"). Der köderte mich mit der Aufklärung des Betrages (denn das hatte ich noch nicht herausbekommen können), den Jerabek der Gemeinde übergeben hatte, und den ich auf jeden Fall zurück haben wollte. Die Gemeinde (und hier vor allem die Kommunisten) verschanzten sich hinter den Russen und das war wie ein "Veto". So ging ich immer wieder auf die Bauernkammer, da ich ja vorerst in das Lagerhaus gar nicht hineinkonnte. Und da vertröstete mich Rupp immer wieder von einem Tag auf den anderen auf das Ende seiner Dienststunden - da wollte er mit mir zusammen bei der Gemeinde der Angelegenheit nachgehen. Aber jedesmal mußte er dann zur Kommandantur oder auf die B.H. - und wieder war ein Tag verloren. D.h. ganz verloren war er nicht, denn ich lernte dort alle wichtigen Männer (Bürgermeister, Ortsbauernräte usf.) kennen. Das Burgenland war noch nicht wiedererstanden, so daß Leute aus dem Seewinkel und aus dem burgenländischen Teil unseres Genossenschaftsgebietes kamen. Obmann Bauer wurde durch den kommissarischen Obmann Grießmüller aus Höflein ersetzt, der sich mit dem Fuhrwerk nach Bruck wagte. Mit dem ging ich einmal auf die Kommandantur, um die Freigabe und Räumung der Gebäude zu erreichen. Dort saß ein schwergewichtiger Kommandant, der Grießmüller wegen seiner Leibesfülle als "du nix raboti" apostrophierte, worauf ihm Grießmüller seine schwieligen Hände vors Gesicht hielt. Aber wir erreichten nichts, denn der Kommandant meinte, für die Anlieferung der Ernte würde der als Keller dienende Anbau bei unseren Getreideboxen genügen. Auf meinen Vorhalt (in der Wut), daß wir ja möglicherweise Platz für Maschinen und Geräte benötigen würden, fragte er, woher wir die nehmen wollten. Da ging ich über und sagte "vielleicht bekommen wir das aus Rußland". Darauf war er sprachlos - und unsere Vorsprache war zwecklos gewesen. Obmann Grießmüller ging aber in der nächsten Zeit nimmer mit auf die Kommandantur. Bald darauf erreichten wir trotzdem die Freigabe des Genossenschaftsareals - aber nicht durch die Intervention der örtlichen Größen, sondern durch ein Übereinkommen des Ministers Buchinger (er war Staatssekretär in der Regierung Renner) mit der russischen Armee, wonach alle Lagerhausgebäude im Interesse der Ernährung freizugeben waren. Jetzt waren wir drinnen - aber wie sah es da aus! Alles war durcheinander geworfen worden und mit Schmutz und Warenresten aus zerrissenen Säcken durchsetzt. Die Unterlagen der Genossenschaft, die wir nach Gramatneusiedl gebracht hatten, waren dort von den Anhängern geworfen worden, worauf unsere Rinder (die ich hüten half) darauf herumgestiegen waren und die Schriftstücke zum Teil zerstört, zumindest aber beschädigt hatten. Diese Unterlagen hatten wir nach Bruck bringen lassen und da konnte unsere "Buchhaltung" (Braun) versuchen, einen "Status" aufzustellen. Die Schrotmühle setzten wir wieder in Betrieb (Beslanowitsch), erreichten, daß Ertlbauer wieder zur Arbeit kam (er war zuerst gar nicht begeistert, da er in Hollern wohnte, also einen weiten Weg hatte - und dann die Sorge, was geschieht, wenn Russen kommen und seine Frau ja allein zu Hause ist mit zwei Kindern). Und dann sahen wir uns um Arbeit um. Zur Ernte wurde überhaupt nichts angeliefert, nur von Harrach wurden 300 t Weizen angedient, die vom Verband sofort als Saatgut (es war ja von Originalsaatgut "Austro Bankut", also wenigstens erster Nachbau) an die verschiedensten Lagerhäuser aufgeteilt wurden, wobei sie bei uns überhaupt nicht in Erscheinung traten, außer daß wir einen Lieferschein und eine Rechnung schrieben.

Der Zug ging jetzt schon fast regelmäßig, d.h ich fragte in der Früh am Bahnhof nach, ob und wann er kommen würde. Es war möglich, daß er schon von Himberg abgefahren war - aber meistens hieß es, die Russen haben die Maschine beschlagnahmt, es muß erst eine Lokomotive aufgetrieben werden. Dann mußte ich eben später wieder nachfragen - das war einfacher, als auf dem Bahnhof zu warten. Kam der Zug dann endlich, ging es auch nicht gleich direkt nach Bruck. Es konnte vorkommen, daß wir zuerst einmal nach Mannersdorf mußten (wir erfuhren dabei niemals, warum das geschah) und ich vermute, daß es auch oft sehr selbstsüchtige Motive einzelner Eisenbahner waren, die da den Fahrplan beeinflußten. Auf diese Art wußte man nie, wann man in Bruck ankommen würde, so daß die Arbeitszeit sehr unregelmäßig war. Mit diesem Zug fuhren auch Braun aus Trautmannsdorf und Arbeiter aus den westlich von Bruck gelegenen Ortschaften (auch aus Gallbrunn hatten wir einen Arbeiter, der übers Feld nach Trautmanns-dorf ging). Abends fuhr dieser Zug dann zurück, da waren festere Zeiten, denn dann wollten auch die Eisenbahner nach Hause kommen. Auf diesen Fahrten kamen wir immer an den durch den Bombenangriff auf den Bahnhof Bruck herumliegenden Waggons und den ausgeronnenen Gütern vorbei. Darunter waren einige Waggons Sojabohnen (es stellte sich dann heraus, daß es Sojabohnen der Gutsverwaltung Boden aus Gattendorf waren, die wir in Zurndorf getrocknet und verladen hatten). Da wir mit dem Bahnhof Bruck eine gute Verbindung hatten (ein Betriebsrat organisierte Lebensmittel gegen Glühbirnen und sonstige Kostbarkeiten, die bei uns und den Mitgliedern lebhaftes Interesse fanden - und für die auch alle bereit waren, einen ordentlichen Preis zu bezahlen), erwirkte ich eine Bewilligung des Bahnhofvorstandes, wonach wir Güter aus diesem Chaos nach der Bombardierung für die "Versorgung" sicherstellen durften. Wir interessierten uns nicht für Kugellager oder sonstige wertvolle Sachen, die da auch herumlagen, sondern für die Futtermittel, die da im Freien schon teilweise verschimmelt waren. Nachdem unser angestammter Fuhrmann Windholz Karl, der "Schnattern", aus der Gefangenschaft noch nicht zurückgekommen war, engagierten wir einen anderen Windholz Karl, (der "Niederringer"), ein Wurmser, mit einem Truhenwagen für den Transport. Der Niederringer war nach dem ersten Weltkrieg ein Schutzbündler (ein Roter) geworden, war dort ein Führer und hatte bei einer Versammlung, in einer Rede halt, einmal gedonnert: "Wir werden die Gegner niederringen". Das war ihm dann als Spitzname (oder Hausname) geblieben. Er hatte nur leider kein gutes Gespür für die Entwicklung, denn mit seiner politischen Ansicht war er bald ziemlich isoliert. Als dann die Nazis kamen, wurde er sofort ein glühender Nazi. Und jetzt saß er wieder zwischen den Sesseln. Im übrigen war er aber ein netter Kerl - und vor allem bereit, für uns zu fahren. Der bekam also seinen Fuhrlohn in natura. Unser Anteil wurde geschrotet und die Mitglieder bekamen Futter. Wir bekamen wieder Geld zur Auszahlung von Löhnen - mit einem Wort: die Wirtschaft begann wieder zu laufen. Wir kauften eine Triste Kleestroh (nach dem Drusch von Kleesamen - also nur Stengel, da ja die Blätter mit dem Wind davonfliegen) von Harrach und verschroteten das zu "Kleeheumehl". Eine Qualitätskontrolle gab es zu dieser Zeit ja nicht und es hätte uns auch niemand angezeigt, da ja auch diese Ware eine Kostbarkeit war. Die Abnehmer kamen auch aus der weiteren Umgebung - aus Wien und von der anderen Seite vom Neusiedler See. Vor allem die Leute aus Wien waren ganz arm, die hatten ja gar nichts.

Im Herbst wurde mir vom Verband ein Waggon Papiergarn angeboten (der kam, glaube ich, aus Kärnten), d.i. Bindegarn aus Papier für Bindemäher. Ich griff sofort zu, da man zu dieser Zeit alles kaufte, auch wenn man nicht gleich wußte, wozu man es verwenden konnte. l0.000 kg Papiergarn sind eine ganze Menge, vor allem war es der erste Waggon, den wir nach Kriegsende erhielten! Da waren wir ganz stolz und führten diese kostbare Ware auf unseren Anhängern in unsere Scheunen. Die Anhänger waren ja beim Ende des Krieges in Gramatneusiedl stehen geblieben. Als ich sie wiedersah - beim Hüten und Bewachen der Rinder für die Russen - waren die Räder abmontiert. Nachdem es zu dieser Zeit eine Bereifung nicht gab, auch nicht für viel Geld, montierten wir von einem Panzer, der auf dem Bahnsteig im Bahnhof Bruck stand, die Laufräder ab. Nachdem so ein Panzer einige Räder auf jeder Kette laufen hat, macht es ihm - nach unserer Meinung - nichts aus, wenn ihm dann auf jeder Seite zwei Räder fehlen. Wenn man dann die Löcher so bohrt, daß sie mit den Löchern auf der Bremstrommel des Anhängers übereinstimmen, die Bolzen und Muttern auch auf die gleiche Weise "organisiert", bekommt man ein fahrbereites Fahrzeug. Das war beileibe nicht unsere Erfindung, aber wir waren auch darin gelehrige Schüler. Bei einem zweiten Panzer wurden ebenfalls vier Räder organisiert und unsere betriebsnotwendigen (lebensnotwendigen) Fahrzeuge waren wieder einsatzbereit. Wir hatten also jetzt Bindegarn - aber die Bauern hatten ja keine Bindemäher mehr. Zum Teil waren diese Maschinen von der deutschen Wehrmacht oder dem Volkssturm als Panzersperren (ebenso Dreschmaschinen) eingesetzt worden oder "im Verlaufe der Kriegs-handlungen" beschädigt oder zerstört worden. (Möglicherweise wurden sie auch von "lieben" Nachbarn oder sonstigen "Organisierern" "aus-gebeinelt", da ja die Planen, Riemen usf. für viele Zwecke dienlich waren). Aber Garbenbänder waren gefragt. Also schlug Ertlbauer zwei Haken im Abstand eines Bindegarns in eine Holzsäule im Bauer-Stadel, und dann wickelten sie das Garn um diese Haken. Je hundert Stück wurden gebündelt und zerschnitten, dann in die Enden ein Knoten gemacht. Irgendjemand hatte eine rote Farbe organisiert, die in einem BIechfaß angerührt worden war. Da hinein wurden die Enden getaucht - und fertig waren die ersten Erzeugnisse unserer "Manufaktur". Über den Verband gelangten wir später sogar zu durchbohrten Holzblättchen, die wir auch rot färbten. Durch die Löcher zogen wir unsere "Garbenbänder": das war schon die Luxusausgabe. Dieses Spitzen-produkt lieferten wir noch nach Jahren! Aber Ertlbauer hatte dann eine noch viel bessere Idee. In der Kanzlei war eine Bettstatt von den Russen her geblieben (wer weiß, wer darum geweint hat - aber zu dieser Zeit machte man sich über solche "Kleinigkeiten" kein Kopfzerbrechen!). Er nahm die beiden Kopfenden, durchbohrte sie und steckte eine "Welle", ein Stück Rundstahl, durch. An einem Ende befestigte er eine Kurbel - vielleicht von einer Windmühle (Putzmaschine) - und auf die Welle kamen Holzzylinder, aus Brettern angefertigt. Der Umfang entsprach einer Garbenbandlänge. Dann kam noch eine Vorgelegewelle, auf die die Bindegarnknäuel aufgefädelt wurden. Nachdem die Häupter in einem Abstand von ca. l m montiert waren, kamen leicht drei Knäuel auf die Welle, so daß mit jeder Umdrehung drei Garbenbänder auf der großen Scheibe aufgewickelt wurden. Nach hundert Umdrehungen wurde durchgeschnitten und gebündelt und zur Weiterverarbeitung - Auffädeln der Holzklötzchen und Verknoten - weitergereicht. Dazu hatten wir auch einige Frauen, z.T. Ehefrauen der Arbeiter, aber auch sonstige Arbeiterinnen, die nun in der Scheune auf improvisierten Sitzen im Akkord Plättchen auffädelten und die Knoten machten.

Die Fahrten zum Güterbahnhof waren inzwischen auch eingestellt worden - es gab nicht mehr viel aufzuladen, zum Teil war auch schon alles verschimmelt - und dann wurde auch repariert und die Waggons weggeschafft.

Im November gab es dann eine Wahl ("Kathrein stellt den Tanz ein"), und auch wir mußten eine Vollversammlung halten, um unsere Funktionäre (bisher waren sie ja nur provisorisch bestellt, d.h. von Rupp ernannt worden) richtig wählen zu lassen. Wir hatten die Auflage vom Verband erhalten, den Wahlvorschlag von der Bezirksbauern-kammer begutachten zu lassen, also war es gleich das beste, sich mit Rupp zusammenzusetzen. Da er aber nicht wußte, wer überhaupt Mitglied war und sich für die Genossenschaft interessierte, konnte ich meine Vorstellungen ziemlich durchbringen. Im übrigen war es mir aber ja auch gleich, wer Funktionär wurde, denn ich war überzeugt, daß ich mit jedem zusammenarbeiten kann, wenn er ehrlich für die Genossenschaft arbeiten will. Grießmüller war von Rupp als kommissarischer Obmann vorgeschlagen worden, mußte aber immer mehr erfahren, daß Rupp ein Doppelspiel trieb: er wollte eigentlich die Genossenschaft liquidieren, da sie so gar nicht in seine konservative Welt paßte. Als er noch - vor den Nazis - an der Macht war, hatte es sie ja noch nicht gegeben. Sie war also ein Werk der Nazis. Worin er ja auch recht hatte, denn es war Esel gewesen, der sie fast gewaltsam zustandebrachte, wobei er sowohl die Notwendigkeit einsah, aber auch seinem Freund, Fritz Bauer, helfen wollte (ursprünglich sollte ja Fritz Bauer Geschäftsführer werden, nur spielte der Verband nicht mit. Im Verband wurde Esel erklärt, ein Geschäftsführer könne nicht aus seinem Heimatgebiet kommen! Woanders hätten sie Bauer möglicher-weise eingesetzt - nur hatte der daran kein Interesse). Fritz Bauer konnte aber seine Realität an die Genossenschaft vermieten. Nun kam noch dazu, daß Rupp ein Freund von Jerabek war. Wenn auch Jerabek l938 auf ein großes Transparent - quer aber die Bundesstraße - geschrieben hatte: "Mit unserem Führer in eine glückliche Zukunft" und Rupp erklärt hatte, das würde ihn noch teuer zu stehen kommen, hatten sich die beiden, Willi und Pepi, bald arrangiert und waren so wie früher wieder dicke Freunde. Jerabek hatte keine Nachteile aus dem Umstand, daß er PG gewesen war, und konnte Rupp leicht überzeugen, daß die Genossenschaft ja nur ein Werk des bösen Esel gewesen war, also am besten zu liquidieren sei. Das spürte jetzt auch Grießmüller, und er fühlte sich verschaukelt. Als Nichtnazi war Grießmüller ja zuerst für Rupp gewesen. Aber daß der ihm nun zumutete, die Genossenschaft nunmehr aufzulösen, nachdem er sich in gutem Glauben an die Ehrlichkeit und den Willen des Rupp, den Betrieb zu erhalten, eingesetzt hatte - das ging ihm ganz und gar gegen den Strich. Denn Grießmüller war ein durch und durch ehrlicher Mann, der solche Winkelzüge wohl durchschaute - aber von sich aus nie und nimmer mitgemacht hätte. Dadurch kam es auch zu einer ziemlichen Abkühlung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Männern aus Höflein. Unter diesen Umständen hatten wir also unsere Vollversammlung abzuhalten, denn den Politikern lag daran, daß überall geordnete Verhältnisse, also gewählte Funktionäre, herrschten. Das war ja auch in meinem Sinn, also luden wir zur Vollversammlung ein. Irgendjemand schlug den Saal in der Burg als Versammlungsort vor und ich ging auf die Gemeinde, um beim Herrn Sekretär Mayer (der war auch bei der Partei gewesen, hatte sich aber bei den neuen "Herren" unentbehrlich gemacht und mit seiner Unterwürfigkeit seine Stellung wieder erreichen können) anzufragen, ob der Saal für unsere Vollversammlung zur Verfügung gestellt würde. Wir mußten ja wenigstens l4 Tage vorher die Einladungen aussenden, also mußte das auch rechtzeitig geklärt werden. Nachdem der Saal zur Verfügung stand, schickte ich die Einladungen mit der Tagesordnung aus. Wichtigster Punkt war die Wahl der neuen Funktionäre, die nach den neuen Bestimmungen keine PG gewesen sein durften. Als Zeit wurde ein Samstag Vormittag festgelegt. Da am Samstag kein Zug fuhr, war ich also mit dem Fahrrad nach

Bruck gefahren - ich wollte ja nach der Versammlung wieder nach Hause kommen. Als ich in die Burg kam, war dort eine größere Versammlung von Leuten, die ich nur zum Teil kannte - und Mayer führte den Vorsitz. Einige Leute von uns saßen auch unter den Zuhörern - aber wir merkten bald, daß das ja eine Versammlung des Arbeitsbauernbundes war. Da hatte doch dieser Falott Mayer unsere Einladung benützt, um seine Versammlung etwas aufzufetten. Wir blieben nicht lange, dann standen die paar Mann, die zur Genossenschaftsversammlung wollten, auf, und gingen zum "Grünen", wo wir dann unsere Versammlung abhielten. Es waren nur einige Leute, ich glaube, nicht einmal zehn, die da den neuen Vorstand und Aufsichtsrat wählten. Weil das Burgenland noch nicht abgetrennt war, waren auch ein paar Burgenländer dabei. Wir wählten die Funktionäre, (einer davon war Skodler aus Parndorf), die mit Rupp ausgehandelt worden waren, ich hielt einen Bericht über den Stand der Genossenschaft (die Kriegsschäden waren enorm, da ja nicht nur die Waren geplündert worden waren, Zurndorf abgebrannt war - die Feuerversicherung zahlte dann für "Kriegsschäden" nicht-, die Fahrzeuge und Einrichtungen verschleppt - der Traktor wurde nie mehr gefunden - ) also für die Anwesenden nichts Neues, denn sie selbst hatten ja das gleiche bei sich und ihren Verwandten und Bekannten erlebt. Aber das wichtigste war ja die Wahl gewesen. Die war erledigt, so daß wir bald schließen konnten. Selbstverständlich war Grießmüller zum Obmann gewählt worden - es waren ja alle froh, daß es einer überhaupt annahm.

Bei meiner Fahrt mit dem Rad auf der B l0 gab es dann noch eine Überraschung: bei den Margaretner Kellern, rechts von der Straße an einem Hang, mit Bäumen bestanden, lungerte ein Russe am Straßenrand herum. Es kam mir verdächtig vor, daher überlegte ich, auf der rechten Seite weiterzufahren und dann knapp vor ihm auf die linke Straßenseite auszuschwenken, um aus seinem Bereich zu kommen. Leider gelang mir das nicht ganz, denn er sprang zu mir und erwischte gerade noch den Lenker am äußeren Ende, so daß ich stürzte. Ich war gleich auf und so in Wut, daß ich ihn am liebsten in die Gurgel gebissen hätte. Im selben Moment sah ich, wie er aus dem Gürtel ein abgesägtes Gewehr zog - und da war es klar: ich mußte ihn beim Hals haben, bevor er die Waffe ganz heraus hatte (sie war von seiner Bluse verdeckt gewesen). In diesem Augenblick sprangen noch zwei solche Banditen aus dem Gebüsch am Graben, und zwar einer vor mir und einer hinter mir. Ich war über dem Rad gestanden und riß es jetzt hoch - ich wollte flüchten. Da bog um die Kurve von Gallbrunn her kommend ein Militärjeep mit russischen Offizieren. Ich stellte das Rad quer über die Straße und zwang den Jeepfahrer zum Stehenbleiben. Den Offizieren versuchte ich nun klarzumachen, daß das Banditen seien (richtige Soldaten waren es sowieso nicht, obwohl sie Uniform trugen, aber die Bewaffnung stimmte auf keinen Fall). Die Offiziere kamen anscheinend von der Jagd, denn sie hatten Schrotflinten bei sich. Die begannen nun ein Gespräch mit meinen "Banditen" und ich wurde immer unruhiger, je ruhiger sich dieses Gespräch (natürlich russisch) entwickelte. Bei unserem Militär wäre so etwas natürlich unmöglich gewesen - da konnte einer ohne Urlaubschein oder Fahrtausweis nicht einmal auf der Straße sein, geschweige denn sich so aufführen. Aber bei den Russen? Ich hegte also berechtigte Zweifel, daß die Sache zu meinen Gunsten enden würde, stellte das Rad mit meiner Aktentasche immer wieder ein kleines Stückchen (so wie die Fußballer beim Freistoß den Ball) weiter weg und fuhr (zum Glück geht es dort ja bergab) so schnell ich konnte nach Schwadorf. Dort gab es eine Polizeistation. Ich berichtete von dem Überfall durch drei Banditen. Der Beamte fragte: "Haben sie das Rad also verloren?" Als ich verneinte, meinte er: "Dann sans froh, denn dort passiert das sehr oft, daß jemand das Rad weggenommen wird". Na, da war ich ehrlich "froh" und fuhr "beruhigt" nach Gramatneusiedl. Und dabei hatte ich diese Route ausgewählt, weil ich glaubte, auf einer Bundesstraße ist man sicherer als auf den Bezirksstraßen! Auf dem Nachhauseweg mußte ich mich noch ordentlich plagen, denn die Kurbel war beim Sturz verbogen worden und streifte nun bei jeder Umdrehung am Rahmen, so daß ich mit mehr Kraft treten mußte - aber nach rund einem Kilometer, also nach der Margaretener Kreuzung, konnte ich mir ja Zeit lassen. Der Russenjeep überholte mich dort auch, ohne mir besondere Beachtung zu schenken - was interessierte diese Herren schon so ein Austrizi? Das erinnerte mich sehr stark an unsere Vorgesetzten, wie die sich aufgeführt hatten. Da könnte man sagen: "Wie sich die Bilder doch gleichen". Und dabei waren die einen "böse Kapitalisten" und die anderen "gute Kommunisten". Oder waren sie doch beide gleich?

Im November fanden dann Wahlen in den Nationalrat statt (die Nazis hatten kein Wahlrecht - eine Konzession an die Russen und die Alliierten - und brachten die unerwartete, aber verdiente Entmachtung der Kommunisten und Russenfreunde. Rupp wurde Nationalrat und stärker denn je.

Vor Weihnachten kam mein Bruder Leopold aus der russischen Gefangenschaft nach Hause, Franz war aus der englischen und Richard aus der amerikanischen Gefangenschaft schon früher gekommen. Leopold war ziemlich bedient (deshalb war er ja auch schon früher - für russische Verhältnisse - entlassen worden), versuchte aber, mit Großsprecherei - seiner Schwäche - darüber hinwegzutäuschen. Er hatte einem russischen Wachsoldaten gegenüber - wahrscheinlich, um seinen Kameraden den starken Mann vorzuspielen - nicht sofort aufs Wort gehorcht, worauf der ihn mit dem Gewehrkolben auf den Kopf schlug, so daß er wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung davontrug. In der Folge kamen dann noch Schwierigkeiten mit der Verdauung dazu, so daß er mit einem Transport von Kranken früher nach Hause kam. Im Jänner fing dann Pfabigan Willi im Lagerhaus an. Er war vor seinem Einrücken ein Bank-Lehrling gewesen, war dann zum Arbeitsdienst gekommen und dort bei der Heimat-Flak eingesetzt gewesen.

Im Winter verkehrte kein Personenzug. Ich fuhr zeitweise mit Prantner, einem Fuhrwerker aus Gramatneusiedl, mit seinem PKW (Fahrgeld war Benzin, das wir als Lagerhaus leichter bekamen), teilweise mit Großvater, der vor sein Steyrwagerl ein Pferd spannte und dann, als viel Schnee lag, mit dem Pferdeschlitten. Diese Fahrten waren oft sehr abenteuerlich. In diesem Winter gab es viel Schnee und vor allem Schneeverwehungen, da es ja keine Schneeräumung gab. Nach der Bahnübersetzung in Gramatneusiedl war eine Wächte von über zwei Meter Höhe, über die man einmal drüber mußte. Und ganz schlimm war es vor den Ortschaften, da die Bäume und Häuser ganz arge Schneeverwehungen veranlaßten. Einmal fuhren wir über Trautmannsdorf. Dort mußten die Leute die Straße freischaufeln. Nachdem aber der Schnee ca. l,5 m hoch lag, war eine hohe Stufe entstanden. Als wir über diese Stufe auf die Straße hinunterfuhren, kippte der Schlitten, und wir beide samt dem Schlitteninhalt (Sitzbrett, Futtersack und Heu usf.) lagen einer über dem anderen im Schnee. Großvater war weit weniger begeistert von diesen Fahrten - aber für mich gab es ja keine andere Möglichkeit. Pfabigan übernachtete im Lagerhaus (im Gefolgschaftsraum) mit einigen Arbeitern, und die anderen schlugen sich halt irgendwie durch. Richtige Verkehrsverbindungen gab es nicht - man mußte halt darauf warten, ob irgend ein Fuhrwerk nach Bruck fuhr.

Dann kam die UNRRA-Hilfe. Die Amerikaner misteten aus und schickten alte Ladenhüter an Maschinen nach Europa. Der Verband bekam die in Schiffskisten zu l.000 kg verpackten Bestandteile, und wieder war es Bruck, das sich angeboten hatte, die Maschinen zusammenzusetzen. Es waren Sämaschinen, Grubber, Eggen, später auch Grasmäher und sogar Dreschmaschinen. Kein anderes Lagerhaus hatte sich da drübergetraut und für uns war es eine Verdienstmöglichkeit. Eine Häckselmaschine aus diesen Sendungen kauften wir selbst an, häckselten Stroh und lieferten dieses "wertvolle" Pferdefutter nach Wien. Daneben blühte der Schleichhandel. Die Bauern hatten ja ihre Weinfässer mit dem Wein durch die Russen verloren, da diese den Wein natürlich gleich im Gebinde mitgenommen hatten - auf Nimmerwiedersehen, versteht sich. In Atzgersdorf gab es einen USIA-Betrieb, der Holzfässer erzeugte - aber nur gegen Mehl und Kartoffel abgab. Einmal wurde eine Sendung Lebensmittel in Ebergassing von der örtlichen Polizei beschlagnahmt. Trotz Intervention der Bauernkammer und der B.H. bekamen wir nichts zurück - die Waren waren nicht mehr vorhanden, wahrscheinlich schon unter den Polizisten verteilt - aber das war eben Berufsrisiko! Schon aus diesem Grund mußten wir mit einem kleinen Aufschlag kalkulieren und auf diese Weise bekamen unsere Arbeiter auch etwas Mehl zu ihrem Lohn. So hielten wir uns also knapp über Wasser - und dabei plante ich für die Zukunft ein ordentliches Lagerhaus. Das Fernziel war ein eigenes Grundstück, auf dem diese Idee verwirklicht werden konnte. Das Allerdringlichste war zu allererst einmal ein eigenes Fahrzeug. Windholz Karl, der Schnattern, war auch aus der Gefangenschaft zurückgekommen und war ein äußerst angenehmer Partner als Fuhrwerker (Ertlbauer lästerte allerdings, daß er am Bahnhof den Wagen abstellte, nach Hause fuhr um dort seine Knödel zu machen, und dann bei der zweiten Fuhre die Knödel zum Kochen einlegte - er war ja Junggeselle, der sich alles selbst machen mußte), aber die Wienfahrten mit fremdem Fuhrwerk - das war teuer, klappte nicht immer - und dann gab es ja auch Dinge, die ein Fremder nicht unbedingt sehen sollte. Die Austro-Fiat-Werke waren ein USIA-Betrieb und erzeugten Lastwagen. Also versuchte ich es dort. Sie verangten die elektrische Ausrüstung (Lichtmaschine und Starter), die Einspritzpumpe und Düsen, die Bereifung und für den Fahrzeugpreis Waren in ihrer Wahl - hauptsächlich Profileisen, Bleche usf. Also begab ich mich auf die Suche nach diesen Dingen - natürlich auf dem Schwarzmarkt und gegen Lebensmittel. Von der USIA-Firma "Eisen und Stahl"(Estag) konnten wir einen Lanz-Bulldog kaufen, dem allerdings der Zylinderkopf fehlte. Mit Ertlbauer machte ich mich auf die Suche, da er von einem Alteisenplatz in Großmittel bei Wiener Neustadt etwas wußte, der einem Menschen aus Rohrau gehörte. Und richtig fanden wir dort auf diesem riesigen Alteisenplatz einen Lanz-Zylinderkopf, der genau für unseren Traktor paßte - das war jedenfalls Glück. So hatten wir also eine Zugmaschine und Ertlbauer wurde der stolze Kapitän. Um die Maschine in Gang zu bringen, mußte man auf einem Blech unter dem Zylinderkopf vorne ein Feuer machen, damit eine Glühkerze erwärmt wurde. Wenn dieser Teil dann glühte, wurde mit dem Lenkrad (!), das abziehbar war und seitlich angesetzt wurde, der Kolben bewegt, bis der Motor ansprang. Da ein Lanz ja ein Ein-Zylinder ist, pumperte er ganz schön. Dabei war er auch laut und dazu wurde der Fahrer auf seinem Sitz auch ordentlich gebeutelt. Da der Startvorgang so umständlich war, wurde der Traktor daher auch meistens nicht abgestellt und pumperte sowohl bei der Fahrt als auch beim Be- und Entladen und sogar in der Mittagspause weiter, so daß sich die Direktion der Mädchenschule bitter über diese Lärmbelästigung beklagte. Zur Strafe mußte der Bulldog dann "Winkerlstehen" (in dem Winkel zwischen dem Finanzamt und der zurückgebauten Scheune). Den Tatra hatten Bauern in Göttlesbrunn mit ausgerissenen Türen und auch sonst recht ramponiert (ohne Lichtmaschine, ohne Sitze usf.) auf dem Feld gefunden. Glock Nr. l2 brachte ihn mit seinem Fuhrwerk zum Mechaniker von Bruder Leopold in den l7. Bezirk und Mutti und ich fuhren bestimmt ein halbes Jahr jede Woche - beladen mit Lebensmitteln (gestiftet von Großmutter) dorthin, bis er endlich wieder fahrbereit war. Übrigens war das Kurbelwellenlager gar nicht ausgelaufen: etwas nachstellen und ein dickeres Öl genügten auch. Wegen unseres LKW ging ich dann auch noch einmal mit dem Dolmetsch der Gemeinde auf die Kommandantur, da die Russen Einfluß auf die von ihnen verwalteten USIA-Betriebe hatten. Alles war nämlich schon beisammen, alle geforderten Einzelteile und Mengen von Eisen und Blechen - doch es war vergeblich: entweder wollte die Kommandantur nicht oder sie konnte nicht darauf Einfluß nehmen oder durfte die Firma nichts liefern, da wahrscheinlich sowieso alles Erzeugte nach Rußland geliefert werden mußte. Außerdem standen sie zu dieser Zeit nicht mehr so auf die seltenen Einzelteile an. Da stieß die amerikanische Armee ihre UNRRA-Wagen (5 t-Benzin-LKW) in größeren Mengen ab und der Verband bekam eine Anzahl, davon erhielt auch das Lagerhaus Bruck einen Ford V8 LKW. Der fraß eine gehörige Portion Benzin (noch dazu, wenn einige Kerzen nicht arbeiteten). Unser Fahrer Böhm Schurl brauchte lange, bis er sich damit auskannte, denn der Wagen lief auch auf vier oder fünf Kerzen - dementsprechend der Verbrauch. Die Benzinbeschaffung war schwierig. Dieselöl bekamen wir verhältnismäßig leicht, da es für die Landwirtschaft gedacht war und es zu dieser Zeit verhältnismäßig wenig Dieselfahrzeuge gab. Da es in Waggons geliefert wurde, war eine Abschlauchvorrichtung unumgänglich notwendig. Da wurde mir einmal im Verband ein Ausfolgeschein für so einen Schlauch mit Hundskopf bei einer Firma im 7. oder 8. Bezirk, in der Nähe vom Gürtel, gegeben. Mutti war mit mir mit dem Zug nach Wien gefahren, so daß ich einen Helfer hatte. Wir fuhren also mit der Straßenbahn hin und schleppten das Zeug dann zur Straßenbahn, um mit dem ll8-er zum Ostbahnhof zu kommen. Dabei waren die Straßenbahnen so überfüllt, daß Mutti nur aufs Trittbrett kam. Ich hing draußen mit einer Hand an der Griffstange und in der anderen ein schweres Trum. Irgendwo beim Westbahnhof oder bei der Gumpendorferstraße konnte ich dann auch hinein - aber es war eine richtige Tortur gewesen. Aber die Freude über dieses Göttergeschenk (bisher mußte der Treibstoff vom Ablaßhahn des Waggons über einen Trichter in das Faß gefüllt werden, was eine schwierige und verlustreiche Prozedur war) ließ mich alle Schwierigkeiten dieses Transportes ertragen. Denn jetzt konnten wir die ganze Umgebung mit Dieselöl und Petroleum beliefern und Bauern und Gutsbetriebe aus dem Gebiet bis zur Grenze und aus dem Seewinkel fanden die Tankstelle im Lagerhaus Bruck. Der letzte Hof (Reisenberger) war der Lagerplatz für eine Unzahl von Fässern. Da sich darunter leider öfter auch einige befanden, die undicht waren, versickerte eine Menge davon in den Boden, so daß Pfabigan diesen Hof "Klein Zistersdorf" nannte. Die Benzinfrage lösten wir in jugendlicher Unbekümmertheit (zum Teil war es ja auch die Jugend Pfabigans, die - zumindest bei der Ausführung - eifrig mitmachte). Die Bauernkammer bekam ein größeres Kontingent an Benzin aus Wien zugewiesen. Da Rupp außerdem Nationalrat war und "mobil" sein mußte (das Fahrzeug hatte er vom Zimmermeister Weber in Petronell requirieren lassen, erhielt er natürlich auch dafür eine entsprechende Menge Benzin. Dieses Benzin holten wir mit unserem Wagen in Fässern von der Tankstelle Kreitner in Ottakring für die Bauernkammer ab. Um die Fuhre auszunützen, wurden für uns auch einige Fässer Petroleum mitgenommen. Beim Deutschen Cafe bestand eine Tankstelle, die ausschließlich für Rupp reserviert war. Dort wurde also das Benzin aus den Fässern in den Tank entleert. Und unter der Aufsicht von Pfabigan flossen dann auch einige Fässer Petroleum dazu, so daß die Anzahl der Liter stimmte, wir aber auf unserem LKW außer der uns zugewiesenen Menge noch zusätzlichen Treibstoff hatten. Damit war der Betrieb unseres "Amerikaners" gesichert und den geringen Durst des Tatra konnten wir daneben auch leicht stillen. Rupp hatte zwar immer wieder Ärger mit seinem Wagen - vor allem beim Starten, nahm sich dann auch einen Fahrer (als Nationalrat!), der auch die Aufgabe hatte, unsere Transporte zu begleiten, um das Geheimnis der schlechten Oktanwerte des Benzins zu ergründen - aber Pfabigan war gefinkelter und konnte die Überwachung immer rechtzeitig abschütteln. Andererseits war es ja auch kein Wunder, wenn der Treibstoff nicht hundertprozentig in Ordnung war. In den Fässern konnte ja von der früheren Benützung noch immer ein Rest Petroleum gewesen sein, denn so sauber wurden sie nie entleert, daß sie ganz rein waren! Und eine Faßreinigung wäre in dieser Zeit ja der reine Luxus gewesen!

Im Herbst l946 war es wieder einmal so weit. Bei Mutti setzten Wehen ein und ich beeilte mich, ins Lagerhaus Gramatneusiedl zu kommen. Reiner war bereits zurückgekommen - zu Fuß über die Rax (zu dieser Zeit ein beliebter Weg für diese Art von "Heimkehrern"). Da ich ja noch kein Auto hatte, bat ich ihn (Großmutter hatte schon vorgesorgt durch Lebensmittellieferungen an die Frau "Michi", daß er uns im Bedarfsfall nach Wien brachte), die Fahrt ins "Goldene Kreuz" zu machen. Er hatte nur einen Zweisitzer mit einem Notsitz hinten im Freien. An diesem Tag war es ziemlich windig, das heißt in unserem Fall recht staubig. Ich bekam die Augen ordentlich voll - aber wir kamen doch glücklich ins Goldene Kreuz. Prof. Kahr (er war wieder in seiner Stellung als Universitätsprofessor) wurde verständigt und ich ging in den Verband. Und als ich dann wiederkam, hatten wir auch ein kleines Mädchen zu unseren zwei Buben. Es war zu dieser Zeit kein besonderes Vergnügen (im übrigen ist es das ja auch keines in guten Zeiten), in Wien in einem Spital zu liegen, aber Mutti überstand auch diese Zeit und dann waren wir wieder eine komplette Familie, als sie wieder zu Hause war. Im Krieg war es ein Problem gewesen, Windeln zu beschaffen (im Schleichhandel - jetzt war es noch wesentlich schwieriger, denn auch im Schleich bekam man fast nichts). Aber wir waren ja auch gescheiter geworden - wir hatten keine Feldkamillen gepflückt - daher wurde wenigstens diese Gefahr ausgeschaltet. Außerdem hatte Dr. Wiltschke nach der Scheidung von seiner ersten Frau eine Ärztin geheiratet, die eine Zeit in Amerika gewesen war und ebenfalls bereits einmal verheiratet gewesen war (einen Sohn in die Ehe mitbrachte) und die häufig nach Gramatneusiedl kam und dann bei uns "ordinierte". Dr. Wiltschke war in den letzten Kriegswochen an Fleckfieber gestorben. Er hatte Polinen zu untersuchen gehabt und hatte am Ende der Untersuchung bei sich eine Laus entdeckt. Er meinte, hoffentlich hat die jetzt kein Fleckfieber übertragen. Leider war es aber so. Da er, um dem Fronteinsatz zu entgehen, Herzmittel (d.h. schädigende Mittel, damit er einen entsprechenden Befund vorweisen konnte) genommen hatte, hielt er das Fieber nicht aus und starb. Seine Frau war einige Zeit unsere ärztliche Betreuung, die gut funktionierte, da ja Mutter sie und ihre Schwiegereltern, das Ehepaar Wiltschke, mit Lebensmitteln versorgte.

Jerabek hatte das Kriegsende in Oberösterreich mitgemacht (er war ja PG und fürchtete die Russen) und von dort an den Verband geschrieben, er würde gerne ein Lagerhaus führen. Direktor Niesner verständigte mich, fügte aber hinzu, er hätte ihm wohl eine positive Antwort gegeben (er kannte ihn ja von der Produktenbörse) - er könne allerdings nicht mit Bruck rechnen, da der Verband aus Prinzip keinen Verwalter im Heimatbezirk haben wolle. Nun war Jerabek wieder in Bruck und wurde wieder gut Freund mit Rupp. Das Areal zwischen Leitha, Gärtnergasse und Lagerstraße war im ersten Weltkrieg eine Konservenfabrik gewesen. In der Zwischenkriegszeit hatte Jerabek dieses Areal gekauft. Im Krieg wurde es als Heeresverpflegungsmagazin benützt. In der Gärtnergasse hatte die Firma Polsterer (Mühle in Enzersdorf/F.) eine Gerstenschälerei zur Erzeugung von Rollgerste eingerichtet und das Areal gemietet, der übrige Teil war nun von den Russen besetzt. Das Heeresverpflegungsamt mit den gesamten Vorräten war von den Russen beschlagnahmt worden. Jerabek bemühte sich um die Freigabe des Objektes und Rupp half ihm eifrig - aber ohne Erfolg. Da hatten die zwei einen genialen Einfall: das Lagerhaus sollte dieses Objekt kaufen und dort hinausziehen. Jerabek hatte zugesagt, in diesem Falle seinen Landesproduktenhandel aufzugeben. Da erschienen also eines Tages Minister Kraus (Obmann des Verbandes), Minister Buchinger (Obmann der Zentralkasse), Dir. Niesner, Grießmüller und ich auf der einen Seite und Jerabek und Rupp auf der anderen Seite, um darüber zu verhandeln. Da mir das Objekt für ein Lagerhaus zu groß schien, schlug ich vor, in dem gegen die Leitha gelegenen Teil eine Molkerei einzurichten (die Räume waren gekachelt - von der Konservenfabrik -, schienen mir also dazu bestens geeignet). Das kam Kraus als Obmann der Molkereien sehr gelegen, denn er berichtete, daß sie vor dem Krieg immer Schwierigkeiten mit der Milchmenge aus dem nördlichen Burgenland gehabt hätten, die immer sehr unregelmässig angeliefert wurde. Das könnte nun durch eine Molkerei in Bruck aufgefangen werden. Rupp hakte da gleich ein und schlug vor, daß ich auch gleichzeitig Molkereileiter werden sollte (ob er da Hintergedanken hatte, mich vom Lagerhaus wegzubringen und doch noch den Freund Jerabek zu fördern?). Nun sollte präzisiert werden, daß mit dem Kauf der Fabrik Jerabek seinen Landesproduktenhandel stillegen sollte. Da fiel Jerabek um und erklärte, da würde man einem Baum die Wurzeln abschlagen. Unter diesen neuen Aspekten bestand aber unsererseits kein Interesse mehr, denn wir wären dann im toten Winkel gesessen und jedes Mitglied hätte an Jerabek vorbeifahren müssen, wenn es zu uns hätte kommen wollen. Damit war also die Konservenfabrik aus dem Rennen und ich begann wieder mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück für das Lagerhaus. Am liebsten wäre mir das Grundstück neben unseren Gebäuden gewesen. Es gehörte der Gemeinde und war eigentlich nur der Trainingsplatz für die kommenden Fußballstars. Vor allem Vizebürgermeister Windholz (Wurmser-Schani) war dagegen. Ihm schwebte auf diesem Platz ein Amtsgebäude vor mit B.H., Gericht, Finanzamt, Vermessungsamt, kurz mit allen Ämtern (heute ist das Klostergebäude in der Hainburgerstraße dafür ausersehen - also wird schon 50 Jahre nach einem Platz für diese Ämter gesucht. Ob es noch einmal 50 Jahre dauert, bis ein Platz gefunden wird?). Da sich also nicht einmal die Schwarzen über das Projekt einig waren, wurde der Plan abgelehnt. Heute steht darauf die Hauptschule für Knaben. Diese Ablehnung war mir aber eigentlich gar nicht so unangenehm, denn ich wollte ja unbedingt einen Bahnanschluß haben - und dieses Grundstück ist recht weit weg von der Bahn, der Anschluß wäre da sehr schwierig gewesen. Und daß wir das Bahngrundstück auch dazu bekommen hätten, an eine derartige Möglichkeit wagte zu dieser Zeit nicht einmal ich zu denken. Dazu möchte ich noch bemerken, daß die Funktionäre mich zu dieser Zeit wahrscheinlich für einen Phantasten gehalten haben, der an Mondschlösser glaubt und daß mich bei meinen Bemühungen kein einziger unterstützt hate - ich glaube, mich nicht einmal richtig ernst genommen hate. Allerdings muß ich sagen, daß sie mir auch keine Hindernisse in den Weg legten - aber ihre leise Skepsis bis zum Schluß behielten.

Aber schön der Reihe nach. Durch die Streckenleitung Hauptzollamt, der die Strecke nach Petronell damals unterstand, kam ich an die für Bahngrund zuständigen Stellen bei der ÖBB-Direktion am Praterstern und an das Verkehrsministerium in der Elisabethstraße. Dort zog sich der Weg, denn solche Akte waren nicht sehr beliebt - noch dazu, wenn kein Protektor dahinter stand. Also erfand ich eine Geschichte, daß sich Minister Kraus sehr dafür einsetze, daß wir das Grundstück beim Deutschen Bahnhof erhielten. Kraus wußte zwar nichts davon - aber wenn er davon erfahren hätte, wäre er sicher auch dafür gewesen, daß wir ein eigenes Grundstück beim Deutschen Bahnhof erhielten. Ich bekam wiederholt Grüße an ihn aufgetragen - habe sie aber niemals weitergeleitet. Dazu machte ich den Leuten den Mund damit wässerig, indem ich ihnen erzählte wieviel hunderte, ja tausende Waggon bei so einem Lagerhaus zugestellt und abgeholt werden würden - also da müßte die Bahn doch schon in ihrem eigenen Interesse mitmachen. Das Pech war nur, daß dieser nette Mann, mit dem ich am meisten verhandelt hatte und der auch von Kraus viel hielt, nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit, als sich schon ein Ergebnis abzuzeichnen begann, plötzlich starb. Ich verfolgte unseren Akt in der Direktion (er wurde in sieben Abteilungen behandelt, wobei er unterschiedliche Ergebnisse erzielte - in den meisten Fällen jedoch positive) - einmal war er verschwunden, dann tauchte er wieder auf, er wanderte von den Referenten in die Schreibstuben, blieb liegen, bis ich wieder intervenierte und er dann unter einem hohen Stoß von Akten hervorgezogen wurde. Dabei gab es Urlaube, Pensionierungen, Versetzungen, Krankheit usf. in dieser langen Zeit - aber ich blieb hartnäckig und verfolgte den Akt wenigstens zweimal im Monat von einer Stelle zur anderen. Als dann alle Vorarbeiten mit Zustimmung erledigt waren, erfuhr ich zu guter Letzt, daß ein Verkauf gar nicht möglich sei, da noch aus der Zeit von Seipel für die Völkerbundanleihe im Eisenbahnbuch (Grundbuch) eine Anleihe eingetragen sei, die noch nicht gelöscht wordeen war. Endlich (l95l) wurde mir der Vorschlag gemacht, Tauschgrundstücke in Inzersdorf, die die Bahn benötigte, von Privaten zu erwerben und diese Grundstücke mit dem Grundstück in Bruck zu tauschen. Endlich das Ziel vor Augen! Ich wurde im Verband gebührend bewundert, daß mir dieses Kunststück gelungen war und später hat dann die Bauabteilung des Verbandes, gestützt auf diese Erfahrungen, auch für andere Genossenschaften auf diese Art Grundstücke erworben. Es kam dann noch zu einer abschließenden Verhandlung (wir mußten eine Rechtsanwältin, die von der Bahn nominiert worden war, akzeptieren) mit einem Vizepräsidenten und einer Unzahl von Referenten im Deutschen Kaffee (wobei sich Paul hervortat), aber das war nur noch eine Formsache. Im Vorraum der Rechtsabteilung in Wien übergab ich den Besitzern der Tauschgrundstücke aus Inzersdorf in Anwesenheit von Dr. Gruber von der Zentralkasse (ob er aufpassen mußte, ob nicht vielleicht ein Körberlgeld für den Verwalter dabei sei?) den Betrag (wir zahlten für das Bahngrundstück S 5,-/m²), und dann besaßen wir unser Grundstück mit einem Eisenbahnmagazin. Ich hatte ja schon viele Pläne für ein Lagerhaus entworfen. In die Mitte des Platzes hatte ich ein rundes Wasserbecken in der Höhe von l m geplant, aus dem die Pferde trinken sollten, wenn sie ins Lagerhaus kamen. Mir schwebte ja so etwas vor, wie ich es als Bub in Wien erlebt hatte. Wenn wir mit dem Pferd aus St. Marx oder von der Großmarkthalle nach Hause fuhren, kamen wir zum Getreidemarkt. Hinter der Sezession ist ein kleiner Park und dort war am Rand ein solches Becken, aus dem das Pferd dann immer trinken durfte. Das hatte sich in mein Gedächtnis eingegraben. Wahrscheinlich war ich noch sehr jung - aber zum Halten der Pferde genügte es ja schon, wenn der Lenker einmal in ein Geschäft gehen mußte, auf- oder ablud, daß die Zügel gehalten wurden. Dort hatten also die Pferde immer gerne getrunken - und es waren nicht nur unsere Pferde, sondern fast alle Fuhrwerker benutzten diese Möglichkeit. Nun gab es l95l ja noch genug Pferde - aber obwohl noch in jedem Haus Pferde waren, strebte jeder Bauer den Besitz eines Traktors an. Aber dafür brauchte man noch einen Bezugschein. Und wenn man bedenkt, daß die Steyr-Werke 8.000 Stück im Jahr erzeugten und heute über 200.000 Stück laufen, kann man ermessen, wie lange die Motorisierung (auch bei Berücksichtigung der Importe von Ford, Ferguson usf.) dauerte - und damit auch das Verschwinden der Pferdefuhrwerke. Aber der Trend war eindeutig und die Nachfrage bestand nicht in einer Pferdetränke sondern in einer Tankstelle. Daher bauten wir als erstes eine Tankstelle mit einer Zuleitung vom Schleppgeleise für die Produkte (Dieselöl und Petroleum, da es ja auch Petroleumtraktoren gab). Natürlich war das Schleppgeleise unser erstes Anliegen und Sobek, ein pensionierter Bahnmeister aus Gramatneusiedl, war unser Fachmann, unter dessen Leitung eine Anzahl von Arbeitern unser Schleppgeleise verlegten. Da wir nicht genug Eigenmittel hatten (woher auch?) und ich bei Strobl einen guten Eindruck machte, konnte ich ihn überreden, daß uns der Verband einen Flachbodenspeicher baut, den er uns vermietet. Auch das war erstmalig und wurde dann ausnahmsweise bei wenigen anderen Genossenschaften nachgemacht, wenn es wirklich notwendig war. Der Verband verlor dabei nichts, da wir als Miete die Zinsen für das Kapital zahlten (der Verband hatte den Vorteil der Abschreibung für das Gebäude, das ja ihm gehörte) und wir nach einer Zeit (ich weiß nicht mehr, ob es nicht anlässlich der Errichtung des Hochsilos war) den Betrag abstatteten. Aber da war es ja durch die Entwertung nur mehr ein Bruchteil der tatsächlichcn Kosten. Dann brauchten wir noch ein Verwaltungsgebäude. Vermutlich l95l waren Kammerwahlen in die Landwirtschaftskammer. Rupp war Obmann des Bauernbundes und Kammerobmann. Als Nationalrat schien seine Wiederwahl überhaupt nicht gefährdet. Paul witterte eine Chance und engagierte sich beim Lagerhaus, wo ja jetzt etwas weiterging, um populär zu werden. Ich half ihm dabei (auch im eigenen Interesse, denn Rupp war weder mein persönlicher Freund noch ein Anhänger der Genossenschaft - im Gegenteil), Rupp zu stürzen. Ich kannte von meiner Tätigkeit in Mannersdorf her und auch aus Gramatneusiedl viele Leute aus Au, Hof, Mannersdorf, Pischelsdorf, Götzendorf und von Bruck aus die Leute von Sarasdorf bis Rohrau und von Arbesthal bis Höflein. Daher fuhr ich mit Paul in der Gegend herum, um für den Obmann Frank aus Sommerein und Paul als Landeskammerrat zu werben. Grießmüller hatte inzwischen aus "Gesundheitsgründen" seine Stelle zurückgelegt (ich vermute, die Aktivität von Paul, der Vorsitzender des Aufsichtsrates geworden war, paßte Grießmüller nicht) und Gretsch aus Pachfurth war Obmann geworden. Für Gretsch hatten wir nun den Bezirksbauernbundobmann vorgesehen. Die Sache klappte: Rupp wurde bei allen drei Wahlen abgewählt und auch nicht mehr als Nationalrat aufgestellt. Dazu hatte auch Esel beigetragen, der die Revisionsprotokolle aus l938 gut aufbewahrt hatte, aus denen die Verfehlungen des Multifunktionärs hervorgingen. Esel hatte das unter die Leute, vor allem in der ÖVP-Zentrale und beim Bauernbund, gebracht, so daß Rupp auch von diesen Leuten keine Unterstützung mehr erhielt. Als Trostpflaster erhielt Rupp dann die Stelle eines Präsidenten der Landesproduktenbörse, die er bis zu seinem Tod ausfüllte. Wahrscheinlich hat dabei auch Jerabek, der ja in dieser Börse eine Rolle spielte, fest mitgewirkt.

In dieser Phase beschlossen wir (wieder eine Neuigkeit) ein "Haus der Landwirtschaft" zu bauen, in dem auch die Bauernkammer (bis dorthin war sie im Linginghaus in der Hainburgerstraße beim Stadtmauerdurchbruch - das Haus existiert nicht mehr), die Raiffeisenkasse, die am Sonntag vormittag im Gasthaus "Zum grünen Kranz" (Annatant) Kassastunden hatte, neben der Lagerhauskanzlei und der Verwalterwohnung im ersten Stock untergebracht werden sollte. Die Raiffeisenkasse stellte ich mir so vor wie in Gramatneusiedl, wo Asperger als Lagerhausbuchhalter daneben auch Raiffeisenkassier bzw. Geschäftsführer war und diese Agenden nebeneinander und gleichzeitig ausübte. Gegenüber der bestehenden Situation, also Geschäftsverkehr am Sonntagvormittag im Wirtshaus schien mir das bereits ein großer Fortschritt. Von den Möglichkeiten und der tatsächlichen Entwicklung wurde ich vollkommen überrascht - ich hatte geglaubt, daß mein Vorschlag bereits revolutionär genug sei.

Beim "Haus der Landwirtschaft" kamen die ersten Differenzen zwischen Paul und mir zutage. Paul wollte im ersten Stock auch noch für die Landwirtschaftliche Fortbildungsschule Platz haben und beanspruchte ein Zimmer für den Bauernkammersekretär. Die Schule (beim Bahnübergang in der Göttlesbrunnerstraße) war noch von den Russen besetzt und hielt ihren Unterricht bei der "Annatant" ab. Auf diese Weise wäre meine Wohnung allerdings ziemlich klein geblieben. Ich wollte aber auch Räume für Vater und Müllnermutter haben. Mutter war vor einigen Monaten nach einem Schlaganfall in Wien im Spital gestorben, so daß Vater das Geschäft verpachten mußte und dann auch bei uns wohnte. Wir konnten ihn doch nicht allein in Gramatneusiedl zurücklassen. Müllnermutter hatte schon vor einigen Jahren die Wirtschaft verpachtet und wohnte im Gasthaus im Kabinett, das gegen das Lagerhaus liegt. Also benötigten wir zwei Räume für die beiden. Die Räume waren an und für sich sehr klein geplant, damit alle Wünsche auf kleinstem Raum untergebracht werden konnten. Da wir ein Außenmaß von l0 x 20 m hatten, wobei in der Mitte ein Gang geplant war, so daß die Zimmerbreite 4 m betrug, waren die Ausmaße für sieben Räume auf die Gesamtlänge unter drei Meter für einen Raum. Nimmt man dann noch die Wandstärken weg, so kommen ca. 2,60 m Breite für einen Raum. Das war ja bestimmt kein Luxus. An der stadtseitigen Stirnseite waren die Küche und unser Schlafzimmer geplant, anschließend an die Küche eine Kammer für ein Dienstmädchen, dann das Bad und Klo. Anschließend an unser Schlafzimmer waren zwei kleine Räume vorgesehen gewesen (für die Kinder). Damit wäre für Vater und Müllnermutter kein Platz gewesen, von einem Wohnzimmer ganz abgesehen. Da nahm sich Mutti "einen Anrand" und fuhr zur Sprechstunde von Landehauptmann Steinböck (gleichzeitig Obmann des Verbandes) nach Wien in die Herrengasse. Dem schilderte sie die Situation - und als Bauer hatte er bestimmt auch Verständnis dafür, daß man die alten Leute nicht allein zurücklassen konnte, wenn man übersiedelte. Noch dazu war es ja bestimmt eine Einschränkung, wenn eine Bäuerin, die auf einem Hof gewohnt hatte, sich mit einem Kabinett begnügte und ein Land- und Gastwirt mit einem entsprechenden Besitz sich in einem kleinen Raum einrichten sollte. Jedenfalls erreichte sie, daß wir die Wohnung so, wie wir sie dann viele Jahre bewohnten, auch erhielten.

Es war im Frühjahr l953, als Vater eines Tages über Schmerzen im Bauch und Übelkeit klagte. Wir wollten Dr. Hauswirt verständigen - aber Vater lehnte ihn ab. Da verständigten wir einen noch jungen Arzt, der erst seit kurzer Zeit in Gramatneusiedl war. Der kam aber nicht mehr am selben Tag sondern erst am nächsten Tag. Er war ziemlich ungeschickt (und wahrscheinlich auch unerfahren) und redete herum, daß er wegen des Fettgewebes die Herztöne nicht hören könne und auch die Lunge nicht kontrollieren könne. Als er wieder gegangen war und es Vater nicht besser ging, verständigte ich Dr. Scholz, der uns die Aufnahme im Elisabetspital ermöglichte. Wir brachten Vater dorthin - es war schon Abend - und überließen ihn dort einem Arzt. Am nächsten Tag erfuhren wir, daß ein eingeklemmter Bruch festgestellt worden war und daß er sofort operiert hatte werden müssen, wobei auch ein Stück des Darmes entfernt werden mußte, da er bereits brandig war. Vater lag also in einem großen Saal und war sehr unglücklich. Vor zwei oder drei Jahren hatte Vater mit dem Motorrad in Marienthal einen Unfall gehabt. Er wollte einem langsam fahrenden Latrinenwagen der Gemeinde Wien vorfahren, als dieser nach links abbog, um zwischen den Häusern in den Hof einzufahren. Da diese Wagen seitlich die Saugschläuche montiert hatten, war der Winker (Blinklichter gab es zu dieser Zeit ja noch nicht) nicht zu sehen gewesen. Vater kam dabei zu Sturz und hatte sich einen Schädelbasis-bruch zugezogen. Die Rettung hatte ihn ins Franz Josefs-Spital gebracht, als ich aus Bruck nach Hause kam. Wir fuhren sofort hinein und sahen, daß es schon wieder besser ging - Mutti hatte mir ja erzählt, daß er ohnmächtig gewesen war. Sie war angerufen worden von irgend einem Zeugen des Unfalls, war mit dem Rad sofort nach Marienthal gefahren und bei ihm geblieben, bis die Rettung kam. In den kommenden Tagen besuchten wir ihn immer wieder und da erzählte er uns, daß er im Gastzimmer zu Hause sei und die Wirtin - oder Kellnerin - immer die Tiere, Kühe, Schafe hereinlasse. Da kanen wir darauf, daß er durch die vollkommene Abstinenz und die Prellung ein Delirium hatte. Wir verständigten den Arzt - und von da an bekam er eine kleine Menge Alkohol und diese Halluzinationen verschwanden.

Vater lag also nun in dem großen Saal und wurde nicht besser. Eines Tages sah ich nun beim Besuch einen Schulfreund, den Gschneit, der dort Assistenzarzt war. Ich sprach nun mit ihm über Vater und er versprach mir, sich darüber zu informieren, was da eigentlich los sei. Am nächsten Tag erfuhren wir dann, daß es ein "unreine" Operation gewesen sei. Der diensthabende Arzt - sicher noch unerfahren - hatte keine Darmentleerung durchgeführt, sondern in seiner begreiflichen Aufregung (der Darm war ja bereits brandig) einfach hineingeschnitten, so daß sich Darminhalt in die Bauchhöhle ergoß. Sie hatten dann eine Spülung der Bauchhöhle gemacht - aber nun war es zu einer Bauchhöhlenentzündung gekommen - das war also die "unreine" Operation. Während dieser Zeit erlitt Müllnermutter einen Schlaganfall. Mutti war in der Mansarde gewesen - die hatten wir ausbauen lassen, damit für Vater und Müllnermutter ebenerdig Platz war, da die Bodenstiege steil und eng war, als Müllnermutter erschien und nur schwer sprechen konnte, da sie eben den Schlaganfall erlitten hatte. Mutti brachte sie zu Bett und am nächsten Tag war sie tot. Vater wollten wir davon gar nichts sagen - also wurde das Begräbnis durchgeführt und anschließend fuhren wir schon wieder ins Spital. Nach acht Tagen ging es Vater noch immer nicht besser, eher noch schlechter und dann starb auch er. So hatten wir in acht Tagen zwei Leichenbegängnisse. Da das Verwaltungsgebäude noch nicht fertig war, wurden das Bubenzimmer und das Eßzimmer nun etwas größer, indem wir die Zwischenwände verschoben. Für die Kinder war die Übersiedlung wegen der Schule günstig, denn Otto hatte sowieso bereits zwei Jahre fahren müssen und Gerhard trat gerade in die Mittelschule ein. Für Greti war es allerdings ein Schlag, denn sie hatte in Gramatneusiedl einen sehr lieben Lehrer gehabt, der sehr viel Verständnis für die kleinen Leute hatte. Und nun erhielt sie eine alte, verknöcherte, frustrierte Lehrerin, eine echte Bruckerin, die nur Äußerlichkeiten und Pflanz aber nicht wahre Werte schätzte.

Bei der Eröffnung des Lagerhauses - bei der "Weihe" durch Minister Gruber usf. kam es wieder zu Reibereien mit Paul. Wir wollten bei dieser Gelegenheit landwirtschaftliche Maschinen und Geräte ausstellen. Aber Paul war dagegen (er war Obmann des "Bauausschusses" und hatte daher mitzureden). Er wollte keinen Krieg mit den Gewerbe-treibenden (der Landmaschinenhändler Schäfböck - im Hof des Kümmelmannhauses - war ein führender Funktionär beim Gewerbe-bund), denn er sah sich bereits als Nationalrat, als Vertreter aller Gruppen (wobei ihm als Weinhändler das Gewerbe sehr am Herzen lag). Außerdem wollte er die Übersiedlung benützen, um die alten Arbeiter zu kündigen und neue - vom ÖAAB vorgeschlagene - aufzunehmen. Also - da kam es zu einem gewaltigen Krach - auch mit der Partei (Heiß), denn ich wollte mir da nicht hineinreden lassen. Es war ja auch ein Blödsinn: Ertlbauer sei ein Kommunist! Das war doch die Höhe! Dabei war der Mann als ehemaliger Landbündler automatisch PG geworden. Natürlich gab es - er war Kleinhäusler und Arbeiter - Interessengegensätze mit den Etablierten - aber ihn als Kommunisten zu bezeichnen, das war schon eine gewaltige Geschmacklosigkeit und Dummheit. Ich konnte den Mann richtig einschätzen, der im Krieg und in der darauffolgenden Zeit mit ganzer Kraft und Gehirnschmalz sich für die Genossenschaft aufgerieben hatte. Wie oft war er zu Fuß von Hollern nach Bruck gewandert. Sicherlich hatte er auch Schwächen. Man erzählte mir, daß er da auf dem Nachhauseweg beim "Lurloch" in Pachfurth (Gasthaus Zwickelsdorfer) eingekehrt war und dann vergessen hatte - oder nicht mehr konnte - den Weg nach Hollern fortzusetzen, so daß er dann am nächsten Tag nur von Pachfurth nach Bruck gehen mußte. - Und vor der Ernte ein Teamwechsel - das war für mich indiskutabel - und noch dazu die ganze Mannschaft. Ich war immer so eingestellt gewesen, daß ich mich selbstverständlich für meine Partner einsetzte - beim Klettern und Bergsteigen ist das selbstverständlich bis zum eigenen Leben. Und im Betrieb hatte ich es - nicht bei allen - aber bei allen Wichtigen und Entscheidenden ebenso für selbstverständlich gehalten. Da waren wir eben eine verschworene Gemeinschaft. Wie oft hatten wir da etwas vor den Russen oder unserer Obrigkeit - nicht für uns, sondern für den "Betrieb" - vorbeigeschwindelt! So etwas bindet ganz fest zusammen. Aber Paul hatte in seiner Ignoranz den Leuten auf der ÖVP eingeredet, im Lagerhaus sei nunmehr alles so perfekt mechanisiert, daß man nur mehr auf den Knopf drücken müsse (und so eine Arbeit schien manchem interessant, vor allem solchen, die nicht gerne arbeiteten). Dabei hatten wir noch keine Brückenwaage, die Säcke mußten auf einer Plateauwaage, die in der Rampe versenkt war, gestapelt werden, dann wurden sie in die Gossen auf der Rampe entleert. Zugegeben, es gab noch keine Mähdrescher uud die Anlieferung erfolgte dementsprechend langsam nach der Leistungsfähigkeit der relativ wenigen Maschinen (Druschgenossenschaften, meistens eine in jeder Ortschaft - nur in den großen Ortschaften gab es drei), aber es war trotzdem schwere Arbeit, denn es wurden doch 500 bis 600 t Getreide täglich zu dieser Zeit zur Ernte angeliefert. Magazineuer Mayer wurde dabei sogar überfordert und drehte durch. Bei einem hysterischen Anfall erklärte er: "Ich werde aufdecken, wenn ich gehe". Ich setzte beim Vorstand durch, daß Mayer "gehen" müsse, um aufdecken zu können. Es kam zu einer Ehrenbeleidigungsklage und Verhandlungen beim Arbeitsgericht. Er zog aber überall zurück, daß es etwas aufzudecken gab - so konnte auch nichts aufgedeckt werden. In dieser Angelegenheit mußte ich konsequent bleiben, denn Mayer - er stammte von Bauern aus Gerhaus - hatte in Pachfurth und Rohrau durch die Verwandtschaft seine Anhänger und ohne einen radikalen Schnitt hätte es bestimmt keine Ruhe gegeben. Sein Nachfolger wurde dann Spieß, ein Verwandter von Kammervizepräsident Scheibenreif. Scheibenreif war auch Obmann des Lagerhauses Neunkirchen, wollte seinen Neffen in einem Lagerhaus unterbringen, scheute sich aber, dies im eigenen Betrieb zu tun. Da er auch im Verband eine Funktion hatte, wurde uns also Spieß "empfohlen". Mir war es aber nicht unrecht, daß ein Auswärtiger bei uns Magazineur wurde, denn ein Einheimischer hatte immer zuviel Rücksichten auf Verwandtschaft zu nehmen. Leider hatte Spieß nicht das nötige Durchsetzungsvermögen und die Erfahrung - er war gelernter Kaufmann und hatte einen eigenen Betrieb geführt (leider nicht mit dem nötigen wirtschaftlichen Erfolg), - so daß dann später immer mehr eine Freunderlwirtschaft einriß.

Inzwischen hatte der Mähdrescher seinen Einzug gehalten. Es war ja nur zu verlockend, mit einer Maschine mähen und gleichzeitig dreschen zu können, also das gewünschte Gut, das Getreide, mit einem Vorgang in den Sack zu bekommen. Wenn man da an das Schöbern (Schiebern), und dann das Einführen und Dreschen mit den vielen Leuten dachte - dann war es nur erklärlich, daß alle einen Mähdrescher wollten. In ein paar Tagen verkaufte ich mehr als zehn Stück auf der Rampe im Lagerhaus. Aber wir waren gänzlich unvorbereitet, denn es stellte sich dann heraus, daß die Sache gar nicht so einfach war, wie sie aussah. Das Getreide war bisher in den Garben auf dem Feld nachgetrocknet und kam daher nach der Dreschmaschine als trockene Ware ins Lagerhaus. Mit dem Mähdrescher (zugegeben, man konnte später dreschen mit dem Mähdrescher als es mit dem Bindemäher geschnitten wurde, da die Gefahr des Ausfallens bei der späteren Manipulation ja wegfiel) kam nun das Getreide mit unterschiedlicher Feuchtigkeit zu uns. Bisher hatten wir mit einem Griff in den Sack von Hand aus festgestellt, ob das Getreide trocken war (für eine Lagerung sollte es womöglich unter l4% Feuchtigkeit haben). Da gab es die ersten Schwierigkeiten, denn wir hatten nicht genug Platz in unserem "modernen" Flachbodenspeicher mit Bodenbelüftung sondern mußten z. B. Gerste auch in einem hohen Haufen, 4 - 5 m hoch, im Pfarrerstadel lagern.Und dort verlor nun die Gerste die Keimfähigkeit und bekam z.T. einen "Dumpf" (dumpfer Geruch). Das waren aber die Brauereien, an die wir aus Bruck immer besonders gute Braugerste geliefert hatten, nicht gewohnt - und diese Gauner schafften sich Feuchtigkeits-bestimmer und Keimfähigkeitsbestimmer an. Nun gab es ja solche Apparate schon immer. Auf der Hochschule hatten wir die Proben in einen Trockenschrank gestellt, nach 24 Stunden gewogen und nach dem Gewichtsverlust die Feuchtigkeit der Probe festgestellt. Die Keimprobe dauerte bis zu einer Woche. Das waren also keine Methoden, um bei der Übernahme die Ware so zu sortieren, daß kein Schaden durch überhöhten Feuchtigkeitsgehalt entstand (Schimmel-bildung und dadurch der "Dumpf" = dumpfe Geruch). Auch im Flachbodenspeicher hatten wir kein besonderes Glück mit unserer eingebauten Belüftungsanlage. Sie drückte durch Rohre, die am Boden der Zellen verlegt waren, die Luft durch das 6 m hoch geschüttete Getreide durch. Damit sollte ein Luftaustausch stattfinden, d.h. die vom Getreide angefeuchtete Luft durch trockene Luft ersetzt werden. Leider funktionierte das System nicht zur Zufriedenheit. Möglicherweise war es an trockenem Getreide erprobt worden - aber bei feuchtem Getreide wurde nur erreicht, daß der ganz schwache Luftstrom, der das Getreide durchdrang, beim Austritt an den kühleren Schichten das aufgenommene Wasser wieder abgab (kondensierte), so daß wir oben Auswuchs und Schimmel und durch eine verfilzte Schicht noch weniger Luftdurchlässigkeit erzielten. Alle diese Erfahrungen dauerten jeweils ja ein Jahr, da nur einmal im Jahr Ernte ist, so daß es relativ lange dauerte, bis wir das alles in den Griff bekamen. Zuerst einmal mußte unkrautfreies Getreide aufs Lager kommen - dazu gab es Aspirateure. Dann mußten Schnellfeuchtigkeitsbestimmer angeschafft werden - womöglich auch in den Filialen, damit sofort die trockene Ware von der feuchten getrennt werden konnte. Und dann mußte die feuchte Ware auch behandelt werden, also getrocknet werden können, also mußte auch ein Trockner ins Haus. Die Trocknung in Behältern, durch die angewärmte Luft durchgeblasen wurde, gefiel mir nicht, da damit ja keine Leistung erzielt werden konnte. Das war etwas für den einzelnen Landwirt, der sein Tagesquotum am nächsten Tag trocknete, das dann trocken war, wenn er mit der nächsten Tagesleistung nach Hause kam. (Wobei ein Mann bei der Heizung und zur Aufsicht bleiben mußte). Ich wollte einen kontinuierlichen Vorgang. Da wurde uns ein Trommeltrockner angeboten, der mir gefiel. Leider hatte er nur eine Leistung von 3 t in der Stunde, also für unseren Betrieb doch etwas zu klein. Nur wußten wir zu dieser Zeit noch immer nicht, welche Mengen zu trocknen waren. Außerdem gab es damals auch noch nicht die größeren Trockner. Wir hatten wohl in Zurndorf einen größeren Rieseltrockner gehabt, aber diese Firma existierte nicht mehr - und ein Trockner, der an der Oberfläche die feuchte Luft ausbläst, hätte auch nicht in unsere Anlagen gepaßt. Da hätte man wieder ein eigenes Gebäude dazu gebraucht. Alle diese Schwierigkeiten und Fehlschläge ließen mich auf die Suche nach einer Lösung gehen. Zu dieser Zeit wurden bei verschiedenen Mühlen und Händlern Rundsilos errichtet. Es war das Prinzip der Futtersilos, in die Silagemais gehäckselt wurde - nur waren die Getreidesilos höher. Das Prinzip war einfach: es gab Blechschalungen in handlichen Stücken, die außen durch feststellbare Ringe und die innen durch Hölzer - ähnlich den Speichen eines Rades - gehalten wurden. Dazwischen ein Baustahlgitter und l0 bis l5 cm Beton. Am nächsten Tag wurde die Schalung erhöht, so daß es an das bereits gegossene Stück anschloß - und so wurde in ein paar Wochen - ein Wochenende gab es allerdings nicht - der Silo fertiggestellt. Baumeister Schauer - ich weiß nicht mehr, durch wen ich mit ihm in Verbindung kam - hatte bereits einige derartige Silos errichtet und bot uns um einen verhältnismäßig günstigen Preis seine Arbeit an. Nun gab es eine Schwierigkeit: Gen.Dir. Strobl war gegen die Rundsilos. Die Bauabteilung hatte ihm anscheinend eingeredet, daß das keine günstige Lösung sei (vielleicht waren sie wirklich davon überzeugt, ein schlechter Mensch aber könnte auch glauben, daß sie persönlich an relativ teuren Bauten interessiert waren) und außerdem gefielen sie ihm nicht. Er war wahrscheinlich für das Monumentale - und es ist ja auch imponierend, wenn man in der Landschaft so ein stolzes Wahrzeichen einer Genossenschaft sieht! So oder ähnlich waren seine Gedankengänge, daher war er gegen die Rundsilos. Da er aber der bei weitem preiswerteste war, bauten wir - wieder unter Paul als Bauausschuß-Obmann - unseren Rundsilo. Ich hatte mit Schauer vereinbart, daß wir die Rundzellen etwas auseinanderrücken, so daß wir dazwischen noch einen Lagerraum erhalten, indem wir eine Zwischenwand zwischen den Zellen einfügen. Schauer hatte einen Statiker und der wies ihn dann bei der Bauausführung darauf hin, daß bei einer Getreidelagerung zwischen den Rundsilos diese nach außen auseinandergedrückt werden, daß da also auch innen eine verstärkte Wand errichtet werden muß. Der Bau würde also teurer werden. Nun hatten wir aber bereits einen Pauschalbetrag für die gesamte Ausführung abgeschlossen, der auch von den Funktionären beschlossen war, so daß ich keiner Änderung mehr zustimmen konnte. Er lamentierte dann, daß er bei diesem Bau verloren habe. Das war aber weiter nicht schlimm. Schlimmer war, daß Strobl eingeschnappt war, daß wir ohne seine Zustimmung (wir hatten auch um ERP-Geld angesucht und dadurch, daß Bauer Alexander, ein Bruder von Bauer Ernst, dem Vorbesitzer unseres Hauses, im Landwirtschaftsministerium Sektions-chef war, ihn auch bekommen - und das ohne den Verband!) gebaut hatten. Dafür bekam ich in diesem Jahr kein Bilanzgeld vom Verband, denn Strafe muß sein! Mit dem Rundsilo zugleich - oder nur kurze Zeit später - kam dann der Vakuumtrockner. Das Prinzip ist ja auch bestechend. Unter Vakuum kocht das Wasser schon bei tiefen Temperaturen - im Vakuumtrockner um 32 -33°, also einer Temperatur, bei der Eiweiß noch lange nicht gerinnt oder geschädigt wird. Wird nun Getreide im Vakuum soweit erwärmt, daß das Wasser darin siedet und damit verdampft (den Dampf muß man natürlich abziehen) so hat man es schonungsvoll getrocknet. Mit der Trocknung mit heißer Luft kommt es dagegen immer wieder zu Schäden, da man versucht ist, rascher, also mit größerer Hitze zu trocknen (manchmal kommt es dabei sogar zu Bränden!). Das Prinzip war ein Patent der Firma Bühler in der Schweiz. Nur waren wir an die falschen Leute geraten, da wir auf den billigen Preis geschaut hatten. Vorher hatten wir noch versucht, Mais in Kolben zu trocknen. Wir hatten die Bauer-Scheune gemietet und dort versucht, Mais über Windkanälen aus Holz (Dreiecke aus Stäben von ca. l m, verbunden mit Latten, in die wir mit einem Gebläse Luft hinein- und damit durch den darüberliegenden Mais in Kolben drückten) zu trocknen. Aber das war mißlungen, der Mais war teilweise verschimmelt. Da hatte uns also die Firma Reisner-Wolf ein Angebot erstellt, das einen l0 t Rieseltrockner nach dem Vakuumprinzip mit Verdampferkühlung (der Brüdendampf mußte ja dann mit Kühlwasser abgekühlt werden, damit die Vakuumpumpe funktionierte) umfaßte. Vorher hatte die Firma sogar eine Luftkühlung versprochen, das wurde dann aber abgeändert. Und als es dann an die Lieferung und den Zusammenbau ging, hieß es, wir müßten Kühlwasser zuleiten. Sie ließen im Preis etwas nach, aber einige Sekundenliter Wasser wären für die Brucker Wasserleitung eine Überforderung gewesen. Ich glaube, daß die Gesamtleistung um l0 l/sec liegt! Ich machte mich also auf die Suche nach Grundwasser. Vor dem Rundsilo gegen das Geleise ließ ich graben (früher hatte ich ja immer beobachtet, daß neben dem Geleise von der Feldgasse her im Frühjahr lange Zeit Wasser stand - aber das war nur Schmelzwasser und Niederschlagswasser, das in dem Tonboden nicht versickern konnte) - aber es gab nur Ton. Neben dem Pfarrerstadel hatte die USIA noch in der Russenzeit einmal gebohrt. Da fuhr ich also in die ÖMV und ließ mir das Profil zeigen. Sie hatten Öl oder Gas gesucht, das sie über einem Wasserhorizont vermuteten. Sie waren auf Wasser in l37 m Tiefe gestoßen, ohne daß es Öl oder Gas gab. Da in Bruck, also zwischen Leithagebirge und Hundsheimer Bergen, eine tiefe Senke - man schätzt um 700 m - durch Meeresablagerungen und eiszeitliche Ablagerungen aufgefüllt wurde (die Schotter der Parndorfer Platte stammen von der Ur-Donau, aus der Eiszeit), gibt es da mehrere Schichten von Tegel und Schotter. Die Schotterschichten sind wasserführend, möglicherweise in Verbindung mit dem Steinfeld, also dem Wasser vom Schneeberg, Rax und Wechselgebiet. Aber - bei Deutsch Altenburg gibt es auch warmes, schwefelhältiges Wasser. Ich schwankte, ob wir so eine Bohrung machen sollten - billig wäre das ja auch nicht gewesen. Und dann sagte ich mir: was geschieht dann, wenn wir auf so ein Wasser wie in Deutsch Altenburg kommen? Sollen wir dann ein Sanatorium statt einem Lagerhaus machen? Da kam der Fachmann von Reisner-Wolf mit der Idee, Kühlwasser von der Leitha durch den Kanal herzuleiten. Als Anfangsstation bot sich ein Pumpenhaus neben der Leithabrücke der Parndorferstraße an. Dort wurde eine Pumpe installiert, die dann das Wasser ins Lagerhaus pumpen sollte. Durch den Leithapark wurde aufgegraben und ein Plastikschlauch bis in den Kanal in der Burgenlandstraße verlegt. Bei den Kanaleinstiegen wurde der Schlauch in den Kanal eingeführt und die Enden dann mit einer Kupplung zusammengeschlossen. Durch die Burgenlandstraße, den Hauptplatz und die Wienergasse ging es ja, denn die Leute konnten - wohl gebückt - darin gehen. Am Raiffeisengürtel wurde es aber kritisch, denn das Kanalprofil war so eng, daß man nur auf dem Bauch kriechend durchkonnte. In der Mitte zwischen Finanzamt und Kino war aber dieser Kanal abgesackt, so daß er ziemlich voll Wasser war und die Leute - Hauptakteur war Frieß aus Höflein - unverrichteter Dinge umkehren mußten. Nun hatte aber Frieß einen kleinen Hund "Blacki", den er holte. Der bekam eine Schnur an das Halsband gebunden und dann lockte sein Herrl vom nächsten Kanaleinstieg den Hund - und richtig, er kam mit der Schnur zu seinem Herrl. Dann war es keine Kunst mehr, an die Schnur ein Seil zu hängen und an das Seil dann das Wasserleitungsrohr (Plastik). Zumindest Otto (ob Gerhard, weiß ich nicht mehr) hatte dabei fleißig mitgearbeitet. Wir hatten der Gemeinde versprechen müssen, daß sie unsere Wasserpumpe auch für Feuerlöschzwecke und sonstige Wasserentnahmen aus der Leitha benützen dürfe, dafür durften wir ja auch das Pumpenhaus der Gemeinde benützen. Später gab es öfters Probleme, wenn die Leitha Holz mitbrachte, das sich beim Einlauf ablagerte (durch den Sog). Dazu kamen Schlamm- und Sandablagerungen, die den Zulauf zur Pumpe beeinträchtigten. Wir mußten dann einen Zulauf betonieren, der stromabwärts angelegt wurde, damit das Treibgut nicht hineinge-schwemmt wurde. Ich war wiederholt bei dieser Pumpe, wenn Steyr in der Nacht trocknete und wiedereinmal der Wasserzulauf nicht klappte. Wir hatten ja wohl in dem Brunnen (der von der Wassersuche zwischen Rundsilo und Geleise bestand) ein Zwischenlager für unser Kühlwasser, der mit einem Schwimmer gekoppelt die Pumpe an der Leitha steuerte, aber zu lange durfte man nicht warten, wenn kein Wasser nachkam, da ja der Verbrauch groß war. Das Kühlwasser leiteten wir wieder in den Kanal, dadurch war es nicht schwierig gewesen, das Wasserrecht für die Entnahme von Leithawasser zu erhalten. Der Kanal leitete ja das Wasser wieder in die Leitha.

Im Verband hatte ich also bei Strobl kein gutes Bild, weil ich nicht ganz schuldlos am ERP-Kredit für den Rundsilo gewesen war und Steinböck jun. schürte diese Spannung, da er ja eifersüchtig die Vergabe der ERP-Kredite als "seine Gnade" bewachte. Ich weiß nicht, ob Strobl durch Bauer Xandl (so nannte ihn sein Bruder Ernst) erfahren hatte, daß ich auch dabei war, als es um den ERP-Kredit für Bruck ging - jedenfalls hatten sie mich durch den Entzug der Remuneration gewarnt, die Sache nicht zu weit zu treiben. Aber auch so wäre es zum Bruch mit Paul gekommen. Er hatte mich (ich hatte die Telefonnummer im Lagerhaus gelassen) telefonisch aus dem Urlaub zurückberufen lassen, weil die Teile für den Vakuumtrockner nicht rechtzeitig geliefert worden waren. lch fuhr also auf der Rückfahrt zur Firma Reisner und Wolf in Wels um zu urgieren. Der Trockner wurde trotzdem nicht zum Einsatz bei der Getreideernte fertig. Aber ich hatte eine Wut, daß sich Paul so aufspielte! Da er merkte, daß ich nicht so sprang, wie er pfiff, dachte er sich etwas Besonderes aus. Durch Jüly erfuhr ich es dann: Jüly und Artner, beide Fuktionäre, sollten zum Verband fahren (er selbst wollte nicht, weil er mit Strobl ja nicht gut war - er erzählte mir, daß sich eine Müllerin aus Grafenwörth beim Verbandskränzchen auf seinen Schoß gesetzt habe - Strobl aber ein Auge auf diese Frau geworfen hatte) um meine Versetzung zu verlangen. Paul hatte da schon mit Hermann Nebel gesprochen und eine Zustimmung zur Nachfolge in Bruck bekommen. Nun war ich ja nicht so versessen auf Bruck, und um l950 herum hatte ich einmal bei Strobl vorgesprochen, da Ebreichsdorf frei geworden war, ob ich dorthin kommen könnte. Strobl hatte mir aber damals gesagt, ich soll nur auf Bruck schauen, damit etwas daraus wird. Also ein Wechsel wäre von mir aus durchaus möglich gewesen. Ich hatte zwar viel in Bruck erreicht, aber ich war damit nicht verheiratet. Aber auf diese Art, wie Paul sich das vorstellte - so nicht. Die beiden Funktionäre hatten sich geweigert, das zu machen - aber Paul hatte von ihnen das Versprechen verlangt, mir davon nichts zu sagen. Und nun hatte Jüly geplaudert, und ich war wütend. Als dann vor der nächsten Vollversammlung Paul bei mir - Jüly war ebenfalls anwesend - davon sprach, daß er Obmann werden wolle und Jüly ihn dazu vorschlagen solle (einen Einwand, daß der Obmann ja gar nicht zur Wahl stünde, wischte er einfach weg: ich solle zu Gretsch gehen und ihn überreden, zugunsten von Paul zurückzutreten) weigerte sich Jüly, da mitzumachen und den Vorschlag bei der Vollversammlung einzubringen. Darauf ging ich zu Gretsch, um ihm davon zu erzählen. Der wäre zuerst damit einverstanden gewesen, zurückzutreten, damit Paul Obmann werden könne. Da mußte ich ihm ein Korsett verpassen, damit er nicht umfiel. Dann organisierte ich die Vollversammlung über Raser in Gerhaus, der die Leute an der Leitha beeinflussen konnte, mit Esel und Sewald in Höflein. Bei der Vollversammlung legte also Paul seine Funktion als Vorsitzender des Aufsichtsrates nieder (um für den Obmann frei zu sein). Bei der schriftlichen Abstimmung ergab sich aber eine Mehrheit für Gretsch als Obmann. Paul stand mit einem dummen Gesicht da. Artner war an Stelle von Paul als Vorsitzender gewählt worden und auf seine Stelle in den Vorstand wählten wir dann Reiser aus Rohrau, so daß Paul ganz draußen war. Ich klopfte das Eisen, so lange es noch warm war und fuhr zu Strobl: Wir müssen einen Silo bauen! Er meinte: "Sie sind ja verrückt - bei dem finanziellen Stand!" Ich erklärte ihm nun: Wenn wir jetzt nicht bauen, dann sagen die Bauern: "Ja, weil der Paul nicht mehr drinnen ist, darum geschieht nichts mehr", Strobl überlegte kurz (diese Argumentation war also angekommen) und sagte dann: "Also gut, der Verband wird bauen". Das war natürlich viel, viel besser, als ich gehofft hatte. Ich war aber gewitzt, da mir Strobl schon einmal etwas abgestritten hatte und sagte ihm, er möge es uns schriftlich geben, damit ich zu Hause etwas vorzeigen könne. Zur Sitzung kam dann noch der Leiter der Bauabteilung, der alles bestätigte und im Auftrag von Strobl auch erläuterte. Jetzt war nur noch die Frage der Größe zu klären. Strobl war für 250 Waggon, ich für das Doppelte. Es wurden dann 420 Waggon einer billigeren Bauweise (größere Zellen, daher weniger Wände im Silo), wobei wir selbst die Einrichtung zu bezahlen hatten. Bei der Eröffnung kam Strobl natürlich heraus und meinte zu mir: "Jetzt werden Sie aber doch genug Lagerraum haben". lch antwortete, daß wir möglicherweise einmal l000 Waggon Platz benötigen würden. Er bezeichnete mich damals als verrückt - aber schon nach einigen Jahren hatte ich durch die Tatsachen recht bekommen. Dann kam nach einigen Jahren noch ein Rieseltrockner für l0 t Stundenleistung dazu und, als der Lagerraum für Getreide tatsächlich zu klein wurde, eine Getreidelagerhalle. Durch die Erhöhung der Übernahmekapazität der Gossen auf je l00 t/Stunde konnten wir eine Tagesleistung von l.400 t ohne längere Wartezeiten (höchstens eine Stunde) erreichen und die Ware in kurzer Zeit auch trocknen.

Im Fasching l960 hatte Gerhard seinen Maturaball, zu dem wir auch gingen. Mutti und ich saßen am Tisch des Bezirkshauptmannes Dr. Parisini (ich war Obmann der Pfadfindergruppe Bruck und Parisini war ein hoher Funktionär der N.Ö. Pfadfinder) und neben Mutti saß der Bezirksschulinspektor Dr. Brantner. Der kam mit Mutti ins Gespräch und sie sagte ihm, daß sie dieser Ball an ihren Maturaball erinnere. Darauf fragte er sie, wo sie maturiert habe. Als sie ihm sagte, in der Hegelgasse, meinte er, dann sei sie also Lehrerin. Sie bejahte und da erklärte er ihr, es wäre ein großer Lehrermangel und fragte, ob sie nicht Lust hätte, den Beruf auszuüben. Mutti lachte dazu - aber es ließ ihr keine Ruhe. Als auch ich erklärte, daß ich nichts dagegen habe, wenn sie gern als Lehrerin arbeiten würde, ging sie auf die BH, und sagte dem guten Mann, daß sie bereit sei. Es gab da noch eine Schwierigkeit, denn sie durften Leute nur bis 40 Jahre anstellen - aber da bekam sie eine Ausnahmegenehmigung da es sich ja nur um eine ganz geringe Zeitspanne handelte. Sie ging also in die verschiedenen Klassen, um sich den Unterricht anzuhören und sich überhaupt ein Bild von den herrschenden Methoden zu machen. Daneben fuhren wir fleißig ins Pädagogische Institut (P.I.) in der Burggasse, meistens einmal in der Woche von 15 - 19 Uhr, manchmal auch zu einer Lehrvorführung am Nachmittag, so daß sie bald mitten drin war im laufenden Geschehen. In einer Volksschule in unmittelbarer Nähe des P.I. wurden Unterrichtsvorführungen abgehalten, bei denen eine Klasse unterrichtet wurde und nach Ende des Unterrichts wurde für die zuhörenden Lehrer der Unterrichtsstoff der kommenden Woche aufbereitet. Diese Veranstaltungen besuchte Mutti jahrelang. Und zum Schluß gab es neben dem Unterricht auch Vorführungen von Klassen mit Legasthenikern in der Per Albin Hansun-Siedlung am Laaerberg, die Mutti eifrig besuchte, so daß der Inspektor nicht genug "Lobende Anerkennungen" alle Jahre ausstellen konnte. Er hatte, mit einem Wort, bei diesem Maturaball einen ganz glücklichen Griff getan und eine eifrige, ehrgeizige Lehrerin für sein Team gewonnen. In Bruck wurden dann auch Anfängerinnen in ihre Klassen geschickt, damit sie sich einen modernen und effektiven Unterricht anschauen konnten. Mutti hatte ein sehr herzliches Verhältnis zu ihren Kindern, die sie ihrerseits auch sehr liebten. Dadurch war der Erfolg im Unterricht gegeben wobei die Kinder noch dazu gerne in die Schule gingen. Sie verlangte viel und legte ein rasches Tempo vor - beachtete aber, daß in den ersten Klassen nur kurze Zeiten für konzentriertes Lernen möglich sind und daß dann eben auch wieder Lockerungsübungen eingeschoben werden müssen. Sie hatte also ein schönes Betätigungsfeld für ihre Begabung und ihr herzliches Wesen gefunden in der Zeit, als sich die eigenen Kinder abnabelten und ihre eigene Welt aufbauten.

Schon frühzeitig (noch im alten Lagerhaus, im "Keller" neben den Getreideboxen) hatten wir begonnen, die eigenen Fahrzeuge zu reparieren. Wir hatten einen Mechaniker, Jungwirt, aufgenommen, der als Brucker eine Beschäftigung suchte, aber nicht unbedingt Fahrer sein wollte. Er war Mechanikergeselle und verstand sein Handwerk aus dem FF - d.h. er verstand es nicht nur sehr gut, sondern konnte sich auch in den schwierigsten Fällen, so wie Teufel bei der Beobachtungsabteilung, mit den primitivsten Mitteln helfen. Ein Stückchen Blech, ein Stückchen Eisen, eine Feile, Hammer und Zange, Schlüssel und ein Schweißgerät - mehr brauchte er nicht. Diese komischen Geräte zur Motorüberprüfung und für Starter- und Lichtmaschinenüberprüfung usf. - das gab es ja noch gar nicht. Und trotz dieser primitiven Ausrüstung hielt er unsere Fahrzeuge, die ja auch immer älter wurden, in Schuß. Er schimpfte gern über die "schlampigen" Fahrer, die kein Herz für ihr Fahrzeug hatten - wurde aber auch von den Fahrern als echter Fachmann anerkannt, denn er reparierte halt dann doch wieder alles, wenn er auch dazu brummte. Als wir auf das neue Gelände übersiedelten, bezog Jungwirt das Tankstellenhäuschen. Nachdem wir von der Gemeinde den Pfarrerstadel erworben hatten (dabei machte sich Paul sehr verdient - er handelte halt sehr gern und der Partner Bgm. Pöperl war ihm da ganz gewaltig unterlegen, so daß er noch mehr Spaß daran hatte), bauten wir zwischen die beiden Tore mit Vorbau eine Werkstätte, vor allem für unsere Fahrzeuge, d,.h. mit einem entsprechend großen Einfahrtstor und einer großen Montiergrube. Da wollte ich das Landmaschinen- Reparaturgewerbe anmelden, aber Paul war dagegen. Er wollte es sich mit Schäfböck und Krakhofer nicht verderben. Wir suchten einen Ausweg und ließen alle zwei bis vier Wochen von der Werkstätte des Lagerhauses Gramatneusiedl bei uns ein Service für Traktoren abhalten. Da wir ja keine Werkstätte hatten, erhielten wir auch keinen Vertrag mit den Steyrwerken für den Traktorenverkauf, so daß wir alle Mitglieder nach Gramatneusiedl schickten, wenn sie nicht bei Suttner in Petronell einen Ford kauften oder in Hainburg auch einen Steyr-Traktor. Paul war jedenfalls dagegen, daß die Genossenschaft einen Landmaschinenhandel und selbstverständlich ganz strikt dagegen, daß sie eine Reparaturwerkstätte haben sollte. Die fliegende Werkstätte der Gramatneusiedler war ja auch nicht das Wahre. Es war ja nicht gerade Neid, wenn ich davon hörte, wie die Göttlesbrunner davon sprachen, daß sie wieder mit ihrem Traktor nach Gramatneusiedl, d.h. Marienthal fahren mußten, weil etwas zu reparieren war - aber gewurmt hat es mich immer. Es blieb also nichts anderes über, als selbst eine Werkstätte zu machen - auch gegen Paul. Der Verband hatte für diese Fälle, wenn eine Genossenschaft keinen Meister hatte, vorgesorgt, daß ihr Meister aus der Verbandswerkstätte Korneuburg oder ein Meister aus einer Nachbargenosserschaft für die meisterlose Genossenschaft die Aufsicht und Verantwortung gegenüber der Behörde übernahm - gegen Entgelt natürlich. Da wir also keinen Meister hatten, war es haheliegend, gleich den Gramatneusiedler Meister für unsere Werkstätte anzumelden - er kam dann alle heiligen Zeiten, um pro forma nachzusehen und sich sagen zu lassen, daß wir keine Schwierigkeiten hätten. In dieser Zeit war ich der Einkäufer für Ersatzteile von den Steyrwerken. Sie hatten am Ring ein großes Geschäft mit Lager, in dem ich meine Bestellung abgab und nach dem Besuch beim Verband dann die Ersatzteile abholte. Denn ich war ja derjenige, der nach Wien kam - und daß da einmal ein Werkstättenwagen um Ersatzteile fahren würde, das wagten wir alle zu dieser Zeit nicht zu träumen. Der Betrieb wurde größer weil immer mehr Maschinen in die Landwirtschaft kamen und weil die Bauern nicht mehr nach Gramatneusiedl oder Hainburg fahren wollten, und Jungwirt konnte die Arbeit nicht mehr allein packen. Eckert wurde als Lehrling eingestellt, lernte aus und wurde dann sogar Meister, so daß wir auf den ausgeborgten Meister, der natürlich auch etwas gekostet hatte, verzichten konnten. Dann kam auch Dragschitz zu uns, der in Petronell bei Suttner gelernt und gearbeitet hatte. Eckert war kein großes Kirchenlicht und fühlte sich Dragschitz unterlegen - wobei Dragschitz vielleicht auch nicht ganz unschuldig war und Eckert seine Unfähigkeit zu verspüren gegeben hatte. Jedenfalls kam es zu einem Streit und Eckert erklärte mir: "Entweder geht Dragschitz oder ich gehe". Ich sprach darüber mit Obmann Pimpel, der vor zwei Monaten nach Gretsch zum Obmann gewählt worden war und als ich vorschlug, Eckert gehen zu lassen, war er einverstanden. Also ging Eckert und wir standen wieder einmal ohne Meister da. Jungwirt lehnte, so wie schon immer, wiederum ab, mit "seinen Jahren" eine Meisterprüfung zu machen. Da gab es aber noch einen Mann - das war Schoderits. Der war vor zwei Jahren zu mir gekommen, da er von Krakhofer, bei dem er gelernt hatte, gekündigt worden war. Der Grund der Kündigung war gewesen, daß er in die Schule für Techniker in die Schellinggasse fuhr, also um 4 Uhr pünktlich Schluß machen mußte, um den Zug zu erreichen. Für Krakhofer waren das "dumme Tanz", eine Schule zu besuchen, um Matura zu machen und dann ein Ing. zu werden! Also kündigte er Schoderits. Die Nachbarn in Höflein waren die Sewald, die ihm nun rieten, mit mir, als einem verständigen Menschen, zu reden. Ich war nicht vorbereitet auf das Gespräch, erklärte ihm aber spontan, daß ich im Gegenteil zu Krakhofer sehr viel von Leuten hielt, die sich fortbilden wollten. Schoderits war baff über so eine Ansicht, daß ein Chef nicht den Arbeiter "ausbeuten" wollte sondern sich sogar freute, daß er etwas lernen wollte. Wir waren uns daher sofort einig. Nun aber hatte ihm ein Höfleiner, der in Wien bei einer KFZ-Firma in der Simmeringer Hauptstraße beschäftigt war, ein Angebot eines Arbeits-platzes in Wien gemacht und Schoderits hatte bei uns gekündigt. Die Arbeit hatte er aber noch nicht angetreten. Mit Pimpel fuhr ich also nach Höflein, wo wir Schoderits antrafen. In einem längeren Gespräch - ich redete ihm ein Loch in Bauch - stimmte ich ihn um, bei uns Werkstättenleiter zu werden. Wir hatten gerade eine neue Werkstätte, links von der Einfahrt 12 x 50m gebaut (heute ist sie mehr als doppelt so groß), so daß es eine ganz schöne Aufgabe war, diese Werkstätte nach eigenen Plänen mit den richtigen Leuten einzurichten. Ich hatte mit Schoderits den richtigen Griff getan, denn er hatte die Einrichtung und Organisation einer Werkstätte ganz selbstverständlich im Kopf, so daß in kurzer Zeit der Laden mit tüchtigen neuen Leuten - auch von ihm gebracht - hervorragend lief. In Kürze wurde der Bau zu klein, da wir auch Lastkraftwagen und PKW reparierten, so daß ein Erweiterungsbau notwendig wurde. Die Werkstätte wurde ein Musterstück für das ganze Land, eine der größten und die erfolgreichste. Das war zwar nicht mein Verdienst, aber ich habe den Meister nach besten Kräften bei seinen Investitionsplänen unterstützt (er war aber auch immer vernünftig, wenn etwas unsere Möglichkeiten überstieg). Dazu kommt, daß er nicht nur ein guter Techniker ist sondern auch kaufmännisch denken kann, was man unter dieser Leuten leider nicht sehr oft findet. Ich halte ihn daher für eine Ausnahme und ein Glück für die Genossenschaft.

Tankstellen in allen Orten der Genossenschaft schienen mir seit dem Einzug der Traktoren in praktisch alle Wirtschaften ein richtiges Bedürfnis. Es hätte sich angeboten, bei einem Kaufmann so eine Tankstelle einzurichten. Aber das waren ja in den meisten Fällen Konkurrenten und hätten da nicht mitgespielt. Ich war also auf allen Messen auf der Suche nach einer Tankstelle, die eventuell auf einem Papierstreifen eine Mitgliedsnummer und die Anzahl der abgegebenen Liter Treibstoff anzeigt. Es gab automatische Tankstellen für Fuhrwerker, aber keine hatte eine Anzeige, die für die nachträgliche Verrechnung geeignet war. Da ich auch die Tankstellenbaufirmen immer wieder befragte, waren auch diese Stellen interessiert. Und einmal kam die Firma Tonhaizer mit einem Typ, der mir zusagte. Es waren viele Zählwerke möglich: man konnte zahllose Blocks mit je 20 Zählwerken zusammenbauen, neben einem Hauptzählwerk, das die Summe angab. Und jedes Zählwerk hatte seinen eigenen Schlüssel. Das war also die Lösung. Jeder Bezieher hatte einen Schlüssel und konnte tanken so oft oder wann immer er wollte. Wir stellten dann einmal im Monat die Menge fest (die der Bezieher aber jederzeit überprüfen konnte) und schickten die Rechnung. Der Mann, der den Verbrauch feststellte - oder ein anderer Vertrauensmann - stellte mit einem Peilstab fest, wann eine Nachlieferung notwendig war - also eine perfekte Sache. Sofort wurden in allen Ortschaften von Sarasdorf bis Rohrau und in Arbesthal, Göttlesbrunn und Höflein solche Tankstellen errichtet. Dabei bauten wir recht billig, also mit viel Eigenleistung, so daß diese Investition nicht allzuhoch ausfiel. Es war trotzdem kein großes Geschäft, aber für die Mitglieder schon eine große Erleichterung. Bisher hatten sie - auch während der Arbeit - zu einer Tankstelle fahren müssen, oder sie hatten in Fässern zu Hause den Treibstoff gelagert, aus dem sie dann mit einer Handpumpe den Tank füllten.

In den folgenden Jahren bauten wir dann auch noch das Haus- und Hofgeschäft aus, indem wir in den Filialen Höflein und Göttlesbrunn eigene Läden zum Filialbetrieb einrichteten (Tesarek war hier der Betreuer und machte sich dabei sehr verdient) und in Gerhaus übernahmen wir einen Kaufmannsladen und führten sein Geschäft weiter. Ich betrachtete das als eine Ergänzung unseres Warenangebotes, denn in einer kleinen Gemeinde wie Gerhaus konnte ein Angestellter aus dem Vertrieb landwirtschaftlicher Bedarfsartikel (nach unserem Genossenschaftsstatut die Aufgabe der Genossenschaft neben der Überrnahme der Erzeugnisse) nicht bezahlt werden - und ein Kaufmannsgeschäft konnte bei dem geringen Umsatz auch nicht bestehen. Also versuchte ich es damit, daß ich beides vereinte - und dann ging es gerade noch. Aber die Hauptsache schien mir, daß die Mitglieder in ihrer Ortschaft ein Angebot hatten und nicht wegen jeder Kleinigkeit in die nächste Ortschaft oder gar nach Bruck fahren mußten.

Eine Lose-Dünger-Halle schien mir wohl notwendig, ich scheute aber die Kosten. Eine Rentabilität schien mir nicht gegeben - und irgendwie mußten ja die Kosten wieder hereinkommen. Also drückte ich mich immer darum, so etwas zu errichten. Auch die Manipulation mit losem Dünger ist ja nicht so ganz einfach: beim Superphosphat ist das Problem die überschüssige Schwefelsäure, beim Kali das Chlor, beim Thomasmehl der Staub - mit einem Wort: die Förderelemente, ob Förderbänder oder Schaufellader, und die Bauten werden damit - durch Korrosion - übermäßig strapaziert, so daß ich diese Angelegenheit immer vor mir herschob. Während des Krieges hatten wir ja genug losen Dünger in den Scheunen (reine Holzbauten) gelagert, um mir da eine gewisse Abneigung dagegen zu erwerben.

Im Genossenschaftsgebiet war schon vor der Zeit, als Nebel wirkte, die Saatguterzeugung gut eingeführt. Nebel hatte (nach meiner Meinung) damit die Gebietseinteilung umgangen, die ja jede Ortschaft und jeden Gutsbetrieb bei der Ablieferung von Konsumgetreide einem Händler oder einer Mühle zugewiesen hatte. Da die Genossenschaft erst nach erfolgter Gebietseinteilung gegründet worden war (nach der Errichtung der Kreisbauernschaft), war - auch mit wohlwollender Unterstützung des Kreisbauernführers Esel - eben nur ein kleiner Teil des Gebietes dann der Genossenschaft noch zugeteilt worden. Mit der Saatgutvermehrung konnte er aber dann etliche Gutsbetriebe gewinnen (sie konnten damit ja auch ihre Daseinsberechtigung unter Beweis stellen - denn Betriebe, die einem mächtigen Nazi nicht paßten, konnten leicht für die Ansiedlung von Südtirolern oder sonstigen Volksgenossen als geeignet gefunden werden), die ja meistens auch die Einrichtungen für die Aufbereitung, also Schüttböden und Reinigungsanlagen, besaßen. Außerdem war unser Gebiet als Saatguterzeugungsgebiet vorgesehen, da es ja klimatisch dafür gute Voraussetzungen hat und in vielen Fällen auch die Einrichtungen dafür vorhanden waren. Für die Genossenschaft war das eine ganz einfache Sache: der Gutsbetrieb erzeugte das Saatgut, die Kreisbauernschaft anerkannte und plombierte die Ware und wir erhielten vom Verband eine Liste der Bezieher. Wir mußten also nur mehr die Frachtbriefe schreiben. Die Waggonbestellung und die Verladung erfolgte vom Gutsbetrieb, so daß wir dabei herzlich wenig Arbeit hatten. Die Bezieher waren sehr häufig im Wartegau (Polen) oder in Jugoslawien - für uns aber kein Problem, denn ich rechnete mit dem Verband ab, der sich dann um das Weitere kümmern mußte. Nach dem Krieg war (außer Harrach) kaum mehr ein Gutsbetrieb in der Lage, Saatgut aufzubereiten - außerdem war ja dann das Burgenland weggefallen und da verblieben in unserem Gebiet außer Harrach noch das Bundesgut (das aber lange durch die Russenbesetzung ausfiel) und eventuell Paul in Trautmannsdorf. Daher bemühte ich mich, kleinere Vermehrer (Bauern) damit zu befassen und damit diese Sache einem breiteren Kreis zugänglich zu machen. Das war eigentlich eine Neuerung, denn bisher war das ja eine Domäne der Gutsbetriebe gewesen (manche Agrarpolitiker sahen darin ja die Existenzberechtigung der Gutsbetriebe - und Dr. Mader baute das dann mit seiner Saatzucht ja noch weiter aus). Ich wollte damit eigentlich die neuen Sorten einem größeren Kreis vorführen - und außerdem mit der Saatgutaufbereitung (denn die kleineren Betriebe hatten ja keine eigenen Möglichkeiten dazu) auch die lagerhauseigenen Aufbereitungsanlagen - und auch das Personal - beschäftigen. Daher bemühte ich mich auch immer, die neuesten Sorten für Großversuche in unser Gebiet zu bekommen und erreichte damit, daß wir erfolgreiche Sorten einige Jahre früher als die anderen in unser Gebiet bekamen und dann auch damit die anderen Genossenschaften belieferten. Es war wohl beim Saatgutabsatz meistens schwierig, denn zu Zeiten, da wir eine gute Ernte hatten, hatten ja auch die anderen eine gute Ernte und es wurde wenig zugekauft. Gab es eine schlechte Ernte im Land, war die Nachfrage nach den neuen Sorten groß - nur hatten wir dann auch weniger Ware zur Verfügung. Dieses Dilemma konnte ich nicht lösen. Gelegentlich lagerten wir über ein Jahr, aber die Keimfähigkeit wird dabei ja nicht besser, und die Zinsen laufen auch auf. Der Verband versuchte es dann später mit einer Kühllagerung - über das Ergebnis weiß ich allerdings nichts. Jedenfalls aber hatten wir immer die neuesten Sorten und ich kann behaupten, daß ich dabei sehr stark beteiligt war. Natürlich ging ich auch immer mit einigen Interessierten zu den Begehungen der Versuchsanstalt (Fuchsenbigl), um immer auf dem laufenden zu bleiben.

Das gleiche gilt für die Düngung und Schädlingsbekämpfung. Auch da wurden Feldversuche durch die Kammer und durch den Verband durchgeführt, zu denen wir oft die Versuchsbetriebe nannten und die Versuche dann auch immer wieder beobachteten. Vor allem in den Ortsversammlungen - zumindest in den ersten Jahren, später war es nicht mehr nötig, denn die Leute werden ja immer gescheiter - habe ich über diese Themen und über die Ergebnisse gesprochen und den älteren Bauern gelegentlich etwas Neues erzählen können. Bei der Fütterung hielt ich bis ca. l5 Jahre vor meiner Pensionierung mit, bis die Antibiotika und Hormonpräparate ihren Siegeszug antraten, d.h. die Tierhaltung industrialisiert wurde. So habe ich getrachtet, die Landwirtschaft unseres Gebietes weiterzubringen, so daß der einzelne Bauer eine Möglichkeit hatte, besser zu leben - und wenn das Ergebnis auch nicht spektakulär ist, so ist der Sprung von der Selbstversorger-wirtschaft zum Erzeuger marktgerechter Produkte in unserem Gebiet trotz der ungünstigen Größen- und Besitzverhältnisse verhältnismäßig reibungslos gelungen. Ich möchte mich nicht brüsten, ein Agrarpolitiker zu sein, aber bei einer Tagung der Akademikergruppe des Bauernbundes um l950 (Hartmann war dort Obmann und hatte bei der Versammlung den Vorsitz) über Agrarpolitik wurde mir bewußt, daß die wenigsten Leute überhaupt einen Begriff davon haben, was das Wort überhaupt bedeutet. Dort waren hohe Beamte vom Ministerium, Güterdirektoren und Gutsverwalter, Gutsbesitzer und einige wenige Studenten, die unter dem Titel Agrarpolitik den ganzen Abend über Arbeitgeberanteil beim Krankenkassengeld und solche Mätzchen quasselten, so daß ich mich zum Schluß zu Wort meldete und sagte, daß ich mir unter Agrarpolitik etwas anderes vorgestellt hätte. Auf die giftige Frage, was ich mir also vorgestellt hätte, meinte ich, daß mir dabei prinzipielle Fragen vorschwebten, z.B. ob wir in Österreich anstreben sollten, die volle Selbstversorgung mit Lebensmitteln zu erreichen, (zu dieser Zeit wurde fast die Hälfte des Brotgetreides und eine enorme Menge Futtergetreide importiert) und wie wir das angehen müßten. Da war der Teufel los! Das Gegenargument war, daß wir dazu zu wenig Arbeitskräfte hätten. Mein Einwand dazu: das gehört eben überlegt. Für einen Hektar Weingarten werden hundert Arbeitstage im Jahr gerechnet, Lenz Moser macht das in zehn Tagen! Nun wurde über Moser geschimpft und erklärt, das sei eine Ausnahme. Natürlich konnte keine Übereinstimmung erzielt werden, aber ich hatte das Gefühl, daß Hartmann nachdenklich schaute (vielleicht hatte er ähnliche Gedanken - aber sie schienen ihm noch nicht reif für diese Zeit und dieses Publikum. Inzwischen sind die Arbeitskräfte nur mehr ein Drittel der seinerzeitigen Zahl und die Selbstversorgung bei den meisten Erzeugnissen ist längst erreicht - ja jetzt liegt das Problem bei den Überschüssen. Aber immer noch heißt Agrarpolitik bei den Zuständigen: dort eine kleine Änderung beim Preis und da eine kleine Subvention. Wir müßten längst das Problem der Energieversorgung - ob es nun Rapsöl als Dieseltreibstoff oder Hackschnitzel von Energiebäumen für die Heizung oder meinetwegen auch Sonnenkollektoren auf den überschüssigen Feld- und Wiesenflächen ist - erprobt und versucht haben. Aber ein großes Ziel kann oder wagt niemand zu nennen. Daher auch die große Mutlosigkeit und Unsicherheit. Dazu kommt die Einstellung der Politiker, die ja auf die Stimmenanzahl schauen und dabei bemerken, daß der Anteil der Landwirte immer geringer wird, jetzt bereits unter 5% liegt. Da kann es einen dann nicht mehr wundern, wenn ein sozialistischer Gewerkschafter (in dummer Weise oder zynisch) erklärt, bei dieser geringen Anzahl von Betroffenen ist die Frage der Agrarpreise, wenn wir in die EG kommen,kein großes Problem, da es ja nur einen kleinen Anteil an der Bevölkerung betrifft. Daß aber nicht die Anzahl der Betroffenen ertscheidend ist, sondern das Potential, das die Bodenfläche des Landes als großes volkswirt-schaftliches Gut des ganzen Volkes ausmacht, auf der durch die kostenlose Sonnenenergie wertvolles Gut erzeugt werden kann, ist diesen armen Ignoranten nicht bewußt. Die wollen nur eine große Anzahl von Beschäftigten sehen - auch wenn sie nur das Stück, das einer nach links getragen hat wieder nach rechts zurücktragen. Dieses große Unverständnis der großen volkswirtschaftlichen Frage bei den "Mächtigen" führt nur zu Unsicherheit und Mutlosigkeit. Ein tüchtiger Bauer hat das einmal so ausgedrückt: vielleicht gehe ich auch einmal zugrunde - aber vorher geht auch der Harrach ein. Eine solche Einstellung, die keine Hoffnung und keine Zukunft sieht, sondern sich nur daran orientiert, etwas länger zu überleben, ist schon bedenklich - und es müßte nicht sein, wenn man ein ordentliches Konzept hätte. Wenn unsere Funktionäre im Anschluß an Sitzungen so lamentierten, habe ich ihnen entgegengahalten, daß unsere Vorfahren in den Kriegen im Mittelalter bis in die Neuzeit immer wieder ausgeplündert und ihre Häuser niedergebrannt wurden, daß Seuchen Menschen und Vieh vernichteten, sie aber immer wieder angefangen und weitergearbeitet haben und nicht gewichen sind. Schon als Bub (unser Geschichtsprofessor hat uns in der ersten Mittelschulklasse Felix Dahns "Kampf um Rom" empfohlen) hat mich ein Leitspruch daraus stark beeindruckt: "Wenn etwas stärker ist als das Schicksal, so ists der Mut, ders unerschüttert trägt".

Mutti hatte in ihren Vierzigerjahren Knoten an den Fingern bekommen, die sie schmerzten und an Müllnermutter erinnerten, die ganz verkrüppelte Finger hatte, so daß sie nicht einmal die Hände waschen konnte, so waren sie zusammengezogen. Eine Lehrerin war Patientin bei Dr. Schmid in der Walfischgasse, da sie ebenfalls Rheumatismus hatte und Schmid dafür ein Spezialist war. Zu dem fuhren wir viele Jahre, damit er sie mit Injektionen und Infusionen behandele. Da dieser Herr erst am Abend Ordination hatte, fuhren wir also auch erst am Abend nach Wien. Da konnte es passieren - es war im Winter - daß die Straße nicht frei war, sondern ordentlich verweht. Im Lagerhaus Schwadorf war noch Licht, so daß ich die Ketten montieren konnte und dann wagten wir die Fahrt - obwohl die Straße wegen Verwehung gesperrt war. Aber mit den Ketten hatte ich doch soviel Schwung, daß ich auch durch die Wächten kam. Nach Hause war die Straße dann wieder vom Schneepflug geräumt worden, so daß es anstandslos ging. Prof. Jesserer, der auch die Frau des Felix Rupp behandelte und in der Nachkriegszeit öfter herausgekommen war (zu dieser Zeit war ja die direkte Belieferung vom Lande noch gefragt), war im Franz Josefs-Krankenhaus. Er hatte eine Privatordination, in der er den Patienten das Geld abnahm und bestellte sie dann zur Untersuchung ins Krankenhaus, um die Laborwerte feststellen zu lassen.Da gab es ein Medikament, das das Zellwachstum blockierte (und damit die Erscheinungen des Rheumatismus, also Entzündungen in den Gelenken verhinderte). Die Nebenerscheinung war, daß die Haare ausfielen, da ja auch das Haarwachstum eingestellt wurde. Mutti bekam diese Behandlung und mußte dann eine Perücke tragen. Aber damit war wenigstens wieder Zeit gewonnen. Mit dieser Behandlung und der ständigen Einnahme von Medikamenten entging Mutti dem Schicksal, das ihr Dr. Stroj, den sie zuerst wegen der Knoten an den Fingern gefragt hatte, prophezeit hatte. Er hatte ihr gesagt: das ist erst der Anfang - aber dann werden sie im Rollstuhl sitzen müssen. Das hatte Mutti nie vergessen und alles drangesetzt, daß es nie dazu kam. Gerhard wurde auch dazu ermuntert (sicher tat er es ja auch aus eigenem Antrieb) sich überall dafür zu interessieren, was es Neues auf diesem Gebiet gab. Als er nach Klagenfurt kam, dürfte er in dieser Frage ein Experte gewesen sein - vielleicht besser als der Primar. In der Folge übernahm ja dann auch Gerhard die Behandlung und das Ergebnis war die normale Funktion der Gelenke ohne Beeinträchtigung und vor allem ohne Schmerzen. Allerdings mußte Mutti ihre Medikamente nehmen, was ja auch nicht immer unproblematisch ist, vor allem, wenn es so viele Jahre hindurch geschieht.

Im Studentenheim in der Kirchstetterngasse gab es auch einmal einen Vortrag eines jüngeren Referenten, eines reinen Theoretikers (oder für was sonst er sich halt hielt), der über den "Mehrwert" sprach, also das was vorgeht, wenn ein Material bearbeitet wird. Nach der Bearbeitung ist es um den Mehrwert wertvoller. Nun erzählte er uns, daß der Kapitalist als Besitzer des Gebäudes und der Maschinen, als der Besitzer des "Kapitals" 30% von dem erreichten "Mehrwert" unberechtigt einsteckt. Dieser Kapitalist ist daher interessiert, möglichst viele Arbeiter (also Ausgebeutete) zu beschäftigen, um möglichst oft diese 30% zu bekommen. Das ging mir gar nicht ein und ich meldete mich zum Wort und erklärte diesem Ignoranten, daß es ja nicht auf die Anzahl der Arbeiter und die Arbeit ankomme, sondern auf das Produkt. Wenn nun das Produkt von weniger Arbeitern erzeugt werden könne, dann bliebe dem Kapitalisten etwas vom Mehrwert. Denn der Preis bestimme ja das Angebot und die Nachfrage und nicht die Anzahl von Arbeitsstunden und Arbeitern. Also nicht die große Anzahl von "Ausgebeuteten" sei für den Kapitalisten wichtig sondern die Produktion. Ich kam da darauf, daß diese Leute oft nur etwas nachplapperten, was sie gar nicht verstanden. Eine ähnliche Erscheinung ist in meinen Augen heute die Arbeitslosenunterstützung. Wenn jemand arbeitslos ist, ist er ja arm. Auch ich habe als junger Mensch immer getrachtet, rasch wieder eine Beschäftigung zu bekommen, wenn meine Arbeit aus war und da ich keine "Arbeitslosenunter-stützung" bekommen hätte, habe ich sofort jede Gelegenheit ergriffen, zu arbeiten und nicht danach gefragt, ob das nahe meiner Wohnstätte oder in einer angenehmen Umgebung oder vielleicht nicht zu dreckig usf. ist. Nach meinem Dafürhalten gibt es viele Arbeiten, die im öffentlichen Interesse liegen, die man (da ja die Arbeitslosen ein Entgelt bekommen) für die Gemeinde, das Land oder den Bund ganz gratis machen könnte. Ob es Lawinenverbauungen oder Forststraßen sind oder Pflegeeinsätze in Altersheimen oder was weiß ich noch alles, das nicht geschehen kann, weil "kein Geld" dafür da ist. Und die armen Arbeitslosen haben keine Arbeit - denen könnte doch damit geholfen werden. Ein weiterer Effekt wäre dann ja noch, daß Schmarotzer (auch die soll es geben - obwohl ich es niemandem unterstellen will) dann geschwind eine ihnen besser zusagende Arbeit suchten und fänden - auch wenn sie vielleicht etwas weiter weg von zu Hause oder vom Freund oder der Freundin ist. Aber auf mich hört ja niemand!

Die Arbeitslosigkeit: die Tatsache, daß es arme Arbeitslose gab, die keine Arbeit finden konnten, hatte mich in meiner Jugend sehr bedrückt. Ich hätte viel - auch von meinem Leben - dafür gegeben, wenn man dem hätte abhelfen können. Als wir dann von den Nazis nach 1933 hörten, daß sie mit ihrem Programm, eine Autobahn zu bauen und andere öffentliche Bauten auszuführen, die Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit weggeschafft hatten, hat mich das stark beeindruckt. Daß ja aber auch viele, viele Leute ins KZ kamen oder ins Ausland flüchteten, wußten wir zu dieser Zeit noch nicht. Die Informationen waren zu dieser Zeit sehr dürftig: die KZ-Bewachung war ja SS und daher sicher verschwiegen. Entlassene KZ-ler gab es ja sicherlich nur ganz selten - und die waren, so wie unser Rupp-Pepi, auch nicht redselig, denn sie mußten ja befürchten, sofort wieder dorthin zu kommen, wenn sie nur ein Wort darüber sagten. Außerdem vermied zu seiner Zeit Schuschnigg (und seine Leute) alles, was vielleicht so aussehen könnte, "den Bären am Schweif zu zwicken" und vertuschten so auch alles, was von den Nazis sicherlich als "Verleumdung" des "großartigen Aufbauwerkes" in Deutschland bezeichnet worden wäre. (Es gibt sogar heute noch Leute, die die KZ-Greuel leugnen!).

l945 war an Urlaub nicht zu denken und l946 war es auch noch nicht so weit. Aber dann machten wir schon Pläne. Da gab es die verschiedensten Angebote für Ferien für Kinder von irgendeiner Stelle (ob es nicht sogar die Ärztekammer war?), die ein Heim in Küb am Semmering hatte. Dorthin brachten wir also die Buben, damit sie sich in der Waldluft erholten! Da wir sie nicht beunruhigen durften (!), saßen wir am gegenüberliegende Hang am Sonntag und sahen auf der Wiese neben dem Haus die Kinder und vor allem unsere! Dann war es wiedereinmal Burg Hartenstein im südlichen Waldviertel und wir, also Mutti mit Greti und ich, waren in Mondsee. Daneben hatten wir Verbindung mit Pauli Pretl (die von ihrem Mann schon geschieden war und mit den Kindern in Wien wohnte), die uns die Frau Mörschbacher (Hausname Weislinger) am Gumpenberg bei Haus im Ennstal geraten hatte. Da fuhren wir also mit Pauli hin (um überhaupt hinzufinden, denn das war gar nicht so einfach), um unseren Urlaub zu vereinbaren. Es war ein typisches Bauernhaus mit ein paar Rindern und Schafen. Der Mann war Ofensetzer und im Sommer immer außer Haus, d.h. im ganzen Land unterwegs. Zu Hause war eine "Nani" und der "Sepp", beide debil und ein Bub im Alter von Otto, der normal war. Die beiden älteren Kinder waren in der Wirtschaft beschäftigt, bei den Tieren, auf dem Acker und den Wiesen, während die Frau den Haushalt und die Feriengäste versorgte. Es gab da noch weitere Sommerfrischler, so daß ein rechtes Gedränge zu Mittag in der Stube war. Beim Frühstück verteilte sich die Schar ja, da nicht alle zur gleichen Zeit aufstanden. Die Zimmer waren also mit Urlaubern belegt und die Besitzer schliefen im Heu oder auf dem Hausboden. Dort wohnten wir also einigemal im Sommer, bis wir zum "Knappl", der oberhalb einen richtigen Bauernhof hatte und ordentliche Gästezimmer besaß, übersiedelten. Dorthin fuhren wir auch ein paarmal zu Weihnachten, um Schifahren zu können. Die Knappl hatten vier Mädchen und einen kleinen Buben, vielleicht drei oder vier Jahre alt, der auch schon Schier besaß und herumrutschte. Die "Knappl" hießen eigentlich Höflehner und der kleine Bub wurde dann ein ganz berühmter Schifahrer (Helmut Höflehner). Im Sommer waren wir dann gern in Kärnten in St. Magdalen bei der Familie Sommeregger. Von dort fuhren wir dann im ganzen Land umher, über die Turrach, über den Glockner, gingen über das Valentintörl vom Laserz zum Plöckenpaß, fuhren auch nach Tarvis zum Einkaufen. Beim Nachhausefahren erwischten uns einmal die Zöllner mit geschmuggelter Ware und ich mußte Strafe zahlen. Die Beschlagnahme des Autos konnte nur dadurch vermieden werden, da ja nicht ich, sondern die Genossenschaft Besitzer des Fahrzeuges war. Später machten wir unseren Urlaub dann in Kleinkirchheim bei der Familie Olsacher. Natürlich waren wir immer gerne im Bad, aber auch die umliegenden Berge wurden fleißig erwandert. In Kärnten kamen auch immer die Brachtl zu Besuch und auch wir besuchten sie in ihrem Heim in Klagenfurt. Von unseren Fahrten nach Tarvis fuhren wir auch gern über Jugoslawien zurück, rund um den Triglav.

Otto wollte also Maschinenbau an der Technik machen. Da bemühten wir uns um einen Heimplatz im Studentenheim in der Mayerhofgasse. Zwei Jahre mußte er dort ausharren, obwohl er damit überhaupt keine Freude hatte. Zum Schluß fuhr er fast jeden Tag nach Bruck. Da entschlossen wir uns, uns um eine Eigentumswohnung umzuschauen. Durch eine Zeitungsannonce kamen wir mit einer Firma in Verbindung, die ein Objekt im 5. Bezirk angeboten hatte. Das war eine ehemalige Fabrik, die in ein Wohnhaus umgebaut werden sollte. Wir waren beim Abschluß vorsichtg - und das war auch richtig, denn es stellte sich dann heraus, daß der "Verkäufer" ein Gauner war, der etwas anbot, das gar nicht ihm gehörte. Dann kamen wir auf die "Keilgasse". Das war ein reelles Geschäft, nur war da ein Vermittler dazwischen, der wiederum kräftig abkassierte. Aber es wurde wenigstens eine Wohnung gebaut. Der Baumeister verlangte dann noch Aufzahlungen und der Vermittler riß sich die Garagen im Hof unter den Nagel. Dazu gab es dann Prozesse der Besitzer gegen den Vermittler - wir machten da aber nicht mehr mit. Daher weiß ich auch gar nicht mehr, ob da etwas herausgekommen ist. Jedenfalls zahlte ich zweimal im Jahr 56.000 S - ich weiß gar nicht mehr wie lange, bis uns von der Landesregierung ein Angebot gemacht wurde, 60% des noch aushaftenden Betrages zu bezahlen. Das nahmen wir gerne an, bezahlten diesen Rest und damit waren nur mehr die Kosten für die Hausverwaltung zu bezahlen. Ich fand diese Kosten immer als überhöht. Aber da hätte die Hausgemeinschaft aktiv werden müssen, um diese Hausverwaltung abschütteln zu können.

Das Haus in Gramatneusiedl hatten wir nach unserem Umzug nach Bruck an das Lagerhaus Gramatneusiedl vermietet, das dort ihren Buchhalter unterbrachte. Als wir dann unser Haus in Bruck kauften, haben wir es verkauft. Das Haus von Müllnermutter hatten wir mit den Äckern an die Familie Faast verpachtet, die die Wirtschaft weiterführte. Wir hatten ihnen auch das lebende und tote Inventar übergeben, mit der Bedingung, daß jährlich eine gewisse Summe dafür zu bezahlen sei. Nun kam aber Faast seinen Verpflichtungen nicht nach, da er keine guten Ernten erzielte. Bei der Besichtigung der Felder mußten wir feststellen, daß er (ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es nicht-zeitgerechte oder ungenügende Bodenbearbeitung war oder eine mangelnde Düngung) einen ganz schlechten Bestand hatte und daher auch nur geringe Ernten erzielte. Der Mann war Zöllner gewesen und aus der Tschechei vertrieben worden - wahrscheinlich hatte er nicht die genügenden Vorkenntnisse für eine Landwirtschaft. Sie hatten eine Tochter, die später auch einen Waldviertler heiratete (den sie von ihrem früheren Aufenthalt kannte). Der junge Mann war wohl etwas aktiver, aber in der Familie dürfte es oft Streit gegeben haben, denn er verschwand bald wieder. Jedenfalls konnte Faast nicht den vollen Betrag, der vereinbart worden war, bezahlen. Ich versuchte einen Ausweg zu finden und bot ihm an, daß er Handelsdünger für die Äcker kaufen solle - den Betrag dafür wollten wir vom Pachtschilling absetzen. Ob er zu faul war dafür (er hätte den Dünger ja auch streuen müssen) oder zu dumm - jedenfalls geschah nichts. Das Verhältnis wurde also gelöst und er wanderte in die Gegend von Tulln oder Stockerau weiter. Die Äcker haben wir dann an einzelne Bauern verpachtet, wie es auch heute noch ist. Im Haus Nr. 33 (Müllnermutter) wohnte dann nach einem Fiasko mit einem Reisenberger, der in der Wohnung eine Chinchillazucht betrieb und durch herauslaufendes Wasser (Trinkwasser für die Chinchilla) den Fußboden verrotten und die Wände feucht werden ließ, Ertlbauer. Der hatte sein Haus in Hollern seinem Sohn überlassen, der es dann verkaufte, so daß Ertlbauer mit seiner Frau in Bruck in einer Mietwohnung wohnte. Ertlbauer hatte eine richtige Freude mit dem Haus in Gramatneusiedl. Er reparierte und bastelte darin die ganze Zeit, so daß wir von ihm gar keine Miete verlangten, da er ja soviel Arbeit investierte. Er konnte darin fuhrwerken, als wenn es sein eigenes gewesen wäre - und er hat das nie ausgenützt. Wenn wir ihn dann lobten, daß er alles wieder so schön gemacht habe, strahlte er über das ganze Gesicht. So war beiden Seiten gedient - und der alte Mann hatte sich so etwas ehrlich verdient. Als dann seine Frau starb, zog er zu seiner Tochter nach Bruck, wo er sich mit seinem Schwiegersohn, einem Fuhrwerker, nicht verstand und recht unglücklich war.

Im Lagerhaus waren wir bald zur Einsicht gekommen, daß die herkömmliche Art der Getreideübernahme, nämlich die Säcke auf eine Plateauwaage zu schlichten und dann nach der Abwaage zu entleeren, nicht die beste Lösung ist. Also mußte eine Brückenwaage her. Und womöglich auch gleich eine Gleisbrückenwaage. Zu dieser Zeit gab es praktisch nur die Firma Schember, die Waagen verkaufte und montierte. Ich weiß nicht mehr, durch wen wir auf Krpalek kamen. Er war bei Schember Monteur gewesen und hatte sich in Aspern selbständig gemacht. Der baute nun diese Brückenwaagen - ein oder zwei Jahre später mußte die Waage im Hof noch verlängert werden, da wir ja auch zwei Anhänger auf einmal abwägen wollten. Und eine Gleiswaage erachtete ich auch für sehr wichtig, denn es war vorgekommen, daß Waggons überladen worden waren, die dann wieder zurückgestellt oder auf dem Bahnhof teilentladen werden mußten. Im Silo hatten wir ja eine Kippwaage, die 50 kg entleerte und auf einem Zählwerk die "Kippungen" anzeigte. Wir hatten aber auch eine Waggonverladung vom Rundsilo und eine vom Flachbodenspeicher. Da mußte dann nach der m² Fläche des Waggons die Höhe des Getreides errechnet werden, damit die Ladefähigkeit nicht überschritten wurde. Da passierte es halt manchmal, daß dann doch zuviel im Waggon war - und da ist die Bahn sehr streng, so daß diese Waggons zurückgewiesen werden - was wieder in der Erntezeit eine große Kalamität bedeutete. Das Geleise hatte ich verlängern lassen, nachdem wir von der Bahn den Grund bis zur Feldgasse kaufen konnten. Eigentlich wollte ich auch auf die andere Seite, also bis zur Fischamendergasse, das Gleis verlängern - aber da war das Eisenbahnerhaus dagegen. Es wäre ja wohl Platz gewesen, aber die Mieter in dem Haus hatten da ihre Gärtlein - da konnte die Bahn uns das Schleppgleis nicht bewilligen. Wenn wir dann in der Erntezeit dringend mehr Waggon verladen mußten, als auf unserem Gleis Platz hatten (wir mußten ja die leeren Waggon zuerst in Richtung Gleisende schieben und dann der Reihe nach anfüllen - brauchten also Platz für die doppelte Länge des Zuges), mußte zweimal zugestellt werden. Und das war für die Eisenbahner (obwohl von der Direktion für die Erntezeit zugesagt) eine schier unmenschliche Belastung, so daß wir es nicht allzuoft in Anspruch nahmen. Wenn da ein menschlicher Schaden entstanden wäre - nicht auszudenken!

Genossenschaften sollen jährlich von der Revisionsabteilung überprüft werden. Die Landesregierung hat diese Revision der Landwirtschaftskammer übertragen, die eine eigene Revisionsabteilung geschaffen hat. l945 hatten wir also noch eine Revision gehabt mit Ing. Huber - aber dann wurde es ein wenig schwierig. Es wird l946 gewesen sein, als Dr. Holowski zu uns zur Revision kam. Er wurde im Gasthaus Höbinger einquartiert und wohnte in dem Teil des Gebäudes beim Gürtel, in dem schon Nebel gewohnt hatte. Damals also ging er eines Tages über die Leithabrücke und wurde von einem dort diensthabenden Soldaten festgenommen und ins Lager gebracht. Er wies sich als Revisor aus, der in der Landwirtschaftlichen Genossenschaft die fällige Überprüfung machte. Wir hatten alle eine Identitätskarte, die viersprachig ausgefüllt war. Außerdem hatte er aber als Revisor, der im Land herumfuhr, noch einen speziellen Ausweis der Kammer, der ebenfalls mehrsprachig ausgefüllt war. Die Namen für die russische Seite waren natürlich in zyrillischer Schrift - in Schreibschrift - also für einen Nichtgeübten kaum zu lesen. Im Identitätsausweis war nun sein Name (die Russen haben kein H) Golowski und in dem Ausweis der Kammer hatte der Dolmetsch Cholugowski geschrieben - ein Irrtum, den ja aber ein Laie nicht erkennen konnte. Nun zeigte Holowski seine beiden Ausweise vor (doppelt genäht hält besser - glaubt man) und da hatten die Russen, die ja eine ausgesprochene Angst vor "Spionen" hatten, den armen Kerl in den Bunker geworfen. Nach einigen Stunden kam dann ein Offizier, dem er schildern konnte, wieso er aus Böheimkirchen nach Bruck gekommen war und daß er hier ja eine Arbeit erfüllen mußte und nicht das Lager der Russen ausspionieren wollte. Ein Anruf bei Höbinger bestätigte dann, daß er dort wohnte und im Lagerhaus die Kontrolle machte. Darauf kam er endlich frei - aber über die Leithabrücke ging er danach nicht mehr. Als wir dann in Bruck wohnten, war er oft bei uns abends zu Gast (häufig auch zu Mittag) und spielte mit Otto Schach oder Karten. Wir kamen dann noch einige Male, als der Verband sein jährliches Kränzchen abhielt, in Wien auch mit seiner Frau zusammen, bis er aus dem Revisionsdienst (Außendienst) ausschied und nur mehr im Verband eine Innenrevision machte. Der nächste Revisor war Spielmann, der das Pech gehabt hatte, die Machenschaften von Rupp im Jahre l938 überprüfen zu müssen und nun nach dem Krieg etliche Schwierigkeiten deswegen bekommen hatte. Nun aber war Rupp wieder verschwunden und er durfte sich nach Bruck trauen. Er wohnte in Langenzersdorf und war ebenfalls oft bei uns zu Gast. Der Mann war sehr gefällig und machte mich wiederholt auf Dinge aufmerksam, die ein anderer Geschäftsführer günstig erledigt hatte, so daß ich die Revisionen immer als Gewinn für den Überprüften betrachtete. Zu finden gab es ja sowieso nichts, da wir keine "Leichen im Keller" hatten. Danach kam noch Liebhart zu uns. Als ich den Namen hörte, erinnerte ich mich, in einem Trauschein der Vorfahren von Vater diesen Namen gelesen zu haben. Richtig war er auch ein Abstamm von Waldviertlern, die auch aus der Gegend waren, so daß sogar eine Verwandtschaft möglich war. Der Mann war verheiratet, führte aber keine glückliche Ehe. Seine Frau war auch berufstätig und nach Tratschereien dürfte sie ihm nicht ganz treu gewesen sein. Jedenfalls begann der Arme später zu trinken und hatte Schwierigkeiten im Beruf. Die Gefahr ist bei diesen Leuten ja relativ groß, da sie in vielen Fällen von Geschäftsführern und Obmännern eingeladen werden und in Weingebieten der "Keller" oft der Ort der Einladung ist. Wenn dann einer noch etwas anfällig ist, dann besteht schon eine große Gefahr des Abrutschens. Jedenfalls kaufte er, wenn er bei uns revidierte, immer größere Mengen Wein bei Netzl und anderen Göttlesbrunnern ein.

Ich hatte schon als Filialleiter in Mannersdorf den Kleinverkauf betrieben, obwohl einige Mitglieder darüber gar nicht erfreut waren, denn es war ja ihre Genossenschaft - da hatten andere Leute nichts zu suchen. Diese Art des Geschäfts führte ich dann auch in Bruck weiter. Noch im Holzmagazin (Bahnmagazin) war Steurer der Mann, der einen Kleinverkauf an Siedler und Kleingärtner betrieb, die da Futter für ihre Hasen und Hühner kauften. Später kamen dann auch die Spritzmittel in diesen Raum, d.h. wir mußten ein versperrtes "Giftkammerl" haben, in dem diese Schädlingsbekämpfungsmittel gelagert wurden. Als wir nun neben dem Silo ein Magazin erbauten, siedelte ich diesen Kleinverkauf mit den Spritzmitteln in einen Anbau zum Waaghaus, eben in den Kiosk, um. Dort herrschte Steurer, der auch immer für die "Jause" der Arbeiter gesorgt hatte, also für die Arbeiter einkaufen gefahren war. Es war also naheliegend, auch einige Lebensmittel neben dem traditionellen Verkauf von Mehl, Grieß, Zucker und Salz, Hülsenfrüchten z.T. aus der Ernte unserer Mitglieder (sie bauten auch Bohnen und Linsen an), auch Getränke anzubieten. Selbstverständlich wollten unsere Arbeiter zum Frühstück ihr Bier haben, also führten wir es. Wenn dann ein Mitglied vielleicht eine Kiste Bier wollte, dann konnte es eben auch bedient werden. Und Sodawasser war ja natürlich auch notwendig, wenn einer z.B. einen Heurigen eröffnete. Da lag es natürlich auch nahe, dieses Geschäft zu erweitern. Wir bemühten uns, auch Arbeitskleidung und Arbeitsschuhe für die Landwirte anzubieten. So griff eines in das andere und es wurde ein Allzweckladen, denn die "Kleinigkeiten", Nägel, Schrauben, Werkzeug und solche Sachen konnten wir natürlich nicht in einem Magazin liegen lassen. Da war ich immer der Meinung, zwischen diesen Dingen und dem Käufer gehört eine Verkaufsfläche, eine "Budel", da bei uns in Bruck ansonsten die Selbstbedienung (leider ohne Gang zur Kassa) zu sehr eingerissen wäre. Was aber dann nach meinem Abgang in der Feldgasse errichtet wurde, das hätte meine Vorstellungskraft weit überstiegen - das hätte ich nie zu träumen gewagt. Aber auch diese Anfänge waren für viele revolutionär, denn eines Tages erschien Dir. Flener mit Gen.Dir. Lunatschek (der von der Molkerei-Sparte kam), um sich unseren bescheidenen Laden anzusehen. Lunatschek hatte in den Milchverkaufs-geschäften der NÖM ebenfalls schon einen zusätzlichen Lebensmittel-handel eingeführt und war der Überzeugung, daß auch die Landwirt-schaftlichen Genossenschaften in ihrem Bereich das Sortiment erweitern müßten, um dem Mitgliedsauftrag "Beschaffung landwirtschaftlicher Bedarfsartikel" zu genügen. Daß Arbeitskleidung und Geräte dazu gehörten, war ja selbstverständlich - aber warum sollten Lebensmittel nicht auch dazugehören? Als unser Laden nun größer wurde, stellten wir auf Rat von Millner (inzwischen Magazineur) Schalling ein. Der kam ebenfalls von Jerabek, war ein gelernter Einzelkaufmann - aber leider ein Blender, d.h. viele Worte und wenig effektive Arbeit. Ich hatte mir natürlich von einem Kaufmann eine Initiative zur Entwicklung dieses Geschäftes erwartet. Leider sah es dann so aus, daß er wahnsinnig viel und gern sprach - aber wenig tat.

Inzwischen studierten Otto und Gerhard in Wien und wir sahen uns immer seltener. Gerhard führte ich ein paarmal nach Hainburg, als er dort famulierte, ein anderes mal nach Graz, als er dort arbeitete. Otto hatte seinen Roller und fuhr damit nach Stuttgart (wir besuchten ihn dort) und wohnte dort in einem Studentenheim, als er bei Mercedes eine Ferialpraxis machte. Auf dem Weg nach Hause ging ihm der Roller ein und er kaufte sich irgendwo in Tirol einen PKW (ich glaube, es war ein Ford) um 5.000 S (?). Von da an war er noch mobiler. Einmal praktizierte er bei den Treibachern, das war sehr anstrengend, wegen der Hitze, und einmal bei den Planseewerken, wo wir ihn auch besuchten (ich glaube, Ilse war auch mit). Daneben war er immer sehr aktiv bei den Pfadfindern in Bruck, wurde dann auch Feldmeister und arbeitete in Ebergassing, als ein Kaplan von Bruck in Ebergassing Pfarrer wurde. Das war ein netter Mensch, der aber später heiratete und irgendwohin hinter den Semmering (in die Steiermark) verschwand.

Als Kind war ich einmal auch in Schirmansreith beim Vater von Pfabigan gewesen. Der war Wagner und hatte sein Haus mit der Werkstätte neben der Straße, ca. 6 bis 7 m entfernt. Auf dem Wiesenstreifen, auf dem auch die Fuhrwerke repariert wurden, standen einige Bäume - Zwetschken und Äpfel - an deren Ästen in rund 2 m Höhe Vogelkäfige hingen. Der Mann war ein "Vogelnarr" und nahm aus den Nestern die jungen Vögel zu einer Zeit, wo sie bereits eingefedert waren, aber noch nicht fliegen konnten, und sperrte sie in einen Käfig - je einen. Die Eltern der Jungen hörten dann das jämmerliche Geschrei der Kinder und fütterten sie durch die Gitterstäbe hindurch, so daß sie normale große Vögel wurden. Heute weiß ich, daß auch fremde Artgenossen auf dieses Betteln der Jungvögel reagieren, so daß es nicht immer die Elterntiere gewesen sein müssen, die die armen Jungen großzogen. Von dort haben wir dann durch Pfabigan einmal einen Finken und nach dessen Tod einen Stieglitz bekommen. Papa war an diesen Vögeln immer sehr interessiert, pfiff ihnen etwas vor, um sie zum Singen zu bewegen und ließ sie auch öfter aus ihrem Käfig frei, damit sie in der Wohnung umherfliegen konnten. Als wir später Wellensittiche hatten kam es vor, daß sich einer auf seine Schulter, ja auch auf den Kopf setzte. Ich vermute nun, daß Franz von Papa diese Vorliebe für alle Tiere hat, denn auch er hatte immer Tauben oder andere Vögel (Falken, Eulen) und Fische gehalten. Leopold und Richard waren zwar nicht dagegen, Tiere zu halten - jeder hatte seinen Hund - aber diese große Begeisterung war nicht vorhanden. Ähnlich war es bei mir: ich hatte immer gern Katzen und verstand mich mit ihnen sehr gut. Als ich einmal mit Mutti eine ihrer Schulfreundinnen besuchte - sie hatte eine sehr gute "Partie" gemacht, also reich geheiratet - war dort auch eine Katze anwesend, die aber niemand, vor allem keinen Männern, zuging. Mit uns waren auch die Beierl anwesend. Da kam auch die Katze zum Tisch und alle beschäftigten sich mit ihr, was sie mit großer Zurückhaltung zur Kenntnis nahm. Ich verhielt mich ganz normal und sprach mit ihr und da sprang sie mir auf den Schoß. Ihr Frauerl war ganz erstaunt. Nichteinmal ihrem Mann ging sie so zu! Das war direkt eine Seltenheit. Im Gasthaus in Gramatneusiedl gab es natürlich auch immer Katzen - vor allem Mutter liebte sie sehr. Dabei hatte sie das Unglück, daß sie einmal einer Katze, die ihr vom Tisch ein größeres Stück Fleisch gestohlen hatte (Mutter mußte in die Schank, um einem Gast einzuschenken und hatte ihre Arbeit unterbrochen) mit dem Küchenhangerl nachlief und sie bei der Stiege, die zum Hof hinabführt, einholte. Dort schlug sie mit dem Tuch auf die Katze - und die fiel um und war tot. Also das vergaß Mutter nie und bedrückte sie immerzu. Dabei war es ja nur ein Tuch gewesen - und sie war in berechtigtem Ärger, denn diese Diebin hatte eine Mahlzeit gestohlen. Ob die Katze vor Schreck der Schlag getroffen hat? Aber jedenfalls gab es immer Katzen, die auch regelmäßig ihre Mahlzeiten bekamen. Vater war nicht unbedingt gegen die Katzen - aber auf einen Sessel, von dem aus sie auf den Tisch hinaufschauen hätten können - das gab es nicht! Vor allem in der Gaststube wäre das unvorstellbar gewesen. Und in der Küche hätten sie ja auch nichts verloren gehabt. Die sollten Mäuse fangen! Bei mir gab es diese Voreingenommenheit nie. So saß also die Katze auf dem Fensterbrett und ich davor in einem Lehnsessel. Dabei leckte mir die Katze die Haare, frisierte mich, daß die Haare zu Berge standen. Als wir daher einmal in Bruck keinen Hund in der Wohnung hatten - Rexi und Rolfi waren ja im Hof - bekam Mutti von Frau Türk ein kleines Kätzchen. Von mir aus wurde sie eine "Türkische Katze" und wir nannten sie "Uschi". Als dann Wildberger Karli ein Mäderl bekam, hätte er sie gern Uschi getauft - aber da der Name bereits an unsere Katze vergeben war, mußten sie einen anderen Namen für ihr Kind suchen. Uschi war eine sehr eigenwillige Katze, die nicht leicht Freundschaften schloß. Sie selbst aber war bald ein richtiges Familienmitglied. Schwierig war es nur, wenn wir in Urlaub fuhren. Uschi war häufig über Nacht unterwegs - nur manchmal kam sie schon am Abend und miaute vor der Tür. Wenn dann Greti öffnete, legte sie ihr eine frisch gefangene Maus vor die Füße und Greti bedankte sich überschwenglich für das Geschenk. Wenn wir also länger weg waren hatte Steurer die Aufgabe, ihr täglich Milch bei unserer Eingangstür zu geben. Einige Tage nahm sie diese Mahlzeit an, und dann verschwand sie. Wenn wir dann aus dem Urlaub zurückkamen, dauerte es wieder einige Tage - manchmal sah ich sie dann am Abend auf dem Lagerhaushof und konnte sie rufen - bis sie wieder zu uns kam. Sie trug uns die Abwesenheit nicht lang nach - zumindest zeigte sie es nicht - aber wenn wir nicht da waren, war die Wohnung auch nicht mehr interessant für sie. Als junge Katze hatten wir für sie einer Aufzug von der Küche in den Garten eingerichtet: ein Einkaufskorb wurde an einer Schnur befestigt. Uschi stieg furchtlos ein und wir konnten sie in den Garten hinunterlassen. Hatte sie ihr "Geschäft" verrichtet, miaute sie, wir ließen den Korb hinunter und sie stieg ein, um wieder hinaufgezogen zu werden. Sie hatte ein paarmal Junge - aber es ist ja immer schwierig, die richtigen Liebhaber für die Kleinen, die einem ja auch schon ans Herz gewachsen sind, zu finden. Ein Beispiel für unsere Anpassungsfähigkeit möchte ich noch anführen. Unsere Arbeiter bauten sich ihre Häuser zum größten Teil in Eigenregie. Sie mußten natürlich die Tafel eines Baumeisters haben (gegen ein geringes Entgelt), aber die Arbeit machten sie selbst, wobei immer eine größere Zahl - vier oder fünf - sich gegenseitig aushalfen. Da gab es Spezialisten für Schalung, für die Betonarbeiten, Maurer, Deckenverleger usf. Ich nutzte das dann aus und ließ im Lagerhaus Deckenbalken fabrizieren. Wir bekamen den Plan von einem Baumeister für eine Rapiddecke. Die Deckensteine hatten wir auf Lager, ebenso Baustahl in verschiedenen Stärken. Hinter unserem Tankhaus war eine betonierte Fläche über den Lagertanks, also eine ebene, saubere Fläche. Auf der wurden die Träger von "Spezialarbeitern" in ihrer Freizeit - im Akkord - fabriziert. Da werkten sie am Abend oder am Samstag, verdiente sich etwas zusätzlich - und wir lieferten preisgünstig an die Bauherren komplette Decken aus. Später erzeugten die Wienerberger Ziegelwerke ebenfalls Decken nach Maß und Bestellung, so daß unsere "Produktion" rückläufig wurde. Aber ich will damit nur zeigen, daß ich (oder wir) immer die Augen offen hatten, wo es eine Möglichkeit für einen Arbeitseinsatz gab. Unser Problem war ja schon immer gewesen, daß wir in der Erntezeit eine größere Anzahl von Arbeitern und Fuhrwerken benötigten, die wir dann in der Zwischenzeit aber ebenfalls - kostendeckend - beschäftigen mußten. Vom Verband wurden die Geschäftsführer öfter zu Schulungen einberufen - oft eine Woche, manchmal aber auch für Vorträge an einem Tag, in dem uns die Aufgaben eines Betriebsführers klargemacht werden sollten. Er sollte also möglichst viele Aufgaben abgeben, nur kontrollieren und "an die Zukunft denken". Dabei kam ich immer mehr zur Einsicht, daß ich das ja bereits immer gemacht hatte, ohne davon zu sprechen. Ob es die Garbenbänder waren oder das Heumehl oder die Tankstellen oder die Silobauten oder der Kiosk oder die Werkstatt - immer versuchte ich, einem Bedürfnis oder einem Bedarf zu genügen. Möglicherweise habe ich zu wenig "gegackert" (wie ein Huhn, wenn es ein Ei gelegt hat) wenn wir etwas Neues gemacht haben - aber es war mir eigentlich auch gar nicht wichtig ob es anerkannt wurde. Natürlich habe ich mich gefreut, wenn es bemerkt und gewürdigt wurde - aber deswegen habe ich es nie gemacht. Für mich war es immer eine Selbstverständlichkeit - das mußte einfach geschehen. So verging die Zeit, die Kinder heirateten, bekamen wieder Kinder und zogen fort. Otto war bei den Semperit, Gerhard in Klagenfurt und Greti landete in Melk. Für Mutti und mich wurde es Zeit, an die Pension zu denken. Wir hatten ja eine Dienstwohnung, also suchten wir ein Haus. In der Schubertgasse wurde uns ein halbfertiger Rohbau angeboten, der uns aber zu klein erschien. Für Bruck hatten wir uns entschieden, da Mutti mit einem der Kinder beisammen sein wollte und Otto seit einiger Zeit in der Zuckerfabrik beschäftigt war. Er hatte dort eine Dienstwohnung, war aber ebenfalls für ein Eigentum. In Frage kam dann noch das Haus Wittmann, Ecke Wienerstraße-Tegetthoffgasse mit einem Garten zum Gürtel hinaus. Das Areal sagte uns zu, aber die ebenerdigen Räume sind unter dem Straßenniveau. Außerdem war die Frau des Besitzers (Anwalt in Wiener Neustadt) eine Häusermaklerin und in ihren Preisvorstellungen um einiges über unseren Ansichten. Da meldete sich eines Tages der ehemalige Obmann Bauer (Brieftaschenbauer) und zeigte uns das Haus von Bauer Ernst in der Schloßgasse. Eigentlich sollte nur der vordere Trakt verkauft werden bis zur Stadtmauer um 600.000. Das Haus war vermietet, diente ebenerdig als Lagerraum und im Halbstock als Wohnung für Jugoslawen. Der erste Stock wurde wöchentlich gereinigt, um als "Auslage" zu dienen. Dafür schauten die anderen Räume umso ärger aus. In einem großen Raum vor dem Bodenaufgang (eine Holzleiter) lagen einen Meter hoch Alttextilien. Bei Kleidersammlungen stellten die Brucker ihre Altwaren in Säcken vor das Tor und die Jugoslawen hatten da vor der offiziellen "Altkleidersammlung" ihrerseits "gesammelt" und das in diesem Haus gelagert. Sicher hatten sie sich die besseren Stücke bereits herausgesucht - denn das, was da herumlag war zum größten Teil Mist und eine "Ratzenburg". Die Substanz des Hauses war ja in Ordnung und die Größe stimmte auch - 30 m Gassenfront und zweigeschoßig - aber die Nebenräume, also Stallungen für Pferde, Rinder und Schweine und die Mühlennebengebäude (Kopperei) waren ziemlich desolat. Außerdem war kein Garten, dafür ein Misthaufen im Hof. Wir verhandelten also mit der Frau Bauer und wollten zu dem angebotenen Stück noch den Grund (mit dem Mühlengebäude und den Wagenschuppen) bis zur Schloßmühlgasse. Dafür bot ich nochmals 300.000. Sie wollte es sich überlegen und am zweiten Tag erschien ein Neffe (Brandlhofer) der meinte, das sei für diese Stück zu wenig. Ich vermutete, daß er versuchte, für sich oder seine Familie (die Frau Brandlhofer, also seine Mutter, war ja eine Schwester von Bauer Ernst) etwas herauszuschlagen und bot ihm als letztes Angebot weitere 30.000 S an. Das nahm er zur Kenntnis - und die Frau Bauer war sowieso damit einverstanden. Ein Problem war dann noch, daß verschiedene Leute ihre Boote in den Gebäuden eingelagert hatten, die dann eben auch ausziehen mußten. Der Vordertrakt war etwas schwieriger frei zu bekommen, d.h. schwierig war es mit den Jugoslawen. Aber Otto riß bald die Geduld und er versperrte ihnen die Eingangstür, so daß auch dieses Problem bald gelöst war. Als erstes warf Otto das Gelumpe aus dem Halbstock in den Hof und zündete es an. Dann ging er an das Vermessen des Hauses und da kamen wir darauf, daß der Stiegenaufgang in den ersten Stock nicht unbedingt notwendig war, da die Räume im ersten Stock von dem Zwischenstock nur durch eine dünne Mauer abgetrennt waren. Durch einen Durchbruch konnte man also von der Stiege in den Halbstock über einige Stiegen in den ersten Stock kommen. Nachdem es gerade Stiegen waren (zum Unterschied zur gewundenen Stiege vom Vorraum, der von der Straße direkt erreichbar war), gab es dann später auch keine Probleme beim Möbeltransport. Andernfalls hätten wir möglicherweise mit einem Kran durch die Fensteröffnungen Einzug halten müssen in den ersten Stock. Da im ersten Stock die Räume hintereinander, jeweils durch eine Tür verbunden und mit Fenster auf die Straße und auf den Hof angeordnet waren, wurde ein Gang dazugebaut. Das war keine Schwierigkeit, denn ebenerdig waren ja die Küche und eine Speis gegen den Hof vorgebaut, so daß man nur aufmauern und das Dach verlängern mußte. Die Einfahrt mußte allerdings verlängert werden. Da Otto in seinem Bereich keine Stufen haben wollte (über der Einfahrt war bereits eine Stufe in das Zimmer, da die Einfahrt höher als die Zimmerdecken ausgeführt ist), wurde dann das Gewölbe um diese Stufenhöhe abgesetzt. Das bereitete keine Schwierigkeiten - im Gegenteil, denn der Baumeister Einrahmhof hatte nur eine Romanade (Schalung fürs Gewölbe), die unseren Vorstellungen entsprach. Daß die Räume alle in gleicher Höhe sein sollten, hing damit zusammen, daß wir ja eine Fußbodenheizung verlegen wollten.

Gekauft hatten wir das Haus im Dezember l974. l975 begannen wir dann mit dem Ausräumen und im Herbst saß ich viele Wochen in dem Zimmer neben Harrach, da wir beim Aushub - wir wollten ja zum Trockenlegen der Räume und der Mauern ca. 50 bis 60 cm Schotter einbringen - auf eine Fläche mit humushaltiger Erde gestoßen waren. In diesem rechteckigen Gebiet, ca. 2 x 2 m mit abgerundeten Ecken, grub ich nun einige Säcke Tonscherben und Knochen aus. Es gab daneben auch noch einige schwarze Stellen, so als ob dort Holzsteher vermodert wären, so daß ich an eine urgeschichtliche Behausung glaubte und nun archäologische Ausgrabungen machte! In Wirklichkeit dürfte es sich aber um eine Abfallgrube am Rande der alten Leitha gehandelt haben. Jedenfalls aber habe ich die Relikte aus alter (oder neueren) Zeit gesammelt. Die soll einmal ein anderer, wenn es ihn interessiert, bestimmen. Die Kopperei, die ja nicht mehr erhaltenswert war (das Dach war eingesunken, die Mauern total durchnäßt, die Decken so durchhängend, daß man fast gefährdet war, wenn man die Räume betrat) wurde also zuerst abgetragen. Ich kletterte, nachdem die Dachziegel abgeräumt waren, über die Sparren hinauf und löste die Verbindungen dieser wackeligen Konstruktion. Dann hob ich von unten mit einer Stange einen Sparren hoch, worauf der andere einstürzte. Da mußte ich nur aufpassen, daß er nicht auf mich fiel. Zum Schluß gab es ein riesiges Gewirr von Hölzern auf dem obersten Boden. Die Sparren konnte ich ja gerade noch schleppen, also wanderten sie einmal in den Hof. Da wir auch Arbeiter beschäftigten, konnten diese am nächsten Tag dann die Hölzer in die Mühle schleppen. Dann mußte das Mauerwerk abgetragen werden. Mutti half dabei fleißig mit, die Ziegel zu putzen (vom Mörtel zu reinigen), denn wir wollten sie ja wiederverwenden. Wir schlichteten sie auf Paletten, die dann ein Stapler oder Autokran zusammenstellte. Jedenfalls erhielten wir von diesen Bauten mehr Ziegel, als wir dann für den Zubau benötigten. Wir hatten eine sehr starke Beleuchtung - es müssen 200 Watt oder mehr gewesen sein, so daß wir bei diesem Licht in luftiger Höhe auch noch spät am Abend (ich arbeitete ja normal im Lagerhaus) am Werk sein konnten. Nach der Kopperei (ein Rest der Mauern verblieb im Garten, so daß man noch die Stärke der Mauern sehen kann) ging es an den Pferde- und Rinderstall. Diese Ställe hatten Gewölbe, waren allerdings etwas unter dem Hofniveau. Dabei befürchtete ich, daß zumindest im Pferdestall die Wände so von Ammoniak durchsetzt wären, daß man daraus kein Wohnzimmer machen könne. Wir werkten daran herum, da gaben wir unserem Herzen einen Stoß - und das Gewölbe fiel. Da gab es wieder viele Ziegel - aber auch ordentliche Steinmauern. Nun verblieb noch die Waschküche - jetzt Vorraum vom Wohnzimmer. Dort wollten wir das Gewölbe erhalten. Es spielte aber nicht mit und stürzte von selbst ein. Damit war auch dieser Fall gelöst, d.h. wir mußten den Hoftrakt einfach neu aufbauen. Da Otto auch für den ersten Stock ein großes Wohnzimmer wollte, bauten wir also wieder auf. Eine Schwierigkeit gab es noch - wenn wir die gleiche Dachhöhe einhalten wollten, wäre das obere Wohnzimmer sehr nieder geworden - oder es hätte auf der Fensterseite einen Knick in der Decke (nach dem Dachverlauf) gegeben. Um das zu vermeiden, wurde die Decke des unteren Wohnzimmers etwas gesenkt, so daß man im ersten Stock eine Stufe in das Wohnzimmer hat. Dadurch aber war eine ebene Decke gegeben. Natürlich mußte auch ein Kanal für die ganze Anlage gegraben werden - da fürchtete ich, daß unser Bau einstürze, so tief wurde ausgehoben. Aber damit waren auch die Auflagen der Gemeinde erfüllt - wir selbst hätten ja auch nicht ohne Kanal bleiben wollen. Dazu kam ein Purator (Absetzbecken in einem Behälter) im Hof und die Verbindungen von den Dachrinnen und Klos, von den Küchen und Badezimmern (es gibt im Haus fünf Badezimmer) zum Kanal - also der Hof war ein Gewirr von Gräben. Endlich war alles verlegt und wir konnten an einen Belag denken. Wir hatten eine Menge Pflastersteine geerbt - aber es waren trotzdem zu wenig. Zum Glück fand ich bei der Leitha einen Steinhaufen der Gemeinde, die dort von Gebäudeabbrüchen die Steine lagerte. Von dort bekamen wir etwas, so daß wir den Gehsteig und den Hof pflastern konnten. Für die Einfahrt verwendeten wir die Platten, die im Eingang des Hauses (heute mein "Arbeitszimmer") verlegt gewesen waren mit einigen Ergänzungen von Steinmetzmeister Opferkuh in Mannersdorf. Leider sind diese Mannersdorfer Platten, die anscheinend sehr lange im Freien gelegen sind, nicht so schön. Aber Opferkuh hat mir gesagt, diese Steine werden durch das Begehen mit genagelten Schuhen schön. Also auf! Mit genagelten Schuhen fleißig in der Einfahrt marschieren! Die Stiegen in den ersten Stock mußten wir (da wir für ein altes Haus natürlich auch alte Stiegen wollten - auf das hatte uns ja auch Opferkuh aufmerksam gemacht) in Abbruchhäusern in Wien suchen, um so etwas zu finden. Das war gar nicht so einfach. Da konnte es passieren, daß der Polier die Stiegen verkauft hatte, wir beim Abtransport waren und dann kam plötzlich ein Beauftragter des Baumeisters, der uns als Diebe hinstellen wollte. Da hatte der Polier entweder ein schwarzes Geschäft gemacht (er hatte uns erkärt, daß das sein Ressort sei, diese Stiegen zu verkaufen) oder es wußte einer vom andern nichts. Jedenfalls durften wir ja nicht beginnen, die Stiegen im untersten Geschoß zu nehmen, denn dann hätten die Arbeiter nur schwer in die oberen Stockwerke gelangen können (über Bretter oder andere Behelfe). Und dann sahen wir ja auch, daß die untersten Stiegen die im schlechtesten Zustand, also total abgetreten, waren - kein Wunder, da ja alle Leute darüber gingen. Im letzten Stockwerk waren also die schöneren Stiegen - auch nicht alle unbeschädigt und daher würdig, in Bruck zu neuem Glanz zu kommen. Also mußten wir vom obersten Geschoß die Stiegen auslösen, wieder oben beginnen, damit wir nicht selbst in Gefahr kämen - und dann hinunterschleppen. Für einen ist so eine Steinstiege zu schwer - und zwei tun sich auch schwer, vor allem, wenn es sich um gewundene Stiegenaufgänge handelt. Außerdem sind dort nur die ersten und die letzten Stiegen für unsere Zwecke brauchbar, da ja in den Kurven die Stiegen keine parallelen Seiten haben. Wir schleppten uns also damit ab und Otto überlud sein Fahrzeug, das wir vom Lagerhaus ausgeborgt hatten. Als die Fracht dann endlich in Bruck gelandet war, fiel uns ein mords Stein vom Herzen! (wie eine Steinstiege). Wenn sie nicht ganz gleich sind, so ist das ein Zeichen, daß wir an verschiedenen Stellen arbeiten mußten - es ist also kein Mangel sondern ein Zeichen dafür, was wir dabei mitgemacht haben.

Dann begann die Verlegung der Heizungsschläuche. Ich weiß nicht mehr, ob es 2.500 m oder 3.000 m Schläuche waren, die wir da auf Baustahlgitter, die wieder auf Telwolle lag (zur Isolierung nach unten) mit Plastikklammern befestigten. Das war wieder eine sehr schöne Arbeit im Knien! Darauf kam eine Betonschicht und auf diese die Fliesen. Bei unseren Fahrten zur Firma Valcher (Italien) hatten wir neben der Straße ein großes Fliesen Center gesehen. Das besuchten wir also, um für uns Fliesen auszusuchen. Da diese Fliesen relativ billig waren (von ca. 75,- bis l00,-S /m² kaufte ich einen ganzen Zug, also rund l.000 m², die uns dann mit einem Spediteur ins Lagerhaus zugestellt wurden. Von dort holten wir sie uns dann, als es so weit war, mit dem Verlegen zu beginnen. Otto hatte in der Zuckerfabrik zweit Männer, die Fliesenleger waren. Die haben viele Tage bei uns "schwarz" gearbeitet und den Großteil der Fliesen verlegt. Als wir der Kachelofen aufstellen ließen, kam der gute Mann darauf, daß er nicht zum Fliesenlegen eingeladen worden war. Da wir befürchten mußten, daß er uns wegen Beschäftigung von Schwarzarbeitern anzeigt und die Fliesenleger aus der Fabrik auch keine Zeit mehr hatten, mußten wir zum Schluß eine Firma aus St.Pölten (durch Gerhard empfohlen) beschäftigen - wobei auch da ein Teil im Pfusch, also ohne Rechnung der Firma, gearbeitet wurde. Als dann noch ausgemalt war, konnten wir einziehen. Im Verband hatten sie schon auf den Kalender gesehen, wann ich endlich in Pension gehe. So jedenfalls kam es mir vor, als mir Steinböck jun. verkündete, daß mein Arbeitsverhältnis am 3l.l2.78 beendet sei. Ich versuchte, da ich ja erst im Jänner 65 wurde, bis zum 30.6.79 zu verlängern - aber das wurde abgeschmettert. Jetzt schaltete ich auch auf stur und verlangte meinen restlichen Urlaub. Das waren drei Monate, die sich im Laufe der Jahre - der Verband hatte da ja genau Buch geführt - trotz Verjährung des nicht konsumierten Urlaubs nach drei Jahren - angesammelt hatten. Die nahm ich mir jetzt und der Verband schickte einen Nachfolger. Das war ein junger Mensch, der sich besonders wichtig machen wollte - heute ist er Direktor im Verband. Da er aber seine Familie nachkommen lassen wollte, räumten wir unsere Lagerhauswohnung anfangs Dezember und übersiedelten in die Schloßgasse. Das Obergeschoß war noch nicht fertig - aber herunten konnten wir bereits wohnen. Mit diesem Stiegler (so hieß der Neue) hatte ich dann noch eine Kontroverse. Ich hatte bei einer Sitzung beantragt, mir den PKW zu verkaufen. Ich zahlte den Preis, wie er im Euro-Tax (ein Heft, in dem die Preise für die PKW-Typen nach Jahrgängen nach Erfahrungswerten einigemal im Jahr genannt werden und das in den Werkstätten verwendet wird) für das Fahrzeug genannt wird. Nun kam Buchhalter Pschill und sagte, es sei für die Genossenschaft günstiger, wenn dieser Preis in ein Entgelt für das Fahrzeug (Mehrwertsteuer 33%) und in eine Reparatur (Mehrwertsteuer l0%) geteilt werde. Ich hatte ja den Wagen, der über l00.000 km hatte, überholen und den Motor schleifen lassen, sodaß das ja durchaus legal bewiesen war (andererseits kauft man ja auch einen Gebrauchtwagen repariert) und für die Genossenschaft durch den günstigeren Mehrwertsteuersatz ein Gewinn ist. Und nun hatte Stiegler die Rechnung für den Wagen in die Hand bekommen und sie dem Obmann gezeigt, wobei er ein ordentliches Schäuferl nachgelegt hatte, so daß der arme Obmann ganz aus dem Häuschen war (denn so etwas hätte er mir nicht zugetraut!) Von der Reparaturrechnung wußte der Obmann bestimmt nichts und ob Stieler davon wußte, kann ich nicht sagen. Jedenfalls bekam ich eine große Wut auf beide, die so von mir denken konnten. Pschill mußte das dann aufklären, was er ja auch bereitwillig tat, denn er war ja der Urheber des Ganzen gewesen und hatte es nur im Interesse der Genossenschaft gemacht. Inzwischen hatte aber dieser dumme Stiegler es auch schon beim Verband gemeldet und ich erhielt einer Brief von Steinböck jun. Ich schilderte ihm in trockenen Worten den Sachverhalt - und bekam keine Antwort mehr. Obmann Pimpel versuchte dann noch, wieder einzulenken und wollte wieder gut werden. Aber in so einem Fall bin ich stur. Er hatte mich tief enttäuscht, daß er auf eine Anschuldigung sofort reagierte, ohne sich zu vergewissern und vor allem auch die andere Seite zu hören - audiatur et altera pars! So wurde mir also der Abschied vom Lagerhaus relativ leicht gemacht. Ich nehme immer noch Anteil am Geschehen - aber das Herz hängt nicht mehr daran.

Nach dem Ausbau des ersten Stockes zog dann auch Otto ein und ich hatte nun Zeit, mich um den Garten zu kümmern. Den großen Schuppen gegen die Schloßmühlgasse hatten wir abgebrochen, den Betonboden und die darunter liegende Schlacke (Aufschüttung des Burggrabens) auf 60 bis 70 cm abheben lassen (mit Bagger) und dann Erde bringen lassen. Da lagen nun über l00 m3 Ackererde, Abraum vor Schottergruben, die ich mit der Schaufel auf die ganze Fläche verteilte, so daß ein richtiger Garten entstand. Darauf setzten wir dann Bäume und Sträucher (ich sage hier wir - aber in Wirklichkeit suchte immer Mutti die Pflanzen aus - ich setzte sie dann nur) und säten Gras. Den Misthaufen im vorderen Hof hatten wir ebenfalls mit dem Bagger entfernen lassen. In die Grube kam dann ein Öltank für unsere Heizung und darauf eine Grünfläche mit Sträuchern und Bäumen. Da die Mauer zum Nachbarn nach dem Abbruch der Düngerstättenmauer wackelte, führten wir noch eine Steinmauer als Stütze auf, die oben bepflanzt werden kann. Der Hof war wieder gepflastert worden, der Gehsteig vor dem Haus mit den Steinen aus der Einfahrt und vom Depot der Gemeinde ebenfalls gepflastert (als erster in der ganzen Schloßgasse - später haben dann auch Rittler und zum Schluß Harrach den Gehsteig gepflastert), so daß das Haus, neu verputzt und gefärbelt einen guten Eindruck machte. Im ersten Stock war im Zimmer ober der Einfahrt das Fenster in zu geringem Abstand vom Boden (durch den höheren Fußboden) so daß wir vor der Wahl standen, ein Fenstergitter innen oder außen anbringen zu lassen. Ich entschied mich für ein Außengitter, da es ja auch die Fassade belebt. Ob es so schöner ist, kann ich nicht beurteilen aber mir war es lieber als ein Gitter innen - da würde ich mich wie in einem Gefägnis fühlen.

So hatten wir also fleißig geschafft in den letzten Jahren. Jetzt also konnte der wohlverdiente Ruhestand beginnen - oder was man halt so nennt. Nach Uschi hatten wir uns wieder einen Hund genommen - die Bessi. Da Bessi getrimmt werden mußte, erfragte Mutti die Familie Huber in Höflein, die Hunde trimmen konnte. Durch die kamen wir also ins Gespräch, da ja Frau Huber Richterin ist, daß man mit Rassehunden auf Ausstellungen gehen kann. Die nächste Ausstellung war in Wien-Oberlaa. Da sahen wir zum erstenmal das ganze Um und Auf einer solchen Veranstaltung. Ob Bessi einen Preis gemacht hat, kann ich nicht mehr sagen - aber wir waren interessiert und taten weiter. Ob dann Wiener Neustadt oder gar schon Linz die nächsten Stationen waren, weiß ich nicht mehr. Als wir nach unserer Uschi auf der Suche nach einem Hund waren, kamen wir einmal auch in eine Tierhandlung im 2l. Bezirk. Dort sahen wir zwei Wolfspitzkinder in einer Kiste, von denen das Männchen das Bein hob und auf seine Schwester urinierte. Und dieses arme Wesen streckte den Kopf aus der Kiste und leckte uns die Hand ab. Wir waren entsetzt über diese Verwahrlosung - aber noch mehr taten uns die Hunde leid. Als wir zu Hause Otto davon erzählten, brachte er auf einmal diese kleine Hündin mit. Da hatten wir also zwei Hunde. Der Jammer war nur, daß der kleine Welsh-Terrier so rechthaberisch war und sich von der größeren Wolfspitzin nichts gefallen lassen wollte. Es kam also immer wieder zu Reibereien, die wohl keine größeren Wunden aber immer kleinere Verletzungen an den Beinen brachten. In der Schloßgasse hatten wir nun das Problem, wie die Hunde in den Hof kamen, wenn wir im Schlafzimmer waren. Da konstruierte Otto ein elektrisch gesteuertes Türl, das die Hunde mit einem Griff auf einen Bügel selbst öffnen konnten und das sich nach einigen Sekunden wieder von selbst schloß. Bruni (die Wolfspitzhündin) bekam dann ein Geschwür an einem Bein (Mutti meinte, von den Bissen von Bessi), das krebsig wurde, so daß wir sie einschläfern lassen mußten. Inzwischen waren wir auch schon zum Spitzklub gekommen und wollten wieder einen Wolfspitz. Da war aber eine neue Rasse aufgekommen: die Eurasier. Aus einer ungewollten Paarung von Cho-Chow mit einem Deutschen Schäfer bei Prof. Lorenz, über die eine Abhandlung in einer Zeitung erschienen war, hatten einige Deutsche geschlossen, daß man aus einer Kreuzung verschiedener Spitzarten eine Rasse erhalten könne, die sich als Familienhund gut eignen würde. Der Chow-Chow ist sehr fremdabweisend, ja nur ein Ein-Mann-Hund (oder Ein-Frau-Hund) und der Wolfspitz wieder sehr anschmiegsam und auch Fremden gegenüber freundlich. Da aber das Ergebnis in Bezug auf Konstitution nicht ganz den Vorstellungen dieser "Züchter" entsprach, wurde dann auch noch ein Samojede eingekreuzt. Da das eine sehr robuste Rasse ist - die müssen sich in fast arktischen Gebieten bei minimaler Pflege behaupten (sie sind ja auch Jäger), wurde die Rasse wohl verbessert, aber wieder ein Jagdinstinkt eingekreuzt. Komischerweise wurden alle Kinder nach dieser Kreuzung schwarz, obwohl der Samojede weiß ist. Unsere Sila ist also so ein typischer Samojedennachkomme, die eifrig jagt, vom Chow jedoch das Fremdabweisende besitzt. Sie sucht wohl die Nähe des Menschen - aber auf Entfernung. Noli me tangere! Und kaum hatten wir unsere Sila, fragte uns Frau Hörbiger, ob wir nicht einen Wolfspitz nehmen wollten. Der war bei seinem Frauerl nicht glücklich, da sie die meiste Zeit im Kaffeehaus saß und der arme Hund ja gern spazieren gegangen wäre. Da ihr Freund den Hund grob behandelte, hatte sie sich entschlossen, ihn wegzugeben, entweder an einen Liebhaber oder in den Tierschutzverein. Das konnten wir nicht zulassen, so daß der arme Parus (er sollte Paracelsus heißen - seine Züchterin stammt aus Salzburg - wurde aber vom Kynologenverband auf Parus reduziert) bei uns landete. Er war gar nicht traurig über den Wechsel, denn er sprang sofort in unser Auto und fuhr mit uns. In der Schloßgasse erlebten wir eine Überraschung, denn Parus stürmte sofort in den ersten Stock und markierte dort sein Revier. Er wird es auch herunten gemacht haben, aber wir haben ihn ja nicht so kritisch beobachtet. Das war aber nur das erstemal - seither war er ein Musterhund - wenn er nicht gerade Bauchweh hatte und die Türen verschlossen waren. Wir eruhren dann, daß dieses Verhalten typisch für Rüden ist, die damit ja ihr Revier kennzeichnen. Also hatte er es voll und ganz akzeptiert, daß er bei uns als Vollmitglied in die Familie aufgenommen worden war. Mit Sila vertrug er sich einmalig. Sie war ja noch ein kleines Hunderl und weinte um die verlorene Nestwärme. Da legte sich Parus hin und sie schmiegte sich in seinen Bauch, so daß es schön warm war. Wir waren so herzlos, die Hunde unten neben der Hoftüre zu lassen, wo sie auf einer Decke lagerten. Als dann einmal ein Hund krank wurde - oder war es nur nach einer Impfung - nahmen wir sie mit uns ins Schlafzimmer und da bewachen sie uns seither (und wir sie).

Mit Parus und Sila fuhren wir dann auf die verschiedensten Hundeausstellungen. Zeitweise gab es ja auch Treffen der Eurasierbesitzer in Deutschland, meistens in München, zu denen wir natürlich auch fahren mußten. So kamen wir nach Nürnberg, Augsburg und München, nach Jugoslawien nach Marburg, Opatija, Cakovec, nach Ungarn - und zwar Mosonmagyovar -, oft nach Budapest, Kapuvar oder Estergom, in die Tschechei nach Nitra, Preßburg und Brünn und natürlich in Österreich nach Innsbruck, Salzburg, Linz, Graz, Klagenfurth, Tulln und Wien - das sind aber nur die Ausstellungen, von denen wir ein blaues Band - für den Sieger - erhielten. Hauptsieger war natürlich Sila (da sie ja auch nur wenig Konkurrenz hatte). Parus wurde im Ausland immer vorzüglich bewertet, da ja ebenfalls nicht viele Bewerber antraten. Im Inland hatten wir das Pech, daß er doch ein wenig kleiner war als seine Konkurrenten, so daß er nicht an die erste Stelle gereiht wurde. Das hat uns aber nie gestört. Empört waren wir nur, als wir einmal in Tulln erfuhren, daß ein Hund von seinem Besitzer an einen Baum angehängt und verlassen wurde, weil er nicht Sieger geworden war. Wir mußten dann hören, daß das keine Einzelerscheinung war, sondern daß das des öfteren vorkommt. So eine Einstellung war uns immer ganz und gar unverständlich, denn vom Hund aus gesehen habe ich noch nie gehört, daß ein Hund sein Herrl einfach verlassen hat. Da mußte schon eine ganz fesche Hundedame dahinter sein - und dann dauerte es allerhöchstens drei Tage - meistens aber nur einen Tag, bis er wieder an seine Pflichten dachte und zu seinem Herrl lief, um es sorgfältig zu bewachen. Natürlich wollten wir mit Sila züchten. Da gab es in Guntramsdorf einen schwarzen Rüden, den Blacky, der der Vater ihrer ersten Kinder wurde. Als es dann soweit war, also nach 63 Tagen suchte sich Sila eine Stelle in der Mühle unter einem Stoß von Holzträgern und grub sich eine Mulde, um da ihre Kinder zu bekommen. Wir hatten ihr aber eine "Wurfkiste" gebaut und wollten sie natürlich bei uns in der Wohnung haben. Also lockte ich sie in die Wohnung. Als sie die Kiste sah, akzeptierte sie unsere Ansicht und tat uns den Gefallen, sich da hinein zu legen. Diese Kiste stand in meinem Arbeitszimmer und wir schliefen in den nächsten zehn Wochen im Zimmer neben dem Haus Rittler, um Sila und ihren Kindern immer nahe zu sein. Die Geburt (eigentlich Geburten, denn es waren ja sieben Junge) war ganz problemlos. Sila wußte von sich aus, was zu machen sei, nabelte die Jungen ab und fraß den Mutterkuchen, leckte ihre Jungen trocken und sauber und hielt das Lager rein. Leider bekam sie dann eine Milchdrüsenentzündung, so daß wir mit ihr zu Frau Dr. Lorin fahren mußten. Da wir die Jungen nicht allein lassen wollten, kamen sie in einem Karton mit. Und nach der Injektion legte sich Sila dann auf den Rücksitz im Auto hin und ließ ihre Kinder trinken. Es waren fünf schwarze und zwei rote Jungen, zwei Weibchen - schwarz - und fünf Männchen - drei schwarz und zwei rot. Die Abgabe der jungen Hunde ist immer ein Glücksspiel. Einen stämmigen roten Rüden, Astor, bekam Dr. Moser, den anderen, Argus, bekam Poldi in Gramatneusiedl, Ares kam ins Waldviertel, Alfi (der schüchternste) zu Harzhauser, Andor nach Innsbruck, Asta kam nach Wien zur Familie Bauer und Amanda zu Wimmer nach Wartberg a.d. Krems. Nach zwei Jahren war es dann wieder so weit und wir fuhren, d.h. Otto fuhr mit uns in die Schweiz nach Adelboden zum Eiko. Eigentlich war Eiko ja in Basel zu Hause - aber es war gerade "Fasnacht" und da machte der Lärm der Narren den Armen immer ganz verrückt, so daß sein Frauerl für diese Tage in ihr "Chalet" in Adelboden auswich. Wir kamen schon im Finstern hinauf und suchten das Chalet. Telefonisch hatte Mutti ja eine Beschreibung des Hauses und der Gegend bekommen - aber unter Chalet verstanden wir ein kleineres einzelstehendes Haus. Nach einigem Herumfragen kamen wir dann darauf, daß es eine Eigentumswohnung in einem größeren Haus war. Dort trafen wir also um ca. l/2 9 Uhr abends ein. Wir waren vorsorglich mit Sila einigemale bei Prof. Arbeiter in der Tierärztlichen Hochschule gewesen, um ja den richtigen Tag zu erwischen und der hatte uns nach der Untersuchung eben diesen Tag genannt. Wir ließen die Hunde - es lag ja noch Schnee dort oben - in der Garage zusammen und Sila wurde gedeckt. Ein zweitesmal lehnte sie ab. Also blieben wir über Nacht im "Chalet" und versuchten es am nächsten Tag wiederholt - aber Sila hatte genug - es wurde nichts mehr daraus. Wir fuhren nach Hause - nicht ganz überzeugt, daß es gut gegangen war und daß sich diese Fahrt gelohnt hatte. Aber Sila überraschte uns dann, denn bei der Geburt waren es bis um ll Uhr nachts bereits 9 Junge. Mutti legte sich dann schlafen und ich erbot mich, zu wachen und sie dann um 4 Uhr früh aufzuwecken. Dann muß ich aber auch eingeschlafen haben (im Sitzen), denn als ich wach wurde, war es schon fünf Uhr. Da wir die Jungen mit Nagellack markiert hatten (li vorne, re vorne,li hinten, re hinten, li,re vorne, li,re hinten, mitte li vorne, mitte re vorne, mitte li hinten und mitte re hinten) konnten wir sie nach der Ankunft unterscheiden. Und als wir da zählten, gab es ein noch unmarkiertes zehntes Hundekind. Wann es auf die Welt gekommen war, ob am 1. Mai oder am 2. Mai, konnten wir nachträglich nicht mehr feststellen da der Beobachter eingeschlafen war und sich nicht mehr erinnern konnte. Dieser Spätling wurde dann ein schüchternes Hunderl, das an den Raufereien der übrigen nicht teilnahm und lieber für sich allein war - ähnlich wie Alfi vom ersten Wurf. Sie landete bei uns, da wir nicht glauben wollten, daß irgend wer anderer so viel Verständnis für ein schüchternes Hundekind aufbringen könnte. In diesem zweiten Wurf gab es drei Rüden und sieben Hündinnen. Baldur kam zur Familie Dr.Biegel in St. Pölten, Boris zu Frau Paule, Bastian zur Familie Koch, Bella zur Fam. D.Ing. Niederhuemer, Bionda zur Fam. D.Ing. Goldbacher, Bara zu Obermayer in St. Michael, Birka zu Walek in Wien, Bruni zu Schulze, Bagira zu Geisler nach Speyer. Natürlich waren wir stolz auf unsere Sila, die so tüchtig war, denn aus den Verlautbarungen des Klubs ersahen wir ja, daß andere Hündinnen zwei bis drei Junge bekamen und wenn es einmal vier waren, war es schon ein Ereignis - und unsere Sila hatte zehn gehabt. Da konnte es sich Seywald nicht verkneifen zu bemerken, daß die, die es nicht notwendig hätten, das meiste Glück haben. Aber wir haben es nicht als Glück betracht, sondern daß wir die Hunde gut halten, für Bewegung sorgen, indem wir mit ihnen spazieren gehen (was auch uns guttut), sie richtig füttern und vor allem dann zum Tierarzt gehen (auch wenn es etwas kostet), wenn es um den Zeitpunkt des Deckens geht. Die Eianlagen werden ja in größerer Anzahl gebildet, sterben aber dann wieder ab. Wenn also die Bildung noch nicht vollendet ist, gibt es weniger Junge - und wenn die richtige Zeit versäumt wurde, sind auch schon wieder einige abgestorben. Zumindest hat man es uns so erklärt - und unser Erfolg hat uns ja recht gegeben. In der Natur - also bei den Wölfen - wird die Hündin durch einen längeren Zeitraum wiederholt gedeckt, so daß ja auch dadurch der gleiche Effekt erzielt wird. Jedenfalls aber ist ja Sila auch eine Superhündin und wird von uns auch entsprechend gewürdigt. Sila war nach der Abgabe der Hunde etwas gedrückt, wenn nicht gar verstört. Also packten wir uns zusammen und fuhren aus, um die Hundekinder zu besuchen (gleichzeitig wollten wir uns ja auch umschauen, ob sie wirklich in guten Händen seien und ordentlich gehalten werden - sonst hätten wir die neuen Besitzer schon beraten. Beim ersten Wurf hatten wir ja schon einmal eine Erfahrung gemacht, die uns vorsichtiger werden ließ. Seywald hatte Alf an Ettenauer in St. Pölten empfohlen. Wir fuhren hin und sahen, daß an der angegebenen Adresse ein Haus im Rohbau in einem ungepflegten Garten (eben eine Baustelle) war, das bei Tage gar nicht bewohnt war, da die Eltern in der Arbeit und die Kinder bei der Großmutter waren. Obwohl der Mann den Hund bei uns schon gesehen und angezahlt hatte, gaben wir ihn nicht her, sondern schickten ihm das Geld zurück (über eine Sparkasse) da er es nicht annehmen wollte. Das sollte uns also beim zweiten Wurf nicht mehr passieren. Tatsächlich landeten alle Hundekinder in den besten Händen - und trotzdem sorgten wir uns weiter um sie und hielten weiter Kontakt mit den neuen Besitzern.

So vergingen die Jahre im neuen Haus. Wir fuhren fleißig herum, besuchten Ausstellungen, die Kinder und eventuell Hundekinder, gingen zu Hunde-Club-Veranstaltungen oder Vorträgen auf der Tierärztlichen Hochschule. Und plötzlich waren es 50 Jahre, daß wir geheiratet hatten. Wir gingen in die Kirche, in der wir geheiratet hatten, die Kinder hatten ein Essen im Gasthaus organisiert und für uns war es wie zur Zeit, als wir uns kennenlernten. Daß dazwischen eine so lange Zeitspanne lag, war kaum zu glauben, nur an den Kindern und Enkelkindern konnten wir es sehen. Am Samstag darauf hatte Mutti ihre fünfzigjährige Maturafeier in einem Lokal in der Herrengasse. Ich führte sie hinein und wollte sie zum vereinbarten Zeitpunkt abholen. Ich ließ sie auf der Freyung aussteigen und wir vereinbarten, daß sie wieder dorthin kommen sollte. Rechtzeitig kam ich wieder dorthin - und wartete. Als niemand kam, vermutete ich, daß sie vielleicht mit Bekannten, die in unsere Richtung gefahren waren, mitgefahren wäre, daß sie mich angerufen hätte, ich aber schon weggefahren war. Es war wohl noch nie passiert, aber es hätte ja sein können. Daher fuhr ich wieder heim. Da war niemand - also wartete ich. Vielleicht waren sie noch woanders hingefahren - dann würde sie sich schon melden. Als das Telefon läutete, war ich erleichtert - jetzt wird sie sich melden. Aber es war das Wilhelminenspital, das anfragte, ob ich wüßte, daß Mutti mit einem Aneurisma eingeliefert worden war. Rasch verständigte ich noch Gerhard, dann fuhr ich hinein. Ich weiß nicht mehr, ob Otto mitfuhr oder selbst auch hineinkam. Wir standen dort im Spital herum und erfuhren erst nach langem Warten, daß die Aorta geplatzt war, daß Blut in den Brustraum ausgetreten war, das abgesaugt wurde und daß eine Bluttransfusion vorgenommen werden mußte. Am nächsten Tag (genau kann ich mich nicht mehr erinnern - aber es wird schon der nächste gewesen sein) war Mutti bereits ins Allgemeine Krankenhaus überführt worden. Dort konnte ich mit dem Chef sprechen, der mir den Fall schilderte und zu einer Operation riet. Als ich zustimmte und fragte, ob er morgen operieren wolle, sagte er "sofort". Wieder warteten wir, bis nach langer Zeit der Operateur strahlend kam: Operation gelungen. Natürlich fuhr ich jetzt täglich hinein und saß am Bett von Mutti. Sie hing an unzähligen Schläuchen und Apparaten und wollte und wollte nicht zum Bewußtsein kommen. Die Schwestern setzten sie gelegentlich auf - aber sie reagierte nur so wie ein Bewußtloser. Der Chef der Abteilung war nach einigen Tagen gar nicht mehr so freundlich und erklärte: sie muß mitarbeiten, sie muß wollen. Und eines Tages kamen wir hin und Mutti war wieder ins Wilhelminenspital zurückverlegt worden. Dort bemühten sie sich weiter und wir glaubten schon an Fortschritte. Otto hatte sie einmal am Abend besucht und war ganz beeindruckt nach Hause gekommen da sie munter geworden war und gefragt hatte, wo sie sei und warum sie da liege. Am Nachmittag war sie wohl besser, aber noch nicht ansprechbar gewesen, als ich sie besucht hatte. Mit einem guten Gefühl und Hoffnungsvoll fuhr ich am nächsten Tag hinein - da sagten sie mir, Mutti ist in der Früh gestorben. Die nächste Zeit ist mir nur undeutlich in Erinnerung. Gerhard gab mir zum Leichenbegängnis ein Beruhigungsmittel - aber auch sonst war ich die ganze Zeit starr - ich nahm anscheinend keine Eindrücke auf, da ich mich an nichts erinnern kann (oder verdrängt man alles in so einem Moment?). Als mich dann nach einigen Tagen Brachtls anriefen (sie waren auch beim Leichenbegängnis gewesen) und fragten, wie es mir gehe, antwortete ich ihnen: "Der Körper lebt - aber der Geist ist tot!" Im Rahmen der Verlassenschaft versuchte ich dann noch im Sinne von Mutti alles Vermögen möglichst gleichmäßig auf alle Kinder aufzuteilen, damit das geklärt ist und aus diesem Grund kein Streit entstehen kann. Schön langsam verlassen dann auch die Enkel das Haus, so wie es einst die Kinder getan haben und es bleiben die Hunde zurück. Leider werden auch die immer älter, so daß ich schon aufmerksam nach Anzeichen des Nachlassens der Vitalität ausschaue. Hoffentlich leben sie noch lange.

Ad multos annos !